Als ich vor einigen Tagen in einem Album meiner Papiergeld-Sammlung blätterte, blieb mein Blick an einem Schein über 500.000 Mark der Gemeinde Jestetten vom August 1923 hängen, der mit „Notgeld des Zollausschussgebietes“ überschrieben ist. 500.000 Mark klingt nach viel, entsprach damals aber gerade einmal einem Viertel-US-Dollar, denn in Deutschland herrschte die Hyperinflation.
Das Zollausschussgebiet (ZAG) Jestetten von dem hier die Rede ist, betrifft jenen deutschen Gebietszipfel, der zwischen Neuhausen und Rafz liegt und fast total von der Schweiz umgeben ist. Der Jestetter Zipfel besteht aus den Gemeinden Dettighofen, Jestetten und Lottstetten und mehreren Weilern. Das Gebiet ist mit Deutschland nur über einen engen Durchgang verbunden, der zwischen Rafz und dem schaffhausischen Klettgau im Schnitt nur rund 800 Meter breit ist.
Entstanden ist dieses Gebilde dadurch, dass die verschuldeten Grafen von Sulz Mitte des
17. Jahrhunderts die Landgrafschaft Klettgau verkauften, und zwar den weiter nördlich gelegenen Oberen Klettgau an Schaffhausen und das südlich gelegene Rafzerfeld an Zürich. Aber ein kleines Stück Land dazwischen behielt sie, um Geld aus dem Schiffs- und Straßenverkehr zu verdienen. 1806 wurde die verbliebene Landgrafschaft badisch. Als 1835 Baden dem Deutschen Zollverein beitrat, entstanden für die Bewohner des Jestetter Zipfels dadurch erhebliche wirtschaftliche Probleme. Plötzlich war das Gebiet durch eine Zollgrenze zur Schweiz hin fast vollständig eingeschlossen. Da Baden bis dahin in außenwirtschaftlicher Hinsicht den Freihandel praktizierte, konnten die Jestetter Händler ihre Waren zollfrei in die Schweiz verkaufen. Das änderte sich jetzt.
ZAG um 1900. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:KarteSchaffhausen1900.png (14. Mai 2024).
Durch die Abgeschiedenheit litt die wirtschaftliche Entwicklung des Gebietes. Daher erklärte die badische Regierung durch Dekret vom 30. Juli 1840 den Zipfel zum Zollausschlussgebiet (ZAG) Jestetten, das bedeutete, dass die Bewohner nun Waren zollfrei beziehen und exportieren konnten. Staatsrechtlich blieb das ZAG badisches Staatsgebiet. Darüber hinaus hatte diese Regelung den Vorteil, dass sich Badens Zollgrenze in dieser Region von 55 km auf 6 km reduzierte. Die Wirtschaft im ZAG blühte auf, besonders als eine Schweizer Bahnstrecke durch den Zipfel entstand. Auch nach der Reichsgründung blieb es beim ZAG. Während des Ersten Weltkriegs entwickelte sich das Gebiet zu einer wichtigen Achse für den Schmuggel zwischen der Schweiz und Deutschland.
Nach dem Waffenstillstand vom 11. November 1918 war die Zukunft des ZAGs ungewiss.
In Baden und im Reich löste eine provisorische Volksregierung die Monarchie ab – und niemand wusste, was die Zukunft bringen würde. Viele Bewohner des Jestetter Zipfels fürchteten, ihre Zollfreiheit zu verlieren. War da nicht ein Anschluss an die Schweiz vorteilhafter? In Lottstetten sprach sich eine Bürgerversammlung am 24. und in Jestetten am 25. November 1918 einstimmig für den Anschluss an die Schweiz aus. Natürlich lehnte dies die provisorische badische Regierung ab. Bis 1935 blieb es beim Zustand des ZAG.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Südbaden durch französische Truppen besetzt.
Da dem Kommandanten der 1. Armee, Jean de Lattre de Tassigny, der Bereich des Jestetter Zipfels zu unübersichtlich war, mussten die Bewohner am 15. Mai 1945 das Gebiet verlassen. Die Bevölkerung fand den Sommer 1945 vorübergehend Unterkunft in verschiedenen Schwarzwalddörfern. Bis zum Herbst 1945 kehrten die Einwohner der vier Ortschaften Jestetten, Altenburg, Lottstetten und Nack wieder in ihrer Heimat zurück.
An das Zollausschussgebiet Jestetten erinnern heute Notgeldscheine der Gemeinde Jestetten über 100.000, 500.000 und 1.000.000 Mark aus dem August 1923. Keller führt in seinem Katalog einige Varianten auf. Sie betreffen z. B. die Nullen in der Wertzahl, die entweder oval oder rund sind sowie Unterschiede in der Farbe der Kontrollziffern in Rot oder Schwarz.
Objekttyp: Notgeldschein
Sammlung: Uwe Bronnert
Authentizität: Original
Land/Region/Ort: Deutschland/Baden/Jestetten
Emittent: Gemeinde Jestetten
Nominal: 500.000 Mark
Datierung: August 1923
Vorderseite: Text und Siegel der Gemeinde
Rückseite: Karte des Zollausschussgebietes
Unterschriften: zwei handschriftliche Unterschriften
Material: weißes Papier ohne Wasserzeichen
Druck: J. Fr. Greiner, Tiengen
Format: 163 mm x 97 mm
Nummerierung: No 1448 * (rot)
Zitate:
2516 (Arnold Keller: Deutsches Notgeld, Band 7 – Das Notgeld der deutschen Inflation 1923, Aachen – Lindenberg, Reprint – unveränderter Nachdruck der Originalausgabe Berlin-Wittenau 1958, Regenstauf 2004, S. 506.)
109.5 (Günter Rupertus: Das Papiergeld von Baden, Ludwigshafen 1988, S. 82)
Uwe Bronnert
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