Auf den ersten Blick ähnelt der vorliegende Schein dem sowjetischen Besatzungsgeld mit dem Datum 1944 für Ungarn und Rumänien. Auf den zweiten Blick bestätigt sich die Vermutung, dass er gestalterisch und textlich diesen Übergangsscheinen gleicht.
Abb. 1: Farbiger Entwurf, Vorderseite, zu einem für den Druck vorgesehenen
100-Reichsmark-Schein 1944.
Was sind die Verdachtsgründe? Neben dem deutlich grafischen Gesamteindruck im Vergleich zu den Pengö- und Lei-Ausgaben sind es der Wortlaut und die Formulierungen. Die Entwürfe für Geldscheine im besetzten Deutschland entstammen dem selben Atelier: Goznak.
Wie auf den Besatzungsscheinen für die ungarischen und rumänischen Feindstaaten liest man auch auf der Vorderseite des für Deutschland vorgesehenen Scheins „Oberkommando der Roten Armee“. 100 Pengö 1944: „A VÖRÖSHADSEREG PARANCSNOKSÁGA“ und 100 Lei 1944: „COMANDAMENTUL ARMATEI ROŞII“ (beidemal = Kommandantur der Roten Armee). Das wiederholte sich textlich auch auf den sowjetischen Besatzungsscheinen für die Mandschurei, 100 Yuan 1945 „Kommando der sowjetischen Roten Armee“ und den sowjetischen Scheinen für Korea, 100 Won 1945 „Kommando der Roten Armee“.
Abb. 2: Chinesisch = „SŪLIÁN HÓNGJŪN SĪLÌNG BÙ“.
Abb. 3: 100 Yuan 1945, Ausschnitt der Vorderseite (Goznak).
Abb. 4: Koreanisch = „BULG-EUN GUNDAE SALYEONGBU“.
Abb. 5: 100 Won 1945, Ausschnitt der Vorderseite (Goznak).
Selbst die kleingedruckten Straftexte und die Hinweise auf den Annahmezwang der drei 1944er Typen sind inhaltlich wieder ähnlich.
100 Reichsmark 1944: „UNBEDINGTE ANNAHME IN JEDEM ZAHLUNGSVERKEHR (...) / IST OBLIGATORISCH / FÄLSCHUNG WIRD NACH DEN KRIEGSGESETZEN STRAF- /RECHTLICH FERVOLGT“ (sic!).
Abb. 6: 100 Reichsmark 1944, Ausschnitt der Vorderseite mit retuschiertem Passus „DER REICHSBANK“ und peinlichem Fehler (beide mit weißen Linien unterstrichen).
100 Pengö 1944: „ELFOGADÁSA MINDEN FIZETÉSNÉL KÖTELEZÖ“ (= für alle Zahlungen gilt Annahmepflicht) und „HAMISÍTÁSA HADITÖRVÉNYEK / SZERINT BÜNTETTETIK“ (= Fälschung ist nach Kriegsrecht strafbar);
100 Lei 1944: „PRIMIRE IN TOATE PLĂŢILE ESTE OBLIGATOARE“ (= Annahme bei allen Zahlungen ist zwingend erforderlich) und „FALSIFICATORII ACESTOR / BILETE VOR FI PEDEPSIŢI CONFORM LEGILOR / IN VIGOARE PE TIMP DE RĂZBOIU“ (= Fälschungen dieser Scheine werden gemäß den in Kriegszeiten geltenden Gesetzen bestraft).
Abb. 7: 100 Pengö. 1944, Vorderseite (Goznak).
Abb. 8: 100 Lei 1944, Vorderseite (Goznak).
Einen Unterschied gibt es jedoch bei den Rückseiten. Zeigen die ungarischen und rumänischen Scheine die Wiederholung „A VÖRÖSHADSEREG PARANCSNOKSÁGA“ und „COMANDAMENTUL ARMATEI ROŞII“, so zeichnete man auf der „deutschen“ Rückseite die russische Entsprechung „КОМАНДОВАНИЕ КРАСНОЙ АРМИИ“ (= Kommando der Roten Armee) und das Kleingedruckte wieder in Kyrillisch „ОБЯЗАТЕЛЬНЫ К ПРИЕМУ ВО ВСЕ ПЛАТЕЖИ“ (= obligatorisch für alle Zahlungen) und „ПОДДЕЛКА ПРЕСЛЕДУЕТСЯ ПО ЗАКОНАМ ВОЕННОГО ВРЕМЕНИ“ (= Fälschungsverfolgung nach Kriegsrecht) und in Großbuchstaben „СТО РЕЙХСМАРОК“ (= Hundert Reichsmark).
Bei Goznak kannte man noch nicht die schon genehmigten Besatzungsscheine, die nur auf „Mark“ lauteten. Die Reichsmark war 1944 immerhin noch die gesetzliche Währung.
Abb. 9: farbiger Entwurf, Rückseite, zum Goznak-Projekt.
Abb. 10: auch hier wurden nicht zu entziffernde Korrekturen im Kleingedruckten vorgenommen und nachher mit Ornamenten überzeichnet (rote Linien).
Auch die Abmessungen aller Schein sind gleich, etwa 185 mm × 98 mm. Und für den Unterdruck wurden die versetzten 100er-Ziffern von der Pengö-Rückseite wiederverwendet.
Abb. 11: 100 Pengö 1944, Ausschnitt Rückseite mit 100er-Unterdruck.
Unstrittig stammt der Entwurf aus dem Haus Goznak – das sagt auch der Kopierschutz auf den Zeichnungen aus, der schräg und fortlaufend den Schriftzug „Из собрания Гознака“ (= aus der Sammlung von Goznak) zeigt.
Außerdem erkennt man die Handschrift des Moskauer Grafikers Dubasow und die beiden Kontrollnummern weisen auf eine zeitliche Zuordnung seiner Arbeiten hin: ИД 211243 steht für Iwan I. Dubasow 21. Dezember 1943.
Abb. 12: 100 RM, Ausschnitt Vorderseite mit Namenskürzel ИД und Kontroll-Nr. als Datum.
Abb. 13: Goznak-Chefgrafiker Иван И. Дубасов, seit 1945 Träger des Lenin-Ordens (bis 1991 die höchste Auszeichnung in der UdSSR).
Am 24. August 1922 begann Iwan Dubasow (1897–1988) seine Karriere in der russischen Staatsdruckerei. Alexander Suchich hatte ihn anfangs in der 2. Moskauer Schilderfabrik bei Goznak angestellt. Viele Jahre und bis zu seiner Pensionierung 1971 galt Dubasow als Chefdesigner bei Goznak. Er war gestalterisch auch für die 1944er Scheine für die Narodni Bank Polska und für die Republika Československà sowie für die 1945er Lewa-Ausgaben der Bulgarischen National-Bank verantwortlich.
Was waren die Hintergründe für die Farbentwürfe zu 100 Reichsmark 1944 durch die Sowjets?
Während der bekannten Querelen zwischen den US-amerikanischen und sowjetischen Ministerien aus der Zeit ab 1943 war für die Moskauer Führung die Vorbereitung einer eigenständigen "Kriegsmark" als Okkupationswährung zwingend.
Seit dem 30. März 1943 plante man in den USA Besatzungsgeld für die feindlichen und zu befreienden Länder in Europa. Anfangs sollten der Aufdruck „United States Military Authority“ (= Militärbehörde der USA) lauten. Es wurden auch sowjetische Vorschläge diskutiert, die statt der Bezeichnung „Alliierte Militärbehörde“ die genauere „Militärbehörden der alliierten Armeen“ forderten; die Sowjets wollten nicht den Eindruck erwecken, die vier Armeen ständen unter einem gemeinsamen Oberkommando. Die Briten waren mit einem zusätzlichen Aufdruck „Военные Власти Союзных Армий“ durchaus einverstanden. Aber die Vorbereitungen zum Druck waren weit fortgeschritten und die USA sollten ihn allein vornehmen ... und die sowjetischen Verbündeten forderten im Februar 1944 die Übergabe gleicher Druckplatten. Die beauftragte US-Lohndruckerei Forbes lehnte jedoch solch eine Überlassung ab. Aus Moskau drohte man im März 1944 mit der Ausgabe eigener Besatzungsscheine (die Entwürfe waren ja schon vorhanden!). Nach der Beendigung der Konferenz von Teheran am 1. Dezember 1943 hatte man umgehend reagiert und noch im selben Monat den Auftrag zu den Entwürfen an Goznak erteilt. In Boston startete der Druck der alliierten Militärmark-Scheine im Februar 1944. Die US-Amerikaner knickten schließlich ein, ließen Duplikatplatten, Papier, Farbe usw. über Alaska in die Sowjetunion fliegen.
In Krasnokamsk/Ural begann Goznak am 8. September 1944 mit dem Druck sowjetischer Militärmark-Scheine in identischer Ausführung.
Die Entwurfsarbeiten von „Reichsmark des Oberkommandos der Roten Armee“ wurden gestoppt und ein möglicher Druck war passé.
Leider liegt noch keine Antwort vom Goznak-Museum vor, das um Auskünfte zum hier vorgestellten Entwurf und zu möglicherweise anderen Wertstufen gebeten wurde.
Michael H. Schöne
Quellen:
https://vk.com/museum_goznak
Vielen Dank an Oliver Herzberg für den wertvollen Hinweis zum 100-RM-Entwurf, der in
einem russischen Forum am 4. Februar 2022 in einem Beitrag von Goznak (Artefakt) und
bei Facebook gezeigt wurde (Неосуществленный эскизный проект денежного знака Командования Красной Армии, предназначенного для обращения на территории Германии, номиналом 100 рейхсмарок. Художник И. И. Дубасов. 1943 год. = Ein nicht realisierter Vorentwurf der für den Umlauf in Deutschland bestimmten Banknote des Kommandos der Roten Armee mit einem Nennwert von 100 Reichsmark. Künstler I. I. Dubasov. 1943).
Comments