Der ehemalige Kreis Schleusingen, mitten im Thüringer Wald gelegen, gehörte bis 1944 zum Regierungsbezirk Erfurt der preußischen Provinz Sachsen und anschließend zum Land Thüringen. Die Stadt Schleusingen selbst ist Numismatikern nicht unbekannt, steht doch in ihren Mauern mit dem mächtigen Schloss Bertholdsburg die einstige Residenz der Grafen von Henneberg. Von hier aus herrschte das bedeutende Grafengeschlecht bis zu seinem Aussterben im Jahre 1583 über das hennebergische Land beiderseits der heutigen Grenzen zwischen Thüringen und Bayern. Wichtigste und größte Stadt des Kreises war jedoch die für ihre Waffenherstellung bekannte Stadt Suhl, deren bedeutende Gewehrfabriken und Fahrzeugwerke während des Kriegs auf Hochtouren produzierten.
Am 5. April 1945, drei Tage bevor Schleusingen durch Truppen der 3. US-Armee eingenommen wurde, verlief die Front in Thüringen entlang der Linie „Mühlhausen-Gotha-Eisenach-Meiningen-Fulda“. Der weitere Vormarsch der Amerikaner wurde in zwei Abschnitten befohlen. Ein Vorstoß sollte von Gotha aus in Richtung Erfurt und ein anderer von Meiningen in Richtung Schleusingen erfolgen. Sollte der amerikanische Vorstoß Schleusingen erreichen, so wäre die Stadt ohne bedeutende militärische Gegenwehr zu nehmen gewesen, denn die letzten deutschen Truppen hatten sie kurz zuvor verlassen. Als die US-Truppen vor den Toren Schleusingens standen, entschlossen sich der damalige Stellvertretende Bürgermeister und Mineralwasser-Fabrikant August Bucher sowie der NSDAP-Ortsgruppenleiter Otto Stubenrauch trotz schärfsten Protestes des deutschen Stadtkommandanten, mit den anrückenden Amerikanern zu verhandeln, um die Stadt vor der Zerstörung zu bewahren. Sie versicherten, dass die Stadt ohne Truppen sei und wollten sie kampflos übergeben, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden. In der Nacht vom 6. zum 7. April 1945 kehrten jedoch SS-Verbände nach Schleusingen zurück, worauf sich die Amerikaner bis zum Stadtrand zurückzogen.
Das Gebäude, in dem sich der amerikanische Stab befunden hatte, wurde durch Panzerfaust-Beschuss zerstört und brannte nieder. Weitere Häuser und Scheunen standen in Flammen und auch einige Zivilisten kamen bei den Kämpfen ums Leben.
In den Morgenstunden war die ganze Stadt wieder in deutscher Hand. Doch konnte sie sich nicht lange gegen den amerikanischen Angriff zur Wehr setzen. Erneut war es der Stellvertretende Bürgermeister Bucher, der Schleusingen retten wollte. Trotz neuerlichen schärfsten Protestes des Stadtkommandanten verhandelte er mit den Amerikanern und übergab die Stadt, nachdem die letzten deutschen Verbände mitsamt der Stadtkasse Schleusingen verlassen hatten. Selbst die örtlichen Banken verfügten kaum noch über Bargeldreserven.
Am 8. April 1945 wurde die Stadt durch US-amerikanische Truppen besetzt. Von der unverzüglich eingerichteten US-Verwaltung wurde Herr Max Linhardt als Bürgermeister eingesetzt. In der Stadt herrscht Chaos, die Kassenschränke waren leer, überall kam es zu Geschäftsplünderungen und auf dem Bahnhof der Stadt stahlen Einwohner handwagenweise Kohlen. Die Folge war die Verhängung einer Ausgangssperre, welche erst unter späterer russischer Besetzung am 29. Dezember 1945 wieder aufgehoben werden sollte. Überall wurden amerikanische Soldaten einquartiert. Bei Einquartierung musste die Wohnung widerspruchslos geräumt werden. Nichts durfte verschlossen zurückgelassen werden. Betten, Geschirr und Radios mussten in den Wohnungen verbleiben. Lediglich die Mitnahme von Kleidung und Lebensmitteln wurde gestattet.
In Anbetracht der leeren Kassen und um die Not der Bevölkerung zu lindern und den Zahlungsverkehr wieder in Gang zu setzen, ließ die Stadt auf Initiative ihres neuen Bürgermeisters kurzfristig Gutscheine mit Datum vom 10. April 1945 drucken.
Es gab insgesamt vier Serien (je Nennwert eine Serie) zu 1, 5, 10 und 20 Reichsmark. Vor Ausgabe der Scheine wurden diese vom Bürgermeister Linhardt eigenhändig in blauer oder schwarzer Tinte unterschrieben. Die Umlauffähigkeit war auf die Stadt Schleusingen beschränkt. Wie lange die Gutscheine in Umlauf blieben, kann heute nicht mehr genau geklärt werden. Vermutlich waren sie jedoch nur sehr kurze Zeit gültig. Auch der Name der Druckerei, welche die Scheine innerhalb weniger Tage herstellte, war trotz Kontaktes zu dem inzwischen verstorbenen ehemaligen Leiter der Stadtkasse nicht mehr zu ermitteln. Der Druck erfolgte auf geblichem bzw. blaugrauem Kartonpapier. Alle Scheine sind einseitig bedruckt und tragen als Bild das Wappen der Stadt. Die Einlösung sollte nach Aufruf durch die Stadthauptkasse erfolgen.
Aus den amtlichen Akten der Stadt geht hervor, dass Gutscheine in einem Gesamtbetrag von 12.915 RM ausgegeben worden sind. Wie uns diese Unterlagen weiter verraten, erfolgte die Vernichtung der Scheine bereits Ende Juni 1945. Ausgegebene Scheine, also solche mit Handunterschrift des Bürgermeisters Linhardt, sind nur in geringen Mengen der Vernichtung entgangen und deshalb heute sehr selten, zumal die Stadt Schleusingen selbst kaum noch über eigene Bestände verfügt.
Katalogisiert wurde das Schleusinger Notgeld vom April 1945 in dem Katalog „Das Papiergeld im besetzten Deutschland 1945 bis 1949“ von Michael H. Schöne. In diesem Katalog wird angemerkt, dass je Wertstufe etwa 2.000 bis 3.000 Stück hergestellt wurden. Tatsächlich müssen es aber – zumindest bei der niedrigsten Wertstufe über 1 Reichsmark – bedeutend mehr gewesen sein. Der hier abgebildete, allerdings nicht mehr ausgegebene, Schein trägt die Kontrollnummer 9270.
Max Linhardt blieb nur fünf Wochen Bürgermeister. Noch am 9. Mai 1945 veranlasste er die Erhebung aller in städtischen Unterkünften untergebrachten Zwangsarbeiter.
Zu den damals etwa 5.000 Einwohnern der Stadt kamen über 1.700 Menschen aus allen Teilen Europas. Bereits am 15. Mai 1945 übernahm ein neuer Bürgermeister das Amt. Am 2. Juli 1945 verließ der amerikanische Stadtkommandant Schleusingen, unmittelbar darauf wurde die Stadt von russischen Truppen besetzt.
Als besonderer Verdienst Max Linhardts bleibt seine schnelle und umsichtige Handlungsbereitschaft, die seiner Stadt in schwerster Zeit ein Stück weit in eine neue friedliche Zukunft geholfen hat und damit der deutschen Papiergeldgeschichte und uns Sammlern die einzigen Thüringer Notgeldscheine am Ende des Zweiten Weltkriegs bescherte.
Anmerkungen:
1991 tauchten Blankoscheine des Schleusinger Notgelds zu 1, 5 und 20 RM im Handel auf. Diese Scheine waren 1945 nicht mehr ausgegeben worden und tragen deshalb auch keine Handunterschrift des damaligen Bürgermeisters Max Linhardt, konnten aber der Vernichtung Ende Juni 1945 entgehen. Blankoscheine sind deshalb etwas häufiger bei Auktionen und auf Börsen angeboten worden, sind aber trotzdem recht selten. Entdeckt wurden die Scheine allerdings nicht erst 1991, vielmehr wurden sie schon lange Zeit vorher im Naturhistorischen Museum Schloss Bertholdsburg in Schleusingen aufbewahrt, aber erst nach der politischen Wende und der deutschen Wiedervereinigung kurzzeitig in kleineren Mengen zum Kauf angeboten. Laut Auskunft des Museums wurden insgesamt etwa 100 Blätter, jeweils mit allen drei Blankowerten, verkauft. Größere Stückzahlen wurden dabei nicht abgegeben. Die Blankoscheine stammen aus dem Bestand des Rathauses, wo sie als Restbestände der Nachkriegszeit Ende der 1950er Jahre dem Museum übergeben wurden. Da sie nach dem Abverkauf von 1991 nur noch in sehr kleinen Mengen vorhanden waren, wurde der Verkauf eingestellt, um den Restbestand am Ursprungsort zu bewahren. Am seltensten ist der 10-RM-Schein, der selbst dem Museum nicht vorliegt.
Als Druckerei für die Herstellung des Notgelds kommt nach neuerlichen Recherchen wahrscheinlich die ehemalige Privatdruckerei Lang aus Schleusingen in Frage, die früher auch den "Henneberger Anzeiger", eine regionale Tageszeitung, herstellte und noch bis 1968 existierte. Sichere Beweise liegen für diese Annahme jedoch nicht vor. Auch die im Jahr 2000 noch in Schleusingen lebende und damals schon betagte Tochter des ehemaligen Druckereibesitzers konnte keine näheren Auskünfte geben, da sie sich selbst am Ende des Zweiten Weltkriegs in Südafrika aufhielt und ihr auch keine Unterlagen zum Schleusinger Notgeld von 1945 bekannt waren. So könnten die Scheine ebenso in einer Druckerei im nahen Suhl oder in Hildburghausen hergestellt worden sein. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Rätsel eines Tages gelöst werden kann.
Hans-Ludwig Grabowski
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