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AutorenbildMichael H. Schöne

17. Juni 1953: „Geldscheine“ mit Fake News und Propaganda

Aktualisiert: 8. Feb.

In Kriegen stirbt die Wahrheit zuerst – eine allgemein gültige Feststellung. Aber auch bei Revolutionen und Aufständen war das so! Vor 70 Jahren, im Juni 1953, kam es in Ostberlin und in einigen großen und kleineren Städten der DDR zu Demonstrationen. Hauptursache war der Beschluss des Politbüros auf der 2. Parteikonferenz der SED und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Veränderungen und spürbaren Verschlechterungen der Lebensverhältnisse großer Teile der Bevölkerung. Parteichef Walter Ulbricht kündigte 1952 den „planmäßigen Aufbau des Sozialismus“ an, der weiter vorangetrieben werden sollte.


Die Kollektivierung der Landwirtschaft, die Umwandlung größerer privater Firmen in „volkseigene Betriebe“ und die Stärkung der Schwerindustrie wurden ebenfalls festgelegt. Außerdem beschloss man den Aufbau einer Armee. Die zum 1. Juli 1952 gebildete „Kasernierte Volkspolizei“ sollte zur Nationalen Volksarmee umgebildet werden.


Die Proteste in der Bevölkerung richteten sich vor allem gegen den Aufbau der SED zur führenden Partei und Ausschaltung der Opposition, gegen den Ausbau des Ministeriums für Staatssicherheit, gegen die Verschärfung des Kirchenkampfes und gegen die Abschaffung der fünf bis dahin bestehenden Länder samt ihrer Parlamente und die Neugliederung der DDR in 14 Bezirke.


Das Fass zum Überlaufen brachte die Arbeitsnormerhöhung bei den Bauarbeitern in Ostberlin. Bei unveränderter Bezahlung war das eine Lohnkürzung, sodass 80 Bauarbeiter in der Stalinallee streikten, weitere solidarisierten sich und die Demonstration wuchs auf über 10.000 Menschen an. Der Streik weitete sich auf 72 Städte und viele Ortschaften in der DDR aus. Die Geschichte ist bekannt: Streik, Widerstand und gewaltsame Niederschlagung durch sowjetische Panzer und sog. Volkspolizisten.


Abb. 1: sowjetische Panzerkolonne am 17. Juni 1953 in Ostberlin.



Über insgesamt 167 der 217 Kreise in der DDR wurde der Ausnahmezustand verhängt.

55 Todesopfer können durch Quellen belegt werden, etwa 20 weitere Todesfälle sind bis heute ungeklärt. Viele Demonstranten wurden verhaftet – auch Todesurteile wurden ausgesprochen und vollzogen. Insgesamt waren 16 Divisionen der Roten Armee mit rund 20.000 Soldaten sowie etwa 8.000 Angehörige der Kasernierten Volkspolizei im Einsatz.

Vom 17. bis 22. Juni 1953 wurden sowjetische Standgerichte eingesetzt, von denen 19 Aufständische zum Tode verurteilt und erschossen wurden.

Auch einige Volkspolizisten und Angehörige der Staatssicherheit wurden getötet und auf sowjetischer Seite soll es ebenfalls Tote gegeben haben – man geht von etwa 40 standrechtlich erschossenen Soldaten und Offizieren der Roten Armee aus, die sich einer Beteiligung an der Niederschlagung des Volksaufstands widersetzt haben sollen.


Abb. 2: Plakat zum Ausnahmezustand ab 17. Juni 1953 in Ostberlin.



Aus dieser Zeit ist ein interessanter geldähnlicher Beleg bekannt: ein Flugblatt in der Form eines Propagandascheins, der ein besonderes Schlaglicht auf das Verhältnis zwischen Ost und West wirft. Spionage und Desinformation im damaligen "Kalten Krieg" waren auf beiden Seiten auf der Tagesordnung.


Abb. 3: Vorderseite eines Flugblatts mit einem Aufruf an sowjetische Militärs und an Deutsche zu den Ereignissen vom 17. Juni 1953.


Abb. 4: 20 D-Mark/Ost, Ausgabe 1948, Vorderseite, Austauschschein, Moskauer Druck.



Die Vorderseite des Flugblatts war dem 20-DM-Schein von 1948 nachempfunden (übrigens eine Austauschnote). Urheber dieser „Scheine“ war der NTS, eine in den 1920-er Jahren gegründete Vereinigung von Exilrussen. Diese Organisation (НТС = Народно-Трудовой Союз российских солидаристов= Bund Russischer Solidaristen) hatte sich dem Kampf gegen den sowjetischen Kommunismus verschrieben.


Der russische Text erwähnt einen Flugblatt-Aufruf des NTS („Freunde! Brüder! 18 russische Soldaten weigerten sich, auf unbewaffnete deutsche Arbeiter zu schießen, und halfen ihnen, Gefangene zu befreien und haben dafür mit dem Leben bezahlt“). In der folgenden Beschreibung des Sowjet-Majors Nikita Ronschin finden sich Einzelheiten:


Abb. 5: Rückseite des Flugblatts in russischer und deutscher Sprache, mit rotem Stempel ОБРАЗЕЦ (= Probe) und dem Zeichen des NTS, dem stilisierten Dreizack der Kiewer Rus (russisch Трезубец, ukrainisch Тризуб = Trysub, seit dem 19. Jh. ukrainisches Nationalsymbol).


Übersetzung aus dem Russischen:


Soldaten und Offiziere!

Am 17. Juni 1953 revoltierten die Berliner Arbeiter. Sie widersetzten sich dem kommunistischen Regime. Zwei Tage

fegte der Aufstand über die Zone.

Die Machthaber reagierten in Panik mit unseren Panzereinheiten gegen die Aufständischen. Nach Aufruf des NTS weigerten sich die Panzerfahrer auf die Aufständischen zu schießen. Unser Volk sympathisiert mit den Deutschen. Er hat darauf gewartet, dass du den Aufstand unterstützt und ihn in deine Heimat bringst.

Die Erfahrung des Aufstands vom 17. Juni war nicht umsonst.





Jetzt brodelt die Ostzone wieder vor Unzufriedenheit. Ein Volksaufstand könnte jeden Augenblick ausbrechen. Wir müssen ihn unterstützen.

Erschießt nicht die Rebellen! Geht mit ihnen ein Militärbündnis gegen einen gemeinsamen Feind ein: die kommunistische Regierung. Das Bündnis deutscher Kämpfer und unserer Soldaten ist der Schlüssel zum Erfolg im Kampf für die Freiheit unseres und des deutschen Volkes.

Es lebe die Volksrevolution!

NTS / Revolutionsstab

für Russland!


Am Sonntag, dem 28. Juni 1953, wurden im Sommerlager des 73. Schützenregiments der Roten Armee nahe Magdeburg 18 Soldaten von einem Sonderkommando standrechtlich erschossen. Die Exekution fand auf einer Waldlichtung am Rande eines Massengrabs statt. Unter den Erschossenen waren der Gefreite Aleksander Shcherbina, der Soldat Vasilj Djatkowskij und der Unteroffizier Nikolaj Tjuljakov.


Eine Woche nach der Niederschlagung des Aufstands wurde auf dem Mittelstreifen der Potsdamer Chaussee im Westberliner Ortsteil Nikolassee ein großes Holzkreuz zum Gedenken an die Opfer und die unerschrockenen Kämpfer errichtet. Es befindet sich in unmittelbarer Nähe des Zehlendorfer Kleeblattes unweit des ehemaligen Checkpoint Bravo. Der ehemalige Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit ehrte im Juni 2003 dort die deutschen Toten und die hingerichteten Sowjetsoldaten.


Aber: diese toten Russen hat es nie gegeben! Sie sind Phantome des "Kalten Kriegs".

Auch die angeblich durch Genickschuss im ehemaligen Schlachthof Berlin-Friedrichsfelde hingerichteten 23 Rotarmisten gab es nicht!


Weder der Historiker Christian Ostermann hat in CIA-Akten oder in denen des US-Außenministeriums Beweise für die Hinrichtungen gefunden. Ebenfalls erfolglos waren die Recherchen der damaligen "Gauck-Behörde" in alten Stasi-Unterlagen. Heute wissen wir, dass das 73. Schützenregiment unmittelbar nach Kriegsende aus Deutschland in die Sowjetunion zurückgeführt und schon im Januar 1947 aufgelöst wurde. So bezweifeln Historiker diese beschriebenen Hinrichtungen und sprechen von bewussten Fehlinformationen. Zu den Hinrichtungen gibt es nur eine Quelle: das Flugblatt des NTS und Major Ronschin, der nach dem Aufstand in den Westen geflüchtet sein soll. Ronschin lief aber schon im April 1953 zu den US-Amerikanern über. Beim CIA in Pullach bei München stieg er zum Kronzeugen der Geschehnisse um die Hinrichtungen auf. Bis zum Herbst 1989, der sog. "Wende" in der DDR, fanden keine Überprüfungen der Angaben von Ronschin statt.


Keine anderen deutsche oder sowjetischen Zeitzeugen, noch Angehörige von den Hingerichteten haben sich gemeldet. Der Autor Hans Halter schrieb in seinem SPIEGEL-Beitrag: „Bedauernd hat J. J. Tjulpanow, der Leiter der Rehabilitationsabteilung der Militärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation, der Opfer-,Vereinigung 17. Juni 1953‘ im August 2000 mitgeteilt, dass bei den Informations- und Archivbehörden der Russischen Föderation keine Angaben über die Verfolgung oder Verurteilung sowjetischer Militärangehöriger im Zusammenhang mit dem genannten Fall – die 41 Exekutionen – aufgefunden wurden. Die drei Namen von angeblich Hingerichteten finden sich überhaupt nirgendwo. ... Auch die russischsprachigen Historiker, die aus dem Westen nach Moskau ausgeschwärmt sind, konnten nirgendwo den kleinsten Beleg entdecken. Obwohl russische Archivare grundsätzlich nichts wegwerfen. Nicht einmal in der minutiös geführten Hauptchronik des sowjetischen Generalstabs fand ein Wissenschaftler des bundesdeutschen ,Militärgeschichtlichen Forschungsamtes‘ aus Potsdam irgendeinen Hinweis.“


Also handelt es sich um pure "Fake News" und um einen entsprechenden geldähnlichen Beleg – einen Propagandaschein. In der Literatur (Dr. J. Mader) werden weitere solcher Scheine genannt – z. B. mit Kontrollnummer F 17 6 1953 (die sollte für „Freiheit 17. Juni 1953“ stehen; Abb. bei www.psywarrior.com). Die Vorlage für diesen Propagandaschein war die 20-DM-Banknote mit der Kontrollnummer YA 327752 – wiederum eine Austauschnote aus der 1948-er Serie der Deutschen Notenbank Berlin.


Abb. 6: Propagandaschein, Vorderseite – in Form einer geteilten Banknote zu 20 D-Mark/Ost.



Der Text der Rückseite ist plump: „Genossen! Jeder gesunde Geldumlauf beginnt und endet in Moskau, hierher kommen die Protestnoten, hierhin gehen auch unsere Banknoten.

Wir müssen von ihnen Abschied nehmen, kaum daß wir sie in der Lohntüte rascheln hören. Denn unsere Butter muß uns die Regierung ebenso teuer verkaufen wie ihr nacktes Dasein. Die HO verlangt vom Werktätigen mehr Schein als sein sind: koste es, was es wolle, diesen Wohlstand heißt es um jeden Preis verteidigen. Denn durch die Hilfe unserer sowjetischen Freunde hat die Ostmarkwährung eine Werthöhe erreicht, wo Schwindel unvermeidlich sind. Das kommt von der Deckung, die die Freunde unserer Regierung dafür gaben. Ohne diese Deckung wäre eben ein gesunder Geldumlauf nicht möglich.“


Der NTS hatte möglicherweise eine Vorliebe für Propaganda in Geldform. In einem Beitrag über den NTS in der Zeitung der Landsmannschaft Ostpreußen wird ein anderer Geldschein abgebildet – leider nur die Vorderseite.


Abb. 7: Vorderseite eines NTS-Flugblatts in Form und Aussehen der 25-Rubel-Banknote

von 1947, abgebildet in „Das Ostpreußenblatt“, Seite 4, vom 25. Dezember 1952.



Die Rückseite ist ebenfalls unter www.psywarrior.com einsehbar, der Text richtet sich in russischer Sprache an „Soldat! Unteroffizier! Offizier! Bruder und Kamerad!“ und beginnt mit: „Sie haben diesen Zettel in Ihre Hand genommen. Nein, das ist kein Geld, sondern das Wort der Wahrheit. Ist es nicht wertvoller als Geld? Welchen Wert hat der Rubel in einem Land, das die Kreml-Blutsauger zum ärmsten Ort der Erde gemacht haben? Es gibt kein anderes Volk

im Westen, das ärmer lebt als wir. Was bedeutet das? Das Wort der Wahrheit ist wertvoll.

Und hier ist sie: Die schicksalhafte und revolutionäre Stunde naht. Der große Feind aller Zeiten und Völker – Stalin – ist bereit, Sie und das Land in das Gemetzel eines neuen und schrecklichen Krieges zu stürzen, eines Krieges, den niemand auf der Welt will, außer ihm, Stalin. Dieses Stück Mensch in Form eines Generalissimus ist verrückt und sucht unersättlich nach Macht um jeden Preis, einschließlich Ihres Blutes. ...“ usw. usf. und das NTS-Zeichen fehlte auch nicht.


Der NTS hatte nach Ende des Zweiten Weltkriegs sein Hauptquartier im hessischen Flüchtlingslager Mönchehof bei Kassel eingerichtet, bevor dessen Sitz nach Limburg und später nach Frankfurt am Main verlegt wurde. In Mönchehof waren russische Flüchtlinge und Vertriebene untergebracht. Aus diesem DP-Lager sind 50-Pfennig-Scheine mit der Abkürzung О.Р.Ю.Р.(O.R.U.R.) bekannt; sie steht für die exil-russische Pfadfinderorganisation Организация Российских Юных Разведчиков. Das Lager Менхегоф (kyrillische Entsprechung für Mönchehof) bestand von 1947 bis 1948.


Abb. 8: 50 Pfennig, 15. III. 1948, Vs./Rs., kyrillischer Aufdruck in Schwarz, Wertbezeichnung in Deutsch.



Der russischen Emigranten-Organisation NTS gehörten damals einige tausend Mitglieder an: hauptsächlich ehemalige DPs ("Displaced Persons") und frühere Angehörige der mit Hitler gegen die Sowjetunion kämpfenden Wlassow-Armee mit dem Ziel, Russland in eine Demokratie nach westlichem Muster zu entwickeln.


Als Ergebnis der Unruhen in der DDR und Ostberlin ist auch die Folgeauflage der Banknoten der Deutschen Notenbank zu werten. Der Notenumlauf hatte im Februar 1954 die Menge der 1948 gedruckten 4,2 Mrd. D-Mark/Ost überschritten; die sozialpolitischen Verbesserungen des Lebensstandards machten die Ausgabe der ab 1951 nachgedruckten Banknoten unumgänglich. Diese wurden mit 7-stelligen Kontrollnummern und sog. Plattennummern nunmehr in der Leipziger Wertpapierdruckerei der DDR hergestellt.


Abb. 9: 20 D-Mark/Ost, Ausgabe 1948 (1951), Vorderseite, Leipziger Druck.


Abb. 10: Null-Euro-Souvenirschein 2020 „Aufstand 17. Juni“, seit 2015 in Frankreich

bei Oberthur Technologies ohne Wertangabe hergestellte Scheine zeigen historische Ereignissen oder touristische Sehenswürdigkeiten (Konzept Richard Faille).


Abb. 11: „Dawaitje“ (sinngemäß „haut ab“) riefen angeblich die Sowjetsoldaten aus ihrer Panzerluke den Steinewerfern in der Leipziger Straße in Ostberlin zu.



2023 jährt sich der Aufstand von vor 70 Jahren. Das Motiv des 0-Euro-Souvenirscheins ist das weltweit bekannte Foto von Simon Laird. Zwei Demonstranten werfen Steine auf sowjetische Panzer in der Leipziger Straße in Ostberlin ... und nicht auf der damaligen Charlottenburger Chaussee, der heutigen Straße des 17. Juni. Das abgebildete Straßenschild auf dem Null-Euro-Schein ist irreführend ... und peinlich.


Michael H. Schöne


Quellen:

https://de.wikipedia.org

https://pressroom.rferl.org

https://sascha313.wordpress.com

https://www.academia.edu

https://www.grin.com

https://www.lpb-mv.de

https://www.n-tv.de

https://www.spiegel.de (Halter, Hans: „Die Legende von den toten Russen“ 2003)

https://www.psywarrior.com

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