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AutorenbildMichael H. Schöne

Ein Handwagen voller Notgeld für den Restkreis im Vogtland

Aktualisiert: 8. Feb.

Nach der Verwaltungsreform in Sachsen vom Juni 1816 wurden sog. Amtshauptmannschaften als neue territoriale Gliederungen im Königreich gebildet. Nach dem 15. Oktober 1874 wurden die Grenzen neu gezogen und aus den Gerichtsamtsbezirken Adorf, Markneukirchen und Oelsnitz entstand die Amtshauptmannschaft Oelsnitz. Die Umbenennung für das sächsisch-vogtländische Gebiet erfolgte dann 1939 im Zuge der nationalsozialistischen Gesetzgebung.1) Der Landkreis Oelsnitz i. V. existierte dann bis zur Abschaffung der Länder in der DDR im Juli 1952. In der Zwischenzeit gab es aber auch den sog. Restkreis Oelsnitz i. V. ... für 21 Tage: vom 16. April bis zum 6. Mai 1945.


Abb. 1: der Restkreis zwischen Sachsen, Bayern und dem damaligen Reichsgau Sudetenland.



In den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs war die Reichsdruckerei in Berlin nicht mehr in der Lage, ausreichend Geldscheine zu drucken und durch die Reichsbankstellen auszuliefern. So erschienen diese oder ähnliche Bekanntmachungen in Sachsen:

„Da die Heranbringung von Geldern der Reichsbank außerordentlich schwierig ist, werden RM-Markscheine als Notgeld ausgegeben. ... Diese Scheine stellen den gleichen Wert wie die Reichsbankgeldscheine dar. Sie werden von allen öffentlichen Kassenstellen ... in Zahlung genommen. ...“

Tatsächlich wurden auch für das vogtländische Gebiet um Oelsnitz/Adorf/Markneukirchen Notgeldscheine gedruckt, aber nicht mehr ausgegeben; amtliche Unterlagen dazu ließen sich nicht mehr finden.


Seit den 1980-er Jahren ist aber ein Schriftstück überliefert, das ausführliche Auskunft über den Druck von Gutscheinen für den Restkreis gibt. Der damalige Drucker gab vor einem Notar in Klingenthal folgende Erklärung ab:

„Anfang Mai 1945 weilte ich wegen einer Verwundung in Markneukirchen. Ich arbeitete in der ehemaligen Druckerei J. Schmidt KG, jetzt VEB Druckerei Markneukirchen, hier, Roter Markt 5. Anfang Mai 1945 habe ich dort unter Aufsicht von Polizei Notgeld-Gutscheine in Reichsmark-Währung hergestellt. Die Scheine wurden im Hochdruckverfahren „vom Satz“ (ohne Druckplatten) auf maschinenglattes Papier gedruckt. Verwendet wurden Bogen zu etwa acht bis zwölf Nutzen, die dann geschnitten wurden. Der Buchdruck geschah dreifarbig – zuerst ein rosé Untergrund nach Marées. Ausgabeort und -Datum lauteten »Adorf i. V., 28. April 1945«. Als verantwortlich war »der Landrat des Restkreises« ausgegeben. Gezeichnet hatte der »mit der kommissarischen Führung beauftragte Bürgermeister« von Adorf i. V. »Dönitz«. Auf Grund der langen Zeitspanne kann ich mich nicht mehr genau an die einzelnen Werte erinnern. Vermutlich handelte es sich um 50 Reichspfennig, 1,– RM, 10,– RM, 20,– RM und 50,– RM. Mit Herrn Otto Schmidt sen. (verstorben) habe ich am Sonnabend, dem 5. Mai 1945, gegen mittag das Geld in einem Handwagen zum Rathaus geschafft und dort abgegeben. Da am nächsten Tag, Sonntag, dem 6. Mai 1945, US-Truppen die Stadt Markneukirchen besetzten, ist das Notgeld nicht mehr zur Ausgabe an die Bevölkerung gelangt.«

Abb. 2: Erklärung des Buchdruckers W. Zimmer vom 2. September 1974 über den Notgeld-Druck.



Die Gründe der abgegebenen Erklärung von Werner Zimmer sind bis heute unbekannt, waren aber in den 1970-er Jahren wohl erforderlich. Gab es seinerzeit irgendwelche Vorwürfe, Behauptungen oder Anschuldigungen gegen irgendjemand?


Am 11. November 1974 beglaubigte der Klingenthaler Notar Dr. Gottfried Neubert die Erklärung unter Nr. UR 342/1974 und erstellte eine Kostenrechnung über 2,06 Mark für einen angesetzten Wert von 800,00 Mark.

Tatsächlich war die 300 bis 350 Meter lange Strecke zu Fuß mit einem Handwagen vom Roten Markt zum Rathaus in nur fünf Minuten zu bewältigen. Am 6. Mai 1945 erreichten US-Truppen die Stadt, nachdem sie Tage zuvor schon Hof, Asch (Aš) und Eger (Cheb) eingenommen hatten; nach dem Befehl von General Clarence R. Huebner, Kommandant des V. Corps (3rd US Army, 1st Infantry Division), sollten sie gemeinsam mit der 9. US-Panzerdivision das gesamte Vogtland ab 5. Mai besetzen und Karlsbad (Karlovy Vary) einnehmen.


Bis dahin hatte sich die Wehrmacht in die Wäldern um Oelsnitz, Schöneck, Adorf, Markneukirchen und Bad Elster zurückgezogen. Der entstandene Restkreis umfasste außer den fünf Städten auch die Gemeinden Arnoldsgrün, Arnsgrün, Bad Brambach, Bärendorf, Breitenfeld, Erlbach, Eschenbach, Eubabrunn, Freiberg, Gopplasgrün, Gürth, Gunzen, Hermsgrün, Hohendorf, Jugelsburg, Landwüst, Leubetha, Marieney, Mühlhausen, Oberbrambach, Oberwürschnitz, Ober- und Untergettengrün, Raun, Rebersreuth, Remtengrün, Rohrbach, Saalig, Schilbach, Schönberg, Schönlind, Siebenbrunn, Sohl, Unterwürschnitz, Wernitzgrün, Willitzgrün, Wohlbach und Wohlhausen.

Deshalb druckte man auf die Gutscheine:

„Gültig für den in deutscher Hand befindlichen Restkreis Oelsnitz i. V. bis zum Aufruf durch öffentlich Bekanntmachung. ... Der Landrat des Restkreises. Mit der kommissarischen Führung beauftragt: Dönitz, Bürgermeister.“

Dr. Fritz Rudimann Dönitz (1883–1947) war seit 1920 Bürgermeister von Adorf, wurde am

25. April 1945 auch zum Landrat des Restkreises ernannt und am 4. Juni 1945 von der US-amerikanischen Militärregierung durch Commander Webber vom Amt abberufen. Nach der Übernahme des Gebiets durch die Rote Armee wurde Dönitz (nicht verwandt mit dem letzten Reichspräsidenten Karl Dönitz) am 12. Dezember 1945 verhaftet und starb am 20. Februar 1947 im Sowjetischen Speziallager Nr. 6 in Jamlitz/Oberspreewald.


Der Druck der Scheine wurde von den Stadträten in Adorf und Markneukirchen genehmigt und vorbereitet. Die Druckerei J. Schmidt KG Markneukirchen, die auch eine Niederlassung bis in die Kriegszeit in Berlin-Charlottenburg betrieb, wurde im März 1951 enteignet und in „Volkseigentum“ überführt, aber bis mindestens 1966 noch unter ihrer Firmierung geführt. Gegen eine Teil-Demontage der Druckerei erhoben im November 1946 die Eigentümer Einspruch.2)


Abb. 3: Briefkopf der Buch- und Offsetdruckerei von 1928.


Abb. 4: früheres Gebäude der Druckerei im April 2007, © 2007 Peter Ihde, Markneukirchen.



Im Verzeichnis der DDR-Druckereien wurde der Betrieb mit der Kennung III/23/3 registriert. Das Betriebsgebäude der in VEB Druckerei Markneukirchen umbenannten Firma wurde am 12. November 2007 abgerissen.


Von den gedruckten Notgeldscheinen sind nur die Wertstufen von 1, 10 und 50 Reichsmark bekannt, andere Stücke – wie von W. Zimmer vermutet –, sind bisher nicht aufgetaucht.

Von allen drei Scheinen sind Exemplare mit einem Entwertungsstempel „Ungültig.“ nachweisbar.


Abb. 5: einseitig rosa-schwarz gedruckter Gutschein zu 1 Reichsmark 28. April 1945.


Abb. 6: einseitig und rosa-grün-schwarz gedruckter Gutschein zu 10 Reichsmark 28. April 1945.


Abb. 7: einseitig rosa-grün-schwarz gedruckter Gutschein zu 50 Reichsmark 28. April 1945.


Abb. 8: violetter Stempel „Ungültig.“


Abb. 9: violetter Stempel „Ungültig.“


Den Druck des Notgelds bestätigte ebenfalls das Oelsnitzer Kreisnachrichtenamt in einem Schreiben vom 2. Juli 1948 an Dr. Arnold Keller:

„Bezugnehmend auf Ihr o. a. Schreiben teilen wir Ihnen mit, dass im Jahre 1945 für den gesamt Landkreis Oelsnitz (Vogtl.) kein Notgeld hergestellt worden ist. Die Druckerei J. Schmidt, Markneukirchen, berichtet uns jedoch, dass sie im Auftrage des Stadtrates Markneukirchen und Adorf i. V. am 5.5.1945, also kurz vor Kriegsschluss, für den damals noch bestehenden „Restkreis Oelsnitz“ Notgeld gedruckt hat. ...“.3)

Und in einer damaligen Zeitungsnotiz stand unter der Überschrift:

„Der Gutschein als zeitweiliger Notbehelf“ – „Hin und wieder ist auch Notgeld aus der jüngsten Zeit bekanntgeworden, aber nur wenige Sammler dieser Scheine werden wissen, daß Notgeld auch in den letzten Tagen des „Tausendjährigen“ Reiches verausgabt worden ist. Es war an sich schon längst erledigt und das Vogtland besetzt. Doch gab am 28. April 1945 der Landrat des Restkreises Adorf i. Vogtl. Gutscheine über eine und zehn Reichsmark heraus, deren Gültigkeit ausdrücklich auf den in deutscher Hand befindlichen Restkreis Oelsnitz i. Vogtl. beschränkt war. Auch dieses Notgeld ... stellt einen interessanten Beitrag zur Zeitgeschichte dar, umso mehr, als es sich um eine Ausgabe in einem verhältnismäßig kleinen Bereich einer kurzen Verwendungszeit handelt.“4)

Bei der Besetzung des Markneukirchener Rathauses fanden die US-Amerikaner die nicht nummerierten Scheine vor, beschlagnahmten sie ... und keiner weiß bis heute, was mit den Gutscheinen danach geschehen ist. US-Oberst H. H. Newman verfasste ein Rundschreiben aufgrund der Direktive des SHAEF vom Mai 1945, dass „alle lokal gedruckten deutschen Geldscheine jeglicher Art mit sofortiger Wirkung nicht ausgegeben werden dürfen“.5) Das galt auch für die Briten und Franzosen.


Höchstwahrscheinlich wurden die Notgelder von irgendjemandem vernichtet, aber nicht zu 100 Prozent, sodass einige wenige Belege die Zeiten überdauerten und heute noch – wenn auch selten – vorkommen.

Das Historische Archiv des Vogtlandkreises in Oelsnitz kennt keine aufschlussreichen Dokumente, die zur Aufhellung des Restkreis-Notgelds beigetragen hätten.


Erst 1947 kam es wieder zur Ausgabe von Notgeld im Landkreis: die Gutscheine der Firma Koch & te Kock AG in Oelsnitz. Die 1880 von Carl Wilhelm Koch und Fritz te Kock gegründete Teppichweberei und Möbelstoff-Fabrik gab mit dem Datum 1. Dezember 1947 Notgeld in den Wertstufen 1, 10 und 50 Reichspfennig aus. Die Aktiengesellschaft wurde 1950 enteignet und als VEB Halbmond-Teppiche Oelsnitz/V. in „Volkseigentum“ umgewandelt. Seit der Wiedervereinigung des Gebiets der vier ehemaligen deutschen Besatzungszonen wird der Betrieb ab 1990 als Halbmond Teppichwerke GmbH weitergeführt.


Abb. 10: 10 Reichspfennig 1. Dezember 1947, mit Oval- und Faksimile-Stempel, 4-stellige Paginierung, einseitig auf Karton vervielfältigt, 95 × 70 mm.


Auch während der Inflationszeit gab die Firma unterschiedliche Notgeld-Gutscheine aus: z. B. 1 und 5 Mio. Mark mit dem Datum 23. August 1923.


Michael H. Schöne


Anmerkungen

  1. Gesetz über den Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934, Dritte Verordnung vom 28. November 1938

  2. Demontage der Druckerei J. Schmidt in Markneukirchen, Monatsberichte des Arbeitsamtes Oelsnitz 1946, StA-D, Rep. 11391 Nr. 803; und Einspruch gegen die Demontage von Druckereien vom 21. November 1946, StA-D, Rep. 11384 Nr. 1852

  3. Antwortschreiben des Sachbearbeiters Hr. Deeg vom 2. Juli 1948

  4. Veröffentlichung im „Nacht-Express“ Berlin vom 22. Mai 1948

  5. H. H. Newman: SHAEF/G-5/Fin/Fwd/1/5

  6. https://www.adorf-vogtland.de

  7. Klaus-Peter Hörr: http://gewerbeverein-adorf.de

  8. Peter Ihde: https://peterihde.de

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