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AutorenbildUwe Bronnert

Die Regiefranken der Régie des Chemins de Fer des Territoires Occupés 1923/24

Aktualisiert: 22. Juni 2021

Am 11. Januar 1923 marschierte französisches und belgisches Militär in das Ruhrgebiet ein, um Kohle und Koks zu „pfänden“. Als Vorwand dienten geringe Lieferrückstände bei den Reparationsleistungen. Die Reichsregierung antwortete hierauf, indem sie die Bevölkerung des Ruhrgebiets zum passiven Widerstand aufrief. Alle Bediensteten der Reichsbahn erhielten am 19. Januar die Anweisung, keine Transporte von Reparationskohle nach Frankreich und Belgien abzufertigen. Am 30. Januar wurde das Verbot auch auf die altbesetzten Gebiete ausgeweitet. Dadurch kam der Eisenbahnverkehr im Laufe des Februars auch in den linksrheinischen Teilen der Rheinprovinz und Anfang März schließlich auch in der Pfalz nahezu völlig zum Erliegen. Auch die Reichsbahndirektionen in den besetzten Gebieten wurden ins unbesetzte Gebiet verlegt: Ludwigshafen nach Mannheim, Mainz nach Darmstadt, Trier nach Gießen und Essen nach Hamm in Westfalen.

„Unter diesen Umständen bereiteten die französischen und belgischen Feldeisenbahner ab dem 1. März 1923 die Aufnahme eines provisorischen Eisenbahnverkehrs auf den wichtigsten Strecken der besetzten Gebiete vor. … Am 10. März 1923 wurden der Unterdirektor der französischen Staatseisenbahn, Breaud, zum Direktor sowie der leitende Ingenieur der belgischen Staatseisenbahn, Berger, sowie der Vizedirektor der Betriebswirtschaftsabteilung der französischen Staatseisenbahn, Frant, zu beigeordneten Direktoren einer Regie der Eisenbahnen in den besetzten Gebieten (Régie des chemins de fer des territoires occupés) ernannt.“[1]

Der Sitz der Regieverwaltung war ab 19. März 1923 zunächst in Düsseldorf und ab 8. April in Mainz. Im Regie-Gebiet wurden sechs Eisenbahndirektionen eingerichtet: Ludwigshafen, Mainz, Trier, Aachen, Düsseldorf und Essen. Wegen der Arbeitsverweigerung der meisten deutschen Eisenbahner wurden etwa 13.000 französische sowie 2.600 belgische Eisenbahner rekrutiert. Hinzu kamen ca. 3000 französische und belgische Hilfskräfte und rund 7000 deutsche Kollaborateure. Die von der Regiebahn requirierten Strecken variierten je nach Bedarf der Pfänder-Verwaltung und betrugen Ende September 1923 bei den Hauptbahnen knapp 2800 km und bei den Nebenbahnen 1200 km. 1300 Gleis-Kilometer lagen still. Diese 5300 km entsprachen etwa einem Zehntel des reichsweiten Streckennetzes.

Wurde die Regiebahn von der deutschen Bevölkerung zunächst gemieden, so änderte sich dies, je länger der passive Widerstand dauerte. Die Zahl der Reisenden betrug Ende April 1923 nur 581.000, stieg aber im August 1923 auf 3,2 Mio. an.

Die katastrophale wirtschaftliche Situation zwang die deutsche Regierung unter Gustav Stresemann dazu, einzulenken und den Ruhrkampf am 26. September 1923 abzubrechen. Angesichts der galoppierenden deutschen Inflation stand die französische Militärverwaltung im besetzten Gebiet vor einem ähnlichen Währungsproblem wie die Reichsregierung im übrigen Reich.

„Durch Verordnung vom 19. Oktober 1923 wurde die französische Regieverwaltung der besetzten Eisenbahn ermächtigt, sogenannte Beförderungsgutscheine auszugeben, die auf französische Franken lauteten.“[2]

Am 20. Oktober veröffentlichte die französische Nachrichtenagentur Havas eine Ordonnanz der Internationalen Rheinlandkommission, die in der Berliner Börsen-Zeitung Nr. 490 vom 21. Oktober 1923 in einer Übersetzung veröffentlicht wurde:

Abb.1: Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 490 vom 21. Oktober 1923, Morgenausgabe


Zur Ausgabe gelangten zehn undatierte Geldscheine: 0,05; 0,10; 0,25; 0,50; 1; 5; 10; 20; 50 und 100 Francs. Abgesehen von Größe und farblicher Gestaltung ist ihre Gestaltung gleich. Nur das Papier der Scheine zu 50 und 100 Francs weist die Abkürzung „RCFTO“ für Régie des Chemins de Fer des Territoires Occupés als Wasserzeichen auf.

Die Vorderseite der Transportbons wird von einem Rahmen aus Weintraubendolden und Weinblättern begrenzt; in den Ecken „T“ bzw. „O“, im oberen Rahmen mittig die Darstellung einer Dampflokomotive; darunter innerhalb des eingerahmten Feldes in einem Schriftband zweizeilig „RÉGIE DES CHEMINS DE FER / DES TERRITOIRES OCCUPÉS“, darunter „BON POUR“ und die Wertangabe. Rechts von der Wertangabe eingerahmt ist der sechszeilige Text „GÜLTIG / ZUR ZAHLUNG / ALLER AN DIE / EISENBAHNEN / GESCHULDETEN / BETRAGE“ zu lesen, entsprechend links in französischer Sprache. Im unteren Feld befinden sich die beiden Unterschriften, rechts die des Direktors Bréaud und links die des Leiters der Buchhaltung; unter dem Rahmen in der Mitte der Hinweis auf die Druckerei: „Imp. PAUL DUPONT. Paris“. In der Mitte des Scheines zeigt der Unterdruck in einem Kreis die Burg Sooneck: Sie steht auf dem nordöstlichen Steilhang des Binger Walds unweit von Niederheimbach zwischen Bingen und Bacharach am Rhein. Serienbuchstabe und -ziffer(n) befinden sich links unterhalb des oberen Rahmens sowie rechts eine sechsstellige Kennziffer, die in der Mitte durch ein Komma geteilt ist. Beide in schwarzem Druck.


Die Rückseite wird ebenfalls durch den entsprechenden Rahmen eingefasst. Allerdings fehlen hier die vier Buchstaben in den Ecken. Innerhalb des Rahmens liegt in der rechten unteren Ecke mit aufrechtem Oberkörper und einem Füllhorn in der Hand „Vater Rhein“. In einem Kreis in der linken oberen Ecke wird die Wertangabe angegeben. Rechts davon befindet sich jeweils vierzeilig die Strafandrohung in französischer und deutscher Sprache: „WER GUTSCHEINE NACHMACHT ODER NACHGEMACHTE IN VERKEHR BRINGT / WIRD MIT DER VON DER HOHEN INTERALLIIERTEN RHEINLANDKOMMISSION / VERHANGTEN STRAFE BELEGT“. Auf dem unteren Rand unterhalb des Rahmens befindet sich links die Angabe des Entwerfers („R. VERGNOT DEL.“) und rechts der Name des Graveurs der Druckplatte („E. De Ruaz sculp.“). Die gesamte Rückseite zeigt im Unterdruck eine Ansicht der Stadt Mainz vom Rhein betrachtet.


Abb. 2.1 und 2.2: 0,05 fr., Vorder- und Rückseite


Abb. 2.3: Musternote mit B.21, 0,05 fr., Vorderseite


Abb. 3.1 und 3.2: 0,10 fr., Vorder- und Rückseite


Abb. 4.1 und 4.2: 0,25 fr., Vorder- und Rückseite


Abb. 5.1 und 5.2: 0,50 fr., Vorder- und Rückseite


Abb. 6.1 und 6.2: 1 fr., Vorder- und Rückseite


Abb. 7.1 und 7.2: 5 frs., Vorder- und Rückseite


Abb. 8.1 und 8.2: 10 frs., Vorder- und Rückseite


Abb. 9.1 und 9.2: 20 frs., Vorder- und Rückseite


Abb. 10.1 und 10.2: 50 frs., Vorder- und Rückseite

Quelle: URL:http://multicollec.net/3-bi-h2/3h230 (11.05.2020)


Abb. 11.1 und 11.2: 100 frs., Vorder- und Rückseite

Quelle: URL:http://multicollec.net/3-bi-h2/3h230 (11.05.2020)


Am 24. Oktober 1923 verhandelte die Bezirksleitung Essen des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes mit General Degoutte über Fragen der Arbeitsaufnahme, Besteuerung der Industrieprodukte, Wirtschaftsausschüsse und Ausweisungen.

Unter Punkt V. kam man auch auf die Einführung der Frankenwährung bei der Regiebahn zu sprechen.[3] Die Gewerkschaftsvertreter bemängelten, dass

„lt. Verfügung der Besatzungsbehörde .. ab 24. d. Ms. nur französisches Geld an den Bahnhöfen in Zahlung genommen [würde]. Die Reisenden, besonders auch die Arbeiter, die Arbeiterzüge benutzen, sind nun gezwungen, sich erst Franken zu beschaffen, die sie mangels genügender Wechselstuben bei den vor den Bahnhöfen stehenden Schiebern einkaufen können. Das ist ein großer Mißstand, daß zur Zeit der Not auch noch diese Gesellschaft die Massen auswuchert.“

Der General teilte die Ansichten der Gewerkschaftsvertreter, und dass sich hier etwas ändern müsse. Er erklärte:

„Die Regie hat auch bereits ein Notgeld vorgesehen, das in den nächsten Tagen zur Ausgabe gelangt, ist also ein wertbeständiges Zahlungsmittel, daß die Regie jederzeit in Zahlung nimmt.“

Die Transportbons gelangten ab 11. November 1923 in Umlauf.[4] Sie konnten mit französischen oder anderen Devisen erworben werden und zunächst nur zu einem beschränkten Teil durch Papiermark.

„Diese Einschränkung ist nach der Stabilisierung der Papiermark trotz gelegentlich anderslautenden Pressemitteilungen in den ersten Dezembertagen wieder aufgehoben worden, da die Papiermark seitdem keine Kursverluste mehr erlitt.“[5]

Schacht bemerkt, dass

„der Verkehr … die Regiefranken in derselben Weise auf[nahm] wie die französischen Franken, und sie bürgerten sich in den Zahlungsumlauf des kleinen Verkehrs ein in weit höherem Umfange, als die eigentliche Verwendbarkeit in ihrer Beschränkung als Eisenbahnzahlungsmittel gestattet hätte.“[6]

Nach Unterzeichnung des Londoner Abkommens vom August 1924 und dem Inkrafttreten des Dawes-Plans am 1. September 1924 entfiel der Grund für den Regiebetrieb und am 15. November 1924 wurden die Eisenbahnen wieder an die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft übergeben. Damit verloren auch die Transportbons ihre Existenzberechtigung. Nach einem Abkommen zwischen der Deutschen Reichsbahn und der französischen Régie wurden die Bons im Wert von bis zu 5 Francs in der Zeit vom 24. November bis 15. Dezember 1924 von den Kassen der Reichsbahn sowie die höheren Werte vom Abwicklungsdienst der Régie selbst eingelöst, und zwar zu dem von der Interalliierten Rheinlandkommission festgesetzten Kurs von 4,4488 Francs für eine Reichsmark.[7]


Eigentlich wäre ich hier am Ende meiner Betrachtungen über die Regiefranken, wenn nicht am 9. Mai 1924 die badische Polizei in Ludwigshafen einen Dienstmann verhaftet hätte, der gefälschte Regiefranken umzutauschen versuchte.[8] Die Beamten konnten nicht ahnen, dass sie mit ihrer Festnahme in ein Wespennest stachen und die sogenannte „Regiefrankenaffäre“ auslösten. Es war klar, dass dieser einfache Arbeiter nicht der Urheber der Fälschungen war. Zu professionell war ihre Ausführung, als dass sie dem normalen Publikum aufgefallen wären. Erst bei genauerer Betrachtung fallen die kleinen Unterschiede auf. Die Farben sind bei der Fälschung weniger leuchtend, die Schrift ein wenig verschwommen. Bei der Dampflokomotive fehlt die Rauchfahne und Vater Rhein blickt grimmiger. Das Papier hat einen leicht anderen Farbton.


Abb. 12.1 und 12.2: Fälschung, 20 frs., Vorder- und Rückseite

Bei den Ermittlungen stieß man auf den Zahnarzt Dr. Hermann Eberlein. Gleichzeitig gelangte die „Pfalzzentrale“ in den Fokus der Untersuchungen. Sie unterstützte nicht nur den passiven Widerstand gegen die französische Besatzung, sondern schmuggelte wiederholt Waffen, Munition und Sprengstoff in die Pfalz, mit denen Sabotageakte durchgeführt und im Kampf gegen die Separatisten eingesetzt wurden. Leiter der Organisation war der Vater des Zahnarztes, Hauptmann d. R. Dr. August Ritter von Eberlein (1877 – 1949), ehemals Direktor der höheren Mädchenschule Pirmasens.

Die Organisation ging aus der „Bayerischen Zentralstelle für pfälzische Angelegenheiten“ hervor. Ihr Gründer war der am 31. Mai 1919 wegen seines Widerstands gegen die französische Pfalzpolitik ausgewiesene Speyerer Regierungspräsident Theodor von Winterstein (1861 – 1945). Die Zentralstelle hatte ihren Sitz in Mannheim und verfügte als Propaganda-, Nachrichten- und Auskunftsdienst über ein dichtes Netz von Informanten in den pfälzischen Behörden sowie über einen geheimen Kurierdienst in der Pfalz. Die Arbeit der Zentralstelle wurde parteiübergreifend durch einen Aktionsausschuss aus Vertretern der SPD, BVP, DVP und DDP sowie Repräsentanten der pfälzischen Wirtschaft unterstützt. Die notwendigen finanziellen Mittel stellten das Reich und die bayerische Staatsregierung zur Verfügung. Der Sitz wurde im März 1921 nach Heidelberg verlegt und der Name in „Zentralfürsorgestelle für das besetzte Gebiet“ umbenannt. Auf Betreiben der Alliierten wurde die Organisation am 1. Oktober 1921 offiziell aufgelöst. Insgeheim bestand sie jedoch in der Firma „August Müller Nachf., Kommissionshandlung für Lebensmittel, insbesondere Kartoffeln“ in Mannheim weiter und arbeitete später als „Haupthilfsstelle für die Pfalz“ – kurz „Pfalzzentrale“ genannt – in Heidelberg.[9]

Nach der Aufdeckung ihrer fragwürdigen Aktivitäten und der Verwicklung in die Falschgeldaffäre schloss der badische Innenminister Adam Remmele (1877 – 1951), gestützt auf einen Kabinettsbeschluss, in den frühen Morgenstunden des 10. Mai 1924 die Pfalzzentrale. Dr. Hermann Eberlein, der in Reutlingen als Assistenzarzt tätig war, fand milde Richter. Ein Heidelberger Schöffengericht verurteilte ihn wegen Urkundenfälschung und Gebrauchs gefälschter Urkunden lediglich zu einer dreimonatigen Bewährungsstrafe.


Uwe Bronnert


Anmerkungen: [1] Christoph Steegmans, Die finanziellen Folgen der Rheinland- und Ruhrbesetzung 1918 – 1930, Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Nr. 89, hrsg. v. Jürgen Schneider, Markus A. Denzel, Rainer Gömmel, Ulrich Kluge, John Komlos, Stuttgart 1999, S. 265 f. [2] Hjalmar Schacht, Die Stabilisierung der Mark, Berlin und Leipzig 1927, S. 98. [3] Nr. 176, Verhandlungen der Bezirksleitung Essen des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes mit General Degoutte im Stahlhof zu Düsseldorf am 24. Oktober 1923, 18.30 Uhr, URL: https://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/0000/str/str2p/kap1_1/para2_63.html (11.05.2020). [4] Rudolf Wilhelmy, Geschichte des deutschen wertbeständigen Notgeldes von 1923/24, Diss. Freie Universität Berlin 1962, S. 129. Auf der französischen Internetseite URL:<http://multicollec.net/3-bi-h2/3h230> (11.05.2020) wird als erster Ausgabetag der 1. November 1923 genannt. [5] Rudolf Wilhelmy, S. 129. [6] Hjalmar Schacht, S. 98. [7] S. Rudolf Wilhelmy, S. 130. [8] Helmut Gembries, Regiefranken, 1923/24, publiziert am 16.04.2007; in: Historische Lexikon Bayerns. URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Regiefranken,_1923/24> (11.05.2020). [9] S. Helmut Gembries, Bayerische Zentralstelle für pfälzische Angelegenheiten, 1919-1924, publiziert am 03.07.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bayerische_Zentralstelle_für_pfälzische_Angelegenheiten,_1919-1924> (12.05.2020).

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