Zentrales Flüchtlingslager Westerbork, Gruppe männlicher, deutscher Juden im Jahr 1940.
(Fotokopie: Sammlung Werner Roman, USHMM)
Zur Geschichte des Lagers
Mitte Dezember 1938 hatten die Niederlande im Interesse freundschaftlicher Beziehungen zum deutschen Nachbarn ihre Grenzen für Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich geschlossen. Sie waren ab diesem Zeitpunkt weder willkommen noch sollten sie integriert werden. Zur vorübergehenden Unterbringung der vornehmlich jüdischen Flüchtlinge beschloss die niederländische Regierung im Februar 1939 den Bau eines Aufnahmelagers bei Westerbork. Eine erste Gruppe traf hier am 9. Oktober 1939 ein.
Sie gehörte zu den 900 deutschen Juden, die vergebens versucht hatten, mit dem Schiff
St. Louis von Hamburg nach Kuba zu fliehen. Als am 10. Mai 1940 deutsche Truppen zum „Schutze der niederländischen Neutralität“ und zur Verhinderung einer Landung britischer Streitkräfte auf dem Kontinent in den Niederlanden einmarschierten, befanden sich rund 700 Menschen im „Zentralen Flüchtlingslager Westerbork“.
Das „Kamp Westerbork“ wurde von der deutschen Besatzung übernommen und weiter
genutzt. Inhaftiert wurden deutsche Juden, die in den Niederlanden verhaftet wurden oder sich freiwillig meldeten.
Nachdem bereits Ende 1941 entschieden wurde, Westerbork als zentrales Durchgangslager für die Massendeportation der niederländischen Juden zu nutzen, wurde das Lager am 1. Juli 1942 dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (BdS) unterstellt und als „Polizeiliches Judendurchgangslager“
(JDL) geführt. Westerbork war also kein Konzentrationslager und unterstand auch nicht der Inspektion der Konzentrationslager (IKL) bzw. dem späteren Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA) der SS.
Schon am 15. Juni 1942 begann die Deportation niederländischer Juden. Ab Juli 1942 trafen dann immer mehr Transporte in Westerbork ein. Hier sammelte man die Juden aus allen Teilen des Landes und stellte Transporte in die Vernichtungslager zusammen, hauptsächlich nach Auschwitz-II-Birkenau und nach Sobibór. Der erste Zug rollte am
14. Juli 1942 Richtung Osten. Ihm folgten fast zwei Jahre lang weitere Züge, die nach einem festen Fahrplan verkehrten. Meist kamen sie montags in Westerbork an und
fuhren dann am Tag darauf neue Opfer in den Tod. Drei Tage dauerte die Fahrt in stickigen Güterwagen mit einem Eimer als Toilette. Wer die Fahrt überlebte, auf den wartete das Gas.
Judendurchgangslager Westerbork, Angehörige des jüdischen Ordnungsdienstes (OD)
bei der Ankunft eines Transports im Lager 1942. (Fotokopie: Sammlung Trudi Gidan, USHMM)
JDL Westerbork, Lagerstraße mit Baracken. (Fotokopie: Herinneringscentrum Kamp Westerbork)
Bis zum Grenzbahnhof Nieuweschans wurden die Züge von niederländischem Bahnpersonal begleitet, ab da übernahm die Deutsche Reichsbahn bis in die Vernichtungslager.
Die meisten Menschen waren mit über 15.200 am 3. Oktober 1942 und fast 15.500 am 23. Juni 1943 im Lager registriert.
1943 wurde ein Krematorium auf dem Lagergelände in Betrieb genommen. Hier wurden die Leichen der an Krankheiten und Altersschwäche im Lager verstorbenen Gefangenen verbrannt. Insgesamt sind 751 Menschen im Lager Westerbork gestorben. Hinzu kamen die Leichen von Angehörigen des Widerstands, die in der Nähe des Lagers hingerichtet und ebenfalls im Lager kremiert wurden.
JDL Westerbork, jüdische Gefangene werden unter Aufsicht der SS mit der Bahn deportiert.
(Fotokopie: Herinneringscentrum Kamp Westerbork)
1943/1944 entstanden verschiedene Werkstätten, in denen die Gefangenen bis zu ihrer Deportation arbeiten mussten, u. a. eine Schneiderei, eine Linoleumfabrik und die „Lagerindustrie“, in der Flugzeuge, Apparate, Batterien und Kabel zerlegt sowie Metalle, Folien und Abfall für eine Wiederverwertung sortiert wurden.
Im Lager selbst wurde der Anschein der Normalität bewahrt. Es wurde weitestgehend auf die in Konzentrationslagern übliche Terrorherrschaft verzichtet, es gab eine Schule, ein Kranken- und ein Waisenhaus, sportliche Veranstaltungen und sogar ein eigenes Orchester. Statt Kapos und SS gab es in Westerbork mit dem Ordnungsdienst eine eigene jüdische Polizei, wie sie auch von Gettos her bekannt ist.
Wagenlaufschild der Deutschen Reichsbahn für den „Pendelverkehr“ zwischen Westerbork und Auschwitz zur Deportation jüdischer Menschen. (Original: Herinneringscentrum Kamp Westerbork)
Der letzte Transport verließ Westerbork am 13. September 1944 mit 279 Menschen in Richtung Bergen-Belsen. Zehn Tage zuvor hatte auch Anne Frank, die durch ihr Tagebuch weltberühmt und zur Symbolfigur für die Opfer des Holocaust werden sollte, Westerbork auf dem Weg nach Bergen-Belsen verlassen, wo sie Anfang März 1945 an Typhus starb.
Von Juli 1942 bis September 1944 hatten 98 Züge mit über 100 000 Menschen Westerbork verlassen, davon 65 Züge mit 57.800 Menschen nach Auschwitz, 19 Züge mit über 34.300 Menschen nach Sobibór, acht Züge mit über 3700 Menschen nach Bergen-Belsen und sechs Züge mit fast 4500 Menschen nach Theresienstadt.
Unter den Opfern befand sich auch eine kleinere Gruppe von 245 Sinti und Roma.
JDL Westerbork, Ausweiskarte der jüdischen Gefangenen Lea Blom-Walg.
(Original: Yad Vashem)
Nur 5000 jüdische Gefangene sollten den Krieg überleben und wieder in ihre Heimat zurückkehren.
Nachdem der letzte Transport Westerbork verlassen hatte, blieben noch Hunderte jüdischer Gefangener im Lager zurück. Sie wurden von kanadischen Truppen befreit,
die am 12. April 1945 Westerbork erreichten.
Nach dem Krieg wurden in Westerbork ohne Prozess ehemalige Mitglieder der „Nationaal-Socialistische Beweging in Nederland“ (NSB) und sog. Kollaborateure inhaftiert. Danach wurde es Wohnlager für Soldaten aus Niederländisch-Indien und von den Molukken. 1970 wurde es verlassen und danach abgerissen. Seit 1983 informiert
ein nahe des ehemaligen Lagers befindliches Erinnerungszentrum an das Durchgangslager Westerbork, das zum Sinnbild für die Vernichtung der niederländischen Juden geworden war.1)
JDL Westerbork, Postkarte jüdischer Eltern an ihre ins Schweizer Exil geflüchteten Kinder.
(Kopie: Tijdmachine, Kees de Brouwer)
Gutscheine des Lagers Westerbork
Die Gutscheine des Lagers Westerbork haben nichts mit der Prämienvorschrift der SS vom 15. Mai 1943 bzw. deren Nachtrag vom 14. Februar 1944 zu tun, auch wenn sie bei Pick/Siemsen unter Prämienscheinen aufgeführt wurden.2) Es handelt sich vielmehr um Lagergeld, wie es in den anderen niederländischen Lagern (Amersfoort und Herzogenbusch) ebenfalls genutzt wurde und das die Fluchtgefahr durch Einbehaltung des Bargelds reduzieren sollte. Außerdem diente es zur Bezahlung von Arbeits-leistungen an Gefangene des Lagers und zur Abschöpfung von deren regulären Zahlungsmitteln. Bis zu dessen Einführung sollte die Verwendung von Bargeld im
Lager üblich gewesen sein, ebenso Geldanweisungen an Gefangene in niederländischer Guldenwährung.
Fabrik-Wasserzeichen Vuga-Normaal. (Original: Ray Feller)
Der Entwurf für das Lagergeld von Westerbork stammt von dem Gefangenen Werner Löwenhardt. Die Vorderseiten der Scheine zeigen neben der Lagerbezeichnung und dem Nennwert ein Logo mit Zahnrad als Symbol der Arbeit. Auf den Rückseiten findet sich im Unterdruck eine Ansicht des Lagers. Alle Werte wurden in drei Serien (AA, BB und CC) bei der Druckerei Van de Kamp in Groningen hergestellt (Druckereikennung
K 1227).3) Verwendet wurde Papier mit Fabrik-Wasserzeichen „Vuga NORMAAL“.
Da dieses nicht flächendeckend auf dem Papier vorkam, sind Scheine mit vollständigem, teilweisem oder auch ohne Wasserzeichen bekannt.4)
Lager Westerbork, Lagerkantine. (Fotokopie: Yad Vashem)
Gestaltung und farbiger Druck (Über- und Unterdruck) sind vergleichsweise aufwendig und modern, aber auch dies ist von den anderen niederländischen Lagern bekannt.
We 1: JDL Westerbork, Gutschein über 10 Cent vom 15. Februar 1944, Serie CC, Vorderseite. Sammlung Grabowski
We 1: JDL Westerbork, Gutschein über 10 Cent vom 15. Februar 1944, Rückseite. Sammlung Grabowski
Das Logo mit dem von einem Zahnrad umfassten Lager mit Schornstein stand für die Aussage des Lagerkommandanten Gemmeker, wonach jüdische Arbeit bedeutend für den deutschen Sieg sei. Wie sich Herr Löwenhardt erinnerte, wurde das Lagergeld zum Einkauf in der Kantine genutzt, so es dort etwas zu kaufen gab. Meist bekam man aber nur Ersatzseife, Kaffee und Rasierklingen, aber keine Lebensmittel.5)
We 2: JDL Westerbork, Gutschein über 25 Cent vom 15. Februar 1944, Serie AA, Vorderseite. Sammlung Grabowski
We 2: JDL Westerbork, Gutschein über 25 Cent vom 15. Februar 1944, Rückseite. Sammlung Grabowski
We 3: JDL Westerbork, Gutschein über 50 Cent vom 15. Februar 1944, Vorderseite, Serie BB. Sammlung Wolfgang Haney, Berlin.
We 3: JDL Westerbork, Gutschein über 50 Cent vom 15. Februar 1944, Rückseite. Sammlung Wolfgang Haney, Berlin.
We 4: JDL Westerbork, Gutschein über 100 Cent vom 15. Februar 1944, Vorderseite, Serie BB. Sammlung Grabowski
We 4: JDL Westerbork, Gutschein über 100 Cent vom 15. Februar 1944, Rückseite. Sammlung Grabowski
Die Rückseiten zeigen eine Lageransicht mit Lagerstraße und rauchendem Schornstein.
Vom Westerborker Lagergeld sind einzelne Druckproben und unfertige Scheine sowie Fehldrucke (z.B. mit verschobenem Druck auf der Rückseite) und Fehlschnitte bekannt.
Nach der Befreiung des Lagers haben Häftlinge einige Hundert Serien gebrauchter Scheine mitgenommen. Vor ca. 20 Jahren sind diese dann auf den Sammlermarkt gelangt, weshalb sie heute nicht außergewöhnlich selten sind.6)
Hans-Ludwig Grabowski
Anmerkungen
1) Andreas Pflock, Judendurchgangslager, auf: www.gedenken-in-benelux.de, sowie:
KZ Westerbork, auf: www.wikipedia.de.
2) Albert Pick/Carl Siemsen, Westerbork, in: Das Lagergeld der Konzentrationslager und D.P.-Lager 1933–1947, S. 51–52.
3) Alphons Toele/Hans Jacobi, Westerbork, in: Het Notgeld van Nederland in de Tweede Wereldoorlog 1940–1945, S. 331.
4) Ray Feller/Steve Feller, Westerbork, in: Silent Witnesses: Civilian Camp Money of World War II, S. 58.
5) Ebenda.
6) Siehe Anmerkung 3).
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