Das Papiergeld Tibets ist möglicherweise das schönste und kunstvollste unter dem des
20. Jahrhunderts. Es stellt eine einzigartige Mischung aus der Kunstfertigkeit des Druckers und einer langen Tradition der tibetischen Malerei dar. Die hier abgebildete undatierte
100-Srang-Note, die wie ein bunter Wandteppich daherkommt, entführt uns in die geheimnisvolle und exotische Welt Tibets. Sowohl die Schrift[1] wie auch die Darstellungen sind uns fremd und unverständlich, voller mystischer Symbole.
Abb. 1: Vorderseite der 100-Srang-Note, Format: ca. 205 x 143 mm.
Abb. 2: Rückseite der 100-Srang-Note.
Bevor dieser Geldschein genauer betrachtet wird, scheint es sinnvoll zunächst einen kurzen Blick auf das Land und seine Geschichte zu werfen.
Die zentralasiatische Region Tibet, auch das Dach der Welt genannt, wird im äußersten Süden von einem großen Teil des Himalayas, im Westen vom Karakorum, im Norden von der Altun-Qilian-Kunlun-Kette und im Osten vom Hengduan Shan begrenzte. Das Hochland liegt auf einer durchschnittlichen Höhe von 4500 Metern.
Schon vor dem 7. Jahrhundert entwickelte sich in dieser abgeschiedenen Region eine eigenständige Kultur. Mitte des 13. Jahrhunderts geriet das Hochland unter die Herrschaft Kublai Khans und in den Einzugsbereich des chinesischen Vielvölkerstaates. Infolge der chinesischen Revolution im Oktober 1911 und dem Sturz der Qing-Dynastie proklamierte am 14. Februar 1913 der 13. Dalai Lama, Thubten Gyatsho,in Lhasa die staatliche Unabhängigkeit.
Die buddhistische Religion bestimmte das Leben der von der Landwirtschaft lebenden Bevölkerung. Die damalige feudalistische Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung erinnert an die des europäischen Mittelalters. Meist wurden Waren gegen Waren getauscht. Wenn dies z.B. bei größeren Transaktionen nicht möglich war, wurden die Waren mit Silbermünzen oder -barren bezahlt. Banknoten fanden in Tibet erst relativ spät Eingang, obwohl das Land mehr als 1.000 Jahre lang in Kontakt mit China stand, wo das Papiergeld bereits seit Jahrhunderten genutzt wurde. Als 1912 die ersten Banknoten zu 5, 10, 15, 25 und 50 Tam (auch Tamka, Tramka, Tangka oder Tranga genannt) in Tibet in Umlauf gegeben wurden, betrachtete die Mehrheit der analphabetischen Bevölkerung diese Zahlungsmittel mit großem Misstrauen.
Die Scheine wurden zunächst ausschließlich mit schwarzer Tinte mit gravierten Holzplatten #
(Xylographie) gefertigt. Erst im Jahr 1926 wurden mehrfarbige 50-Tam-Schein gedruckt. Hierbei verwendete man für jede Farbe einen eigenen Druckstock.
Ab 1941 wurde die Tam- durch die Srang-Währung ersetzt.[2] 7 ½ Srang entsprachen 50 Tam oder 1 Srang 6 ⅔ Tam. Zur Ausgabe gelangten Scheine zu 5, 10, 25 und 100 Srang.
Nach dem Tod des 13. Dalai Lama im Dezember 1933 geriet Tibet in eine Phase der politischen Instabilität und war viele Jahre lang ohne verantwortungsvolle Führung.
Waren die ersten tibetischen Banknoten in streng kontrollierter Anzahl ausgegeben worden und bis zu einem gewissen Grad durch Gold gedeckt, so scheint es, dass diese beiden Vorsichtsmaßnahmen bereits nach der Eröffnung der Notendruckerei und Münzanstalt „Trabshi Lekhung“, die 1932 ihren Betrieb aufnahm, weitgehend aufgegeben wurden.
Geldscheine wurden in immer größerer Zahl ausgegeben, um den Staatshaushalt zu decken. Die Inflation nahm besonderes nach Ausgabe der 100-Srang-Noten zu. Der Preis für Gerste, das tibetische Grundnahrungsmittel, lag 1959 zwanzigmal höher als 1936.
Nach chinesischen Schätzungen wurden in Trabshi Lekhung zwischen 1932 und März 1959 Münzen und Banknoten im Nennwert von 200 Millionen Srang produziert, dabei entfielen ungefähr 135 Millionen Srang auf das höchste Nominal, die 100-Srang-Note.
Die tibetischen Geldscheine bestanden ursprünglich aus drei Lagen Papier, die nach dem Druck der einzelnen Papierbögen zusammengeklebten wurden. Die mittlere Lage nahm dabei einen aufgedruckten Text auf. Die 100-Srang-Note besteht dagegen nur noch aus zwei Lagen, wobei auf der Innenseite eines Blattes die zweizeilige Sicherheitslegende in schwarzer Farbe gedruckt wurde. Wird der Schein gegen eine starke Lichtquelle gehalten, wird das „schwarze Wasserzeichen“ sichtbar.
Es bedeutet: „Der Palast der Regierung von Tibet, gekennzeichnet durch den Himmel, der in allen Richtungen völlig siegreich ist“. Wie es scheint, wurden zu Beginn der chinesischen Besatzung einige 100-Srang-Noten ohne sie ausgegeben. Dabei handelte es sich wohl nicht um Fälschungen, sondern um Banknoten, die außerhalb der offiziellen Kanäle in Umlauf gebracht wurden.
Das Papier der Srang-Ausgaben wurde in der Nähe von Lhasa in einer speziellen Papierfabrik mit dem Namen „Jing-Dong“ produziert. Es wurde ausschließlich für die Banknoten verwendet und sein Verkauf an Privatpersonen war verboten. Die monatliche Papierproduktion wird auf 500 Kisten geschätzt, von denen jede zwischen 500 und 1.000 Blatt Papier enthielt. Als Rohmaterial des Papiers verwendete man Seidelbaststräucher, nämlich „Daphne papyracea“ sowie die giftige „Daphne bholua“, sie sollte den Papierfraß durch Insekten und Ratten verhindern. Generell ist festzustellen, dass das für die Srang-Banknoten verwendete Papier viel dünner ist, als das für die frühen Tam-Banknoten.
In den späteren Jahren der Srang-Ausgaben wird es tendenziell noch dünner, offensichtlich wollte man mit der gleichen Menge an Rohmaterial Papier eine größere Anzahl von Banknoten gherstellen.
Die 100-Srang-Noten wurden mit importierten Druckmaschinen aus Britisch-Indien und Metalldruckstöcken gedruckt. Auch weiterhin wurde für jeden Farbton ein eigener Druckstock verwendet.
Die Hauptthemen der tibetischen Noten sind religiöser Natur und spiegeln die Kultur des Landes wider. Auf diese uns fremde Welt soll nun näher eingegangen werden. Dabei dienen die Ziffern und kleinem Buchstaben im Kreis des folgenden Textes der Kommentierung der abgebildeten 100-Srang-Note.
Abb. 3: Kommentierte Vorderseite der 100-Srang-Note.
Abb. 4: Kommentierte Rückseite der 100-Srang-Note.
Die Vorderseite der Note ist dreifarbig - Rot, Schwarz und Gelb. Der rote Außenrahmen ① ist mit einem Rautenmuster verziert, in dessen Rauten sich kleine Hakenkreuze befinden.
Die Swastika ⓐ, die sich die Nationalsozialisten für ihre Zwecke aneigneten, sind ein altes buddhistisches Symbol für „gutes Omen“ oder „Erlösung“.
Der erste innere Rahmen ② zeigt abwechselnd acht heilige Glückssymbole („ashtamangala“), die die tibetischen Buddhisten in Haushalt und öffentlicher Kunst verwenden:
Das rechtsdrehende weiße Schnecken-hornⓑ, ist eigentlich ein Musikinstrument. Ruft der Mönch in das Gehäuse, so entsteht der tiefe, melodiöse, durchdringende und allgegenwärtige Laut, wie er in den buddhistischen Klöstern zu hören ist. Genauso wie sich dieser Ton in alle Richtungen verbreitet, so breitet sich der Ruhm der Lehre Buddhas in alle Himmelsrichtungen aus. Die Schnecke steht für ethisches Wissen und Moral.
Der endlose Knoten ⓒ spiegelt die Unendlichkeit der Lehre Buddhas wider und die endlose Wiedergeburt, denen der Mensch ausgesetzt ist. Daneben repräsentiert er Kontinuität bei weltlichen Dingen, wie z. B. Freundschaft oder Liebe.
Die zwei Goldfische ⓓ symbolisieren Glück, Reichtum und Fruchtbarkeit.
Die heilige Lotusblume ⓔ steht für die ursprüngliche Reinheit von Körper, Sprache und Geist.
Das Banner ⓕ steht für den Sieg des Buddhismus über die Unwissenheit, des Guten über das Böse.
Die Schatzvase oder Urne der Weisheit ⓖ steht für Gesundheit, Langlebigkeit, Wohlstand, Fülle, Weisheit und das Phänomen des Raums.
Das Rad ⓗ ist von besonderer Bedeutung. Die acht Speichen stehen für den „Edlen Achtfachen Pfad“, den Buddha als praktische Anleitung verkündete, wie man Weisheit erlangt und Unwissenheit überwindet.
Der juwelenbesetzte Sonnenschirm ⓘ repräsentiert den Schutz von Lebewesen vor schädlichen Einflüssen und Krankheit.
Einzigartig macht die Scheine die Tatsache, dass sie von Hand nummeriert wurden.
Diese Tätigkeit erforderte eine spezielle Fachausbildung in Kalligrafie. Die Kopisten wurden innerhalb des Potala von einem Amt namens „e-khang“ ausgebildet. Dort wurde das kalligraphische Schreiben von Regierungsdokumenten erlernt. Jemandem, der nicht über diese Spezialausbildung verfügt, ist es beinahe unmöglich die auf den Noten geschriebenen Ziffern exakt nachzuahmen. Fälschungen lassen sich deshalb anhand einer laienhaften Schreibweise der Kontrollnummern leicht enttarnen.
Die schwarzen Nummern ③ befinden sich in der oberen linken und unteren rechten Ecke des ersten inneren Rahmens.
In den beiden oberen Ecken des zweiten inneren Rahmens befinden sich die Währungs-bezeichnung „Srang“ ④ und in den unteren Ecken die Wertangabe „100“ ⑤ in tibetischen Ziffern.
Zwischen den Währungsbezeichnungen sowie den Wertangaben die folgenden Texte ⑥:
Die Übersetzung lautet: „Papiergeld des 16. Rab-byung[3], der doppelten religiösen und zivilen Macht des Palastes des siegreichen Dga'ldan[4] in allen Himmelsrichtungen. Vom Himmel erwählt“.
Die Abbildung ⑦ in der Mitte des Scheins zeigt zwei Schneelöwen, das nationale Symbol Tibets, mit einer Obstschale. Der Schneelöwe ist ein allegorisch-mythologisches Tier des tibetischen Buddhismus. Neben dem schlangetötenden, halb mensch-, halb adlergestaltigen Reittier, dem Garuda, dem Drachen und dem Tiger, gehört er zu den vier Würden der vier Himmelsrichtungen. Das Garuda symbolisiert Weisheit, der Drache sanftmütige Macht, der Tiger Zuversicht und Vertrauen und der Schneelöwe furchtloses Glück. Der Schneelöwe wird der Himmelsrichtung Osten und nach der buddhistischen Fünf-Elemente-Lehre dem Element Erde zugeordnet.[5]
Auf der vertikalen Seite des innersten Rahmens findet sich links ein rundes, rotes Siegel ⑧, das die Autorität des XIV. Dalai Lama symbolisiert.
Das schwarze, rechteckige Siegel dagegen steht für das Schatzamt ⑨.
Es hat eine lesbare Inschrift.
Die Quadratschrift wird auch Phagspa-Schrift genannt, die mit „Jede Daseinsform vermehrt das Gute“ oder „Eine friedvolle Regierung bringt Wohlstand hervor“ übersetzt werden kann.
Beide Siegel wurden in einer Zeremonie angebracht. Erst dadurch wurde das Papier zu Geld.
Die Rückseite weist fünf Farben auf: rot, gelb, grün, blau und rosa. Beherrscht wird die Rückseite durch ein großes Bild, das in der tibetischen Ikonographie die „Sechs Gefährten der Langlebigkeit“ symbolisieren. In der Mitte ein alter, heiliger Mann ⑩ unter einer Linde auf dem Boden sitzend, schräg hinter ihm hockt ein kleiner Jüngling ⓙ. Der Heilige hält eine magische Flasche ⓚ in der Hand, die die Düngung der Erde symbolisiert; die zwei Fledermäuse ⓛ in den oberen Ecken verheißen Glück. Rechts unterhalb der heiligen Männer zwei Hirsche ⓜ, die Wohlstand verheißen.
Die zwei Kraniche ⓝ am linken Bildrand stehen für Langlebigkeit. Der Hintergrund des Heiligen ist mit einer Landschaft aus Bergen, Wasserfall ⓞ und Wolken ausgefüllt.
Der Wasserfall steht als Sinnbild für den Strom des Lebens.
Ein blauer „Punkt“ ⓟunterhalb der rechten Fledermaus, der wie zufällig aufgedruckt erscheint, ist als weiteres Sicherheitsmerkmal anzusehen.
Der rote äußere Rahmen ist der gleiche wie auf der Vorderseite: Rauten mit Hakenkreuzen ⓐ. Der innere grüne Rahmen ⑫ ist mit einem Blumenmuster bedruckt, an den vertikalen Seiten des Rahmens ist eine Inschrift in Quadratschrift ⑬ angebracht.
Diese sigilläre Texte lauten übersetzt „Palast der Dga’ldan“ (links) und „Siegreich in allen Richtungen“ (rechts).
Nach der Machtübernahme der Kommunistischen Partei und Gründung der Volksrepublik China unter Führung von Mao Tse-tung im Oktober 1949 erwachte der chinesische Anspruch auf Tibet erneut. 1950 marschierte die chinesische Armee in das Land ein und am 23. Mai 1951 unterzeichneten Vertreter Chinas und Tibets das sog. 17-Punkte-Abkommen, mit dem Tibet zur „Autonomen Region Chinas“ wurde. Das Abkommen garantierte die Rechte und die Würde des Dalai Lama als geistliches Oberhaupt des tibetischen Buddhismus.
Acht Jahre nach Unterzeichnung der Vereinbarungen begann der sogenannte Tibet-Aufstand. Auslöser war eine Einladung des Dalai Lama zu einer Theateraufführung in einem chinesischen Militärlager außerhalb der Hauptstadt Lhasa, die das geistige und politische Oberhaupt der Tibeter jedoch ohne Leibwächter besuchen sollte. Viele Tibeter fürchteten wegen der bestehenden Spannungen eine Verhaftung und Verschleppung des Dalai Lama. Am 10. März 1959 kam es zu Massenprotesten. China behauptete, dass es sich bei den Demonstrationen um einen von der tibetischen Führung organisierten Aufstand handelte und zog Truppen der Volksbefreiungsarmee zusammen. Am 17. März, eine Woche nach Ausbruch der Proteste, floh der 14. Dalai Lama nach Dharamsala in Indien. Hier nahm die tibetische Exilregierung ihren Sitz.
Die tibetischen Banknoten wurden zusammen mit den tibetischen Münzen im August 1959 demonetisiert; dieses Datum markiert auch das Ende der kurzen Geschichte der tibetischen Papierwährung. 50 Srang wurden von den Chinesen in einen Yuan Renminbi umgewechselt.
Uwe Bronnert
Anmerkungen
[1] Die tibetische Schrift gehört zu den indischen Schriften. Wie diese, ist sie eine Zwischenform aus Alphabet- und Silbenschrift, eine sog. Abugida. Durch ihre Silbenstruktur unterscheidet sie sich aber grundlegend von den anderen indischen Schriften.
Die tibetische Schrift wird hauptsächlich zur Schreibung der tibetischen Sprache in Tibet, des Dzongkha in Bhutan sowie des Bhoti im indischen Unionsterritorium Ladakh verwendet.
Sie ist die Schrift, in der die heiligen Texte der tibetischen Buddhisten abgefasst sind. https://de.wikipedia.org/wiki/Tibetische_Schrift (01.09.2021)
[2] Der Tam (auch Tangka, Tamka, Tamba) wurde von Nepal aus übernommen. Das Gewicht entsprach ursprünglich 10,5 g Silber. 1914 entsprach 1 Tam ca. 0,12 US-Dollar. Der Srang war ursprünglich eine Gewichtseinheit, die dem chinesischen Tael entsprach und knapp über 37 g wog. 1908 wurde erstmals ein Silber-Srang geprägt, der jedoch nur die Hälfte des Gewichts hatte, nämlich ca. 18,65 g. <https://de.wikipedia.org/wiki/Historische_W%C3%A4hrung_Tibets> (28.08.2021)
[3]„Der Rab-byung-Zyklus ist ein Sechzig-Jahres-Zyklus indischer Herkunft, auch als (Sanskrit) Brhaspaticakra bezeichnet. Dieser Sechzig-Jahres-Zyklus entstand in Tibet durch Übernahme der indischen „Telinga Jahreszählung“, wobei das Jahr 1027, welches in Tibet das 1. Jahr im 1. Rab-byung-Zyklus ist, mit dem 1. Jahr des 70. Zyklus der Telinga-Zeitrechnung gleichzusetzen ist. Der Rab-byung-Zyklus wurde mit der Übersetzung des Kalacakratantra
(Zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts) in Tibet bekannt. Zu Datierungszwecken wurde er aber erst viele Jahrhunderte später verwendet.“ <http://www.tibet-encyclopaedia.de/zeitmasse.html> (01.09.2021)
[4] Der Text nimmt Bezug auf eines der geistigen Zentren der Gelug-Schule des tibetischen Buddhismus. Dga’ldan ist eines der „Drei Großen Klöster“ Tibets.
[5] Der Buddhismus kennt die Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft und Leere.
Literatur:
Wolfgang Bertsch: A Study of Tibetan Paper Money with a Critical Bibliography, Dharamsala 1997.
Wolfgang Bertsch: The Currency of Tibet, A sourcebook for the Study of Tibetan Coins, Paper Money and other Forms of Currency, Dharamsala 2002.
Maurice Muszynski: Anatomie d’un Billet Tibetain, in: pm Magazine, Bulletin de l’Association Française pour l'Etude du Papier-monnaie, No. 7, Janvier 1996.
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