In der Zeit des Ersten Weltkriegs kam es zu zahlreichen Notgeldemissionen. Waren die gleich zu Beginn des Kriegs 1914/1915 von vielen Städten und Gemeinden ausgegebenen Notgeldscheine noch sehr schlicht ausgeführt, so kamen ab 1916 sog. Kleingeldscheine über Pfennig-Beträge und ab 1918 Großgeldscheine über Mark-Beträge in den Umlauf, die nicht nur überwiegend aufwendig gestaltet waren, sondern zum Teil auch patriotische Motive zeigen. Als besonders markantes „Kriegsgeld“ sei an dieser Stelle auf Kleingeldscheine der bayerischen Städte Füssen und Neu-Ulm verwiesen.
Vorder- und Rückseite eines Kleingeldscheins der Stadt Füssen über 50 Pfennig vom 1. April 1918. (Sammlung des Autors)
Die Rückseiten der Füssener Kleingeldscheine vom 1. April 1918 zeigen einen deutschen Recken mit Stahlhelm, Schwert und germanischem Lendenschurz im Kampf gegen einen mehrköpfigen feindlichen Drachen, dem bereits einige Köpfe abgeschlagen wurden.
Das alles vor der Alpenkulisse mit dem Hohen Schloss von Füssen. Der Drache steht für die sog. Feindbundmächte der Entente und deren Assoziierte und hatte ursprünglich acht Köpfe.
1904 entstand die Entente cordiale als Bündnis zwischen Frankreich und Großbritannien.
Aus diesem wurde 1907 die Triple Entente, als Frankreich Russland als Verbündeten gewinnen konnte, um Deutschland im Kriegsfall einen Zweifrontenkrieg aufzuzwingen.
In Deutschland sprach man zu jener Zeit deshalb auch von der „Einkreisungspolitik“.
Hinzu kamen die assoziierten Mächte der Triple Entente, die in den Krieg einbezogen waren bzw. auf Seiten der Entente in den Krieg eingriffen. Zu ihnen gehörte von Anfang an Belgien, das rasch besetzt werden konnte und deshalb für einen abgeschlagenen Drachenkopf steht.
Bei Ausbruch des Kriegs war Italien noch mit Deutschland und Österreich-Ungarn im sog. „Dreibund“ verbündet, ohne jedoch seiner Bündnispflicht nachzukommen und den Achsenmächten beizustehen. Als die Entente, allen voran Frankreich, es mit dem Londoner Abkommen vom 26. April 1915 geschafft hatte, Italien durch Versprechungen neuer Kolonien und österreichischen Landes, darunter Südtirol, Triest und die gefürstete Grafschaft Görz, zum Angriff auf den eigenen Verbündeten zu drängen, kam es auch zum Krieg an der Isonzo.
Die italienischen Truppen, die schnell in das Herz der Donaumonarchie bis nach Wien vorstoßen wollten, blieben nur kurz hinter der österreichischen Grenze stecken und es kam zum blutigen Stellungskrieg in schwer zugänglicher Bergwelt mit insgesamt zwölf Isonzo-Schlachten und rund einer Million Toten. Nach einer gewaltigen deutsch-österreichisch-ungarischen Gegenoffensive im Oktober 1917 wurden die feindlichen Truppen bis in die italienische Tiefebene hinein vertrieben. Italien symbolisiert deshalb einen weiteren abgeschlagenen Drachenkopf.
Nach einer erfolgreichen russischen Offensive, bei der im August 1916 dem k.u.k. Heer schwere Verluste zugefügt worden waren, stellte sich Rumänien in Aussicht auf Gebietserweiterungen auf die Seite der Entente und erklärte am 27. August 1916 Österreich-Ungarn den Krieg. Rumänische Truppen drangen in das ungarische und hauptsächlich deutsch besiedelte Siebenbürgen ein. Nur eine Woche zuvor hatte die Entente Bulgarien und das österreichisch besetzte Serbien angegriffen. Zur Erinnerung: Auslöser des Ersten Weltkriegs war ein Attentat serbischer Nationalisten auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und dessen Gemahlin Sophie am 28. Juni 1914 in Sarajevo sowie die daraus resultierenden österreichischen Forderungen an Serbien und deren Nichterfüllung.
Die Offensive der Entente 1916 sollte durch den rumänischen Kriegseintritt entlastet werden.
Nach Eingreifen der Heeresgruppe Mackensen, die aus deutschen, bulgarischen und türkischen Divisionen bestand, konnte Rumänien jedoch bis Dezember 1916 geschlagen werden. Rumänien steht damit für das dritte gefallene Drachenhaupt.
Die beiden anderen abgeschlagenen Drachenköpfe stehen sicher für Russland, dessen Truppen gleich zu Kriegsbeginn in das deutsche Ostpreußen eingefallen waren und wahrscheinlich für Serbien. Nur kurz vor Ausgabe des Füssener „Kriegsgelds“ kam es am
2. März 1918 zur Unterzeichnung des Friedens von Brest-Litowsk. Mit den so an der Ostfront frei gewordenen Truppen sollte nun an der Westfront in Frankreich durch eine Gegenoffensive endgültig der Krieg für Deutschland und Österreich-Ungarn entschieden werden. Der deutsche Recke sieht sich deshalb Anfang April 1918 auf dem Geldscheinmotiv einem fast geschlagenen feindlichen Drachen gegenüber, der jetzt nur noch vier Köpfe hat. Zwei davon sollen zweifellos Frankreich und Großbritannien verkörpern. Ein dritter Kopf symbolisiert die USA, die ab März 1918 Monat für Monat eine Viertelmillion frischer und gut ausgerüsteter Soldaten in den Kampf schickte. Der vierte Kopf dürfte Japan darstellen, das sich auf die Seite der Entente geschlagen hatte und im Ersten Weltkrieg das deutsche Pachtgebiet Kiautschou in China besetzte.
Wenn an dieser Stelle so ausführlich auf die Symbolik der Darstellung eingegangen wird, dann nur, um deutlich zu machen, dass eine Interpretation immer auch im historischen Kontext zu sehen ist.
Vorder- und Rückseite eines Kleingeldscheins der Stadt Neu-Ulm über 50 Pfennig vom 1. August 1918. (Sammlung des Autors)
Darstellungen von Putten hatte es auf Geldscheinen – besonders im 19. Jahrhundert – schon sehr oft gegeben, kriegerischere als die vom Neu-Ulmer „Kriegsgeld“ vom 1. August 1918 aber kaum. Auf der Vorderseite wirft ein Putto links eine Stiel-Handgranate, während ein
weiterer Putto rechts mit einer Granate in den Händen beim Laden eines Artilleriegeschützes dargestellt wird. Die Rückseite zeigt einen behelmten deutschen Soldaten hinter einem
Stacheldrahtverschlag sowie links den Reichsadler und rechts den bayerischen Löwen.
Im Hochsommer 1918 war der Kampf schon fast aussichtslos geworden, die großen Offensiven steckengeblieben und sinkende Kriegsmoral und Kriegsmüdigkeit waren weit verbreitet. Zwar waren die deutschen und österreichischen Truppen immer noch nicht im Felde besiegt, doch nach vier langen Jahren Krieg und Leid sehnten sich viele Soldaten nur noch nach Frieden. Neu-Ulm schickte nun auch noch eigentlich friedliche Putten in die Schlacht ums Vaterland. Eine Botschaft, die Tragik und Komik in sich vereint.
Rückseite eines Großnotgeldscheins der Stadtsparkasse Bielefeld über
20 Mark vom 1. November 1918 mit einem Auszug des berühmten Luther-Zitats „Und wenn die Welt voll Teufel wär’ – Es muss uns doch gelingen.“ sowie „Feinde ringsum! Zahlreich ist die Übermacht. 11.000 Bielefelder kämpfen in Feindesland, tapfer und treu.“.
Nur zehn Tage nach Ausgabe des Scheins wurde der Waffenstillstand geschlossen. (Sammlung des Autors)
Am Ende des Kriegs stellten sich auch Politiker und Medien auf Seiten der Befürworter eines Waffenstillstands. Linke Parteien schickten sogar Propagandisten an die Front, die deutsche Soldaten zur Aufgabe bewegen sollten.
Zum Waffenstillstand kam es am 11. November 1918. Doch einen gerechten Frieden gab es nicht. Daraus entwickelte sich schließlich die sog. „Dolchstoß-Legende“, mit der die Schuld am missglückten Kriegsausgang hauptsächlich der Politik (vornehmlich der SPD), der Kirche und den Medien in jüdischer Hand zugewiesen wurde. Tatsächlich war der Waffenstillstandsvertrag schon kaum annehmbar, die Bestimmungen der folgenden Friedensschlüsse von Versailles mit Deutschland, von St. Germain mit Österreich und von Trianon mit Ungarn waren dies erst recht nicht. Die Verhandlungen führten die Entente-Mächte und ihre Verbündeten, darunter das 1916 mit deutscher Hilfe neu entstandene Polen, unter sich. Deutschland, dessen Vertreter von den Verhandlungen ausgeschlossen waren, und seinen Verbündeten wurde die Schuld am Ausbruch des Kriegs als Grundlage für immense Gebiets- und Reparationsforderungen zugewiesen, die Deutschland schließlich in die Hyperinflation führten.
Deutsche Propaganda-Postkarte „Deutschlands Totengräber“ zur sog. „Dolchstoß-Legende“ von 1918. Verantwortlich gemacht für unehrenhaften Waffenstillstand, aus dem quasi eine Kapitulation wurde, und den ungerechten Friedensschluss wurden Kirche, Politik
und Judentum. (Sammlung Wolfgang Haney, Berlin)
Hans-Ludwig Grabowski
Literaturempfehlung:
Hans-Ludwig Grabowski /
Wolfgang Haney (Hrsg.):
"Der Jude nahm uns Silber, Gold und Speck …"
Für politische Zwecke und antisemitische Propaganda genutzte Geldscheine in der Zeit der Weimarer Republik und des Dritten Reichs
Titel: Battenberg Verlag
ISBN: 978-3-86646-122-2
Auflage: 1. Auflage 2015
Format: 17 x 24 cm
Abbildungen: durchgehend farbig
Cover-Typ: Hardcover
Seiten: 280
Preis: 29,90 Euro
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