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AutorenbildHans-Georg Glasemann

Farbwerke Höchst: Goldmark 1923/24

Ende Oktober 1923 fordern die Vertreter der Arbeitnehmerschaft des Stammwerkes in Höchst die Einführung wertbeständigen Geldes bei der Lohnzahlung. In einem Tarifvertrag wurde die Zahlung eines Teils der Löhne in wertbeständigen Zahlungsmitteln zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vereinbart. Allerdings bedurfte diese Vereinbarung im besetzten Rheinland noch der Zustimmung der Interalliierten Rheinlandkommission I.A.R.K (Hohe Interalliierte Rheinlandkommission: Die Verwaltung der alliierten Besatzungszonen unterstand nach dem Ersten Weltkrieg ab 1920 der Interalliierten Rheinlandkommission mit Sitz in Koblenz. Zweck der Besetzung war einerseits, Frankreich Sicherheit vor einem erneuten deutschen Angriff zu verschaffen, andererseits eine Garantie für die Erbringung der geforderten Reparationsleistungen durch das Deutschen Reich zu haben).


Im Herbst 1923 begann sich die Interalliierte Rheinlandkommission mit der Regelung der Notgeldausgabe in den besetzten Gebieten zu befassen. Die Tätigkeit dieser Kommission basierte auf den Bestimmungen des Rheinlandabkommens vom 28. Juni 1919. Sie hatte das Recht, in Fragen des Unterhalts und der Sicherheit der Besatzungstruppen Verordnungen zu erlassen. Mit den Schwierigkeiten, die in der Versorgung der Besatzungstruppen mit Zahlungsmitteln bestanden, wurde auch der Eingriff in die Notgeldfrage begründet.


Probleme ergaben sich im besetzten Gebiet, weil die Rheinlandkommission die Reichsgoldanleihe und die Dollarschatzanweisungen des Reichs auf ihrem Besatzungsterritorium untersagte, während die Reichsregierung die Hinterlegung derartiger Anleihepapiere zur Voraussetzung für die Ausgabe wertbeständigen Notgelds erklärte. Deutsche Fachleute sahen hierin zusätzlich eine Einmischung in die Kompetenz des Deutschen Reichs und fürchten, dass von französischer Seite ein „rheinischer Franken“ vorbereitet werden sollte.


Farbwerke vorm. Meister Lucius & Brüning in Höchst, Goldmarkgutschein Litera B

über 2 Goldmark. Der Gegenwert der Goldmarkgutscheine ist in hochwertigen Devisen bei der Allgemeinen Elsässischen Bankgesellschaft in Mainz hinterlegt. Die Ausgabe ist durch die Hohe Interalliierte Kommission in Koblenz genehmigt. Ausgegeben in Höchst am Main

am 12. November 1923, gültig bis zum 31. Januar 1924.


Den Firmen im besetzten Gebiet bleibt nur die Möglichkeit, sich mit der Rheinlandkommission in Zusammenarbeit mit deutschen Dienststellen über eine praktikable Lösung zu einigen. Am 20. September 1923 erließ die Rheinlandkommission die Verordnung 212, in der die Bedingungen für die Ausgabe von Notgeld im besetzten Gebiet geregelt wurden. Danach wurde in Koblenz ein aus deutschen Experten bestehender Sonderausschuss für Notgeld eingesetzt, der am 1. Oktober 1923 tagte und zusammen mit dem Finanzausschuss der IARK eine Liste der Institutionen erstellte, die zur Ausgabe von Notgeld zugelassen wurden. Vom 1. Oktober 1923 ab durften demnach nur noch Notgeldscheine der zugelassenen Institutionen im Umlauf sein. Außerdem wurden – in Anlehnung an die Grenzen der Regierungsbezirke – Umlaufbezirke gebildet. Im Falle des Farbwerkes Höchst war es der Bezirk Wiesbaden. Hierbei wurden in Ergänzung der Verordnung Nr. 212 Formvorschriften für die Ausgabe von Notgeld erlassen, die später auch für wertbeständiges Notgeld galten: Angabe auf den Scheinen, in welchem der festgelegten Notgeldbezirke sie Umlauffähigkeit haben sollten, Anbringung dieser Angabe quer zum übrigen Text der Scheine in einer rechteckigen Umrahmung am linken Rand, Gültigkeitsdauer ausnahmslos bis 1. April 1924.


Am 5. November 1923 wurd zwischen dem Leiter der Finanzabteilung der IARK, Edmond Giscard d'Estaing, und einem Vertreter der Farbwerke Hoechst eine Vereinbarung über die Emission von Notgeld getroffen, das auf Goldmark (4,20 Goldmark = 1 US-Dollar) lauten und bis Ende Januar 1924 im Bezirk Wiesbaden gültig sein sollte. Zwei Tage später erteilte die IARK die offizielle Genehmigung. In den besetzten Gebieten galt nach den Ausführungsvorschriften zur Verordnung Nr. 212 der I.A.R.K. zu dieser Zeit allerdings der 1. April 1924 als allgemeiner Einlösungstermin, sowohl für Papiermark als auch für wertbeständiges Notgeld.


Der Farbwerke Höchst als im besetzten Gebiet domizilierende Gesellschaft standen zur Zeit der Emission (Ende Oktober 1923) zur Deckung des Notgelds keine Anleihestücke der Reichsgoldanleihe zur Verfügung. Deshalb hinterlegte die Gesellschaft während der Emission zur Deckung des Goldmarknotgelds den Gegenwert der Ausgabebeträge durch Devisen in Schweizer Franken bei der Allgemeinen Elsässischen Bankgesellschaft in Mainz (Kurs: 1 Schweizer Franken = 0,80 Goldmark).


Farbwerke vorm. Meister Lucius & Brüning in Höchst, Goldmarkgutschein Litera B

über 2 Goldmark, Rückseite mit Einlösungsregelungen.


Die Farbwerke vorm. Meister Lucius & Brüning in Höchst gab vom 6. November bis zum

20. Dezember 1923 sechs Werte in vier Goldmarkreihen (Litera A bis E) und vier Werte in einer Dollarreihe (Litera D) aus, alle mit Laufzeit bis 31.Januar 1924.

Die fünf Emissionen sind:

 

  1. Ausgabe 6.11.1923, Umtausch 31.1.1924 Goldmarkgutscheine über 1 und 5 Goldmark (Litera A). Ausgabevolumen: 240.000 Goldmark, gedeckt durch hinterlegte Devisen in Höhe von 300.000 Schweizer Franken bei der Allgemeinen Elsässischen Bankgesellschaft;

  2. Ausgabe 12.11.1923, Umtausch 31.1.1924 Goldmarkgutscheine über 0,50 und 2 Goldmark (Litera B). Ausgabevolumen: 328.000 Goldmark, gedeckt durch hinterlegte Devisen in Höhe von 410.000 Schweizer Franken bei der Allgemeinen Elsässischen Bankgesellschaft;

  3. Ausgabe 26.11.1923, Umtausch 31.1.1924 Goldmarkgutscheine über 0,50, 2 und 5 Goldmark (Litera C). Ausgabevolumen: 360.000 Goldmark, gedeckt durch hinterlegte Devisen in Höhe von 450.000 Schweizer Franken bei der Allgemeinen Elsässischen Bankgesellschaft;

  4. Ausgabe 10.12.1923, Umtausch 31.1.1924 Goldmarkgutscheine über 0,50, 2, 5 und 10 Goldmark (Litera D). Ausgabevolumen: 360.000 Goldmark, gedeckt durch hinterlegte Devisen in Höhe von 450.000 Schweizer Franken bei der Allgemeinen Elsässischen Bankgesellschaft;

  5. Ausgabe 20.12.1923, Umtausch 31.1.1924 Goldmarkgutscheine über 0,42, 0,84, 4,20 und 8,40 Goldmark (= 1/10, 2/10, 1 und 2 Dollar) mit Dollar-Valutaklausel (Litera E). Ausgabevolumen: 360.000 Goldmark, gedeckt durch hinterlegte Devisen in Höhe von 450.000 Schweizer Franken bei der Allgemeinen Elsässischen Bankgesellschaft.


Farbwerke vorm. Meister Lucius & Brüning in Höchst, Goldmarkgutschein Litera D über 10 Goldmark. Der Gegenwert der Goldmarkgutscheine ist in hochwertigen Devisen bei der Allgemeinen Elsässischen Bankgesellschaft in Mainz hinterlegt. Die Ausgabe ist durch die Hohe Interalliierte Kommission in Koblenz genehmigt. Ausgegeben in Höchst am Main am 10. Dezember 1923, gültig bis zum 31. Januar 1924.


Die Farbwerke in Höchst gaben bei 25% Anteil nur 1,6 Mio. Goldmark eigenes wertbeständiges Notgeld für Lohnzahlungen aus. Zur Beseitigung offenbar aufgekommener Zweifel bestätigte der Sonderausschuss für Notgeld in Koblenz mit Schreiben vom 2. Januar 1924 an verschiedene Körperschaften den Einlösungstermin 31. April 1924. Einige Emissionen, so die der Farbwerke in Höchst waren mit Sondergenehmigung der I.A.R.K. noch einige Monate länger im Verkehr. Auf ihre Einlösung versuchte die Reichsregierung Einfluss auszuüben, indem sie im Anschluss an die Aufruftermine für das unbesetzte Gebiet Anfang Juli 1924 auch für das besetzte Gebiet eine Einlösungsfrist – vom 1. bis 31. August 1924 – bekannt gab. Das wiederum veranlasste die I.A.R.K. allen im Besatzungsgebiet gelegenen Städten mitzuteilen, dass sie die Einlösungsbestimmungen der „Reichsregierung für diesen Raum nicht anerkenne“.


Am 31. Januar 1924 lief eigentlich die geplante Umlauffrist aller wertbeständigen Notgeldscheine ab. Doch der Mangel an wertbeständigen Zahlungsmitteln war zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs behoben. Hoechst beantragte bei der Interalliierten Rheinlandkommission die Verlängerung der Frist, weil man „bis heute noch kein anderes wertbeständiges Zahlungsmittel an Hand“ habe, um den tarifvertraglichen Abmachungen entsprechen zu können. Zudem wies das Unternehmen darauf hin, dass im nahen unbesetzten Gebiet wertbeständige Zahlungsmittel in ausreichender Menge zur Verfügung stünden und die volle Lohn- und Gehaltszahlung in wertbeständigem Gelde sich durchsetzte. Die Verlängerung der Umlauffrist wurde von der Rheinlandkommission zunächst bis Ende März, dann bis Ende Juni, schließlich letztmalig bis zum 31. Juli 1924 genehmigt.


Mitte April 1924 konnten die Lohn- und Gehaltszahlungen der Farbwerke Hoechst zu einem Viertel in der neuen Rentenmark erfolgen. Weitere 25 Prozent wurden in wertbeständigem Notgeld des Werkes, der Rest in Papiermark entrichtet. Einen Monat danach stellten die Farbwerke die Ausgabe von Notgeld vollständig ein. Die Zahlungen an die Arbeitnehmer erfolgten jeweils zur Hälfte in Papier- und Rentenmark. Anfang Juli 1924 wurde das wertbeständige Notgeld von Hoechst offiziell zur Einlösung bis zum 31.Juli 1924 aufgerufen. Es kann als sicher angenommen werden, dass es mit Ausnahme weniger Scheine eingelöst und danach vernichtet wurde.


Hans-Georg Glasemann


Bildquelle: Privat/ Literaturhinweis: Schönberg, Dr. Manfred; Dokumente aus Hoechst-Archiven, Notgeld des Stammwerkes der Hoechst AG. Ein Beitrag zur Geschichte der Inflationsjahre 1918-1923.


Literaturempfehlung:


Manfred Müller:

Deutsches Notgeld, Band 12: Das wertbeständige Notgeld der deutschen Inflation 1923/1924


Titel: Gietl Verlag

ISBN: 978-3-86646-519-0

Auflage: 1. Auflage 2011

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