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AutorenbildKarlheinz Walz

Fälscher & Falschgeld: Teil 47

Geschichten, die Geschichte machten, Teil 4:

Alfredo Hector Donadio – Der Glücksritter und Liebling der Frauen


Alfredo Hector Donadio und Ehefrau Sara.


Ein besonderer Fall ist der des Alfredo Hector Donadio. Donadio wurde am 14. Juni 1900 in Marseille als einer von zwei Söhnen italienischer Einwanderer geboren, die aus Neapel an die Riviera gekommen waren und nun die französische Staatsbürgerschaft besaßen.

Nach französischer Schreibweise nannte man sich nun Donadieu. Alfredos Vater betrieb einen gut gehenden Steinmetzbetrieb, die Familie verfügte über ein überdurchschnittlich gutes Einkommen und erfreute sich damit gutbürgerlichen Wohlstandes. In der Schule nur mittelmäßig begabt, schickte der Vater den 14-jährigen Alfredo zu seinem Schwager Vittorio Barbos, der – ebenfalls aus Neapel zugewandert – einen Juwelierladen unterhielt. Donadio jun. sollte nach dem Wunsch des Vaters eine Lehre als Goldschmied absolvieren. Vittorio Barbos hatte bald allen Grund, mit seinem Neffen zufrieden zu sein, denn dieser zeigte ein besonderes Talent: Alfredo beherrschte sehr schnell die Kunst des Gravierens. Daten in Ringe, Inschriften auf Taschenuhren, Monogramme in Colliers, feinste Ziselierungen in alle Arten von Schmuckstücken – alles gelang ihm vorzüglich. Mit Beendigung seiner Lehre und nun knapp 18 Jahre alt, war Donadio nicht nur ein Meister seines Fachs, sondern auch ein ungewöhnlich gut aussehender junger Mann. Im März 1918 schließlich betrat ein selbstbewusster und redegewandter Italiener das Juweliergeschäft des Vittorio Barbos und verwickelte den jungen Alfredo in ein Gespräch. Sein Name: Alberto Sampietro. Einige Tage später trafen sich die beiden auf Einladung Sampietros in einem Lokal in Marseilles berühmter Straße La Cannebière.


Der 30-jährige Sampietro und der junge Donadio verstanden sich auf Anhieb ausgezeichnet und wurden schnell Freunde. Eines Abends brachte Alberto seine 18-jährige Schwester Maria mit, ein bildschönes Mädchen und – wie ihr Bruder – in Neapel geboren. Bei Alfredo und Maria war es Liebe auf den ersten Blick. Die jungen Leute sahen sich von nun an jeden Abend und unternahmen viel gemeinsam. Alfredo wollte seine Angebetete verwöhnen, ihr etwas bieten, sie mit Geschenken überhäufen, doch das schmale Salär, das ihm sein Onkel Vittorio zahlte, zeigte ihm seine Grenzen auf. Alberto Sampietro wusste Rat, er konnte den Geliebten seiner Schwester gut gebrauchen. Wenig später trafen sich die beiden Freunde mit einem Bekannten Sampietros, gleichfalls gebürtiger Italiener mit Namen Emilio Petacci. Dieser redete auch gar nicht lange um den heißen Brei herum: „Ich suche einen tüchtigen Graveur, denn wir sorgen dafür, dass Geld unter die Leute kommt.....“ Alfredo verstand zunächst nicht recht und Petacci wurde deutlicher: „Wir fälschen Geld“. Alfredo Hector Donadio überlegte nicht lange, die anfänglichen Skrupel, etwas Illegales zu tun, das mit hohen Strafen belegt ist, plagten ihn nur kurz. Er dachte nur noch daran, was er mit dem Lohn für seine Fälschertätigkeit seiner Maria alles würde kaufen können. Donadio gravierte die Platten zum Druck von 5- und 10-Francs-Noten. Und um keinen Verdacht zu erregen, arbeitete er zunächst im Laden seines Onkels weiter. Aber diesem blieb nicht verborgen, dass mit seinem Neffen irgend etwas nicht stimmte. Er war häufig übermüdet, roch oft nach Alkohol, trug auffallend elegante Garderobe und schien im Verhältnis zu seinem Einkommen über viel Geld zu verfügen. Sollte er etwa… Nein, die Überprüfung der Ladenkasse und der Schmuckbestände ergab, dass alles in Ordnung war.


Alfredo Donadio hatte ausgezeichnete Arbeit geleistet, die Scheine waren von hervorragender Qualität, die Verteilung lief prächtig und der ganze Falschgeldring verdiente nicht schlecht. 30 % Provision erhielten Sampietro und seine Leute, die erste „Auflage“ betrug 250.000 Francs in falschen Scheinen. Er gab nun die Stelle bei seinem Onkel auf, der froh war, die Verantwortung für seinen Neffen los zu werden, da er sich sicher war, dass der junge Alfredo irgend ein krummes Ding gedreht hatte. Zu diesem Zeitpunkt, im Mai 1918, lernte Donadio ein weiteres Mitglied der Fälscherbande kennen, die 38 Jahre alte Antoinette Brasseur, von allen nur „Tante Toin“ genannt. Sie wurde seine Geliebte, daneben war er aber auch noch mit Maria zusammen. Alfredos Vater, mittlerweile von seinem Schwager über das undurchsichtige Treiben seines Sohnes informiert, war in großer Sorge. Er sprach ein Machtwort und befahl seinem Sohn, seiner Pflicht als französischer Staatsbürger nachzukommen und sich sofort zum Militär zu melden. Auch Sampietro war dafür, dass Alfredo aus Sicherheitsgründen für eine Weile untertauchen sollte. Donadio selbst witterte in der Armee ein neues Abenteuer und meldete sich zu einem Infanterie-Regiment, mit dem er nach nur kurzer Ausbildung an die Front zwischen Reims und Soissons kommandiert wurde. Der Splitter einer Granate riss ihm den Mittelfinger der linken Hand ab, zwei Tage später wollten es Zufall und Glück, denen er noch viel in seinem zukünftigen Leben zu verdanken haben würde, dass er ausgerechnet in einem Lazarett in Marseille landete. Fast täglich besuchten ihn dort Alberto Sampietro und Emilio Petacci. Aber auch Antoinette und Maria sehnten sich nach ihrem Alfredo. Das Wiedersehen mit Maria verlief jedoch nicht ganz so,

wie er sich das vorgestellt hatte, denn sie war mittlerweile dahinter gekommen, dass er sie mit Tante Toin betrogen hatte. Er bat sie um Verzeihung, gelobte Besserung und war überglücklich, als ihm Maria seinen Seitensprung vergab. Als der Erste Weltkrieg zu Ende war, hätte Alfredo noch ein Jahr Dienstzeit bei der Armee zu absolvieren gehabt. Doch der Gefreite hatte genug vom Soldatenleben, desertierte und tauchte in einem Liebesnest, das Alberto Sampietro besorgt hatte, unter, wo er ein stürmisches Wiedersehen und eine leidenschaftliche Versöhnung mit Maria feierte.


Nun forderte der Alltag wieder seinen Tribut. Mittlerweile war die französische Polizei auf die Spur der Bande gekommen, Donadio, Sampietro, Petacci, Maria und Antoinette beschlossen, für eine Weile zu verschwinden und bestiegen ein Schiff nach Oran. Sofort gingen die Freunde wieder an die Arbeit. Donadio mietete ein kleines Haus und besorgte diskret die benötigte Ausrüstung, die er zum Fälschen brauchte. Bald wunderte sich die Banque de l´Algerie über vorzüglich gefälschte 100-Francs-Noten, die den Markt überschwemmten.

Zur Tarnung betrieb Alfredo eine kleine Firma, die mit Kunstgegenständen, Möbeln und Teppichen handelte. Nach einem knappen Jahr hatten sie für eine Million algerische Francs-Noten aus eigener Produktion abgesetzt und beschlossen, den Standort zu wechseln.

Sie buchten Kabinen erster Klasse nach Neapel, der Heimat Enricos, Marias und Albertos.

Sie verlebten dort herrliche Wochen, logierten in den ersten Hotels der Stadt und leisteten sich jeden erdenklichen Luxus. Während Alberto Sampietro sich Tante Toins „annahm“, stellte Maria ihren Alfredo ihren Eltern vor. Diese waren überglücklich, dass ihre Tochter einen so charmanten, gut aussehenden Bräutigam gefunden hatte, der noch dazu nicht der Ärmsten einer zu sein schien. Dann traf ein Telegramm von Emilio Petaccis Frau aus Marseille ein.

Sie mahnte die Clique zur Rückkehr, die Polizei hatte nach erfolgloser Fahndung die Aktivitäten in Bezug auf die Fälscherbande zunächst eingestellt, die Luft war also wieder rein. Die fünf Neapel-Urlauber kehrten nach Frankreich zurück. Hier nun tat Alfredo etwas, was sich als Bumerang erweisen sollte: Er ließ sich noch einmal mit Antoinette ein, besann sich aber dann auf das Versprechen, das er seiner Maria gegeben hatte und brach endgültig alle Kontakte zu Tante Toin ab. Diese war maßlos enttäuscht und rasend vor Wut. In ihrem blinden Hass sann sie auf Rache, rief an einem Abend die Polizei an und erklärte dem diensthabenden Beamten genau, wo die einzelnen Mitglieder der Geldfälscherbande zu finden seien. Keine halbe Stunde später wurden Alfredo, Maria, Emilio und dessen Frau festgenommen. Nur Alberto Sampietro konnte im letzten Moment durch ein Fenster in den Hof flüchten und sich in die Schweiz absetzen. Da Alfredo und Emilio als Kavaliere die ganze Schuld auf sich nahmen, wurden die anderen schon bald aus der Untersuchungshaft entlassen.


Donadio wurde auf der Teufelsinsel vor Französisch-Guyana inhaftiert, von wo ihm die Flucht gelang.



Ende November 1920 sprach das Gericht ein gnadenloses Urteil: acht Jahre Zuchthaus für Alfredo Donadio und Emilio Petacci, abzubüßen in Verbindung mit Zwangsarbeit in Camp de St. Laurent auf der berüchtigten Teufelsinsel, einer Französisch-Guyana vorgelagerten Sträflingsinsel. Sie trug den Namen zu Recht, denn der Aufenthalt dort war die Hölle auf Erden. Die Arbeit in der tropischen Hitze war mörderisch, die Verpflegung miserabel, die Unterkünfte und sanitären Einrichtungen erbärmlich. Am Weihnachtstag 1920 brachte sie ein so genanntes Totenschiff von Marseille aus auf die Insel. Während Emilio resignierte und sich in sein Schicksal fügte, schmiedete Alfredo Pläne – einmal den Racheplan gegen Tante Toin, zum anderen dachte er nur an Flucht. Aber es würde fast drei Jahre dauern, bis sich eine Chance ergab, von der Ile du Diable wegzukommen. Am 14. Juli 1923, dem französischen Nationalfeiertag, tranken die Aufseher mehr als ihrer Aufmerksamkeit zuträglich war. Donadio und vier weiteren Gefangenen, die nichts mehr zu verlieren und sich ihm angeschlossen hatten, gelang es, ein kleines Segelboot der Inselverwaltung in ihre Gewalt zu bekommen. Emilio Petacci war nicht unter ihnen, er hatte Angst und machte nicht mit. Glücklicherweise war ein Seemann unter den fünf Wagemutigen, der etwas von Navigation verstand. Lebensmittel hatten sie nur wenige an Bord, dafür aber – was in diesen Breiten sehr viel wichtiger ist – genügend Trinkwasser. Das Ziel hieß Venezuela. Nach 20 Tagen Fahrt unter sengender Sonne landeten sie auf einer kleinen Insel im Orinoko-Delta. Einer von ihnen war zwischenzeitlich an Malaria gestorben, die restlichen vier beschlossen, sich zu trennen und ihr Glück auf eigene Faust zu versuchen.

Unser Glückspilz Alfredo (und das war er wirklich, denn die Flucht von der Teufelsinsel ist bisher nur wenigen gelungen) fand Arbeit auf einer Zuckerrohr-Plantage. Nach einigen Monaten hatte er sich eine kleine Summe zusammengespart und machte sich auf den Weg nach Ciudad Bolivar, der Hauptstadt des venezolanischen Bundesstaates Bolivar.


Donadio-Fälschungen, vor denen in „Erkennungszeichen“, dem Organ von Interpol,

gewarnt wird: Venezuela, 20 Bolivares; USA, 1 Dollar; USA, 20 Dollar.



Bei seiner Arbeit auf der Zuckerrohr-Plantage hatte unser Freund soviel Spanisch gelernt, dass er sich unterhalten konnte. So dauerte es nicht lange, bis er sich in einem Café mit ein paar Venezolanern anfreundete. Bald schon merkte Donadio, dass seine neuen Bekannten Ganoven waren. Sie schenkten ihm ihr Vertrauen und weihten ihn einige Tage später in ihr Geheimnis ein, auf das sie nicht besonders stolz waren. Über einen Mittelsmann hatten sie aus Brasilien für viel Geld eine Maschine gekauft, die ausgezeichnete venezolanische Bolivar-Noten drucken sollte. Doch die hervorragenden Scheine, die das Maschinchen bei der Vorführung ausgespuckt hatte, waren zuvor kunstvoll hineinpraktiziert worden. Nachher funktionierte das Wundergerät nicht mehr. Donadio wusste Rat für die betrogenen Betrüger. Er wies seine Freunde an, eine kleine Druckmaschine zu beschaffen, er selbst stellte die Flachdruckplatten her, die im September 1924 derart gute 10-, 20- und 50-Bolivar-Scheine lieferten, dass die venezolanischen Behörden noch nach einem Jahr nichts gemerkt hatten. Alfredo Donadio war wieder ein gemachter Mann und hatte schon einige tausend US-Dollar, die er mit seinen Blüten verdient hatte, auf die hohe Kante gelegt. Daneben besaß er eine neue Identität. Er hieß nun André Alfredo de Vila, geboren am 22. Juni 1900 in Ciudad Bolivar. Wenn da nicht das Heimweh gewesen wäre.... Auf gut Glück schrieb er einen langen Brief an seinen alten Kumpel Alberto Sampietro. Im Frühjahr 1925 heiratete Alfredo eine bildhübsche Venezolanerin namens Sara Rodriguez, die ihm schon zehn Monate später einen Sohn schenkte, der auf den Namen Federico getauft wurde. Einige Monate später traf der lange ersehnte Antwortbrief von Sampietro ein. Der lebte nun in Rom, beschwor ihre Freundschaft und die alten Zeiten, erinnerte an seine schöne Schwester Maria. Donadio überlegte lange, doch dann stand sein Entschluss fest: Er würde nach Italien zurückkehren. Seiner Frau und seinen Freunden erklärte er, dass er für einige Wochen geschäftlich nach Europa reisen müsste. Mit einem weiteren falschen Pass auf den Namen Alfredo Henri Rey, Zahntechniker, geboren am 23. Dezember 1895 in Marseille, wohnhaft in Paris, Rue Clignancourt No. 18 in der Tasche, bestieg er im Juni 1926 im Hafen von Caracas die „Esperanza“. Seine schöne Frau, sein Sohn Federico und seine vielen Freunde in Venezuela waren bald vergessen.


Das Wiedersehen mit Alberto Sampietro war von überschwenglicher Herzlichkeit. Sampietro war seit einigen Jahren schon überzeugter Anhänger von Benito Mussolini und führendes Mitglied des Geheimdienstes Uffizio Informazione. Er hatte nun seinen alten Freund Alfredo Donadio dafür ausersehen, die Fälscherabteilung des UI in Schwung zu bringen. Dieser Job war so recht nach Alfredos Geschmack, und außerdem verschaffte es ihm die Möglichkeit, Antoinette Brasseur aufzuspüren und sich an ihr für den Verrat und die erlittenen Qualen auf der Teufelsinsel zu rächen. Mit Hilfe des Geheimdienstes gelang es ihm tatsächlich, die Adresse Tante Toins ausfindig zu machen, die ebenfalls schon lange nicht mehr in Frankreich, sondern in Neapel lebte. Im Schnellzug Rom – Neapel schmiedete Alfredo die düstersten Rachepläne. Neben einer Pistole trug er auch Gift bei sich. Doch als er im neapolitanischen Elendsviertel das heruntergekommene Haus betrat und endlich Antoinette gegenüberstand, hatte er alle Rachegelüste vergessen. Vor ihm stand eine Frau, die mit seiner leidenschaftlichen Geliebten von einst nichts mehr gemeinsam hatte, ein körperliches Wrack, die Sinne verwirrt. Eine Syphilis hatte Tante Toin völlig zerstört, sie hatte nicht mehr lange zu leben, das sah Alfredo sofort. Er war erschüttert, wollte weg, doch Mitleid und Erbarmen und vielleicht auch die Erinnerung an die vergangenen schönen Tage hielten ihn wie unter Zwang fest. Belanglose Wortfetzen gingen hin und her, und als Donadio schließlich 5.000 Lire auf den Tisch legte, starrte Antoinette auf das Geld und für einen Moment schien ihr Verstand wieder klar zu sein: „Sind die auch nicht gefälscht? Bei dir Schlitzohr muss man da aufpassen.....“ Er hielt es nun nicht mehr aus, floh wie in Panik aus dieser Elendsbehausung, ging zum Bahnhof und fuhr sofort zurück nach Rom.


In den folgenden Jahren war er nun wieder in seinem Element. Er fälschte Pässe und Visa, kopierte Dokumente und fertigte Stempel und Dienstsiegel an, die selbst die versiertesten Fachleute kaum als falsch erkannten. Durch seine hervorragenden Leistungen hatte er innerhalb des UI bald einen ausgezeichneten Ruf, so dass er ab und zu auch zu Auslandseinsätzen abkommandiert wurde. Doch dies behagte ihm weniger, denn Donadio fühlte sich zu höherem berufen. Spion zu sein, war nicht sein Metier. Man schrieb das Jahr 1934, als er glaubte, sich neuen Abenteuern zuwenden zu müssen. Er kehrte seinem Freund Sampietro und dem italienischen Geheimdienst den Rücken, was nicht ganz ungefährlich war. Er hatte zwar italienische Eltern und vor dem Eintritt in den UI die italienische Staatsbürgerschaft annehmen müssen, doch er war ja in Frankreich geboren und in seinem Herzen Franzose geblieben. Und seine ehemalige Verlobte Maria war längst mit einem anderen verheiratet. Er setzte sich mitsamt seinen nicht unbeträchtlichen Ersparnissen nach Paris ab, wo er die folgenden Monate in Saus und Braus lebte. Dort war mittlerweile auch sein Bruder eingetroffen, der am 24. April 1904 ebenfalls in Marseille geborene Raymond Alphonse Donadio. Dieser sowie ein gewisser Jean Baptiste Raineri waren dort sowohl im Falschgeldgeschäft als auch im Rauschgifthandel tätig. Der Kopf der Bande war Pierre Sardout, ein erprobter Angehöriger der Pariser Unterwelt. Auf Donadios Vorschlag wollte man sich von dem risikoreichen, aber seinerzeit weniger einträglichen Rauschgifthandel abwenden und nur noch Geld fälschen. Sardout besorgte einige weitere Spezialisten, einen Drucker, einen Papierfachmann und einen Farbensachverständigen. Alfredo stellte die Platten für 50-Francs-Noten her, die ihm – wie sollte es anders sein – exzellent gelangen.

Doch schon wenige Wochen später war die Polizei hinter der Bande her, die sich im Juli 1934 nach Kairo absetzte. Dort gingen sie sofort erneut ans Werk und fälschten nun englische Banknoten zu 1 und 5 Pfund Sterling sowie ägyptisches Geld in den Werten zu 1, 5 und 10 Pfund. Die Geschäfte florierten und unser Freund leistete sich eine neue Freundin, eine junge Französin englischer Abstammung mit Namen Alice. Seine schöne Maria, seine Frau Sara nebst Sohn Federico im fernen Venezuela und die vielen Geliebten, die seinen Weg gekreuzt hatten, hatte er nun endgültig aus seinem Gedächtnis gestrichen. Aber die ägyptische Polizei war nicht untätig und ermittelte, dass die neuerdings überall auftauchenden falschen Scheine in einem Haus im Kairoer Vorort El-Baghghàla ihren Ursprung hatten, das nun Tag und Nacht beobachtet wurde. Wenige Tage später stürmte die Polizei dieses Haus, nur Donadio konnte sich der Verhaftung durch eine rechtzeitige Flucht entziehen. Wieder einmal hatte er sich auf sein sprichwörtliches Glück verlassen können. Er heuerte mit einem falschen Pass auf einem spanischen Dampfer als Heizer an, auf dem als Passagier Alice mitreiste. Das Ziel: Barcelona. Die beiden mieteten ein Zimmer im besten Hotel und lebten einige Monate von Alfredos Ersparnissen aus der Zeit in Ägypten, die er in US-Dollars im doppelten Boden seines Koffers verborgen hatte. Das Verhängnis aber nahm seinen Lauf mit einem Brief, den Alice ihrer mittlerweile wieder nach Paris zurückgekehrten Mutter schrieb und in dem sie unvorsichtigerweise auch die Vergangenheit ihres Alfredos erwähnte. In dem Antwortbrief der entsetzten Frau Mama drohte diese mit der Polizei, sollte er ihre Tochter nicht umgehend nach Paris zurückschicken. Diese Drohung war ernst zu nehmen, denn er wurde in Frankreich nicht nur als Falschmünzer, sondern auch immer noch als Deserteur gesucht – und die Spanier lieferten an Frankreich aus! Also schickte er Alice, mit reichlich Reisespesen versehen, nach Hause. Doch zu spät, denn die ungeduldige Mutter hatte bereits die französischen Behörden informiert und diese baten nun ihre spanischen Kollegen um Amtshilfe. Carmencita, eine Prostituierte, mit der er Alice in letzter Zeit häufiger betrogen hatte, versprach, ihm einen falschen Pass zu organisieren. Doch das dauerte zu lange und so bewarb sich Alfredo kurzerhand bei der spanischen Fremdenlegion, die Männer für Spanisch-Marokko anwarb und die nach dem Vorbild der französischen Legion nicht nach Namen und Herkunft fragte. Nach zwei Tagen verließ er Barcelona mit einem Transport. Auf der Fahrt südwärts flüchtete er auf einem kleinen Bahnhof, besorgte sich einen zivilen Anzug und reiste nach Valencia, wo Carmencita mit dem versprochenen, gefälschten venezolanischen Pass wartete. Sie reisten unverzüglich nach Lissabon weiter und bestiegen ein Schiff nach Panama-City. Donadio machte Kasse. Er besaß noch fast 4.000 US-Dollar in echten Scheinen.

Mit diesem Geld kauften sich die beiden einen Modesalon in der panamesischen Hauptstadt, der schon bald zu den besten Geschäften der Stadt gehörte und viele Prominente als Kunden hatte. Carmencita spielte die Inhaberin, doch eine Malaria und ein schweres Lungenleiden zwangen sie zu einem Kuraufenthalt in der Schweiz, wo sie nach wenigen Monaten verstarb. Alfredo Donadio verkaufte das Geschäft mit gutem Gewinn – neues Spiel, neues Glück.

Er lernte einen Kolumbianer mit Namen Juan Lopez kennen, der von Panama aus alles mögliche nach Kolumbien schmuggelte, vor allem Whisky. Die beiden wurden Partner, die Geschäfte blühten, der Dollar rollte. Als ihnen der Zoll auf die Schliche kam, setzte sich Donadio nach Bogota ab. Er war ja weiß Gott nicht kontaktscheu, und so lernte er dort bald einige Venezolaner kennen, die aus ihrem kolumbianischen Exil heraus einen Umsturz in ihrem Heimatland planten. Dank seines (falschen) Passes legitimierte er sich als Landsmann, heuchelte Verständnis und Begeisterung für die Pläne der Revolutionäre und machte ihnen den Vorschlag, die Revolutionskasse mittels Falschgeld aufzubessern. Unter den Verschwörern gab es einen Mann italienischer Abstammung, der – merkwürdiger Zufall des Schicksals – wie sein alter Freund hieß: Sampietro, allerdings mit Vornamen Enrico.

Donadio und Sampietro spielten in ihrer Freizeit wann immer sie konnten Karten, doch Enrico hatte dauernd Pech. Nachdem er sein ganzes Geld an Alfredo verloren hatte und noch dazu eine Summe, die er nicht bezahlen konnte, gab er ihm statt des Geldes seinen Pass. Alfredo Hector Donadio wechselte das Foto Sampietros gegen das seine aus und nannte sich von nun an Enrico Sampietro. Aus dem echten Sampietro wurde ebenfalls mittels eines falschen Passes der Peruaner Miguel Dominguez. Aus Sicherheitsgründen einigte man sich auf einen Ortswechsel: Mexiko.


Das berüchtigte mexikanische Gefängnis Palacio de Lecumberri.


Es war 1936, als Donadio alias Sampietro dort eine Frau namens Amada Casas kennenlernte. Sie gehörte zur Führungsriege der illegalen Christeros, die sich zum Ziel gesetzt hatten, die kirchenfeindliche Regierung des Generals Lázaro Càrdenas zu stürzen. Geführt wurde die Gruppe von dem Priester José Aurelio Jimenez. Amada war der heimliche Schwarm aller Männer der Christeros-Bewegung, doch sie hatte ihr Herz ausschließlich an die Bewegung und an ihre Arbeit dort verloren. Das änderte sich schlagartig, als sie unseren Alfredo kennen lernte. Durch seine blendende Erscheinung und seinen Charme gelang es ihm, sie für sich zu gewinnen. Schnell wurde daraus bei beiden die große Liebe. Die venezolanischen Revoluzzer waren ihm nun ziemlich egal, er hatte nur noch Augen für Amada Casas und arbeitete nur noch für die Christeros, denn auch die Kassen dieser Leute waren leer. Im Sommer 1937 tauchten in Mexiko ausgezeichnet nachgeahmte 20-Dollar-Noten, dann mexikanische

50-Peso-Scheine auf. Aber die mexikanische Polizei war den Fälschern schon bald dicht auf den Fersen. Als die Werkstatt ausgehoben wurde, wurde auch Donadio verhaftet und zu zehn Jahren Freiheitsentzug verurteilt, die er im berühmt-berüchtigten Gefängnis Palacio de Lecumberri absitzen sollte, in dem auch der Mörder Leo Trotzkis, Ramón Mercader, seine Strafe verbüßte. Für Amada brach eine Welt zusammen, ohne diesen Mann konnte sie nicht mehr leben. Ein riskanter Plan wurde ausgeheckt, aber er musste ganz einfach gelingen, denn auch die Christeros brauchten ihren fleißigen Mitarbeiter wieder für ihre Pläne. Drei Wärter des Gefängnisses waren heimlich Mitglieder der Bewegung. An einem Tag, an dem die drei gleichzeitig Dienst hatten, begaben sie sich zum Direktor und wiesen einen (natürlich gefälschten) Schein vor, der die sofortige Freilassung des Häftlings „Sampietro“ verfügte.

Das Formular hatte einer der drei aus der Gefängnisverwaltung gestohlen. Das Glück blieb unserem Alfredo treu, der Plan gelang, das Auto, das in der Seitenstraße gewartet hatte, brachte ihn zu einem Appartement, in dem ihn freudestrahlend seine Amada in die Arme nahm. Die spektakuläre Flucht erregte in Mexiko größtes Aufsehen, die Zeitungen hatten ihre Sensation, doch das Heer von Kriminalisten fand den entflohenen Strafgefangenen nicht.


Alfredo Hector Donadio als Häftling im Alter von knapp 60 Jahren.


Die Jahre vergingen und fast war schon Gras über die Sache gewachsen. Donadio-Sampietro fälschte weiter für die Christeros und lebte mit seiner Amada zusammen. Anfang der 1940er Jahre wurde die Arbeit der Gruppe insofern entbehrlich, weil sich mehr und mehr ein Ausgleich zwischen Kirche und Staat abzeichnete. Donadio war nach wie vor sehr vorsichtig, obwohl keine akute Gefahr bestand. Wenn er einmal das Haus verließ, was sehr selten war, tarnte er sich mit der Uniform eines Majors der mexikanischen Armee. Als militärische Autoritätsperson glaubte er sich vor polizeilichen Kontrollen und unangenehmen Fragen sicher. Das Jahr 1948 kam und nur der Himmel wusste, warum die Polizei nach so langer Zeit nun wieder plötzlich Fahndungsaufrufe nach ihm erließ. Irgendjemand hatte wohl die alte Akte von Donadio wieder ausgegraben. Und außerdem gab es da seit einiger Zeit auch Hinweise aus dem Publikum, die immer wieder einmal von einem Major des Heeres berichteten, der eine frappante Ähnlichkeit mit dem entflohenen Geldfälscher von vor einigen Jahren aufwies.... Dann, im Juni 1948, schnappte die Falle endgültig zu. Die Uniform wurde Donadio zum Verhängnis, als er eines schönen Abends mit Amada einen Spaziergang durch den Simon-Bolivar-Park in Mexiko City unternahm. Eine Polizeistreife kontrollierte und erkannte ihn, er ließ sich widerstandslos festnehmen. Das Gericht verurteilte ihn zu 12 Jahren Gefängnis. Schon nach kurzer Zeit wurden ihm Hafterleichterungen gewährt. So porträtierte er für ein kleines Honorar Gefängnisbesucher und Zellengenossen und Amada Casas durfte ihn wöchentlich einmal besuchen. 1959 wurde Alfredo entlassen. Er war jetzt fast 60 Jahre alt, seine Haare waren ergraut, doch er war immer noch eine stattliche Erscheinung. Er betrieb nun eine kleine Kunsthandlung und betätigte sich als Maler und Porträtist. Und wenn er von Journalisten gefragt wurde, ob denn Gefahr bestehe, dass er je wieder rückfällig werden würde, wehrte er entschlossen ab. Er hatte mit seinem früheren Leben ein für allemal gebrochen. Der Glückspilz und Frauenheld Alfredo Hector Donadio lebte nur noch für seine Arbeit – und für seine geliebte Amada, der einzigen Frau, der er hoch und heilig versprochen hatte, ihr für immer treu zu sein. Die Spur des Alfredo Hector Donadio alias Alfredo Donadieu alias Enrico Sampietro verlor sich in den frühen 1960er Jahren, sicher auch ein Beleg dafür, dass er nicht mehr in sein altes Metier zurückgekehrt ist. Einem nicht mehr zu verifizierenden Gerücht nach soll er Anfang der 1970er Jahre in Frankreich, dem Land seiner Herkunft, verstorben sein.


Karlheinz Walz


Fortsetzung folgt …




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