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Gerd Beyer

Aus dem Archiv: Von der Nahe nach Brasilien – ein deutsch-brasilianisches Ersatzgeld

Aktualisiert: 21. Sept. 2023

In Heft 1/1990 von "Der Geldscheinsammler" veröffentlichte Gerd Bayer einen interessanten Artikel über das deutsche Unternehmen von H. Albert Becker aus Idar an der Nahe und dessen Ersatzgeld für seine Edelstein-Minen in Brasilien. Der Artikel wurde hier nach nunmehr 30 Jahren für den Geldschein-Blog übernommen, redaktionell überarbeitet, erweitert und neu bebildert.


Bei einem Besuch in Idar-Oberstein wollte ich mir noch einmal das Heimatmuseum der Stadt anschauen, an das sich angenehme Erinnerungen knüpften. Hier konnte man ziemlich alles, was mit Gold und Edelsteinen zu tun hat, museal verpackt, in Ruhe betrachten. Der Arbeitsplatz eines Goldschmieds, wie auch eine Schleiferei alter Prägung; das Handwerkszeug der Bergleute, wie auch das, was sie früher dem Gestein abgerungen haben, ist hier zu sehen.

In einer Vitrine dann die Entdeckung: Geldscheine! Aber ganz anders, als gewohnt: deutsche Firma und Geld in brasilianischer Währung. An der Kasse suchte man mir gleich die Adresse der immer noch bestehenden Firma H. A. Becker, die auf dem Schein aufgedruckt war, aus dem Telefonbuch heraus. Aus der Adresse wurde eine kleine Korrespondenz und ein Besuch in Tiefenstein, einem Stadtteil des heutigen Idar-Oberstein.

Die Region um Idar und Oberstein war und ist seit Jahrhunderten das Zentrum der deutschen Schmuckindustrie, weil hier ergiebige Lagerstätten von Schmuck- und Edelsteinen zu finden sind. Aber schon Ende des 19. Jahrhunderts begnügte man sich nicht mehr mit dem einheimischen Achat, sondern importierte schöne und seltene Steine aus aller Welt. Weil Brasilien sehr von deutschen Einwanderern geschätzt wurde, musste sich kein Deutscher einsam vorkommen, der nach hier her ging.



Einer dieser Deutschen war Heinrich Albert Becker (1881 – 1963), der sich als Zwanzigjähriger aufmachte, um sein Glück zu finden. Das suchte er in der brasilianischen Provinz Bahia. Er fand es in Brejinho das Amethystas, das seinen Namen den Amethysten verdankt, die hier in sekundären Lagerstätten zu finden sind.

Ein Bild aus dieser Zeit zeigt Becker als jungen Mann, der selbstbewusst in die Welt schaut, voller Tatendrang, gekleidet mit den Attributen des Wohlstands, eine Reitpeitsche lässig in der Hand. Das war um 1900.


Teil einer Amethyst-Druse, Brasilien, Minas Gerais,

Abb. Mineralogische Sammlung Hans-Ludwig Grabowski.


Er konnte in Brejinho reiche Minen kaufen, die Namen wie Paraguay und California trugen. Hier brauchte man nicht tief in den Berg, um die gewachsenen Kristalle abzuschlagen, sondern hier lagen die Amethyst-Drusen in Geröllschichten, zwar mit Erde verbacken, aber doch relativ leicht zu gewinnen.

Becker wurde zum Patron der Dorfbevölkerung. Das von ihm gegründete Geschäft wurde formell 1907 eröffnet.



Brejinho liegt im Südwesten des Bundesstaates Bahia, etwa 120 km östlich des Rio São Francisco.

Becker wollte nicht immer in Brasilien bleiben, sondern das Geschäft in Tiefenstein fortführen, natürlich mit besonders schönen Kristallen aus Brasilien.

Deutsche Verwalter leiteten die Minen. In regelmäßigen Abständen besuchte Becker aber seine brasilianischen Minen.


Die Art, wie die Minen betrieben wurden, zeigt, dass Becker wusste, wie er die einheimische Bevölkerung behandeln musste, um sie zu zielgerichteter Arbeit zu bringen. Jede Familie erhielt ein eigenes Gebiet innerhalb der Mine. die gefundenen Mineralien verkaufte sie dann an den Patron, der für ausreichend Hilfsmittel zu sorgen hatte, die für den Abbau notwendig waren. So stellte die Firma auch Ochsengespanne zur Verfügung, die man für den Abtransport des Abraums benötigte. Auf einer Lederhaut, die von dem Gespann geschleppt wurde, transportierte man das taube Gestein ab.



Zwischen 1920 und 1930 waren die staatlichen Zahlungsmittel so knapp und der Nachschub so schleppend, dass sich die Firma entschloss, eigenes Geld drucken zu lassen. Vor allem fehlte es an Kleingeld, eine Erscheinung, die auch schon in Deutschland selbst immer wieder zu Notgeld-Emissionen geführt hatte.

Mit Billigung der brasilianischen Regierung wurde eine Art Notgeld in verschiedenen Wertstufen in Umlauf gebracht.

Mir lagen die Werte zu 500 und 10.000 Reis vor. 1990 glaubte der damalige Besitzer der Firma Becker aber, dass es auch einen 20.000-Reis-Schein gegeben haben soll.

Diese Werte brauchte man dringend, weil die Mineralien-Sucher ihre Ware oft in kleinen Mengen anboten.

Es handelt sich um äußerst sorgfältig hergestellte Geldscheine in Scheckform.


Firma H. Albert Becker: Notgeld zu 500 Reis ohne Datum, Vorder- und Rückseite,

Abb. Sammlung Hans-Ludwig Grabowski.


Der Schein zu 500 Reis ist von feinem Hellbraun-Orange. Eine Rahmenleiste aus stilisierten floralen Elementen fasst die Wertstufe sowie die Erklärung zum Geldwert und Gültigkeitsbereich ein. In der Übersetzung der portugiesischen Beschriftung heißt es da: "Für geleistete Arbeit. Nur gültig in Brejinho das Amethystas."

Das Wort "Prestado" weist auf den provisorischen Charakter dieses Geldes hin.

Deckung war der gute Firmenname!

Die Rückseite des Scheines ist von einem hellen Gelb, umgeben von rotbraunen Zierlinien in Art einer Guilloche.

Die anderen Wertstufen sind ähnlich gestaltet.


Firma H. Albert Becker: Notgeld zu 1000 Reis ohne Datum, Vorder- und Rückseite,

Abb. Sammlung Hans-Ludwig Grabowski.


Firma H. Albert Becker: Notgeld zu 2000 Reis ohne Datum, Vorder- und Rückseite,

Abb. Sammlung Hans-Ludwig Grabowski.


Firma H. Albert Becker: Notgeld zu 5000 Reis ohne Datum, Vorder- und Rückseite,

Abb. Sammlung Hans-Ludwig Grabowski.


Firma H. Albert Becker: Notgeld zu 10.000 Reis ohne Datum, Vorder- und Rückseite,

Abb. Sammlung Hans-Ludwig Grabowski.



Firmenlogo: In der oberen Hälfte eines auf der Spitze stehenden Quadrats sind Amethyst-Kristalle aus primären Lagerstätten angeordnet. Die untere Hälfte nennt den Besitzer der Mine und den Ort Tiefenstein.

Das Firmenlogo war übrigens noch 1990 und danach in der Firma gebräuchlich.



Bei einem Besuch in der Firma Becker in Tiefenstein konnte ich auch einige Alben mit Fotos aus der Pionierzeit der Firma sehen. Der neue Besitzer, Herr Peter Becker (geboren am 30.11.1937), leitete 1990 das Unternehmen in dritter Generation. Immer noch wurde Amethyst aus der Mine in Brejinho bezogen.

Hinter der schlichten Fassade vermutete man eigentlich kein Handelshaus für Export und Import von Edelsteinen in roher und geschliffener Form.

Nach dem Kriegseintritt Brasiliens gegen Hitler-Deutschland 1942 wurde die Mine einem inzwischen in Brasilien sesshaft gewordenen Angestellten (W. Dreher aus Kirschweiler) verkauft. So stockte trotz Krieg der Nachschub an Amethysten nie. Die jeweiligen Besitzer hielten immer persönlichen Kontakt und durch Besuche vor Ort konnte abgesprochen werden, wie die Mineralien vorbearbeitet werden sollten.

Das Foto aus der Mine in Brasilien zeigt, dass auch 1990 immer noch so gearbeitet wurde, wie im Jahr 1900.



Als "H. A. Becker Rohstein Handel" firmierte das Unternehmen sogar noch 2020.

Nach dem Tod von Peter Becker im Jahr 2018 führte dessen Witwe den Edelsteinhandel noch zwei Jahre weiter. Am 15. Dezember 2020 wurde das Geschäft endgültig abgemeldet. Die Billig-Konkurrenz aus China machte ein Fortbestehen des Unternehmens immer schwerer und Corona sorgte schließlich für das endgültige Aus. Leider kaufen die Chinesen heute weltweit Schmuck- und Edelsteine in von ihnen praktisch beherrschten Abbaugebieten zu solch niedrigen Preisen auf, dass sie diese in bereits geschliffenem Zustand billiger anbieten können, als andere Unternehmen Rohsteine. Eine Verarbeitung in Deutschland lohnt deshalb kaum noch. Was jetzt aus dem deutschen Schmuck- und Edelstein-Zentrum Idar-Oberstein wird, bleibt abzuwarten, womöglich ein Handelsplatz für China-Ware.


Die Ersatzgeld-Ausgaben der Firma H. A. Becker sind mit den Wertstufen zu 500, 1000, 2000, 5000, 10.000 und 20.000 Reis bei Idar-Oberstein im Katalog "Das Papiernotgeld der preußischen Rheinprovinz 1914 – 1948, Band II" von Thomas van Eck unter Nummer 1592 katalogisiert.

Zum Vergleich: In den 1920er Jahren lauteten die offiziellen brasilianischen Geldscheine inflationsbedingt auf 1 bis 1000 Mil Reis = 1.000 bis 1.000.000 Reis.


Gerd Bayer/Neubearbeitung: Hans-Ludwig Grabowski

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