Als in der Hyperinflation des Jahres 1923 die deutsche Markwährung zusammenbrach, mussten viele Kommunen nach kreativen Lösungen zur Finanzierung ihrer Infrastrukturmaßnahmen und zur Schaffung von wertbeständigem Notgeld suchen. Eine aus der Not geborene Finanzinnovation waren zu dieser Zeit die „wertbeständigen Anleihen“, die auf der Basis von Gold, Dollar, Roggen, Weizen, Kohle etc. zunehmend bis Ende 1923 – oft verbrieft in Form von Anteilscheinen – in Umlauf kamen.
So begab die Industrie- und Kommunalbank Aktien-Gesellschaft in St. Andreasberg (Harz) am 18. November 1923 eine wertbeständige Goldobligationsanleihe in Mark Gold und Dollar nordamerikanischer Währung (1 Dollar = 4,20 Mark Gold).
Der Gesamtbetrag der Anleihe sollte 225.500 Goldmark (rund 52.690 Dollars) betragen. Zur Sicherstellung der Anleihe bzw. ihrer Anteilscheine wurde durch die Gewerbebank Aktien-Gesellschaft in Hannover als Treuhänder eine erststellige Sicherungshypothek für den Gegenwert von 237.500 Goldmark auf den Grundbesitz der Bergstadt St. Andreasberg (Harz) und eines großen Teils der St. Andreasberger Industrie bestellt.
Es wurden in vier Serien als Notgeld verwendbare, wertbeständige Anteilscheine an der Goldobligationsanleihe ausgegeben, und zwar:
Serie A: 1 Dollar = 4,20 Mark Gold,
Serie B: 2 Dollars = 8,40 Mark Gold,
Serie C: 4 Dollars = 16,80 Mark Gold und
Serie D: 5 Dollars = 21,00 Mark Gold.
Die aus den Anteilscheinen resultierenden Beträge sollten am 1. April 1924 oder vierzehn Tage nach Kündigung wie folgt vergütet werden:
in so viel gesetzlichem Gelde, als dem amtlichen Mittelkurse der Berliner Börse im Durchschnitt der letzten 14 Tage vor Fälligkeit a) des amerikanischen Dollars oder b) der 6%igen Goldanleihe des Deutschen Reiches oder c) der Rentenmark entspricht.
durch kostenlose Aushändigung einer Teilschuldverschreibung der Stadt St. Andreasberg (Harz) oder der Industrie- und Kommunalbank Aktien-Gesellschaft in St. Andreasberg (Harz), die mindestens ebenso wie die bisherigen Anteilscheine hypothekarisch sichergestellt ist. Nach dem 15. April 1924 erlöschen alle Ansprüche aus den am 18. November 1923 ausgegebenen Anteilscheinen.
Die Anteilscheine liefen noch bis Ende 1923 als Bedarfs-Notgeld um.
Die Goldobligationsanleihe wurde vom Landesfinanzamt Hannover am 4.12.1923 genehmigt und bezüglich der Sicherungshypothek am 22.11.1923 notariell beurkundet. Die Anteilscheine waren Orderpapiere und konnten rückseitig mit ausgefülltem Indossament ohne Gewähr auf Personen übertragen werden bzw. lauteten an Order des Treuhänders Gewerbebank Aktien-Gesellschaft, Hannover.
Ein Indossament oder Begebungsvermerk ist ein gesetzlich vorgesehener schriftlicher Übertragungsvermerk auf einem Orderpapier, durch den die Rechte aus dem Orderpapier (insbesondere das Eigentum hieraus) ganz oder teilweise auf einen neuen Begünstigten übertragen werden.
Industrie- und Kommunalbank Aktien-Gesellschaft in St. Andreasberg (Harz), Anteilschein Serie A, Nummer 17, über 4,20 Mark Gold = 1 Dollar nordamerikanischer Währung, ausgegeben St. Andreasberg (Harz) am 18. November 1923.
Industrie- und Kommunalbank Aktien-Gesellschaft in St. Andreasberg (Harz), Anteilschein Serie C, Nummer 63, über 16,80 Mark Gold = 4 Dollar nordamerikanischer Währung, ausgegeben St. Andreasberg (Harz) am 18. November 1923.
Industrie- und Kommunalbank Aktien-Gesellschaft in St. Andreasberg (Harz), Anteilschein Serie D, Nummer 2680, über 21 Mark Gold = 5 Dollar nordamerikanischer Währung, ausgegeben St. Andreasberg (Harz) am 18. November 1923.
Industrie- und Kommunalbank Aktien-Gesellschaft in St. Andreasberg (Harz), Anteilschein Serie D vom 18. November 1923 (Rückseite mit Indossament-Feld und Kündigungs- bzw. Rückzahlungsbedingungen).
Die Anteilscheine der Industrie- und Kommunalbank A.-G. in St. Andreasberg (Harz) sind extrem selten zu finden. Sie sind katalogisiert in:
Manfred Müller: "Deutsches Notgeld, Band 12: Das wertbeständige Notgeld der deutschen Inflation 1923/1924" unter Nr. 4280.
Die Anteilscheine sind auch von Arnold Keller in seinem Katalog „Das wertbeständiges Notgeld (Goldnotgeld) 1923/24“ beschrieben worden (im unveränderter Nachdruck der zweiten Auflage von 1954).
Hans-Georg Glasemann
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