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AutorenbildMichael H. Schöne

Die Geldscheine der zwei Hundertjährigen

Aktualisiert: 26. März 2021

Nennen wir die beiden 100-jährigen Europäer einfach mal Urs Spügli und Viltautas Šaltkalvis. Nehmen wir an, der Schweizer wurde 1907 in Luzern und der Litauer im selben Jahr im heutigen Klaipėda geboren ... Welche Geldscheine haben sie während

ihres langen Lebens in den Händen gehalten? Das ist Geschichte pur! Was unterscheidet die Männer mit den fiktiven Namen Spügli und Šaltkalvis?


Luzern 1907: wenige Scheine kannte der Schweizer innerhalb von 100 Jahren; lediglich sieben Serien wurden seit 1907 bis heute von der Schweizerischen Nationalbank ausgegeben. Und es waren immer die Schweizer Franken, die sein Leben begleiteten.

Bei den Münzen zu 10 und 20 Rappen sowie ½, 1 und 2 Franken blieb selbst die Gestaltung seit fast 150 Jahren immer unverändert. Ein stabiles Land eben und eine stabile Währung auch.


Abb. 1: 2 Franken 1907, seit 1874 bis 1967 in Silber geprägt.

Abb. 2: 2 Franken 2007, seit 1968 bis heute in Kupfernickel geprägt.

Abb. 3: 50 Franken vom 1. Februar 1907, sog. Interimsnote, gedruckt bei Bradbury Wilkinson Ltd., London, nummeriert bei Stämpfli & Co., Bern, ausgegeben ab 20. Juni 1907.


Ganz anders etwa 2000 Kilometer weiter, in der nördlichsten deutschen Stadt 1907: in Memel (heute Klaipėda). Dort galt bis 1920 die deutsche Währung in allen Stückelungen des Kaiserreichs und die Kriegsausgabe zu 20 Mark sowie die Darlehnskassenscheine zu 1, 2, 5, 20 und 50 Mark von 1914 bis 1920. Außerdem waren die Reichskassenscheine von 1904 und 1906 noch im Umlauf.


Abb. 4: 50 Mark vom 8. Juni 1907, Reichsbanknote, gedruckt in der Reichsdruckerei, Berlin.


Aber schon während des Ersten Weltkriegs und danach wurden Notgeldeldscheine im Gebiet um Memel als Zahlungsmittel verwendet – z. B. die ½-Mark-Scheine für den Stadt- und Landkreis Memel oder die Notgeldscheine der Gemeinde Heydekrug (Šilutė) und der Gemeinde Ruß (Rusnė).


Abb. 5: ½ Mark o. D., Notgeldschein, gedruckt wahrscheinlich bei der Rytas AG, Memel.


Unwahrscheinlich ist, dass durch die kurzzeitige Besetzung der Stadt 1915 durch die zaristische Armee russisches Geld von deren Truppen ausgegeben wurde.

In den Kriegswirren besetzten dann deutsche Truppen die damals russischen Gebiete des Baltikums. Ab November 1915 wurden diese besetzten Gebiete als „Ober Ost“ bezeichnet und vom Stab des Oberbefehlshabers Ost verwaltet.

Mit dem Waffenstillstand vom 11. November 1918 im französischen Compiègne endete der Erste Weltkrieg. Am 28. Juni 1919 unterzeichneten der deutsche Außenminister H. Müller und sein Kabinettskollege J. Bell unter Protest den Vertrag von Versailles. Dieser trat am 10. Januar 1920 in Kraft; im Artikel 28 wurde im Gebiet um Memel die neue Grenze festgeschrieben. Ohne Volksabstimmung wurde ein Teil Ostpreußens abgetrennt und der Kontrolle des Völkerbunds unterstellt. Von da an bis zum 19. Januar 1923 wurde das sog. „Memelland“ von französischen Truppen besetzt und erhielt mit D.-J. Odry den ersten Oberkommissar. Unter seinem Nachfolger J. G. Petisné wurden 1922 Notgeldscheine der "Handelskammer des Memelgebiets" von ihm genehmigt und in neun Wertstufen von 50 Pfennig bis 100 Mark ausgegeben.


Abb. 6: 50 Mark 22. Februar 1922, Notgeldschein,

gedruckt bei der Verlags-AG Gebr. Parcus, München.


Das „Memelland“ wurde am 10. Januar 1923 durch litauische Freischärler als Ersatz für das von Polen annektierte litauische Gebiet um Wilna besetzt. Am 16. Februar 1923 wurde das Gebiet formell an Litauen übergeben und nach der sog. Memelkonvention am 8. Mai 1924 durch Litauen annektiert. Zu dieser Zeit waren die Oberost-Mark und die frühen Centų-Noten schon nicht mehr gültiges Zahlungsmittel in Litauen, das aber auch in der Stadt Memel in Zahlung genommen wurde.

Das Memelgebiet war etwa so groß, wie das heutige Saarland. Hier lebten 1925 rund 140.000 Einwohner, von denen 72,5% Deutsche und 27,5% Litauer waren.

Die schon im Februar 1918 ausgerufene Republik Litauen führte am 1. Juni 1922 mit dem litauischen Litas eine eigene Währung ein.


Abb. 7: 50 Litų vom 16. November 1922, Banknote, Musterschein, gedruckt

in der Druckerei Andreas Haase, Prag, ab Februar 1923 ausgegeben.


Nach fünf Jahren sah sich die Bank von Litauen aus unterschiedlichen Gründen gezwungen, eine neue Banknotenserie in Auftrag zu geben. Für die Gestaltung der neuen Noten waren die einheimischen Künstler A. Galdikas, V. Jomantas und A. Žmuidzinavičius verantwortlich. Ein knappes halbes Jahr vor Beginn des Zweiten Weltkriegs änderte sich in Memel wiederum die Währung: nach dem Druck

Deutschlands und einem Ultimatum musste Litauen am 23. März 1939 das Memelland an das Deutsche Reich zurückgeben – die Reichsmark löste den Litas ab.


Abb. 8: 50 Reichsmark 30. März 1930, Reichsbanknote,

gedruckt in der Reichsdruckerei, Berlin.


Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs blieb die Währungssituation im Memelland vorerst unverändert. Anders im benachbarten Litauen: da besetzten am 15. Juni 1940 sowjetische Truppen das Land und am 21. Juli 1940 wurde die Litauische Sozialistische Sowjetrepublik ausgerufen. Wenige Tage später wurde versucht, den sowjetischen Rubel einzuführen, aber erst am 25. März 1941 wurde die litauische Währung durch die Staatskassenscheine zu 1, 3 und 5 Rubel sowie die Staatsbanknoten zu 1, 3, 5 und 10 Tscherwonzen ersetzt. Im Herbst 1941 besetzten deutsche Truppen das Baltenland; ab dem 25. Juli 1941 gehörte Litauen zum Reichskommissariat Ostland. Somit galten auch dort die Reichskreditkassenscheine. Nach der Rückeroberung Litauens durch die Rote Armee – Wilna am 13.7.1944, Kaunas am 1.8.1944 und Memel am 28.1.1945, wurde der sowjetische Rubel alleiniges Zahlungsmittel. Unklar ist bis heute, ob von den Zahlmeistern der sowjetischen Truppen auch im Gebiet um Memel die sog. alliierte Militärmark wie in der etwa 140 Kilometer entfernten ostpreußischen Hauptstadt Königsberg ausgezahlt wurde. Damals erhielten die Bewohner von Königsberg ihre Gehälter in Reichsmark und alliierter Militärmark.


Abb. 9: 5 Tscherwonzew 1937 (= 50 Rubel), Staatsbanknote,

gedruckt bei Goznak, Moskau.


Im Dezember 1947 erfolgte eine Währungsreform und die neuen Geldscheine galten bis zum 1. April 1961. Ab dem 2. Januar 1961 wurde eine neue Banknotenserie in Umlauf gegeben, die erst 1993 aus dem Verkehr genommen wurden.


Abb. 10: 50 Rublej 1947, Staatsbanknote, gedruckt bei Goznak, Moskau.


Abb. 11: 50 Rublej 1961, Staatsbanknote, gedruckt bei Goznak, Moskau.


Zu Zeiten des politischen Umbruchs in einigen Ländern Osteuropas erreichte die schon seit dem 3. Juni 1988 aktive litauische Unabhängigkeitsbewegung „Sąjūdis“ bei den Wahlen im Februar 1990 zum Obersten Sowjet der Litauischen SSR die absolute Mehrheit unter V. Landsbergis. Am 11. März erklärte der neu gewählte Oberste Sowjet Litauens als erste Unionsrepublik sein Land für unabhängig und setzte die Vorkriegsverfassung wieder in Kraft.


Nach Putsch und Wirtschaftsblockade moskautreuer Kräfte fand am 9. Februar 1991 eine Volksbefragung statt. Über 90 Prozent stimmten für ein unabhängiges Litauen.

Bis August 1991 hatten Regierungen in über 90 Ländern das wiedererstandene

Land anerkannt. Schon am 5. August 1991 wurde als Übergangswährung der „Talonas“ eingeführt. Das auch als „Tiergeld“ oder auch als „Vagnorkes“ (nach dem damaligen litauischen Ministerpräsidenten) benannte Übergangsgeld sollte eine Inflation vermeiden; Löhne und Gehälter wurden zu 20 Prozent in Talonas ausbezahlt und Waren waren nur zu 50 Prozent in Talonas erhältlich. Die Talonas waren mit dem Verlassen der sog. Rubelzone am 1. Oktober 1992 die allein gültige Währung in Litauen und bis zum 24. Juli 1993 gültig.

Abb. 12: 50 Talonų 1991, Gutschein, gedruckt bei Spindulio Spaustuvė UAB (Radius-Druckerei), Kaunas.


Mit der Einführung des Litas erhielt Litauen am 25. Juni 1993 eine neue Währung.

Der Wechselkurs war von 1993 fest an den US-Dollar und ab 2002 an den Euro gebunden. In den 1990er Jahren rechnete man 100 Litas = 56,64 D-Mark.

Abb. 13: 50 Litų 1991, Banknote, gedruckt bei U.S. Banknote Corp., Los Angeles.


Litauen wurde dann am 1. Mai 2004 Mitgliedsland in der Europäischen Union. Entsprechend den Regelungen der Euro-Zone sind alle Mitgliedsländer verpflichtet, den Euro einzuführen, sobald sie die vereinbarten Konvergenzkriterien erreichen (mit Ausnahme von Dänemark).

Dem sog. "Schengenraum" trat Litauen am 21. Dezember 2007 bei, theoretisch hätte dann unser hundertjähriger Viltautas Šaltkalvis von Klaipėda/Memel grenzenlos nach Luzern fahren und Urs Spügli treffen können. Im Jahr 2007 zählte man in der Schweiz etwa 700 Hundertjährige – in Litauen über 300 Personen. Hätte der Litauer weitere acht Jahre gelebt, könnte er auch die Euro-Banknoten in den Händen gehalten haben. Im Sommer 2014 stimmten die EU-Finanzminister einstimmig für die Aufnahme Litauens in das EU-Währungsgebiet – Währungskommissar Olli Rehn gab am 4. Juni 2014 grünes Licht für das 19. Euro-Land.

So titelte die „Tagesschau“ vom 21. August 2014 in seiner 17-Uhr-Sendung:

„Euro-Einführung in Litauen Die Erst-Scheine schickt die Bundesbank Die ersten Euro-Banknoten für Litauen liefert die Bundesbank. Wie die litauische Zentralbank mitteilte, unterzeichneten beide Zentralbanken ein entsprechendes Abkommen. Ab dem 1. Januar 2015 kommt der Euro in Litauen in Umlauf. Die Bundesbank werde in Abstimmung mit der Europäischen Zentralbank 132 Millionen Geldscheine mit einem Gewicht von 114 Tonnen nach Vilnius liefern, teilte Litauens Notenbank mit. »Wir leihen uns jetzt die Menge an Scheinen, die nötig ist, um den Euro einzuführen«, erklärte Zentralbankchef Vitas Vasiliauskas. 2016 werde die Bank die Geldscheine zurückgeben, dann bekomme Litauen eigens für das Land gedruckte Banknoten. Litauen ist seit 2004 Mitglied der Europäischen Union und wird das 19. Land sein, das den Euro bekommt. Die baltischen Nachbarn Estland und Lettland bezahlen bereits seit 2011 beziehungsweise 2014 mit dem Euro“

Die Mehrheit der Litauer schienen mehrheitlich gegen die neue Währung zu sein und zeigten auf Lettland als negatives Beispiel.

2002 wurden Stadt und Hafen Klaipėda eine freie Wirtschaftszone. Nach der Finanzkrise von 2007/08 haben sich die Volkswirtschaften in den baltischen Staaten erholt; das BIP pro Kopf wurde seit dem Jahr 2000 verdoppelt. Alle drei Länder zeigen einen robusten Wachstumskurs.


Abb. 14: 50 Euro 2002, Banknote, gedruckt bei Giesecke & Devrient, München.


Resümee

Geldscheine spiegeln auf ihre Art die historische Vergangenheit in interessanten Details wider. Auf der einen Seite erkennt man die parlamentarische Demokratie der stets neutralen Eidgenossenschaft – auf der anderen Seite gab es seit 1914 bis 1990 Millionen

Tode, Vertriebene und Verbannte durch Militarismus, Faschismus, Kommunismus und Diktatur einschließlich gewaltiger Grenzverschiebungen in Mittel- und Osteuropa.


Luzern: in der Stadt und in der gesamten Schweiz war vor 1907 und ist bis heute der Schweizer Franken alleiniges Zahlungsmittel. Herr Spügli hatte in seinem Leben außer den wenigen Kantonal-Banknoten der SNB nur 45 unterschiedliche Franken-Scheine in seiner Geldbörse. Anders bei Herrn Šaltkalvis: Memel/Клайпеда/Klaipėda: die heute litauische Stadt an der Mündung des Danės upė (Dange) in die Ostsee erlebte sieben verschiedene Währungen mit -zig in der Gestaltung sehr unterschiedenen

Geldscheinen:

  • 30.4.1874/14.3.1875 bis 16.4.1924: Mark

  • 17.4.1924 bis 23.3.1939: Umlauf des Litas, Umtausch 1924: 1 Litas ≈ 45 Mrd. M, ab 5.11.1924 = 0,40 RM

  • 23.3.1939 bis 28.5.1945: Umlauf der Reichsmark, Umtausch 1939: 1 RM = 2,50 Lt., Umtausch bis 20.5.1939

  • 28.1.1945 bis 4.8.1991: Umlauf des Rubel, Umtausch 1945: 1,00 Rubel ≈ 0,50 Reichsmark, Umtausch nur am 15.12.1947: 10 alte Rubel = 1 neuer Rubel, Umtausch vom 1.1.1961 bis 1.4.1961: wiederum 10 alte Rubel = 1 neuer Rubel

  • 5.8.1991 bis 20.7.1993: Umlauf der Talonas, Umtausch 1991: 1,00 Talonas = 1,00 Rubel

  • 1.10.1992 bis 24.7.1993 allein gültige Währung

  • 25.7.1993 bis 31.12.12014: Umlauf des Litas, Umtausch 1993: 1,00 Litas = 100 Talonas

  • 1.1.2015 bis heute: Umlauf des Euro, Umtausch 2015: 1,00 Euro = 3,45 Litas (1 LTL = 0,28962 €)

Michael H. Schöne

Abb. Michael H. Schöne, J. Dobokay, Bildarchiv Battenberg Gietl Verlag

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