Geschichten, die Geschichte machten, Teil 8:
Die „Andreas“-Angelegenheit und das „Unternehmen Bernhard“
Das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA)
1929 erhielt die SS ein Verwaltungsamt, dessen Leiter am 1. Februar 1934 Oswald Pohl wurde. Nach Übernahme auch der Zuständigkeit für die bewaffneten SS-Verbände erhielt er den Titel „Verwaltungschef der SS“ und war damit auch oberster Verwalter des Sicherheitsdienstes sowie des Rasse- und Siedlungs-Hauptamtes (RuSHA).
Seit 1939 firmierte dieses Verwaltungsamt als „Hauptamt Verwaltung und Wirtschaft“, dem das Hauptamt „Haushalt und Bauten“ angegliedert war.
Pohl schloss am 1. Februar 1942 beide Ämter zum Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA) zusammen und verfügte in der damit entstandenen Großbehörde über eine Personalstärke von 1.500 Mann. Ursprünglich hatten die Konzentrationslager dem K.L.-Inspekteur Theodor Eicke unterstanden, der dem SS-Hauptamt angehörte. Eicke rückte in die Waffen-SS ein. Sein Nachfolger wurde Richard Glücks, der 1942 in seiner Eigenschaft als K.L.-Inspekteur in das WVHA eingegliedert wurde und dort die Amtsgruppe D bildete. Vom Amt D II aus würde im Juli 1942 ein Rundschreiben an die Kommandanten der K.L. Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen ergehen, in dem Häftlinge aus dem graphischen Gewerbe, Papierfachleute und sonstige geschickte Handwerker gesucht wurden und an das Amt D II zu melden waren.
Der Sicherheitsdienst
Der Sicherheitsdienst war innerhalb der SS zunächst die Parteipolizei und der Nachrichtendienst der NSDAP. Er hatte vorrangig die Aufgabe, die Gegner der NSDAP zu überwachen, Gefahren von der Partei abzuwenden sowie die Beschaffung politischer Nachrichten aus dem In- und Ausland. Das Kürzel „SD“ gehörte, wie „SS“ oder „Gestapo“, zu den gefürchtetsten Abkürzungen im Deutschen Reich des Adolf Hitler. Ab 1931 von Himmlers engstem Mitarbeiter, Reinhard Heydrich, aufgebaut, basierte der SD auf einem reichsweiten Spitzelsystem von bezahlten Agenten und V-Leuten und belieferte SS- und Parteiführung mit regelmäßigen Berichten über die Stimmungslage der Bevölkerung („Meldungen aus dem Reich“). Gegliedert in Abschnitte und Oberabschnitte gehörte zu den weiteren Aufgaben des SD, dessen Chef Heydrich im Juli 1932 offiziell wurde, die Ausforschung tatsächlicher oder angeblicher Regimegegner und oppositioneller Gruppen. Er gab auch Beurteilungen über die politische Zuverlässigkeit hoher Parteiführer, Offiziere und weiterer NS-Funktionäre ab, die in vielen Fällen Auswirkungen auf deren weitere Laufbahn hatten. Von vielen „Würdenträgern“ aus Partei und Staat heftig kritisiert, wurde die Anlage solcher Dossiers von Himmler zwar offiziell untersagt, intern und inoffiziell aber weiterhin praktiziert und geduldet. Das Wort „Kameradschaft“ wurde zwar gepflegt und hochgehalten, doch in den Führungspositionen misstraute man sich gegenseitig und beäugte sich stets mit Argwohn. Ab 1933 wurde der „Sicherheitsdienst des Reichsführers SS“ mit seinem Chef Heydrich als fünftes Hauptamt innerhalb der SS direkt Heinrich Himmler unterstellt, ab 9. Juni 1934 durch Befehl von Rudolf Hess zum alleinigen Nachrichtendienst der Partei erklärt. Alle anderen noch vorhandenen nachrichtendienstlichen Gruppierungen innerhalb der NSDAP wurden aufgelöst. Das SD-Hauptamt gliederte sich in das Amt I „Organisation“, das Amt II „Gegnerbekämpfung“ und das Amt III „Ausland“, welches wir später als Amt VI im neugeschaffenen Reichssicherheitshauptamt nebst seinem ersten Chef Heinz Jost wiederfinden und noch näher kennenlernen werden.
Die Sicherheitspolizei (Gestapo und Kriminalpolizei)
Im Juni 1936 wurde durch zwei Erlasse Himmlers das Polizeiwesen reformiert: Aus der uniformierten Polizei (Schutzpolizei sowie Gendarmerie) wurde die sogenannte Ordnungspolizei (Orpo). Kriminal-Polizei und Gestapo mit Grenzpolizei wurden unter dem Oberbegriff Sicherheitspolizei (Sipo) zusammengefasst. Chef des Hauptamtes Ordnungspolizei wurde Obergruppenführer Kurt Daluege. Zum Chef des Hauptamtes Sicherheitspolizei wurde in Personalunion SD-Hauptamtschef und Obergruppenführer Reinhard Heydrich ernannt. Das Sipo-Hauptamt gliederte sich in die Ämter „Verwaltung und Recht“ (Amtschef: Oberführer Dr. Werner Best), „Geheimes Staatspolizeiamt (Gestapa)“ mit den beiden Ämtern „Politische Polizei“ (Chef: Standartenführer Heinrich Müller, dieses Amt ist die eigentliche Gestapo) und „Abwehrpolizei“ (Chef: Dr. Werner Best, in Personalunion mit dem oben genannten Amt I) sowie als dritte Hauptamtsbehörde das „Reichskriminalpolizeiamt“ (Chef: Sturmbannführer Arthur Nebe). Das RKPA, die Kriminalpolizei, war das Nachfolgeamt des Preußischen Landeskriminalpolizeiamtes, dem Lenkungsorgan aller Kripostellen im Deutschen Reich. Das RKPA war damit oberste Reichsbehörde, der die gesamte deutsche Kripo verwaltungsmäßig unterstand. Es residierte, wie auch die Gestapo, in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße Nr. 8, eine der unheimlichsten und unter der Berliner Bevölkerung nur im Flüsterton genannten Adresse. Die Gestapo unter ihrem berüchtigten Leiter Heinrich Müller („Gestapo-Müller“) war 1933 auf Betreiben des damaligen Chefs der Polizei Hermann Göring als Preußisches Geheimes Staatspolizeiamt gegründet worden, mit dem Ziel der Erforschung und Bekämpfung aller staatsgefährdenden Bestrebungen und Umtriebe. Ab 1934 wurde Heinrich Himmler auch in beinahe allen nichtpreußischen Ländern die Leitung der politischen Polizei übertragen, was nach dem Verzicht von Göring auf sein Weisungsrecht in der Formierung zum Geheimen Staatspolizeiamt (Gestapa) nunmehr für das gesamte Deutsche Reich mündete, zu dessen oberstem Leiter er Reinhard Heydrich ernannte. Von Beginn an mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet, operierte die Gestapo im rechtsfreien Raum. Sie durchsuchte und verhaftete ohne richterlichen Beschluss, schickte Menschen willkürlich in Konzentrationslager, intrigierte, folterte und mordete. Es waren ihr in der Wahl ihrer Mittel keinerlei Grenzen gesetzt. Die Gestapo charakterisierte auf eindrucksvolle Weise den sogenannten Doppelstaat. Einerseits war das NS-System bestrebt, den „Normenstaat“ zu erhalten, dessen Handeln sich an den Gesetzen und Verordnungen orientierte und der hierdurch vorhersehbar und zum Beispiel für Wirtschaft und Industrie absehbar, berechenbar blieb. Andererseits hielt sich dieses System in den Bereichen Gegnerbekämpfung und Herrschaftssicherung nirgends an Normen und Regeln, auch nicht an selbstgesetzte. Dieser „Maßnahmenstaat“ beugte je nach Zweckmäßigkeit und Bedürfnis das Recht oder setzte es gänzlich außer Kraft, handelte also vollkommen autonom im rechtsfreien Raum und legalisierte so Folter, Mord und Terror.
Am 11. November 1938 bezeichnete ein Runderlass des Reichsinnenministers den SD als alleinige Nachrichtenorganisation für Staat und Partei mit der besonderen Aufgabe, die Geheime Staatspolizei zu unterstützen. Damit finden wir auch hier wieder zum einen in der Leitung von SD und Gestapo in ein und derselben Person (Reinhard Heydrich), zum anderen in dem durch den genannten Erlass verfügten Tätigwerden in staatlichem Auftrag eine Verquickung von reiner Parteiformation und Staatsbehörde. Die Zuständigkeit von Heydrich als Chef von SD und Sipo gewährleistete einen immer intensiver werdenden Kontakt von Sicherheitsdienst und Gestapo. Durch diese enge Kooperation zwischen beiden Stellen nahm jedoch der Partei-Nachrichtendienst immer mehr (staatliche) Polizeiaufgaben und auch immer mehr geheimdienstliche Tätigkeiten im Ausland wahr. Der fingierte Angriff auf den Reichssender Gleiwitz, der Adolf Hitler den gewünschten Vorwand für den Überfall auf Polen lieferte, wurde ebenfalls von Männern der SS respektive des SD ausgeführt. Davon erfahren wir später mehr.
1938 wurden durch das Hauptamt Sicherheitspolizei und das SD-Hauptamt Sondereinheiten zur Bekämpfung politischer Gegner aufgestellt, die berüchtigten Einsatzgruppen, die bereits im Polenfeldzug den vorrückenden Wehrmachtsverbänden folgten. Die Offiziere dieser Einsatzgruppen rekrutierten sich aus der Gestapo, der Kripo und dem SD, die Mannschaften aus Ordnungspolizei und Waffen-SS. Die Mitglieder der oftmals von promovierten Juristen kommandierten Einsatzgruppen waren wegen ihrer Brutalität und ihres grausamen Vorgehens weithin gefürchtet. 1939 ging die bisher stets eigenständige Grenzpolizei in der Gestapo auf, der SD wurde zusammen mit der Sicherheitspolizei in das neugeschaffene Reichssicherheitshauptamt eingegliedert, wo sich seine Aufgaben in den SD-Inland (Amt III des neuen RSHA, Inlandsnachrichtendienst) und in den SD-Ausland (das ehemalige Amt III des SD-Hauptamts, jetzt Amt VI des RSHA, Geheimer Auslandsnachrichtendienst, ab 1944: Politischer Auslandsgeheimdienst) aufbauorganisatorisch trennten. Sicherheitsdienst und Sicherheitspolizei bildeten damit den eigentlichen Kern des RSHA.
Karlheinz Walz
Fortsetzung folgt …
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