Das Bielefelder Notgeld nimmt eine Sonderstellung ein, nicht nur wegen des Stoffgelds aus Leinen, Seide und sogar Samt, das es weltweit unter Sammlern schon zur Zeit seiner Ausgabe berühmt gemacht hat, sondern auch wegen der zeitgeschichtlich interessanten Motive und Beschriftungen.
Bielefeld, besser die Stadtsparkasse Bielefeld, gab eine Vielzahl von Notgeldscheinen aus Papier aus und druckte diese dann zum Teil als Stoffgeld nach. Zusätzlich versahen Frauen in Heimarbeit viele der Stoffscheine mit kunstvollen Borten oder Spitzen, um deren Attraktivität zu steigern. Dabei ging es der Stadtsparkasse Bielefeld weniger um die Linderung der Zahlungsmittelknappheit (hierfür waren genügend Papiergeldscheine in Umlauf), als um das Geschäft mit den Sammlern. Auch wurde nicht etwa das Papier knapp, weshalb man hätte auf Stoff ausweichen müssen, denn trotz der gewaltigen Mengen an Reichsbanknoten und Notgeldscheinen, die im gesamten Reich gedruckt wurden, gab es immer genügend Papier, sogar solches mit Wasserzeichen. Vielmehr hatte der damalige Direktor der Stadtsparkasse Paul Hanke großen Anteil an der Ausgabe und Vermarktung des Bielefelder Stoffgelds. Hanke nahm sogar Einfluss auf die Gestaltung der Scheine und so tragen einige auf seinen Wunsch hin auch Bibelsprüche.
Die Stadtsparkasse Bielefeld zeigte viel Geschäftssinn, wenn es um die Vermarktung ihrer Ausgaben ging, und so verkaufte man damals die Stoffscheine sogar schon bis nach Amerika.
Werbe-Postkarte der Bielefelder Stadt-Sparkasse für ihr Papiernotgeld.
Wer sich mit dem Stoffgeld aus Bielefeld beschäftigt, wird sich früher oder später auch für das "Drumherum" interessieren. So kann man etwa auch die Versandtaschen sammeln oder aber andere zeitgenössische Stücke, wie z. B. seidene Lesezeichen der Stadtsparkasse Bielefeld oder Briefbeschwerer mit Seidenscheinen. Man nutzte Bielefelder Stoffgeld sogar zur Herstellung von Sofakissen und Tischdecken. Ja sogar ein Kleid ist bekannt, das vollständig aus Bielefelder Seidenscheinen gefertigt wurde.
Verschiedene seidene Lesezeichen der Bielefelder Stadtsparkasse.
Sofakissen aus Bielefelder Stoffgeld.
Ein Kleid, das vollständig aus Bielefelder Seidenscheinen gefertigt wurde.
Sehr selten sind die sog. "Ratsherrenalben", von denen nur einige Dutzend im Auftrag der Stadtsparkasse Bielefeld hergestellt wurden.
Wie der Name für die Alben schon nahelegt, wurden diese damals durch die Stadtsparkasse an Ratsherren der Stadt Bielefeld als Geschenk überreicht. Vielleicht wollte sich die Stadtsparkasse als Emittent des städtischen Notgelds damit für die Kooperation mit der Stadt bedanken. Immerhin hatte sich die "Ausgabe" des Bielefelder Notgelds, insbesondere der Stoffscheine, und das dadurch bei Sammlern im In- und Ausland geweckte Interesse, auch geschäftlich gelohnt. Mit der Übergabe erhielt der Empfänger auch eine Urkunde der Stadtsparkasse Bielefeld.
Urkunde aus einem "Ratsherrenalbum" vom Oktober 1926.
Transkription:
"Bielefeld, im Oktober 1926. Wir überreichen Ihnen anliegend eine Mappe mit einer vollständigen Sammlung Bielefelder Notgeldscheine. Die Sammlung ist eine Erinnerung an die Zeit Deutschlands größter Not. Das erste Bielefelder Stadtnotgeld entstand in der Kriegszeit durch den Mangel an kleinen Zahlungsmitteln. Anfänglich wurden herausgegeben aus einer Zinnlegierung hergestellte Zehnpfennigstücke mit der Inschrift: 'Kriegswertmarke, Stadtsparkasse Bielefeld', ihnen folgten Fünf- und Fünfzigpfennigstücke. Die verhältnismäßig hohen Herstellungskosten dieses Geldes veranlaßten die Stadtsparkasse zur Herausgabe von Geldscheinen, die erstmalig im Jahre 1917 in den Verkehr kamen. Mit dem Fortschreiten der Währungszerfalls erhöhte sich sowohl die Zahl als auch die Wertangabe der ausgegebenen Notgeldscheine. – Seine eigenartige Aufmachung hat dem Notgeld der Stadtsparkasse Bielefeld weit über die Grenzen Bielefelds hinaus Anerkennung verschafft. Der Sparkassendirektor Hanke, nach dessen Vorschlägen die Herstellung erfolgte, verwendete als Material Leinen, Seide und Sammet (Samt) und als Aufdruck Vorgänge aus der Geschichte Bielefelds und des Ravensberger Landes, sowie Zahlen über den Verbrauch und die Kosten des Lebensunterhalts. – Durch die Herausgabe des Notgeldes konnten die Wirtschaft und der Zahlungsverkehr in Gang gehalten und manche Begleiterscheinungen des Währungszerfalls gemildert werden. – Die Notgeldscheine waren Zeugen einer Zeit des Elends und der Not, in der nicht nur die Bielefelder Bevölkerung, sondern das ganze deutsche Volk außerordentlich zu leiden hatten. Möge dem deutschen Volke eine Wiederholung erspart bleiben.
Der Vorstand und die Verwaltung der Stadtsparkasse Bielefeld
Köllner, Bürgermeister | Woller, Direktor"
Wir möchten unseren Lesern nun ein vollständiges Ratsherrenalbum vorstellen und Ihnen dabei insbesondere die Texte im Album und auf den Scheinen nahebringen.
Titelseite "Notgeld der Stadt Bielefeld" der sog. "Ratsherrenalben".
Bielefelder Ratsherrenalbum, Seiten 1/2".
NOTGELD DER STADT BIELEFELD / HERAUSGEGEBEN WÄHREND DES WELTKRIEGES
1914 / 1918
Mit viel Liebe "Unsere Rübe, präge fest Dir ein, Brotersatz bleibt die Steckrübe, Geldersatz ist dieser Schein. Durchhalten in Not ist Kriegsgebot."
Kleingeldschein der Stadtsparkasse Bielefeld über 10 Pfennig vom 1. April 1919, Grab. B44.8, Serie D (nicht ausgegeben), Rückseite.
DEUTSCHE VERLUSTE IM WELTKRIEGE 1914/18
Unterdrucktext auf der Rückseite mit dem Rübchen (Verbrauch Bielefeld im sog. "Steckrübenwinter" 1916/17: 30.000 Zentner):
Tote: 1.600.000 | Vermißte: 203.000 | Gefangene: 618.000 | Verwundete: 4.064.000 |
Todesfälle durch Hungerblockade: 760.000 | Offizierverluste: 39% der Friedensstärke
Kleingeldschein der Stadtsparkasse Bielefeld über 10 Pfennig vom 1. April 1919, Grab. B44.8, Serie D (nicht ausgegeben), Vorderseite.
AUSGABEN DER STADT BIELEFELD (1914/18)
Unterdrucktext auf der Vorderseite mit Unterschriften:
Für Lebensmittel: 50 Millionen Mark | Fleischwaren: 21,5 Millionen Mark | Fettwaren: 7,3 Millionen Mark | Kartoffeln: 6,0 Millionen Mark | Allerlei Gemüse: 4,0 Millionen Mark | Mehl und Hülsenfrüchte: 7,0 Millionen Mark | Futterm., Kleidung, Kohlen: 4,0 Millionen Mark
Humoristische Darstellung der Namen des Vorstandes der Stadt-Sparkasse:
links oben: Hering-Haus, rechts oben: Brügge-Mann, links unten: Horn-ung,
rechts unten: Han-ke. Im Rahmen links "RUSCHER", rechts "JOKUSCH" und unten "NIEMEYER".
Kleingeldschein der Stadtsparkasse Bielefeld über 10 Pfennig vom 1. April 1919, Grab. B44.9c1, Vorderseite.
DURCHSCHNITTSLOHN für Arbeiter in BIELEFELD
Unterdrucktext auf der Vorderseite mit Unterschriften:
Durchschnittslohn für Arbeiter in Bielefeld: Akkord, Zeitlohn: 1. Okt. 1914 • Mark 0,63 • Mark 0,63 | 1. Okt. 1918 • Mark 1,73 • Mark • Mark 1,27 | 1. Januar 1919 • Mark 2,29 • Mark 1,91 | Steigerung: 263 Prozent • 202 Proz.
Kleingeldschein der Stadtsparkasse Bielefeld über 10 Pfennig vom 1. April 1919, Grab. B44.9c1, Rückseite.
Unterdrucktext auf der Rückseite mit dem Rübchen:
Kriegsnahrung in Bielefeld Dezember 1918 bis Februar 1919, an Pferdefleisch 350 Pferde.
Das ist die Bespannung von 2 kriegsstarken Schwadronen Kavallerie.
Mit der detaillierten Beschreibung der Scheine und deren Texte der ersten Seite der Bielefelder Ratsherrenalben möchten wir Ihnen Lust auf eine Erkundungstour auf den restlichen Seiten der Alben und den Darstellungen und Texten auf den folgenden Scheinen machen. Sie können jede Abbildung durch Anklicken vergrößern und dann die Texte selbst lesen. Viel Spaß wünscht die Redaktion von Geldscheine-Online.com.
Bielefelder Ratsherrenalbum, Seiten 3/4".
Bielefelder Ratsherrenalbum, Seiten 5/6".
Bielefelder Ratsherrenalbum, Seiten 7/8".
Bielefelder Ratsherrenalbum, Seiten 9/10".
Bielefelder Ratsherrenalbum, Seiten 11/12".
Bielefelder Ratsherrenalbum, Seiten 13/14".
Bielefelder Ratsherrenalbum, Seiten 15/16".
Bielefelder Ratsherrenalbum, Seiten 17/18".
Bielefelder Ratsherrenalbum, Seiten 19/20".
Bielefelder Ratsherrenalbum, Seiten 21/22".
Bielefelder Ratsherrenalbum, Seiten 23/24".
Bielefelder Ratsherrenalbum, Seiten 25/26".
Bielefelder Ratsherrenalbum, Seiten 27/28".
Bielefelder Ratsherrenalbum, Seiten 29/30".
Bielefelder Ratsherrenalbum, Seiten 31/32".
Bielefelder Ratsherrenalbum, Seiten 33/34".
Bielefelder Ratsherrenalbum, Seiten 35/36".
Bielefelder Ratsherrenalbum, Seiten 37.
Hans-Ludwig Grabowski
Literaturtipps:
Die Bielefelder Kleingeldscheine, Serienscheine und das Bielefelder Stoffgeld findet man in folgenden Katalogen:
Grabowski / Mehl: Deutsches Notgeld, Band 1+2: Deutsche Serienscheine 1918 – 1922 Zweibändiges und komplett farbiges Katalogwerk zu den Serienscheinen aus allen Regionen des ehemaligen Deutschen Reichs. Hier enthalten die Bielefelder Serienscheine aus Papier und Stoff von 1918 bis 1922. Mehr lesen | |
Hans-Ludwig Grabowski: Deutsches Notgeld, Band 5+6: Deutsche Kleingeldscheine, Amtliche Verkehrsausgaben 1916 – 1922 Zweibändiges und komplett farbiges Katalogwerk zu den Bedarfsausgaben an Kleingeldscheinen deutscher Städte und Gemeinden sowie Sparkassen und Handelskammern. Hier enthalten die Bielefelder Kleingeldscheine zu 10, 20 und 50 Pfennig von 1917 bis 1919. | |
Hans-Ludwig Grabowski: Deutsches Notgeld, Band 9: Notgeld der besonderen Art Geldscheine aus Stoff, Leder und sonstigen ungewöhnlichen Materialien. Komplett farbiger Katalog. Hier enthalten das Bielefelder Stoffgeld aus Leinen, Seide, Jute und Samt aus den Jahren 1917 bis 1923 inkl. Proben. |
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