Kanada, nach Russland das zweitgrößte Land der Erde ist fast so groß wie ganz Europa. Und von Europa aus wurde dieses riesige Territorium ab dem beginnenden 17. Jahrhundert von Osten nach Westen kolonialisiert. Hauptsächlich waren es Briten und Franzosen, aber auch Menschen aus vielen anderen Ländern, die die heutige Ethnien-Vielfalt Kanadas ausmachen. Dass die Entdeckung dieses riesigen Gebiets nicht immer ohne kleinere und mittelgroße Konflikte vonstatten ging, kann man in den Geschichtsbüchern nachlesen. Lebten um 1900 etwa 7 bis 8 Millionen Einwohner in dem Land, so waren es 1961 etwa 18 Millionen, und bis heute hat sich diese Zahl verdoppelt.
Etwa 10 % der weltweiten Waldfläche liegt auf kanadischem Territorium. Das zeigt, dass dieser Reichtum an Holz ein ganz wichtiger Wirtschaftsfaktor des Landes war und weiterhin ist. Dass Kanada zudem vor allem an der Ostküste von vielen Flüssen und Strömen durchzogen wird, war natürlich für den Transport der Hölzer früher besonders wichtig.
Am 28. März 1860 wurde Alfred Dickie in Upper Stewiacke in Nova Scotia als erstes Kind einer bereits damals reichen Handelsfamilie geboren. Alles, was Einwanderer brauchten, um das große Land zu entdecken, fand man im Laden der Familie, die auch gleichzeitig ein Holzgeschäft betrieb. Alfred Dickie gründete mit einer entfernt verwandten Cousine eine Familie, von der die meisten Kinder im väterlichen Unternehmen arbeiteten.
Im Alter von etwa 30 Jahren begann Dickie Firmen aufzubauen, die zumeist mit Holzschlag und -Verarbeitung zu tun hatten. Um die Jahrhundertwende wagte er sich auch auf andere Landstriche, außerhalb der Halbinsel Nova Scotia. Im Zentrum des Gebiets Labrador, am Ufer des Grand River bei Goose Bay, gründete er die Grand River Pulp & Lumber Company.
Wir müssen uns klar vor Augen halten, dass die Holzfäller in diesen menschenleeren Regionen tagelang, ja wochenlang Bäume schlugen und sie anschließend über die Flüsse in die Holzverarbeitungs-Zentren überführen mussten. Und es waren risikoreiche Geschäfte, denen die ganze Holzwirtschaft ausgesetzt war. Stark volatile Konjunktur-Zyklen galt es regelmäßig zu überstehen und das Klima mit riesigen Wasser- und Schneemassen, aber auch Trockenperioden, hatte oft katastrophalen Einfluss auf den Betrieb. Außerdem musste Dickie bis 1897 gleich viermal erleben, dass ein Brand seine Dampfmühlen zerstörte.
Nun, die Arbeit in so abgelegenen Gegenden war damals hart und einfach strukturiert. Man lebte meistens von der Hand in den Mund; reich wurden die Arbeiter kaum. Münzen oder Banknoten waren gar nicht oder spärlich vorhanden, so dass sich die Leute mit Warentausch oder mit „Privatgeld“ behelfen mussten. In diesen abgelegenen Regionen eignete sich am ehesten Privatgeld, mittels welchem im Firmengeschäft und oft auch in der lokalen Wirtschaft bezahlt werden konnte. Die Holzfäller hatten wohl auch kaum Alternativen, das Geld woanders auszugeben.
Die Scheine sind auf farblich unterschiedlichem Papier, teilweise auch mit verschiedenen Druckfarben, herausgegeben worden und die Unterschrift von Dickie findet sich jeweils in der unteren linken Ecke. Die Scheine wurden zusätzlich mit aufgestempelten Nummern versehen. Die Rückseiten sind unbedruckt. In der Mitte der Scheine ist jeweils eine typische Holzfällerszene dargestellt; das Fällen und Zersägen der Bäume – alles schweißtreibende Handarbeit.
Diese Script-Scheine gehören zu den großen Raritäten der Papiergeld-Geschichte Kanadas, und im Zusammenhang mit dieser Fabrik am Ufer des damals Hamilton River genannten Flusses kann noch eine zusätzliche Anekdote erzählt werden. Ein Konflikt zwischen den Vermessungsingenieuren und dem Dickie-Unternehmen bei der Vergabe der Holz-Lizenzen führte dazu, dass die Regierung von Quebec gegen diejenige von Neufundland eine Beschwerde einreichte, ja man ging in Quebec so weit, dass Dickies Baumstämme später als Quebec-Holz gestempelt wurden. Das Ganze eskalierte quasi zu einen Grenzkonflikt zwischen Quebec und Neufundland/Labrador, worauf sich sogar 1904 der British Privy Council damit beschäftigen musste. Der jahrelange juristische Konflikt endete erst 1927 zu Gunsten Neufundland/Labradors. Quebec akzeptierte das Urteil nicht und ging in Berufung. Jahrelang verschlampte man allerdings den Weg zu einem Urteil, bis es erst 1971 offiziell aufgehoben wurde.
Alfred Dickie war eine sehr umtriebige Persönlichkeit. Neben seinen Geschäften als Holzkönig, mit denen er alle Höhen und Tiefen der weltweiten Wirtschaft miterleben musste, versuchte er sich auch in der Politik, verlor aber die Provinzwahlen 1894 gegen einen erfolgreicheren Kandidaten. Er war jedoch von 1906 bis 1911 Erster Bürgermeister der Stadt Stewiacke und von 1921 bis 1923 Schulkommissar von Halifax sowie Präsident der North British Society. Er starb am 6. September 1929 und hinterließ trotz manch geschäftlicher Rückschläge ein beträchtliches Vermögen von 315.000 Dollars. Er wurde auf dem Familiengrundstück in Stewiacke begraben.
Ruedi Kunzmann
Abb. Sincona AG, www.sincona.com
Anmerkungen
Die indianische Urbevölkerung der Labrador-Innu nannte des Fluß damals Mishtshipu (Großer Fluß/Grand River). 1839 wurde er in Hamilton River und 1965 in Churchill River umbenannt.
Übersetzung: Lumber = Holzstämme; Pulp = Holzbrei, der beim Sägen/Holzbearbeitung entsteht.
Die Provinz besteht aus der Insel Neufundland und dem Gebiet Labrador auf dem Festland (beide englisch geprägt), welche von der Provinz Quebec (französisch geprägt) vollständig umfaßt wird. Die Halbinsel Nova Scotia liegt südlich von Neufundland.
Diese Scripts fehlen im Charlton Canadian Merchant Script Katalog von R. J. Graham
Diese Privatgeldserie wird am 25. Oktober 2018, anlässlich der Auktion 52 von SINCONA AG in Zürich unter der Los-Nr. 5217 versteigert.
1912 ging Alfred Dickie in Pension
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