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AutorenbildKarlheinz Walz

Fälscher & Falschgeld: Teil 49

Geschichten, die Geschichte machten, Teil 6:

Kleinvieh macht auch Mist – „Mister 880“ fälschte nur aus Not


1938 tauchten in der amerikanischen Weltstadt New York gefälschte Ein-Dollar-Noten auf. Das erste Exemplar meldete der Inhaber eines Tabakladens in der Nähe des Broadway dem Secret Service, konnte aber keine Angaben zum Verausgeber machen. Der Schein war ihm beim abendlichen Kassensturz aufgefallen.

In der Folgezeit fanden sich, verteilt über fast das gesamte Stadtgebiet, jede Woche zehn, elf der falschen Silver-Certificates.


[Exkurs: Ein-Dollar-Scheine als Federal Reserve Noten gibt es erst seit 1963. Ab etwa den 1920er Jahren waren alle im Umlauf befindlichen Einer-Noten Silberzertifikate, die bis zum

25. März 1964 tatsächlich gegen Silberdollars und aufgrund eines eigenen Gesetzes noch einmal vom 24. Juni 1967 bis 24. Juni 1968 gegen ungemünztes Silber eingelöst werden konnten. Entstanden waren die Silver Certificates durch ein entsprechendes Gesetz im Jahre 1878 als Ersatz für die schweren und unhandlichen Silberdollar-Münzen.]


Bei den Fälschungen handelte es sich noch nicht einmal um besonders gut gelungene Nachahmungen. Sie waren auf einem billigen Papier gedruckt, das es an jeder Straßenecke zu kaufen gab. Die Guillochierung der Fälschungen wirkte plump und verschwommen, neben dem linken Auge des Washington-Porträts druckte ein kleiner schwarzer Klecks mit, das rechte Auge wirkte im Gegensatz zur echten Ausführung stumpf und leblos. Dem Druck fehlte die plastische Wirkung echter Dollarnoten völlig, das Porträt verschmolz mit den dunklen Kreuzschraffuren des Hintergrundes des Ovals. Der Secret Service stand vor einem Rätsel. Was war das für ein Fälscher, der sich mit Einer-Noten abgab, die in Bezug auf das Risiko die Mühe eigentlich nicht wert waren?? Nichtsdestotrotz – Falschgeld war Falschgeld, auch wenn es geringwertig und von schlechter Qualität war, und es wurde auch in diesem Fall genauso ermittelt, als wenn es größere Wertabschnitte gewesen wären. Die Akte, die der Secret Service angelegt hatte, erhielt die Bezeichnung „Case No. 880“ – Fall Nr. 880.


Dem unbekannten Hersteller kam zugute, dass eine Ein-Dollar-Note bei ihrer Annahme kaum einer näheren Prüfung unterzogen wurde, da aufgrund des relativ geringen Nennwerts niemand mit einer Fälschung rechnete. Woche für Woche tauchten neue falsche Einer auf, ohne dass sich an deren bescheidener Qualität etwas geändert hätte und ohne dass man dem Fälscher näher gekommen wäre. Im Dezember 1939 waren bereits mehr als 600 Stück aus dem Zahlungsverkehr gefischt und beschlagnahmt worden. Unzählige rote Stecknadeln kennzeichneten auf einem großen Stadtplan im Büro des ermittelnden Beamten des Secret Service New York das Verbreitungsgebiet. Ein bestimmtes System oder bestimmte Läden,

die der Verausgeber bevorzugte, waren dabei nicht zu erkennen. Bäckereien waren ebenso betroffen wie Friseurläden, Drugstores und Lebensmittelgeschäfte oder Imbissbuden. Lediglich in den Kassen der Subway tauchten vergleichsweise viele der falschen Einer auf. Den Fahrpreis von seinerzeit 5 Cent mit einer Ein-Dollar-Note zu bezahlen, brachte dem Fälscher einen Gewinn von immerhin 95 Cent.


Diese Silberzertifikate zu 1 Dollar waren 1938 im Umlauf.

Sie wurden von Emerich Juettner 10 Jahre lang gefälscht und verbreitet, bis ihm der Secret Service per Zufall auf die Schliche kam.


Anfang der 1940er Jahre erschien dann ein neuer Typ dieser Fälschung. Die letzten Exemplare der bisherigen Version, die beim Secret Service gelandet waren, hatten eine wahrlich lausige Qualität aufgewiesen. Da sie sich im Laufe der Zeit abgenutzt hatten, hatte der Fälscher jetzt wohl neue Platten angefertigt. Bei der von Hand ausgeführten Retusche war ihm nun allerdings ein Fehler unterlaufen: Den in einem Schriftband unterhalb des Porträtovals befindlichen Namen des auf der Banknote abgebildeten ersten Präsidenten der USA hatte er versehentlich mit „Wahsington“ angegeben. Noch immer fand sich nicht die geringste Spur.


Jahr um Jahr ging ins Land und jede Woche förderte neue Falsifikate zutage. Dann kam der Dezember 1947. Mehr als 5000 falsche Silver Certificates hatte der noch immer unbekannte private Geldhersteller unter die Leute gebracht. Kurz vor Weihnachten brach in einer kleinen, schäbigen Wohnung in der Upper West Side ein Feuer aus. Edward Mueller, der alte Mann, der dort wohnte, konnte sich retten und zog vorübergehend zu seiner Tochter in den Stadtteil Queens. Nachbarn und einige Feuerwehrleute bargen das, was von der Einrichtung und den wenigen Habseligkeiten des Wohnungsinhabers übrig geblieben war und stellten die Gegenstände in einem angrenzenden engen Durchgang unter, wo sie im Laufe des Winters zuschneiten. Im Januar 1948 spielten eben in jener kleinen Gasse einige Jungen aus der Nachbarschaft. Dabei entdeckten sie das zum Teil verkohlte Gerümpel und untersuchten es in ihrer kindlichen Neugierde auf eventuell noch Brauchbares. Einige Dinge waren auch durchaus heil geblieben. So fanden sie zu ihrer großen Überraschung in der Schublade eines kleinen Schränkchens ein schmales Bündel seltsam aussehender Ein-Dollar-Noten und einige Zinkplatten, die das Druckbild der Geldscheine spiegelverkehrt aufwiesen… Einer der Jungen erkannte das Falschgeld und zeigte die Fundstücke seinem Vater. Dieser sah ebenfalls sofort, dass dies Druckplatten zur Herstellung falscher Banknoten sein mussten. Diese und die falschen Silver Certificates brachte er auf das Polizeirevier in der 100. Straße West.

Der Beamte dort verständigte den Secret Service. Zwei Agenten begaben sich nach Queens und konfrontierten den ehemaligen Wohnungsinhaber Edward Mueller mit den Gegenständen. Dieser sah ein, dass Leugnen sinnlos war und gab sofort zu, die falschen Dollars hergestellt zu haben. Mit richtigem Namen hieß er im Übrigen Emerich Juettner, warum er sich in seiner nun ausgebrannten Wohnung unter einem Falschnamen eingemietet hatte, bleibt unbekannt. Die Scheine hatte er nur gefälscht, um seine schmale Kasse etwas aufzubessern und ein klein wenig mehr Geld zum Leben zur Verfügung zu haben. Juettner war 74 Jahre alt. 1898 war er aus Österreich in die USA gekommen. In seiner Heimat hatte er den Beruf des Druckers erlernt und sich unter anderem grundlegende Kenntnisse im Fotodruck angeeignet. Zunächst hatte er in New York als Hausverwalter ganz gut verdient. Dann aber hatte er sich mit windigen Geschäften verspekuliert und fast sein gesamtes Vermögen eingebüßt sowie seinen Job verloren. 1937 starb seine Frau, die beiden Kinder des Ehepaares waren erwachsen und aus dem Haus. Da er sich das bisherige Appartement nicht mehr leisten konnte, zog er an die Upper West Side in eben jene kleine, heruntergekommene Wohnung und verdiente sich zu seiner bescheidenen Rente von 25 Dollar noch einige wenige Dollar durch den Handel mit Schrott und Altwaren dazu. Dies aber reichte kaum aus. Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig – nahezu mittellos und manchen Tag ohne eine warme Mahlzeit kam der gelernter Drucker auf die Idee, sich mittels selbst gemachter Greenbacks das Leben etwas zu erleichtern. Nach der Arbeit des Tages, wenn er seine Schubkarre weggestellt hatte, mit der er durch die Straßen zog und Altmetalle und alte Autoreifen einsammelte, begann seine geheime Nachtarbeit. Die notwendige Ausrüstung hatte er sich nach und nach besorgt. Die Fotografie einer Dollarnote kopierte er auf eine Zinkplatte und ätzte die Zeichnung mittels eines Säurebads ein. Nach der Retusche verschiedener Details druckte er dann seine eigenen Scheine auf einer kleinen mechanischen Handpresse. In seinem Prozess sagte er aus, dass er nie mehr Fälschungen

in Umlauf gebracht habe, als er unbedingt zum Leben benötigte. Seine Erzeugnisse verausgabte er stets in anderen Geschäften in verschiedenen Stadtteilen und immer nur während der späten Nachmittagsstunden, der Rush Hour, wenn die Läden voller Kunden waren und das Personal keine Zeit hatte, die Scheine näher anzuschauen. Als ihn der Richter fragte, warum er keine höheren Nennwerte gefälscht habe, antwortete Juettner: „Euer Ehren, ich wollte doch niemanden um mehr als einen Dollar betrügen!“. Der Richter glaubte ihm und ließ Milde walten. Im Juli 1948 verurteilte er den Fälscher zu einem Jahr und einen Tag Gefängnis sowie zu einer Geldstrafe von – einem Dollar. Nach nur vier Monaten wurde er aufgrund seines fortgeschrittenen Alters vorzeitig entlassen. Emerich Juettner lebte fortan bei der Familie seiner Tochter. In Anlehnung an die Nummer seiner Secret Service-Akte wurde 1950 unter dem Titel „Mister 880“ seine Lebensgeschichte mit Burt Lancaster und Edmund Gwenn in den Hauptrollen verfilmt. Der ehemalige Fälscher erhielt von 20th Century Fox ein großzügiges Honorar für die Verfilmung seiner Story, mit dem er fortan einen bescheidenen Lebensabend finanzieren konnte.


Karlheinz Walz


Fortsetzung folgt …




Karlheinz Walz: Fälscher & Falschgeld,

280 Seiten, Hardcover, ISBN: 978-3-86646-084-3.


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