Als 2021 die Preise im EU-Raum zu steigen begannen, wurden in Deutschland sofort Erinnerungen an die Hyperinflation des Jahres 1923 und die Währungsreform von 1948 wach. Obwohl auch Österreich, Ungarn, Russland und Polen nach dem Ersten Weltkrieg die bitteren Erfahrungen einer Hyperinflation machten, hinterließ sie nirgendwo sonst in der Erinnerung der Gesellschaft so tiefe Spuren wie in Deutschland. Die Angst, das Ersparte zu verlieren,
ist tief verwurzelt, sodass Psychologen und Soziologen von einem deutschen Inflations-Trauma sprechen.
Propaganda-Postkarte vom Oktober 1917: „Helft uns siegen! zeichnet Kriegsanleihe“.
Abb. Archiv für Geld- und Zeitgeschichte, Sammlung Grabowski.
Vom untergegangenen Kaiserreich erbte die „Weimarer Republik“ nicht nur die Kriegsschulden, sondern man musste sich auch den harten Bedingungen des Versailler Diktats unterwerfen, d. h. Anerkennung der alleinigen Kriegsschuld als Grundlage für die von den Alliierten geforderten Gebietsabtretungen, Reparationszahlungen sowie Beschränkungen beim Heer und bei der Flotte.
Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs belief sich das Volumen aller Zahlungsmittel – Reichsbanknoten, Reichskassenscheine, Privat- und Länderbanknoten, Gold- und Scheidemünzen – des Deutschen Reichs auf rund 6 Milliarden Mark. Durch Gesetz vom 4. August 1914 wurde zwar die Einlösungspflicht des Papiergelds in Gold aufgehoben, nicht aber die im Bankgesetz vorgesehene Dritteldeckung der umlaufenden Noten durch Gold, kursfähiges deutsches Geld oder Reichskreditkassenscheine. Gedacht als Begrenzung der Notenausgabe und Sicherung der Geldwertstabilität wurde diese Bestimmung aufgeweicht. Das ebenfalls am 4. August erlassene Gesetz über die Darlehenskassen ermächtigte diese, Darlehen gegen Verpfändung von Waren und Wertpapieren zu gewähren. Das bewilligte Darlehen konnte in besonderem Geld – den Darlehenskassenscheinen –ausgezahlt werden. Sie dienten nun ebenfalls der Dritteldeckung der umlaufenden Reichsbanknoten. Ende 1915 war der Zahlungsmittelumlauf auf 10,5 Milliarden Mark gestiegen, Ende 1916 waren es 12,3, Ende 1917 18,5 und bei Waffenstillstandsabschluss am 11. November 1918 28,4 Milliarden Mark: davon 17 Milliarden Mark Reichsbanknoten und 9,6 Milliarden Mark Darlehenskassenscheine. Der Zahlungsmittelumlauf war von rund 110 auf ca. 430 Mark pro Kopf der Bevölkerung gestiegen.
Obwohl die Reichsbank in der Schweiz, den Niederlanden und Schweden während des Krieges fast 450 Millionen Mark zur Stützung des Markkurses aufgewendet hatte, sank der Wert der Mark gegenüber dem Franc auf knapp 56 %. Im Inland hatte die Mark bis Ende 1918 sogar drei Viertel ihres Vorkriegswertes eingebüßt.
Die Staatsausgaben wurden während des Kriegs mithilfe der Notenpresse und durch Kriegsanleihen finanziert. Für die Verantwortlichen war klar, dass die Kriegsanleihen – knapp 100 Milliarden Mark hatten die Bürger gezeichnet – aus der erwarteten Kriegsbeute zurückgezahlt werden würde. Der erwartete Sieg blieb aber aus und die Regierung stand vor einer gigantischen Staatsverschuldung; sie übertraf 1919 sogar das deutsche Volkseinkommen.
Auch nach Kriegsende wurde weiter munter frisches Geld gedruckt. Zunächst nutzten Regierung und Unternehmer die Geldschwemme wie ein Doping, „das die Nation bei erträglichen Nebenwirkungen vor schlimmerem Übel bewahrt. Im Laufe der ersten fünf Nachkriegsjahre geriet das Aufputschmittel aber völlig außer Kontrolle.“[1] John Maynard Keynes, der führende britische Ökonom dieser Zeit, stellte fest, dass sich die Regierung durch die fortgesetzte Inflation insgeheim und unbeachtet einen wesentlichen Teil des Vermögens seiner Untertanen aneignen würde.
Von März 1920 bis zum Sommer 1921 blieb der Kurs der Mark relativ konstant. Am 11. Mai 1921 nahm das neu gebildete Kabinett unter Joseph Wirth die Bedingungen des Londoner Ultimatums an. Nach dem von den Entente-Mächten verabschiedeten Zahlungsplan hatte das Reich Reparationen in Höhe von 132 Milliarden Goldmark zu zahlen. Zudem wurde die deutsche Regierung aufgefordert, der im Versailler Vertrag festgeschriebenen Demilitarisierung und der „Auslieferung deutscher Kriegsverbrecher“ nachzukommen.
Um eine drohende Ruhrbesetzung abzuwenden, verfolgte die Reichsregierung eine Politik, welche zwar auf die Erfüllung der alliierten Forderungen abzielte, tatsächlich jedoch versuchte, den Nachweis zu erbringen, dass die jährliche Rate von drei Milliarden Goldmark vom Deutschen Reich nicht aufzubringen sei.
In der zweiten Jahreshälfte geriet der Kurs der Mark in ein kritisches Stadium, „daß zeitweise geradezu von einem Zusammenbruch der deutschen Währung gesprochen werden konnte.“[2] Am 8. November 1921 verdreifachte sich der Dollarkurs auf 310 Mark. Die Gründe für die unaufhaltsame Abwärtsentwicklung der Markvaluta sah die Reichsbank im Passivsaldo der deutschen Zahlungsbilanz. Weite Kreise des Auslands waren überzeugt, dass die Reparationsforderungen der Entente aus den Überschüssen der deutschen Volkswirtschaft nicht bestritten werden könnte und daher die Hilfe der Notenpresse herangezogen würde.[3]
Deutsche Reichsbank: Reichsbanknote zu 10.000 Mark vom 19. Januar 1922, Vorderseite.
Abb. Archiv für Geld- und Zeitgeschichte, Sammlung Grabowski.
Berlin 1922: In Wäschekörben holen Betriebe große Geldbeträge für Lohnzahlungen von den Banken.
Auch im Jahr 1922 setzte sich die Abwärtsbewegung der Mark fort. Wurde der US-Dollar am 1. Januar noch mit 186,75 Mark gerechnet, so stand er am 1. Dezember bei 7650 Mark. Ende 1922 war die Mark im Vergleich zum Anfang des Jahres nur noch ein Zwanzigstel wert, gegenüber dem Vorkriegskurs sogar nur Eintausendfünfhundertstel. „Angesichts der plötzlich auftretenden Schwierigkeiten in der ausreichenden Versorgung des Verkehrs mit papierenen Zahlungsmitteln ließ es sich nicht vermeiden, vorübergehend auf die Ausgabe von ‚Notgeld‘ zurückzugreifen.“[4]
Französische Truppen bei ihrem Einmarsch in Essen im Januar 1923.
Am 11. Januar 1923 begannen französische und belgische Truppen ins Ruhrgebiet einzumarschieren. Kohle und Stahl sollten als Pfand für ausstehende Reparationsleistungen dienen. Die Reichsregierung antwortet darauf, indem sie die Bevölkerung zum passiven Widerstand aufrief. Nun wurden Unterstützungsgelder an die Arbeitslosen und Betriebe fällig. Durch Stützungskäufe versuchte die Reichsbank den Kurs der Mark stabil zu halten, was auch zunächst zu gelingen schien. Allerdings war ihr Goldbestand zu gering, um dies längere Zeit durchzuhalten. Wieder mussten größere Geldmengen gedruckt werden.
Als 1923 die Preise jeden Monat um über 50 Prozent stiegen, war die „Hyperinflation“ da. „Wie eine Lawine, die zu Tal rollt, immer riesigere Schneemassen mit sich reißt, so überschlug sich die Entwicklung des Banknotenumlaufs im Jahr 1923.“[5]
Ende Dezember 1922 betrug der Banknotenumlauf 1,3 Billionen Mark und hielt sich
bis 23. Juni 1923 etwa auf dieser Höhe. Ende Juni betrug er bereits 17,3 Billionen Mark
und Ende September 28,2 Billiarden Mark. Mitte November war der Gesamtumlauf auf 92,8 Trillionen Mark und am Jahresende war auf 496,5 Trillionen Mark angewachsen.
Ende Juli hattes es bereits wieder an Zahlungsmitteln gefehlt, sodass Kommunen und Unternehmen Notgeld emittierten, und dies, obwohl die Reichsbank riesige Summen an Papiergeld in den Umlauf gab. Trotz enormer Anstrengungen geriet sie immer wieder ins Hintertreffen. Sie war in der gleichen Lage wie der Hase in der Fabel der Gebrüder Grimm. Die Geldentwertung war schneller als die Banknotenproduktion. Und das, obwohl „außer der Reichsdruckerei, bei der zeitweise mehr als 7500 Personen allein im Geldbetrieb beschäftigt waren … arbeiteten 84 Druckereien unmittelbar, 48 weitere Druckereien mittelbar (d. h. als Hilfsdruckereien für den Reichsdruckereibetrieb) für den Notendruck. Über 30 Papierfabriken waren in Vollbetrieb für die Papierbeschaffung tätig, Gedruckt wurden rund 10 Milliarden Geldzeichen im Nennbetrag von 3866 Trillionen Mark, 29 galvanoplastische Anstalten lieferten dazu 400.000 Druckplatten. Die Hauptschwierigkeit bei der Notenbeschaffung bestand in der schnellen Umstellung der Druckpressen und der Papierfabriken, die durch
die sich überstürzende Entwertung der umlaufenden Noten und ihre immer wiederholte Ergänzung durch Abschnitte höherer Nennwertziffern notwendig wurde. Während die Industriereviere für Löhnungszwecke noch kleine Abschnitte benötigten, wurden in Handelsgegenden bereits große Stücke gefordert; so mußten zeitweise kleinste und größte Abschnitte nebeneinander gedruckt werden. Die Herstellung wurde auf immer leichtere Druckmuster eingestellt, um möglichst schnell große Massen emittieren zu können. Wo die Sicherung der Note gegen Fälschung nicht in den Druck gelegt werden konnte, wurden nur Feinpapiere mit lokalisiertem Wasserzeichen und Stoffauflage verwandt.“[6]
In neun Monaten erschienen 47 neue Haupttypen von Reichsbanknoten, die Wasserzeichenunterschiede nicht mitgerechnet, die ihre Zahl auf etwa das Vierfache erhöhte. Also fast alle sechs Tage bekam man eine neue, vorher nie gesehene Reichsbanknote zu Gesicht (hinzu kamen beispielsweise im Westerwald die Notgeldausgaben der Reichsbahn, der Reichsbahndirektionen Frankfurt, Elberfeld und Köln, des Freistaates Preußen, der Landesbanken der Rheinprovinz und der Provinz Westfalen, sowie diverse Notgeldscheine von Kreisen, Gemeinden, Unternehmen usw. der näheren und weiteren Umgebung), so dass man sich über einen neuen Geldschein überhaupt nicht mehr wunderte und ihn ohne weiteres annahm. Die Zeitungen warnten fast täglich vor falschem Geld. Da wurde ausgegebenes Geld durch einen falschen Überdruck aufgewertet oder auch Fantasiescheine vollkommen neu „erfunden“.
Deutsche Reichsbank: Reichsbanknote zu 5 Billionen Mark vom 7. November 1923.
Anfang Oktober 1923 war die Geldentwertung bei einem neuen Höchststand angekommen und von Kommunen und Unternehmen wurden, wie im August, vermehrt Notgeldscheine ausgegeben. Die Forderung nach wertbeständigem Geld wurd immer lauter. Um die Hyperinflation zu stoppen, bereitete Reichskanzler Stresemann eine Währungsreform per Ermächtigungsgesetz vor, um das langwierige Gesetzgebungsverfahren abzukürzen.
Noch stritt man über das Vorgehen. Der Ökonom Karl Helfferich wollte den Geldumlauf durch etwas Anderes als Gold decken, während Finanzminister Rudolf Hilferding einen drastischen Währungsschnitt zur Beseitigung der Überliquidität wünschte. Er war der Überzeugung, dass es weniger auf die Deckung einer Währung ankommt als auf eine strikte Beschränkung der Geldmenge. Der ihm im Amt folgende Finanzminister, Hans Luther, griff die Idee von Helfferich auf und wollte das neue Geld durch Hypotheken auf den Grundbesitz „absichern“. Der Bevölkerung sollte dadurch suggeriert werden, dass die neue Währung, die Rentenmark, vor einer weiteren Inflation gesichert sei. Die ersten Rentenbankscheine gelangten
am 14. November 1923 zur Ausgabe.[7] Das Wunder der Währungsstabilisierung geang.
Ab dem 20. November 1923 kostete der US-Dollar 4,2 Billionen Mark.
Damit endete die Zeit der Hyperinflation, auch wenn die Inflationsnoten bei einem Kurs von einer Billion Mark gleich einer Rentenmark noch bis zum 5. Juni 1925 gesetzliche Zahlungsmittel blieben.
Uwe Bronnert
Anmerkungen
[1] Millionenfaches Trauma, in: Der Spiegel Geschichte, Die Weimarer Republik, Nr. 5/2014, S. 38.
[2] Verwaltungsbericht der Reichsbank für das Jahr 1921. Generalversammlung am 30. März 1922, S. 7.
[3] Ebenda.
[4] Verwaltungsbericht der Reichsbank für das Jahr 1923. Generalversammlung am 30. Mai 1923, S. 7.
[5] Richard Gaettens, Geschichte der Inflationen, vom Altertum bis zur Gegenwart, München 1982, S. 261.
[6] Vgl. Verwaltungsbericht der Reichsbank für das Jahr 1923. Generalversammlung am 5. Juli 1924, S. 14 f.
[7] Die Deutsche Rentenbank wurde am 15. Oktober 1923 gegründet.
Literaturempfehlung:
Hans-Ludwig Grabowski:
Die deutschen Banknoten ab 1871
Das Papiergeld der deutschen Notenbanken, Staatspapiergeld, Kolonial- und Besatzungsausgaben, deutsche Nebengebiete und geldscheinähnliche Wertpapiere und Gutscheine
23. Auflage 2023/2024
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