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AutorenbildUwe Bronnert

Die Affäre Grünenthal (1898)

Aktualisiert: 14. Nov. 2023

Die Affäre Grünenthal hat alles, was ein guter Krimi braucht.

Begonnen hatte die Geschichte am 11. März 1898 mit einem mysteriösen Fund auf einem Friedhof in Berlin-Kreuzberg. An diesem Freitag besuchte die Ehefrau des Oskar Kunschmann den Friedrich-Werderschen Kirchhof in der Bergmannstraße. Ihr Ziel war das Grab der ersten Frau ihres Ehemannes, der als Korrektor in der Reichsdruckerei tätig war. Sie bemerkte, dass sich die auf dem Grab liegende Gedenktafel verschoben hatte. Beim Versuch, diese wieder in die richtige Lage zu bringen, entdeckte sie eine große Tüte, die sie zunächst achtlos bei Seite legte. Sie staunte nicht schlecht, als sie diese später untersuchte und darin 44.000 Mark verpackt in Zeitungspapier fand, und zwar 40.000 Mark in Tausendmarkscheinen und 4.000 Mark in Hundertmarkscheinen. Die Reste der Zeitung sollten später noch eine Rolle spielten. Die ehrliche Finderin lieferte den „Schatz“ bei der Polizei ab. Alle Tausender waren vom 10. April 1896 und die Hunderter vom 1. Mai 1891. Sofort kam der Verdacht auf, dass es sich um Falschgeld handeln müsse, da einige Noten dieselbe Nummer trugen. Andererseits konnten die Experten der Reichsbank keinen Unterschied zu anderen Noten dieser Ausgaben entdecken. Woher stammte also das Geld? Schon bald zog man einen Diebstahl bei der Reichsdruckerei in Betracht.


DEU-8: Deutsche Reichsbank, Reichsbanknote zu 100 Mark vom 1. Mai 1891, Vorder- und Rückseite.


Aufgrund der Anzeige eines ehemaligen Angestellten der Reichsdruckerei geriet der 44-jährige, ehemalige Oberfaktor der Reichsbank, Paul Hugo Grünenthal, ins Visier der Ermittlungsbehörden. Grünenthal wurde zu Schlaben bei Neuzelle in der preußischen Provinz Brandenburg geboren. Er erlernte den Beruf des Druckers und war zuerst in der Druckerei von Priemen u. Sohn in Lübben beschäftigt. 1875 trat er in die v. Deckersche Oberhofdruckerei, der späteren Reichsdruckerei, ein und war dort bis zum Jahr 1883 als Schriftsetzer tätig. Dann wechselte er ins Betriebsbüro und brachte es vom Bürogehilfen bis zum Oberfaktor mit einem Jahresgehalt von 3.300 Mark und 540 Mark Wohnungsgeldzuschuss. Wegen einer mehrmonatigen Erkrankung kam es dann 1897 zu einer Auseinandersetzung mit der Leitung der Reichsdruckerei, sodass er im Oktober von sich aus den Staatsdienst quittierte, ohne Anspruch auf die gesetzliche Pension zu erheben. Im gleichen Jahr zog er von der Camphausenstraße 2 in die Blücherstraße. Hier mietete er sich in der ersten Etage ein luxuriös ausgestattetes Zimmer nebst Kabinett.


DEU-12: Deutsche Reichsbank, Reichsbanknote zu 1000 Mark vom 10. April 1896, Vorder- und Rückseite.


„Bei einer in seiner Wohnung vorgenommenen Haussuchung wurden 63.239 Mark in baarem Gelde und in Werthpapieren aufgefunden, darunter einen Tausendmarkschein, der gleichfalls das Datum des 1. April 1896 [sic!] trug und neun Hundertmarkscheine mit dem Datum vom 1. Mai 1891. Außer diesem Gelde hatte Grünenthal noch verborgen in Werthpapieren unter anderem: a) 23.000 Mark zum Nominalbetrag von 16.000 Mark auf dem Grabe des Rentiers Liebert auf dem Friedrich-Werderschen Kirchhof: b) 28.000 Mark zum Nominalbetrage von 15.100 Mark auf dem Jerusalemer Kirchhofe; c) 81.800 Mark zum Nominalwerth von 41.200 Mark auf dem alten Jakobi-Kirchhof zu Nixdorf. – Ferner wurden bei der jetzt angeklagten Witwe Eichler 30.000 Mark zum Nominalbetrag von 30.800 Mark in Werthpapieren gefunden, die ebenfalls Grünenthal gehören und zum Theil vorher auf dem Friedrich-Werderschen Kirchhof versteckt waren. Endlich hatte Grünenthal auf einem Hause in Thale eine Hypothek von 21.000 Mark und an hiesigen Banken ein Bankguthaben von 21.581 Mark beziehungsweise 25.118 Mark, so daß sich – außer den auf dem Grabe aufgefundenen Banknoten – der gesamte Vermögensstand Grünenthals auf 293.729 Mark berechnen ließ.“[1]

Er selbst erklärte die Herkunft seines Vermögens folgendermaßen.

„Bis zum Jahr 1889 habe er nur ganz geringe Ersparnisse besessen; in diesem Jahr aber habe er in der Schlößfreiheitslotterie 20.000 Mk. gewonnen und mit diesem Gelde an der Börse zu spekuliren angefangen. Er habe nur kurssteigerungsfähige Papiere per Kasse gekauft, so Aktien der Großen Berliner Pferdebahn, Auerglühlicht- und Elektrizitätswerke-Aktien etc. Damit habe er in den letzten neun Jahren nicht weniger als 150.000 Mark verdient und nachweislich bei F. W. Krause in den letzten Jahren allein einen Reingewinn von 70.000 Mk. erzielt. G. weist die Annahme, daß er die Reichsdruckerei bestohlen habe, mit Entrüstung von sich und behauptet, daß bei dem vorzüglichen Kontrolsystem dort ein Diebstahl ganz unmöglich sei.“[2]

Der Fall schlug in der Presse so hohe Wellen, dass sich der Reichstag in seiner 66. Sitzung am 21. März 1898 damit befasste.[3] Der Abgeordnete Graf von Arnim eröffnete die Diskussion mit dem folgenden Beitrag:

„Meine Herren, ein Vorgang in der Reichsdruckerei, der auch die Reichsbank berührt, hat in den letzten Tagen die öffentliche Meinung beschäftigt. Die Blätter meldeten die Verhaftung des Oberfaktors der Reichsdruckerei, der, soweit die Untersuchungen ergeben, nicht unerhebliche Beträge von Tausendmarkscheinen entwendet habe …“

Er führte weiter aus, dass der Vorgang weite Kreise der Bevölkerung beunruhige, denn nach Gerüchten seien kolossale Mengen an Banknoten abhanden gekommen. Diese irrige Annahme beruhe darauf, dass über die Kontrollen bei der Herstellung von Banknoten nichts bekannt sei. So würde vielfach angenommen, dass für jede Banknote eine zweite hergestellt würde und dann nur die bessere von ihnen in Umlauf käme.

„Dies ist irrig; vielmehr werden etwa 10 Prozent von denjenigen Noten, die in Arbeit sind, kassirt und gelangen nicht zur Ausgabe. Zu bemerken ist aber, daß selbst diese nicht vollwerthigen, nicht normal hergestellten Banknoten oft einen so geringen Unterschied gegenüber den zur Ausgabe gelangenden aufweisen, daß selbst die Reichsbank – und natürlich das Publikum erst recht –, wenn diese Noten eingelöst werden, nicht erkennen kann, ob diese Noten vollwerthige und normale sind oder zu denjenigen 10 Prozent gehören, welche bei der Herstellung kassirt worden sind.“

Da das Reichspostamt für die Reichsdruckerei zuständig war, äußerte sich der Staatssekretär Generalleutnant von Podbielski zu dem gesagten. Er räumte ein, dass er sich nicht über sämtliche Details äußern könne und dürfe, da es sich hier um einen schwebenden Fall handele und auch noch nicht alles völlig aufgeklärt sei. Er führte aus, dass man die auf dem Friedhof gefundenen Banknoten der Reichsdruckerei vorgelegt habe. Die Prüfung ergab, dass die Noten aus einer Anfertigung stammen würden, die am 14. Januar 1897 endete. Durch eine Verkettung von unglücklichen Umständen sei es dem Oberfaktor Grünenthal gelungen, sich aus dem sogenannten Ausschuss einige Scheine anzueignen. Über die genaue Zahl mochte der Staatssekretär nichts sagen, meinte aber, dass sie nach den Erhebungen nicht in die Millionen gehen würden. Grünenthal habe die Scheine, bei denen die roten Kontrollnummern und Siegel fehlten, nachträglich mit einem Handstempel, zum Teil wohl auch mit einer Handpresse, vervollständigt. Der Staatssekretär erklärte dann den Abgeordneten, wie es zu dem Diebstahl kommen konnte.

„Was nun die Manipulation anlangt, so ist ja die Fabrikation in verschiedene Betriebe getrennt, nämlich in die sogenannte Appretur und in die verschiedenen Druckstationen. Dabei ist es immer nothwendig, daß über den Betrag der fertiggestellten Stücke hinaus, wie Herr Graf von Arnim bereits erwähnte, ungefähr 10 Prozent mehr einzelne Papierstücke zugezählt werden, weil bei der Herstellung durch weniger gut ausgeführte Scheine ein Verlust eintritt. Dieser Ueberschuß wird am Schluß der Fabrikation als Ausschußwaare nach den Bestimmungen durchlocht, aber anscheinend sind [sie] damals im letzten Moment … ungelocht in das Tresor eingeschlossen worden. Die zweite Verkettung ist, daß der Beamte, der den zweiten Schlüssel zum Tresor gehabt hat, an dem Tage Nachmittags krank geworden ist und dieser Oberfaktor gesagt hat: morgen früh müssen wir die Arbeit weiter machen, gieb mir doch den Schlüssel! … auf diese Weise hat der Beamte an dem Tage den Zutritt zum Tresor gehabt. Nun kommt eine weitere Manipulation. Diese Scheine werden vor der Vernichtung wieder gezählt, und dabei muß nun dieser betreffende Oberfaktor sich wahrscheinlich diejenigen Packete, aus denen er einzelne Scheine herausgezogen hat, zur Zählung auf seinen Platz herübergeschoben haben. … Anscheinend sind bei dem Verbrennen nicht so viele Scheine verbrannt worden, wie die Verwaltung selbst geglaubt hat. Diese Scheine sind nachher von ihm genommen und mit Nummern versehen [worden]. Diese Scheine, die dort aufgedruckt sind, entstammen vergangenen Jahren, wie wir sehen können, den Jahren 1892 und 1893.“

Diese Darstellung hat jedoch einige Unstimmigkeiten: Zum Öffnen des Tresors benötigte man einen zweiten Schlüssel, der jedoch von einem weiteren Beamten verwahrt wurde. Wie sollte Grünenthal an diesen Schlüssel gekommen sein? Auch bestritt der erkrankte Beamte, den Schlüssel dem Oberfaktor ausgehändigt zu haben.


Von Podbielski fügt noch hinzu, dass sich der Dieb, wie so oft bei solchen Fällen, selber denunzierte. So habe man aus den Überresten der Zeitung, die zum Einschlagen der Banknoten und Wertpapiere benutzt worden sei, die Ausgabe ermitteln können. Es handele sich um eine Beilag zur „Staatsbürgerzeitung vom 9. Dezember 1897

„und diese Nummer fand sich nicht unter den von ihm sorgsam aufgehobenen Zeitungen: sämmtliche Nummern waren in seiner Stube zu finden, nur diejenigen Nummern, zu denen die Zeitungsüberreste, die dort auf dem Kirchhof bei den Werthpapieren gewesen sind, gehören, haben gefehlt, und das ist für ihn als Verdachtsmoment mit geltend gemacht worden.“

Der Staatssekretär schloss seinen Vortrag mit dem Hinweis, dass der Beschuldigte bereits im Herbst vorigen Jahres pensioniert worden und seit dem 1. Januar d. J. überhaupt nicht mehr in der Reichsdruckerei anwesend gewesen sei. Er vergaß allerdings dabei zu erwähnen, dass Grünenthal selbst um den Abschied aus dem Staatsdienst gebeten hatte.


In der 74. Reichstag-Sitzung am 31. März 1898 äußerte sich der Staatssekretär nochmals zu den Vorkommnissen in der Reichsdruckerei. Er stellte zunächst heraus, dass seit 1880 in der Reichsdruckerei nahezu 38 Milliarden Banknoten hergestellt wurden und in den 18 Jahren nur dieser eine Vorfall vorgekommen sei. Weiter führte er aus:

„Ich habe schon voriges Mal Veranlassung gehabt, darauf hinzuweisen, um wie wenig es sich voraussichtlich handelt, daß es sich nach unseren Erhebungen um höchstens ¼ Millionen Mark handeln könnte; dies hat sich auch bestätigt, und wenn die Herren sich die Zahlen vorhalten, daß wir heute über eine Milliarde Mark Werthzeichen im Umlauf haben, daß wir zirka 500.000 Stück Tausendmarkscheine haben und 5 Millionen Stück Hundertmarkscheine, – und rechnen Sie: demgegenüber stehen dies 160 Scheine zu 1000 Mark und 160 Scheine zu 100 Mark, die voraussichtlich nach der ganzen Zusammenstellung uns fehlen.“[4]

Über das Ausmaß der entwendeten Banknoten irrte von Podbielski gewaltig.

So bemerkte die Reichsbank:

„Bei Einziehung der Reichsbanknoten II. Emission[5] zu M 1000 hat sich ergeben, daß gegenüber einem Emissionsbetrag von 935.000 Stück (= M 935.000.000) bis zum Rechnungsabschluß 935.740 Stück (M 935.740.000) zur Einlösung gelangt sind. Diese Tatsache ist auf die von Grünenthal verübten, in den Verwaltungsberichten von 1898–1903 (Seite 12) erwähnten Fälschungen zurückzuführen. … Durch einen Zufall wurde im März 1898 sein verbrecherisches Treiben entdeckt. … Vor der Entdeckung war es für die Beamten der Reichsbank tatsächlich unmöglich, die Unechtheit der Stücke zu erkennen. Erst nach der Entdeckung gelang dies durch sorgfältige Prüfung des Stempel- und Nummernaufdrucks mit Hilfe einer von der Reichsdruckerei zu diesem Zweck hergestellten, die genaue Lage der Stempel und der Ziffern auf der Druckplatte ersichtlich machenden Glastafel. Seit dem März 1898 wurden auf diese Weise in den damaligen Beständen der Reichsbank und den späteren Eingängen aus dem Verkehr insgesamt M 527.600 in Grünenthalschen Falsifikaten – darunter 147.000 in gefälschten Tausendmarknoten der zweiten, bis zum März 1895 von der Reichsdruckerei gelieferten Emission – nachgewiesen. Für diesen Betrag erhielt die Reichsbank Deckung teils durch Verwertung des beschlagnahmten Vermögens Grünenthals, teils – mit Rücksicht auf die der Reichsdruckerei zufallende Verantwortlichkeit – durch Ersatzleistung von Seiten des Reichs. Offenbar sind jedoch bis zum März 1898 von Grünenthal gefälschte Noten II. Emission zu M 1000 in viel größerer Zahl als nachgewiesen werden konnten, in den Verkehr gebracht, von der Reichsbank trotz sorgfältigster Prüfung unerkannt als echt eingelöst und demnächst verbrannt worden, so daß der Umlauf von echten Noten durch die Verbrennungen sich tatsächlich nicht in dem buchmäßig ausgewiesenen Maße vermindert hat.“[6]

Auch in den folgenden zwei Jahrzehnten fand die Reichsbank weitere Grünenthalsche Fälschungen. Die Verwaltungsberichte weisen für nachträglich entdeckte Fälschungen insgesamt 2.551.000 Mark aus. Im Einzelnen:

für das Jahr 1907 M 344.000 = 344 Noten

für das Jahr 1908 M 316.000 = 316 Noten

für das Jahr 1909 M 258.000 = 258 Noten

für das Jahr 1910 M 222.000 = 222 Noten

für das Jahr 1911 M 177.000 = 177 Noten

für das Jahr 1912 M 105.000 = 105 Noten

für das Jahr 1913 M 117.000 = 117 Noten

für das Jahr 1914 M 73.000 = 73 Noten

für das Jahr 1915 M 36.000 = 36 Noten

für das Jahr 1916 M 48.000 = 48 Noten

für das Jahr 1917 M 40.000 = 40 Noten

für das Jahr 1918 M 15.000 = 15 Noten

für das Jahr 1919 M 25.000 = 25 Noten

für das Jahr 1920 M 8.000 = 8 Noten

für das Jahr 1921 M 12.000 = 12 Noten

für das Jahr 1922 M 15.000 = 15 Noten

Der Verwaltungsbericht für das Jahr 1923 enthält kein Ausweis mehr.


Die Staatsanwaltschaft erhob schließlich im Juni 1898 Anklage gegen Grünenthal.

Sie beschuldigte ihn, am 14. Januar 1897 aus einem Paket von 500 ungelochten Tausendmarknoten, bei denen Kennnummern und Siegel fehlten und die zur Verbrennung bestimmt waren, 230 Stück entwendet zu haben. Zuhause in der Kamphausenstraße 9 habe er dann mithilfe einer gekauften Boston-Tiegeldruckpresse die Geldscheine vervollständigt. Den vollständigen Stempel und den Ziffernsatz von 0 bis 9 habe er sich aus der Reichsdruckerei auf ca. eine halbe Woche „ausgeliehen“. Ferner wurde er beschuldigt, sich 200 Hundertmark-Banknoten mit dem Datum vom 1. Mai 1891, angeeignet zu haben. Die Noten, bei denen der rote Stempel und die Kennziffern fehlten, seien seit etwa Anfang 1896 in einem kleinen Tresor aufbewahrt worden. Wegen technischer Fragen waren sie der Betriebsleitung I übergeben worden.


Hatte Grünenthal zunächst alle Vorwürfe bestritten, so muss er bei den Verhören später doch einiges zugegeben haben. Den die Zeitung berichteten:

„Die Fälschungen will Grünenthal erst nach dem 14. Januar 1897 begonnen haben, die Untersuchung hat jedoch ergeben, daß sein verbrecherisches Treiben zum Theil schon weit vor dieser Zeit zurückgreift. Es sind nämlich an verschiedenen Stellen noch sechs in ganz gleicher Weise gefälschte Tausendmarkscheine zum Vorschein gekommen, die zu einem Posten von 1600 Stück Blankets gehören, welche am 25. September 1895 unter Grünenthals Mitwirkung verbrannt werden sollten.“[7]

Auf Station I des Untersuchungsgefängnisses Moabit wartete er auf seine Verhandlung vor dem Schwurgericht. Am Montagvormittag, dem 17. Oktober 1898, besuchte er den Gottesdienst in der Anstaltskirche, die im obersten Stockwerk lag. Gegen 9 Uhr war er wieder auf dem Rückweg zu seiner Zelle im Erdgeschoss.

Kaum hatte er das Treppenhaus wieder betreten, als er sich über die Treppenbrüstung schwang und in die Tiefe hinabstürzte. Er blieb unten auf dem Boden liegen, und es konnte sofort festgestellt werden, daß er seine Leiche war. Der Hinterkopf zeigte eine klaffende Wunde, aus welcher Gehirnmasse herausgetreten war. … Der Untersuchungsrichter Landgerichtsrath Brandt und Oberstaatsanwalt Drescher wurden sofort von dem Vorfall benachrichtigt und erschienen in kürzester Frist am Thatorte. Grünenthal, der im Dezember erst 45 Jahre alt geworden wäre, befand sich seit dem 16. März d. J. in Untersuchungshaft.“[8]

Trotz des Todes des Hauptbeschuldigten sollte der Prozess gegen die ebenfalls angeklagten Ella Glotz und die Hebamme Margarethe Eichler am folgenden Freitag stattfinden. Ihnen wurde vorgeworfen, wissentlich Beistand geleistet zu haben. Da die Verhandlung keine neuen Erkenntnisse brachte, kann auf eine Darstellung hier verzichtet werden. Anzumerken ist, dass die Geschworenen die beide Frauen von dem erhobenen Vorwurf freisprachen.


Insgesamt stellte die Reichsbank 2.551 Grünenthalsche Tausendmark-Fälschungen sicher! Wie konnte der Beschuldigte diese große Anzahl von Noten nicht nur unbemerkt entwenden, sondern auch aus der Reichsdruckerei schaffen. Immerhin würden die Fälschungen aufeinander gelegt eine Höhe von fast 30 cm erreichen, also die Länge eines gebräuchlichen Lineals. Hatte er Komplizen? Waren die Sicherheitsvorkehrungen in der Reichsdruckerei so mangelhaft? War er überhaupt der Täter oder nur der Sündenbock? Fragen, die sich heute nur schwer beantworten lassen.


Uwe Bronnert

Abb. Battenberg Gietl Verlag, Bildarchiv

Anmerkungen: Zusammengestellt anhand von Zeitungsberichten der Königlich Privilegirte Berlinische Zeitung, Nr. 121 vom 13. März 1898 (Morgenausgabe) – Nr. 173 vom 14. April 1898 (Morgenausgabe) sowie des Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung, Nr. 528 vom 17. Oktober 1998 (Abendausgabe) – Nr. 537 vom 22. Oktober 1898 (Morgenausgabe). [1] Der Banknotendiebstahl in der Reichsdruckerei, in: Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung, Nr. 536 vom 21. Oktober 1898, Abendausgabe.

[2] Königlich Privilegirte Berlinische Zeitung, Nr. 142 vom 25. März 1898, Abendausgabe

[5] Anm. d. Verf.: Als II. Emission bezeichnete die Reichsbank die 100-Mark-Noten vom 10. Januar 1883 und vom 5. Mai 1891 sowie die 1000-Mark-Noten vom 2. Januar 1884 und 1. Januar 1891. Die 1000-Mark-Noten wurden stillschweigend, ohne öffentliche Bekanntmachung aus dem Verkehr gezogen.

[6] Verwaltungsbericht der Reichsbank für das Jahr 1906, vorgelegt in der Generalversammlung am 4. März 1907, S. 12.

[7] Der Banknotendiebstahl in der Reichsdruckerei, in: Berliner Tageblatt und Handelszeitung, Nr. 536 vom 21. Oktober 1898, Abendausgabe.

[8] Selbstmord des Oberfaktors Grünenthal, in: Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung, Nr. 528 vom 17. Oktober 1898, Abendausgabe.

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