Es ist hinlänglich bekannt, dass die Versorgung der Gemeinden und Landkreise mit Banknoten durch die Deutsche Reichsbank in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gewährleistet war. Das war in den noch nicht besetzten deutschen Gebieten besonders spürbar – vor allem in Württemberg und auch in Sachsen.
In der sächsischen Großstadt Chemnitz hatte man lange gewartet, entsprechende Maßnahmen gegen den Papiergeldmangel zu unternehmen. Im benachbarten, etwa 25 Kilometer entfernten Stollberg hatte man längst Gutscheine für den Landkreis mit Datum vom 17. April 1945 drucken lassen. Auch in Schwarzenberg ließen die Behörden Notgeld mit Datum 20. April 1945 herstellen.
Aussagekräftig ist die Niederschrift des damaligen Chemnitzer Stadtkämmerers Wagner vom 25. April 1945:
Abb. 1 und 2: Details zum Chemnitzer Notgeld vom 25. April 1945.
Unter gleichem Datum ist ein handschriftlicher Textentwurf für Chemnitzer Notgeldscheine bekannt, der nicht mehr zum Druck gelangte. Daraus ersichtlich sind schon Einzelheiten,
die sich auf späteren Drucken wiederfinden: Reihenbezeichnung und Druckmenge je Reihe.
Als Unterschrift findet man den Namen des damaligen NS-Oberbürgermeisters Walter Schmidt.
Abb. 3: Textvorgabe zum 50-RM-Gutschein 25. April 1945, Reihe D 1.
Der Noch-Oberbürgermeister und SA-Brigadeführer Schmidt schrieb jedoch am 30. April 1945 an den sächsischen Reichsstatthalter und Gauleiter Mutschmann:
„Durch die Zusammenballung der nach Westsachsen geströmten Bevölkerung sind Zahlungsmittelansprüche entstanden, die mit den verfügbaren Beständen der Reichsbankanstalten nicht mehr befriedigt werden können. Dadurch ist eine Lage geschaffen worden, die eine sofortige und endgültige Lösung erfordert. Zu einem naheliegenden Zeitpunkt müssen entweder die Schalter sämtlicher Kreditinstitute geschlossen oder es muß rechtzeitig der Einsatz neuer Zahlungsmittel ins Auge gefaßt werden.
Ich bin gebeten worden, in der Stadt Chemnitz Gutscheine auszugeben, habe aber dies mit aller Entschiedenheit abgelehnt, weil die Bevölkerung durch Herausgabe örtlicher Zahlungsmittel in ihrem Vertrauen zur Währung beeinträchtigt werden könnte. Um so unverständlicher ist es, daß bereits einige Landkreise, z. B. Stollberg und Annaberg, mit der Ausgabe von Gutscheinen begonnen haben.
Wenn aber die Reichsbank selbst nicht für die notwendigen Zahlungsmittel sorgen kann, halte ich es für die beste Möglichkeit, wenn durch die Reichsbankhauptstelle Dresden oder die sächsische Landesregierung entsprechende Zahlungsmittel bereitgestellt werden, die für den gesamten Gau Sachsen Gültigkeit haben. Nach einer Mitteilung der Reichsbankhauptstelle Dresden scheinen auch solche Erörterungen bereits im Gange zu sein. Wenn dieser Plan durchgeführt wird, dann würde es aber eine unbedingte Notwendigkeit sein, daß das für Chemnitz und Westsachsen bestimmte Kontingent der auszugebenden Geldscheine von Chemnitzer Druckereien unter Benutzung der von Dresden zu liefernden Druckplatten hergestellt wird. Damit würden alle Verkehrsschwierigkeiten vermieden, die sich aus dem laufenden Transport der Zahlungsmittel von Dresden nach hier ergeben würden.
Für das gesamte Wirtschaftsgebiet von Chemnitz kommen die Reichsbankbezirke Chemnitz, Frankenberg, Mittweida, Annaberg, Schwarzenberg und Aue als bisher unbesetzte Gebiete in Frage. Für diesen Gesamtbezirk besteht voraussichtlich ein Zahlungsmittelbedarf für Monat Mai in Höhe von mindestens 200 000 000 RM.
Ich bitte um Ihre Zustimmung, damit Stockungen im Zahlungsverkehr vermieden werden. ...“
Eine Zustimmung erfolgte aus Dresden nicht. In Chemnitz hingegen unternahm man dennoch weitere Arbeiten zum Druck der Geldscheine. Anfangs wurden die Formate, die Menge und die Druckereien festgelegt:
5 RM 105 x 70 mm Reihe A 1 ... Reihe A 4 Fa. Pickenhahn
10 RM 140 x 70 mm Reihe B 1 ... Reihe B 6 Fa. Schuster
20 RM 140 x 70 mm Reihe C 1 ... Reihe C 6 Fa. Müller
50 RM 140 x 73 mm Reihe D 1 ... Reihe D 2 Fa. Pickenhahn
Scheine zu 1, 2 oder 100 RM waren für eine Ausgabe nicht vorgesehen; man wollte lediglich die vier Wertstufen zu je 500.000 Stück drucken lassen.
Noch am 2. Mai 1945 wurden die Arbeiten zur Herstellung der Chemnitzer Gutscheine bei der Druckerei Richard Müller, Brückenstraße 31 in Chemnitz, abgebrochen:
Abb. 4: Aktennotiz des Stadtkämmerers Wagner vom 2. Mai 1945.
Die Bargeld-Knappheit im Raum Chemnitz wurde wohl danach so prekär, dass drei Wochen später – und zwei Wochen nach der Besetzung der Stadt durch die Rote Armee – der Stadtkämmerer Wagner die Herstellung von Druckplatten forderte:
Abb. 5: Protokoll vom 26. Mai 1945 zur Finanzsituation in Chemnitz.
Zu dieser Zeit müssen die Entwürfe vorgelegen haben und man fertigte tatsächlich die Druckvorlagen, wie die folgenden Abbildungen der Probedrucke zeigen. Neben der genannten Druckerei Müller wurde noch die Druckerei Richard Schuster in der Annenstraße 19 genannt. Höchstwahrscheinlich wurden aber alle Druckarbeiten bei der leistungsstärksten Großdruckerei J. C. F. Pickenhahn & Sohn AG, Theaterstraße 6–10, erledigt. Das nötige Druckpapier sollte durch Herrn Hans Eulenberger, Prokurist der Chemnitzer Zweigniederlassung der Dresdner Papiergroßhandlung J. Kliemt, Augustusburger Straße 11, besorgt werden.
Abb. 6: Anzeige im Chemnitzer Adressbuch von 1939.
Abb. 7: Drucksaal in der Fa. J. C. F. Pickenhahn 1938.
Noch am 11. Mai 1945 hatte der Chemnitzer Bankrat Strauch sächsische Notgeldscheine aus Dresden abgeholt. Die 9,24 Mio. RM (in 462 Paketen zu 1.000 Stück) reichten für den Bedarf im Großraum Chemnitz scheinbar nicht aus.
Abb. 8: 20 Reichsmark 26. April 1945, Sächsische Staatsbank.
Die erst 2021 entdeckten Chemnitzer Gutscheine hatten schließlich folgende Abmessungen und zeigen unterschiedliche Motive:
5 RM 117 x 62 cm Vs. Stadtwappen Rs. Stadtwappen
10 RM 124 x 64 cm Vs. Roland Rs. Stadtwappen
20 RM 131 x 66 cm Vs. Stadtwappen Rs. Rathaus
50 RM 138 x 68 cm Vs. Roland Rs. Stadtwappen
Abb. 9 und 10: 5 Reichsmark 7. Juni 1945, Vs.und Rs.
Abb. 11 und 12: 10 Reichsmark 7. Juni 1945, Vs. und Rs.
Abb. 13 und 14: 20 Reichsmark 7. Juni 1945, Vs. und Rs.
Abb. 15 und 16: 50 Reichsmark 7. Juni 1945, Vs. und Rs.
Ende April müssen die Entwürfe und die Druckplatten für eine April-Ausgabe vorgelegen haben. Das kann man der Notiz des Kämmerers vom 2. Mai 1945 entnehmen, wonach die Vorarbeiten in der Druckerei Richard Müller gestoppt wurden.
Anfang Juni 1945 muß es jedoch zu einem dramatischenPapiergeldmangel gekommen sein. So wurde die Vorlage vom 25. April 1945 hervorgeholt und der Druck von Gutscheinen – nun mit der Unterschrift des neuen Bürgermeisters und mit geändertem Datum 7. Juni 1945 – vorbereitet.
Das Notgeld sollte nun doch in Umlauf kommen. Dazu kam es aber nicht, da die sowjetische Stadtkommandantur die Ausgabe der Notgelder nicht genehmigte. So existieren nur diese Unikate; dabei sind die Vorder- und Rückseiten jeweils nur einseitig gedruckt. Das Papier hat kein Wasserzeichen und auch keine Nummerierung. Es sind lediglich Andrucke.
Mit der Faksimile-Unterschrift des damaligen Oberbürgermeisters Dr. Fritz Gleibe wurde der Geltungsbereich der Notgeld-Gutscheine für die Stadt sowie den Landkreis Chemnitz verfügt. Die Stadtoberen von Chemnitz hatten sich bei Kriegsende entschlossen, ihre Stadt kampflos den Amerikanern zu übergeben, aber die alliierten Vereinbarungen sahen eine Demarkationslinie westlich von Chemnitz vor. Schon ab dem 16. April 1945 waren US-Truppen in Grüna einmarschiert. Der Ort gehört heute zur Stadt Chemnitz, war aber 1945 noch eigenständig. Nach vielen Verhandlungen zwischen US-amerikanischen und sowjetischen Offizieren blieben die Amerikaner vorerst in Grüna und Chemnitz blieb kurzzeitig besatzungsfrei. Die drittgrößte sächsische Stadt wurde erst am Tag der deutschen Kapitulation der Roten Armee übergeben.
Nach der Flucht des NS-Oberbürgermeisters Walter Schmidt amtierte vom 8. bis zum 15. Mai 1945 der Hochstapler Ernst Ring als Oberbürgermeister. Nach dessen Verhaftung folgte Fritz Gleibe als Oberbürgermeister von Chemnitz.
Dr. jur. Fritz Gleibe bestimmte vor allem auf finanzpolitischem Gebiet langjährig die Geschicke der Stadt Chemnitz mit. Von Mai 1931 bis Mai 1945 war er hauptamtlicher Stadtrat und Beigeordneter in Chemnitz. Ab 1937 übte er das Amt eines Stadtkämmerers aus. Zudem war er in dieser Zeit 2. Stellvertreter von Walter Schmidt.
Abb. 17: Dr. Fritz Gleibe.
Gleibe wurde von der sowjetischen Besatzungsmacht am 15. Mai 1945 zum Stadtoberhaupt bestimmt. Allerdings amtierte er nur bis zum 1. Juni 1945 als Oberbürgermeister. Bis Februar 1946 war er noch Leiter der Finanzabteilung und schied danach auf Anordnung der Besatzungsmacht aus dem Dienst aus.
Die Stadtverwaltung unter Gleibe bemühte sich in erster Linie um Maßnahmen zur Linderung der Not der Bevölkerung. 1950 wurde sein Ersuchen auf Wiedereinstellung beim Rat der Stadt abgelehnt.
Daraufhin ging er 1951 nach Hamm/Westfalen und wurde im August 1954 zum Stadtrat in Hannover gewählt. Fritz Gleibe erhielt 1967 das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse.
Abb. 18: Stadt- und Landkreis Chemnitz.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass es keine Hinweise auf den Grafiker gibt, der das Notgeld schuf oder wer die Motive für die Scheine bestimmte. Auf den Vorderseiten der
10- und 50-RM-Scheine findet sich die stilisierte Darstellung des Chemnitzer Rolands als Unterdruck auf dem rechten Schaurand. Die Figur stammt vom Dresdner Bildhauer Alexander Höfer und befindet sich als fast fünf Meter hohes Standbild am erst 1911 eingeweihten Neuen Chemnitzer Rathaus. Dieses Gebäude dominiert als grafisches Hauptelement auf der Rückseite des 20-RM-Scheins (leider liegt keine bessere Abbildung des Zwanzigers vor).
Auch weiß man nicht, wer letztendlich die einseitigen Andrucke der Juni-Ausgabe herstellte; in einer handschriftlichen Anmerkung zu den drei Druckereien liest man:
Richard Müller, jetzt bei Pommerenke, Fürstenstraße 43 – möglicherweise war die Druckerei bei der Grafischen Kunstanstalt sowie Buch- und Steindruckerei Hans Pommerenke unter der gleichen Anschrift untergekommen?
J. C. F. Pickenhahn & Sohn jetzt Industrieschule – vielleicht gab es in dieser Einrichtung am Schlageterplatz 1 eine Hausdruckerei oder ähnliches?
Schuster: Kauffahrtei (GEG) – gemeint ist die Druckerei Richard Schuster, die eventuell in Räumen der „Großeinkaufs-Gesellschaft Deutscher Consumvereine m.b.H. – GEG“ untergekommen war?
Außerdem ist die Quelle des Auffindens der 4 × 2 Andrucke der Notgeldscheine nicht bekannt. Nach Auskunft der Verwandten von Fritz Gleibe wurden im Nachlass keine Hinweise auf den Druck der Notgeldscheine gefunden.
Michael H. Schöne
Quellen:
Akten des Stadtarchivs, Rat der Stadt Chemnitz, Sign. 8002/2
Allgemeine Bestimmungen ... Notgeld betreffend (1945 geschlossen)
https://digital.slub-dresden.de/werkansicht
https://sachsen.digital/werkansicht
http://gleibe.de/Index/Historisches/historisches.html
Comments