Außer chinesischen Getreide- und Kraftstoffkupons, über die in diesem Blog schon mehrfach berichtet wurde, gab es auch viele andere Konsumkupons. In diesem Beitrag möchte ich einige Stoffkupons (布票) vorstellen.
Die „Nennwerte“, wenn man den Ausdruck hier anwenden darf, lauten über die traditionellen Maßeinheiten 市尺 bzw. 市寸. Damit ist bei Stoffkupons die Stofflänge gemeint.
Damals waren die chinesischen Längenmaße bei Stoffen noch nicht in Meter und Zentimeter angegeben. Heute verwendet man statt 市尺 nur noch 米 = Meter oder seltener – mit gleicher Bedeutung – 公尺. Es gilt: 1 市尺 = 33.33 cm, oder umgekehrt 1 m = 1 公尺 = 3市尺.
Dabei galt die Unterteilung: 1 市尺 = 10 市寸, d.h., 1 市寸 = 3,33 cm.
Romanisiert: 市尺 = shìchǐ, 市寸= shìcùn, im folgenden Text abgekürzt als Chǐ bzw. Cùn (das shì bedeutet nur „marktüblich“).
Nun lauten die meisten Stoffkupons, die im Internet für Sammler angeboten werden, auf 1, 2, 3 oder 5 市寸. Aber ein Stoff, der z.B. 3,3 cm lang war, was konnte man damit anfangen? Diese Frage kursiert bei Sammlern solcher Kupons in Europa und Amerika schon lange, eine Antwort habe ich in der westlichen Literatur nicht gefunden. Aber ich habe auch eine Chinesin gefragt und die Antwort lautet: Kupons über 1 oder wenige 市寸 funktionierten wie Wechselgeld. Ein Beispiel: Jemand benötigte einen Stoff der Länge 4,6 市尺, das entspricht etwa 1,53 m. Er legte einen Schein über 5 市尺 hin und erhielt einen Kupon über 4 市寸 zurück. Diese kleinen „Nennwerte“ hob man auf und benutzte sie gesammelt bei einem späteren Stoffkauf. Meist waren die Kupons mindestens exakt 1 Jahr lang gültig.
Die hier gezeigten Kupons wurden allesamt auch zu Propagandazwecken benutzt. Man findet – stets auf rotem Untergrund – kommunistische Parolen. Meist beginnt der Propagandatext mit 毛主席语录 (máo zhǔxí yǔlù) = „Worte des Vorsitzenden Máo“ oder 最高指示 (zùigāo zhǐshì) = „oberste Richtlinie“. Unter den „obersten Richtlinien“ verstand man Meinungen und Anweisungen des Vorsitzen Máo, die dieser nach Beginn der Kulturrevolution geäußert hatte.
Die 1. Abb. zeigt einen Schein über 1 市寸 = 3,3 cm Stoff, ausgegeben von der Provinz Jiāngsū, gültig vom 1.1.1969 bis Ende Dezember 1969. Auf dem roten Feld finden wir: „Worte des Vorsitzenden Máo: Vergesst den Klassenkampf nicht!"
Abb. 2 zeigt einen 1- Chǐ-Kupon, das entspricht 33,3 cm, ebenfalls ausgegeben von der Provinz Jiāngsū, gültig vom September 1968 bis Ende Dezember 1969.
Der Propagandatext lautet: „Oberste Richtlinie: Die Wirtschaft entwickeln, die Versorgung sichern."
Abb. 3: Dieser Kupon über 5 Chǐ (etwa 167 cm) Stoff wurde in der Provinz Yúnnán ausgegeben. Das runde Siegel mit dem 5-zackigen Stern in der Mitte nennt das Revolutionskomitee der Provinz als verantwortlich. Der Abschnitt am rechten Rand des Kupons ist abgeschnitten, d.h., der Kupon wurde benutzt.
Der Text auf der roten Fahne besagt wörtlich: „Oberste Richtlinie: man muss die Textilien festhalten“, ein Ausdruck, der auffordert, die Textilindustrie zu fördern.
Abb. 4: Kupon über 1 Cùn = 3,3 cm Stoff. Ausgabe durch Provinz Jiāngsū, gültig vom 1.9.1968 bis Ende Dezember 1969.
Auf dem roten Feld steht: „Oberste Richtlinie: Kämpft gegen den Egoismus und widersetzt Euch dem Revisionismus!“
Abb. 5: Kupon über 1 Cùn = 3,3 cm Stoff, ausgegeben von der Provinz Shǎnxī (= 陕西, nicht zu verwechseln mit der Provinz Shānxī = 山西).
Auf der roten Fahne steht: „Oberste Richtlinie: Erhöht die Wachsamkeit! Verteidigt das Vaterland!“
Abb. 6: 1 Chǐ, Provinz Jiangsu, 1.1.1968 bis Ende Dezember 1968.
Der Text auf rotem Feld: “Fördert die Produktion und arbeitet fleißig für die Revolution!“
Abb.7a und 7b: Zum Schluss noch ein Beispiel, das zeigt, das selbst Papier äußerst knapp war. Dieser Kupon der Provinz Shǎnxī über 1 Chi = 33,3 cm Stoff, gültig 1969, wurde auf Papier gedruckt, das schon vorher benutzt und auf einer Seite bedruckt war. Die Rückseite zeigt also chinesische Zeichen. Es war gängige Praxis, einseitig bedrucktes Papier nicht wegzuwerfen, sondern auf der freien Seite nochmal zu bedrucken.
Bei diesem Kupon bedeutet der Propagandatext: „Oberste Richtlinie: Bereitet Euch auf den Kampf vor! Bereitet Euch auf Hungersnot vor! Alles ist für den Menschen“.
Manche dieser Scheine wurden als Einzelscheine gedruckt, andere auf großen „Konsumkarten“ und sie mussten vor dem Gebrauch ausgeschnitten werden.
Noch ein paar Worte zum allgemeinen Gebrauch derartiger Konsumkupons.
Etwa ab 1950 wurde in China die Marktwirtschaft nach und nach durch Planwirtschaft abgelöst. 1956 schlossen die letzten freien Märkte. Wegen der Knappheit der Waren war es nötig, die Konsumgüter zu rationieren. In China gehörte (und gehört heute noch) jede Person zu einem bestimmten Haushalt, Hùkǒu (户口) genannt. Es war (und ist) genau registriert, wer zu einem bestimmten Hùkǒu gehört. Jeder Haushalt hatte ein Heft, in dem die Zahl der Mitglieder, ihr Alter, jeweilige Art der Arbeit oder berufliche Stellung und die Zuteilungsrate von Kupons festgehalten war. Diese Kupons wurden entweder von der Provinzregierung oder von den lokalen Stadt- und Kreisverwaltungen ausgegeben. Menschen, die nicht in ihrem Haushalt lebten, z.B. Studenten und unverheiratete Arbeiter, die auf Arbeitssuche vom Land in die Stadt gekommen waren, wurden zu kollektiven Haushalten zusammengefasst. Bestimmte staatliche Stellen verkauften die Konsumgüter, jedes Mal musste man das Haushaltsbuch vorlegen und die entsprechenden Kupons abgeben.
Keine Anwendung fand das Kuponsystem bei den Bauern auf dem Lande. Diese mussten kollektive Arbeit verrichten und erhielten dafür Punkte. Mit diesem Punkten konnten sie dann Konsumgüter erwerben.
Waren zu Zeiten der Marktwirtschaft regelmäßig zahlreiche Menschen verhungert, so gelang es mit dem Rationierungssystem (Kupons bzw. Punkte), die Hungersnöte zu besiegen, obwohl die Waren sehr knapp waren. Aber jeder bekam (wenigstens in der Theorie) gleich wenig.
Erwin Beyer
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