Die meisten Geldscheinsammler haben schon einmal von Silvio Gesell und seinen Geldtheorien gehört und in gut gepflegten Sammlungen, die sich nicht nur auf ein eng begrenztes Gebiet konzentrieren, sondern auch einen oder mehrere Blicke über den Tellerrand erlauben, kommen meist auch einige Scheine „Schwundgeld“ oder „Freigeld“ vor. Dennoch bleibt das mysteriöse Geld vielen ein Rätsel.
Silvio Gesell wurde am 17. März 1862 in St. Vith im Rheinland geboren, in einer Region, die nach dem Willen der Entente-Mächte nach dem Ersten Weltkrieg an Belgien fiel.
Nach einer kaufmännischen Ausbildung und mehrjähriger Tätigkeit in Spanien und Deutschland wanderte er 1887 nach Argentinien aus, wo er ein Geschäft für medizinische Artikel eröffnete. Eigene Erfahrungen mit den damaligen Wirtschaftskrisen und sozialen Unruhen im Land führten dazu, dass er sich mit deren Ursachen und dem Geldwesen inkl. Inflation und Deflation, ungerechter Geldverteilung und Arbeitslosigkeit beschäftigte. 1891 erschien in Buenos Aires seine erste Veröffentlichung „Die Reformation im Münzwesen als Brücke zum sozialen Staat“ im Eigenverlag. Bereits hier schlug er vor, den Wirtschaftskreislauf von spekulativen Störungen zu befreien und so eine freie Zirkulation des Geldes zu ermöglichen. Erreicht werden sollte das durch sog. „rostende Banknoten“. Die Grundidee bestand darin, dass alle Tauschwaren mit der Zeit an Wert verloren (Lebensmittel verdarben, Eisen rostete), nur das Geld konnte zum Zwecke von Spekulationen und Erwirtschaftung von Zinsen gehortet und damit dem Wirtschaftskreislauf entzogen werden. Geld, das genauso wie Waren an Wert verlöre, sollte in bereits kurzer Zeit für ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf den Arbeits-, Güter- und Kapitalmärkten führen. Geld würde also seine Gültigkeit nur durch Begleichung einer „Geldsteuer“ behalten oder verfallen, womit jede Hortung und Spekulation Geld vernichtete.
Auf seine 1898 in spanischer Sprache veröffentlichten Vorschläge zur Überwindung der Wirtschaftskrise in Argentinien durch die Steuerung der Papiergeldmenge ging eine im gleichen Jahr durchgeführte Bankreform zurück, mit sehr positive Folgen für den argentinischen Wirtschaftsaufschwung in den ersten beiden Jahrzehnten des
20. Jahrhunderts. 1899 kehrte er nach Europa zurück und gab ab 1902 seine Zeitschrift „Die Geldreform“ heraus. Sein Hauptwerk „Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld“ entstand 1916. Im April 1919 wurde er Volksbeauftragter für das Finanzwesen der libertären Bayerischen Räterepublik, die durch die Kommunisten gestürzt wurde. Vom Vorwurf des „Hochverrats“ wurde er aber freigesprochen. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg warnte er vor einem noch viel größeren Krieg innerhalb der nächsten 25 Jahre, wenn sich das internationale Geldsystem nicht ändern würde.
Er wurde verlacht, sollte aber Recht behalten. Gesell starb am 11. März 1930 an den Folgen einer Lungenentzündung. Wenige Jahre später hoffte der berühmte britische Ökonom Keynes, dass die Zukunft mehr vom Geiste Gesells als von Marx lerne würde.
Schon zu Lebzeiten hatte Gesell viele Anhänger und seinen Theorien folgten praktische Versuche, vor allem in den USA. In Österreich führte das mitten in der Weltwirtschaftskrise zum „Wunder von Wörgl“.
Das Reichswährungsamt gab es nicht, genauso wenig wie das Reichsgeldamt oder das Weltgeld-Währungsamt. Beim Freigeld handelt es sich um Werbescheine für die Idee der neuen Wirtschaftsordnung mit deutschen Belegen bis 1952. Praktisches Schwundgeld waren dagegen z.B. die Wära-Scheine aus Erfurt und Ulm.
Hans-Ludwig Grabowski
Münzen & Sammeln, Ausgabe 2017/10
Abbildungen: Hans-Ludwig Grabowski
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