Geschichten, die Geschichte machten, Teil 8:
Die „Andreas“-Angelegenheit und das „Unternehmen Bernhard“
Alfred Naujocks, der Mann, der den Krieg begann.
Falsche Pfunde für die Nazis
Im Jahre 1940 hob die Prager Kriminalpolizei die Fälscherwerkstatt eines gewissen Vojtech Hrdina aus, in der dieser englische 1-Pfund-Noten hergestellt hatte. Ebenfalls in Prag wurde kurz darauf ein Richard Hallasch verhaftet, er hatte sich auf 5-Pfund-Noten spezialisiert. Obwohl die Erzeugnisse beider Herren dilettantisch gemacht und von schlechter Qualität waren, gab es für sie – wie für die meisten anderen ihrer Fälscherkollegen – keine Probleme, die Fälschungen abzusetzen.
Wollte ein Bürger des Reichsprotektorates Böhmen und Mähren dieses verlassen, musste er seine Ausreise quasi erkaufen, das heißt, in US-Dollar oder in Pfund Sterling bezahlen. Gleichfalls war bei illegaler Ausreise harte Währung gefragt, nur gegen solche waren die Fluchthelfer bereit, zu arbeiten. Und schließlich benötigten die Flüchtlinge in ihrem Zielland ebenfalls harte Valuta. Offiziell beziehen konnte man die werthaltigen Währungen nicht mehr; die Deutschen hatten nach ihrem Einmarsch die Ablieferung aller Fremdwährungen befohlen und den Besitz von Devisen verboten. Lediglich auf dem Schwarzmarkt waren solche Noten noch zu bekommen, zu horrenden Kursen, versteht sich. Die Kurse von Dollar und Englischem Pfund stiegen täglich. Oder aber man bezog ausländische Währungen aus Kellerunternehmen wie denen der Herren Hrdina und Hallasch, freilich mit dem Risiko, dass die Falsifikate schlecht gemacht waren und im Ausland erkannt werden würden.
Ein Fernschreiben ging nun vom Reichssicherheitshauptamt (RSHA) nach Prag, in dem SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich anordnete, dass der Abschlussbericht über die beiden genannten Falschgeldfälle alle Details bis hin zur letzten Kleinigkeit zu enthalten habe.
Die beiden in der Kriminalabteilung der Polizeidirektion Prag 1 tätigen Beamten, Kriminalsekretär Willy Abendschön und sein Kollege Kriminalkommissar Oskar Fleischer, wunderten sich zwar über diese Anweisung aus Berlin, waren dies doch eher läppische Fälle von absolut untergeordneter Bedeutung. Doch sie vernahmen die beiden verhafteten Tschechen nochmals ausführlich und erstellten einen neuen Abschlussbericht, in dem nun, wie von Berlin gewünscht, detailgenau die Herstellungstechniken der beiden Fälscher beschrieben waren. Dieser zeitraubende Auftrag war den beiden Kriminalisten also völlig rätselhaft, war doch das Delikt Geldfälschung grundsätzlich eher von geringem Interesse. Zumal gerade zu dieser Zeit die gesamte Dienststelle mit einer anderen wichtigen Sache befasst war, nämlich der fieberhaften Suche nach einem Doppelagenten aus den eigenen Reihen, dessen Funkverkehr seit Monaten abgehört wurde. Aber mit dem RSHA und seinem Chef Heydrich legte man sich besser nicht an, sondern führte seine Befehle einfach aus, ohne groß nach Sinn und Zweck zu fragen. Als nach drei Tagen der Bericht schließlich im Entwurf fertig war, tippte ihn die Sekretärin Helga Tobias ab. Ein Kriminalrat Schulze wurde vom Leiter der Gestapoleitstelle Prag, SS-Standartenführer Dr. Otto Geschke, zu einer Dienstreise nach Berlin beordert, um den Umschlag mit dem Bericht Reinhard Heydrich persönlich zu überbringen. Ein gewisser Alfred Naujocks wurde von Heydrich über den Inhalt des Vernehmungsberichts sofort und in allen Einzelheiten informiert.
Um den Schein zu wahren, sorgte man in Berlin dafür, dass in „Internationale Kriminalpolizei“, dem Organ von Interpol (die Interpol-Zentrale war 1938 von Wien nach Berlin verlegt worden) sowie in der internationalen Publikation über aufgetauchtes Falschgeld mit dem Titel „Erkennungszeichen“ Nummern und Erkennungsmerkmale der Prager Fälschungen veröffentlicht und alle angeschlossenen Staaten über das Vorkommen dieser Fälschungen gewarnt wurden. Auf der einen Seite mimten die Herren also die korrekten Polizeibeamten, denn auch das Deutsche Reich war dem Internationalen Abkommen zur Bekämpfung der Falschmünzerei vom 20. April 1929 beigetreten. Gleichzeitig aber informierten sie sich genauestens über alle Fälscherdetails und Herstellungstechniken, die die beiden Verhafteten angewendet hatten. Vielleicht konnte man ja noch die eine oder andere Finesse hinzulernen. Denn was man in Prag nicht wissen konnte: auch in Berlin war man derzeit fleißig dabei, sich dringend benötigte Devisen auf ganz ungewöhnliche Weise zu beschaffen.
Drehen wir also die Zeit um rund 70 Jahre zurück und blicken hinter die Kulissen eines der größten Staatsgeheimnisse des Dritten Reiches, der gigantischsten und abenteuerlichsten Falschgeldaffäre, die es jemals gegeben hat und die genau genommen aus zwei Affären besteht: die ursprüngliche „Andreas“-Angelegenheit und das „Unternehmen Bernhard“.
Das erstgenannte Unternehmen wird heute in der Literatur häufig schlichtweg vergessen. Findet es denn einmal ansatzweise Erwähnung, werden Tatbestände hieraus sehr häufig mit denen des Nachfolgeunternehmens „Bernhard“ verwechselt.
Bis heute ranken sich legendenhaft Un- und Halbwahrheiten um diese gigantischen Fälschergeschichten, wobei sich Details von „Andreas“ und „Bernhard“ sowie Dichtung und Wahrheit im Laufe der Zeit zu einem undurchsichtigen Geflecht vermischt haben.
Diese Darstellung versucht daher, die wesentlichen, zumeist auf gesicherten Erkenntnissen sowie auf Aussagen von Zeitzeugen und Beteiligten dieser Operationen beruhenden Fakten zusammenzuführen. Vielfältige und großteils aufwendige Recherchen waren dazu erforderlich.
Karlheinz Walz
Fortsetzung folgt …
Karlheinz Walz: Fälscher & Falschgeld,
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