Wie die Versorgung der Schweiz mit Banknoten während des Zweiten Weltkriegs gelang
Mit der Ausgabe der zweiten Banknotenserie ab 1911[1] hatte sich die Schweizerische Nationalbank entschieden, Banknoten in den Wertstufen zu 50 bis 1000 Franken nicht in der Schweiz drucken zu lassen, sondern durch die Firma Waterlow & Sons in London.
Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges hatte sich daran nichts geändert. Zwar war der Druck von Scheinen zu 5 und 20 Franken der Schweizer Druckerei Orell Füssli in Zürich übertragen worden. An eine Vergabe des Druckauftrages in die Schweiz auch für die höheren Wertstufen traute sich die SNB jedoch nicht, obwohl Orell Füssli diesbezüglich immer wieder an die SNB herangetreten war. Die Qualität der in London im Stahlstich gedruckten Banknoten schien Schweizer Druckerzeugnissen überlegen, gleichwohl Orell Füssli mit der ab 1930 ausgegeben Banknote zu 20 Franken Typ „Pestalozzi“[2] erstmals eine Banknote im Tiefdruck anfertigte, der dem für die Vorgängernote Typ „Vreneli“ verwendeten Stein- bzw. Offsetdruck hinsichtlich der Fälschungssicherheit überlegen war. An der Vergabe des Druckauftrages nach London wollte man seitens der SNB nicht rütteln, weil man sich von den durch eine international tätige Banknotendruckerei hergestellten Noten die Einhaltung bestmöglicher Standards hinsichtlich des Fälschungsschutzes versprach.
Gebäude von Waterlow & Sons im Londoner Stadtteil Finsbury, um 1934. Quelle: https://www.gracesguide.co.uk/File:Im1934BCI-Water07.jpg
Unter normalen Umständen konnten die von Waterlow & Sons gedruckten Noten innerhalb weniger Tagen von London nach Bern speditiert werden. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 wurden bei der SNB die Sorgenfalten hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Banknotenversorgung aus London tief – wie konnte für den Fall, dass die Transportwege von London in die Schweiz unterbrochen wären, sichergestellt werden, dass die Versorgung der Schweiz mit Banknoten nicht ausbliebe? Schon während des Ersten Weltkriegs war der Transport von Banknoten aus London zeitweilig unterbrochen gewesen. Würde eine solche Situation erneut eintreten? Immerhin führte der Transportweg der Scheine in England per Zug bis zur englischen Kanalküste, sodann per Schiff über den Ärmelkanal nach Frankreich und von dort weiter per Bahn nach Bern. England und Frankreich befanden sich im Kriegszustand mit Deutschland, es drohten Angriffe insbesondere auf den Schiffsverkehr über den Ärmelkanal durch deutsche U-Boote.
Die SNB begann mit den Vorbereitungen zur Schaffung von Reservenoten im Falle einer Knappheit bei der Banknotenversorgung aus London. Ein erster Schritt war der ab November 1939 eingeleitete Überdruck von 30 Serien der von Orell Füssli gedruckten 100-Frankennote Typ „Tell“ mit Ausgabedaten von 1918 bis 1920[3]. Eine Vorgängerversion dieses Scheins mit leicht verändertem Kopfbildnis[4] war schon im September 1918 ausgegeben worden, erwies sich jedoch wegen der Druckausführung als nicht ausreichend fälschungssicher und musste daher zurückgerufen werden. Die Scheine erhielten einen Sicherheitsaufdruck, der den Fälschungsschutz verbessern sollte. Das Ganze blieb eine Übergangslösung für den Notfall. Die SBN blieb von Banknotenlieferungen aus England abhängig.
Reservenote zu 100 Franken mit Datum 4. Dezember 1942, gedruckt bei Orell Füssli in Zürich. Die Note wurde nie ausgegeben.
In den ersten Monaten nach Kriegsausbruch blieben Kampfhandlungen in Westeuropa aus. Mit der als „drôle de guerre“ (komischer Krieg) bezeichnen Anfangsphase des Zweiten Weltkrieges in Westeuropa trat ein Zustand ein, in dem Großbritannien und Frankreich dem Deutschen Reich zwar den Krieg erklärt hatten[5], die Kriegsparteien sich militärisch jedoch weitgehend passiv verhielten. In Bern und Zürich fragte man sich, ob und wie lange dieser Zustand anhalten würde. Konnte man weitere Banknotentransporte über das Territorium von Staaten im Kriegszustand in die Schweiz riskieren, und Waterlow & Sons neue Druckaufträge erteilten? Die SNB entscheid sich schließlich, dieses Risiko einzugehen.
Anfang November 1939 – zwei Monate nach Kriegsausbruch – traf ein planmäßiger Transport von Banknoten in Bern ein. Es handelte sich um 350.000 Scheine zu 100 Franken und 400.000 Scheine zu 50 Franken. Der Transport dauerte 3 ½ Tage und wurde durch die Firma Machinery & Technical Transport mit Sitz in London organisiert[6]. Trotz des seit zwei Monaten herrschenden Kriegszustandes erfolgte die Verladung per Schiff über den Ärmelkanal und weiter per Zug durch Frankreich reibungslos. Die SNB profitierte – trotz kriegsbedingt erhöhter Transportkosten – sogar noch von rund 11% günstigeren Druckkosten gegenüber dem letzten Auftrag zu Friedenszeiten, denn der Wechselkurs des englischen Pfundes war mit Kriegsausbruch gegenüber dem Schweizer Franken gefallen.
Durch die SNB waren bei Waterlow & Sons bereits weitere Noten bestellt worden, über deren geplante Auslieferung in der Direktoriumssitzung vom 3. November 1939 durch das für die Bargeldversorgung zuständige II. Department des SNB wie folgt berichtet wurde:
200.000 Stück zu 1000 Franken (Serien 1M und 1N mit Ausgabedatum 7. September 1939), versandbereit am 12. Dezember 1939 und am 17. Januar 1940;
200.000 Stück zu 500 Franken (Serien 1J und 1K mit Ausgabedatum 7. September 1939), versandbereit am 27. Dezember 1939 und am 31. Januar 1940;
1.000.000 Stück zu 100 Franken (Serien 9C bis 9M mit Ausgabedatum 3. August 1939), monatlich 4 Serien, versandbereit bis Mitte März 1940, sowie
1.000.000 Stück zu 50 Franken (Serien 9G bis 9Q mit Ausgabedatum 3. August 1939), ebenfalls monatlich 4 Serien bis versandbereit bis Mitte März 1940.
Da im Dezember 1939 erneut ein Transport aus London wohlbehalten in Bern eintraf, war man guter Dinge, dass die Transportwege in die neutrale Schweiz trotz des Krieges weiter offenbleiben würden. Daher entschied die SNB, Waterlow & Sons mit weiteren Druckaufträgen zu betrauen. Am 19. Februar 1940 beauftragte man je 1 Millionen Noten zu 50 Franken und zu 100 Franken. Ein weiterer Transport Schweizer Noten aus London erreichte Bern planmäßig Anfang Mai 1940. Es sollte vorerst der letzte bleiben.
Traf mit dem letzten planmäßigen Transport aus London Anfang Mai 1940 in Bern ein: Banknote zu 50 Franken mit Ausgabedatum 3. August 1939, Kontrollnummer 9N 030901.
Mit dem Ausbruch von Kampfhandlungen in Westeuropa ab Anfang Mai 1940 änderte sich die Situation schlagartig: Am 10. Mai 1940 besetzte die Deutsche Wehrmacht die Niederlande und Belgien, am 25. Juni 1940 trat ein Waffenstillstand mit Frankreich in Kraft; Teile Frankreichs wurden durch deutsche Truppen besetzt. Ein für Ende Mai 1940 geplanter Transport per Schiff von Liverpool nach Bordeaux und von dort über Lyon nach Bern wurde zunächst verschoben und sodann durch Waterlow & Sons am 17. Juni 1940 endgültig storniert: Der Landtransportweg durch Frankreich war blockiert.
Ab Juli 1940 setzten zudem massive deutsche Luftangriffe auf England ein, die auch die Produktionsstätten bei Waterlow & Sons beschädigten, wobei die SNB über das Ausmaß der Schäden und die Auswirkungen der Kriegsereignisse auf den Banknotendruck für die Schweiz zunächst keine Vorstellungen hatte. Eine deutsche Invasion in England stand zu befürchten. Der Versorgung der Schweiz mit Banknoten aus Londoner Produktion stand unvermittelt auf der Kippe.
Mitte Juli 1940 entschied die SNB, trotz unterbrochener Transportwege Waterlow & Sons mitzuteilen, dass der Druck der Banknoten zu 50 und zu 100 Franken, der im Februar 1940 beauftragt worden war, fortgesetzt werden sollte, sofern die Kriegsverhältnisse in England eine weitere Tätigkeit von Waterlow & Sons überhaupt gestatteten. Allerdings wurde der Druckauftrag auf die Hälfte des ursprünglich erteilten Auftragsvolumens beschränkt.
Man hoffte, dass eine – wenn auch zeitlich gestreckte – Ausführung des erteilten Druckauftrages in London noch möglich sein würde.
Mitte August 1940 konnte das II. Department der SNB dem Direktorium mitteilen, dass Warterlow & Sons die Serien 9N bis 9R der Scheine zu 100 Franken sowie die Serien 9R bis 9V der Scheine zu 50 Franken habe fertigstellen können. Diese lägen in London bereit, könnten aber nicht versandt werden. Trotz der noch nicht erfolgten Ablieferung – erst einen Monat nach Lieferung wurde die Vergütung von Waterlow & Sons zur Zahlung fällig – entschloss sich die SNB, die Hälfte der bereits fertig gestellten Noten (also ein Viertel des gesamten Druckauftrages) zu bezahlen.
Wie und auf welchen Wegen konnten die fertig gedruckten Scheine aus den Tresoren von Waterlow & Sons in London in die Tresore der SNB nach Bern gelangen? Überlegungen dazu setzen ein sowohl bei der SNB als auch bei Waterlow & Sons, mit denen die SNB per Brief (deren Laufzeit mehrere Wochen betrug) sowie über Radiogramm[7] in Verbindung blieb.
Da sich für das Transportproblem keine schnelle Lösung abzeichnete, entschied das Direktorium der SNB, mit der Freigabe der zweiten Hälfte des ursprünglichen Auftrages vom Februar 1940, sowie mit weiteren Aufträgen noch abzuwarten . Erst in der Direktoriumssitzung vom 30. Oktober 1941 wurde auf Anregung von Bankratspräsident Dr. Bachmann beschlossen, die noch ausstehende zweite Hälfte der Druckauftrages vom Februar 1940 bezüglich der 50-Frankennote wieder anzustoßen und deswegen mit Waterlow & Sons Kontakt aufzunehmen. Überlegt – und später wieder verworfen - wurde zugleich, neben den Unterschriften auch die Serien und Nummern nunmehr in der Schweiz auf die von Waterlow & Sons gelieferten Notenformulare aufdrucken zu lassen, damit im Falle eines Verlustes der Noten auf dem Transport keine ausgabefertigen Scheine in unbefugte Hände gelangten, die man nur schwer hätte aus dem Umlauf zurückrufen können.
Am 19. November 1941 erhielt Waterlow & Sons schließlich den Auftrag zur Fertigstellung des Druckauftrages vom Februar 1940, und zwar für die Serien 9W bis 10A der Scheine zu 50 Franken und die Serien 9S bis 9W der Scheine zu 100 Franken, beide mit Ausgabedatum
15. Februar 1940. Denn zwischenzeitlich hatte ein Teil der im August 1940 fertig gestellten Scheine auf abenteuerlichen Wegen die Schweiz erreicht.
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Dr. Sven Gerhard
Anmerkungen
[1] Richter/Kunzmann CH 1-3, 7-9, 13-15, CH 21-23; Pick P.5/34, 6/28,35; 7/29/36 und 6/30/37
[2] Richter/Kunzmann CH 29, Pick 39
[3] Richter/Kunzmann RS4, Pick 10.
[4] Richter/Kunzmann CH14, Pick 9.
[5] Am 3.September 1939.
[6] Protokoll der Direktoriumssitzung vom 3. November 1939.
[7] Ein durch Funk übermitteltes Telegramm.
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