Vor etwa 50 Jahren erwarb ich einen chinesischen Geldschein über dessen geschichtlichen Hintergrund zunächst nichts bekannt war. Der Englische Titel lautet „THE AGRICULTURAL, INDUSTRIAL AND COMMERCIAL TRUST COMPANY; LIMITED”, was eine wörtliche Übersetzung des chinesischen Namens 農工商信託有限公司 ist.
Es handelt sich um einen undatierten 1-Yuan-Schein mit dem Porträt von Sun Yatsen. Ortsangabe Zhāngzhōu (漳州) / CHANG CHOW in Süd-Fújiàn (siehe Abb. 1).
Abb. 1: The Agricultural, Industrial and Commercial Trust Company, 1 Yuan ohne Datum, Vorder- und Rückseite.
In Internet kann man – zumindest als Probedrucke – weitere Werte finden, nämlich 1, 2 und 5 Hao (1 Yuan = 10 Hao). Im Standard Catalog of World Paper Money (SCWPM) sind die Noten unter P.S3931–3935 aufgelistet, wobei die unteren Wertstufen fälschlich als „Chiao“-Werte angegeben werden.
In ihrem Buch „A Brief Illustrated History of Chinese Military Notes and Bonds” schreibt Frau S.P. Ting, im Jahr 1918 sei die Guǎngdōng-Armee in die Provinz Fújiàn eingefallen, habe erfolgreich gegen einen gewissen Lǐ Hòujī (李厚基) gekämpft und u.a. den Ort Zhāngzhōu (漳州) eingenommen. Um die großen militärischen Kosten für den Feldzug zu decken, habe man die Scheine ausgegeben.
Doch hat S.P. Ting leider keinerlei Quellen angegeben. Ich habe dann mehrfach versucht, in der Literatur und im chinesischen Internet die Angaben von Frau Ting zu verifizieren. Doch ist mir das nie gelungen.
Dann sah ich im vorigen Jahr, als ich auf einer Auktion der Yangming Auction Company in Shanghai war, eine Anleihe, die von derselben Gesellschaft ausgegeben war. (siehe Abb. 2). Die Anleihe war mit „Jahr 13 der Republik“ datiert, also 1924. Das Datum passte gar nicht zu den Angaben von Frau Ting. Internet-Recherchen erbrachten zunächst wieder nichts, ich schrieb dann kurzerhand an den Bürgermeister von Zhāngzhōu und bat um Hilfe. Ähnliches habe ich schon öfter getan und erhalte fast stets eine Reaktion, auch wenn diese nicht immer weiterhilft.
In diesem Fall hörte ich lange nichts. Aber dann traf vor einigen Tagen eine Mail von einem Redakteur der Zeitschrift „Minnan Daily“ (閩南日報, das bedeutet „Tageszeitung von Süd-Fújiàn) ein. Die hatte vor längerer Zeit über die Geschichte der Stadt Zhāngzhōu referiert und über ihre Recherchen im Provinzarchiv berichtet.
Dadurch wurde klar, dass der Hintergrund ein ganz anderer war als Frau Ting berichtet hatte. Demnach hat „warlord“ Zhāng Yì (張毅), der 1923 nach Zhāngzhōu gekommen war, 1924 zusammen mit zwei Taiwanesen, nämlich den Herren Chén Chǎngfú (陳長福) und Chén Chánggēng (陳長庚), die hier in Rede stehende Treuhandgesellschaft mit einem Anfangskapital von 2 Millionen Yuan gegründet. Man gab Geldscheine aus sowie verzinsliche 5-Yuan-Schuldscheine. Von den Geldscheinen, die lokal gedruckt wurden, sollen nur wenige in Umlauf gekommen sein.
Abb. 2: Anleihe über 2 Millionen Dollars.
Die Anleihe selbst zeigt oben in der Mitte das Logo der Gesellschaft, mit den drei untereinander und in altertümlicher Schrift geschriebenen Zeichen 農, 工und 商 (für „agriculturtal, industrial und commercial“). Daneben ein in der chinesischen Mythologie beliebtes Motiv, die „fliegenden himmlischen Jungfrauen“ (飛天仙女), zwei links und -spiegelbildlich- zwei rechts.
Dem aufmerksamen Betrachter der Anleihe fällt vielleicht auf, dass „2 Millionen“ in der Form „200,0000“ statt „2,000,000“ dargestellt wurde. Das beruht darauf, dass im Chinesischen „2 Millionen“ als „200 (mal) 10.000“ (兩百萬) geschrieben wird.
Am 8. Oktober 1926, also nur etwa zwei Jahre nach der Gründung der Gesellschaft, wurde die Stadt Zhāngzhōu von Hé Yīngqīn (何應欽), dem Ersten Befehlshaber des sog. Nordfeldzugs, eingenommen. Die Treuhandgesellschaft musste schließen, die Banknoten verfielen, die Schuldscheine wurden nicht eingelöst.
Erwin Beyer
Abb.-Nachweis:
Abb. 1 Huang Qi, vormals Sammlung E. Beyer
Abb. 2: Yangming Auction Company, Shanghai, Erlaubnis durch Cai Xiaojun
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