Am 10. September 1822 verließen 70 Auswanderer auf der Brigg „Honduras Packet“ London. Bei ihnen handelte es sich hauptsächlich um Schotten, vor allem um ältere Männer und Frauen. Nicht nur Bauer und Handwerker, sondern auch Ärzte, Ingenieure und sogar Bankiers wollten ihr Glück im sagenhaft reichen Poyais versuchen, angelockt durch Thomas Strangeways[1] Reisebeschreibung „Sketch of the Mosquito Shore, Including the Territory of Poyais“. Sie beschrieb das Land als ein wahres Paradies mit kristallklarem Wasser, von exotischen Pflanzen bedeckten Berghängen und einem höchst angenehmen und gesundem Klima. Das fruchtbare Land ließe jedes Bauernherz höherschlagen. Das ganze Jahr über ließen sich tonnenweise Mais und anderer Feldfrüchte ernten, auch Kakao, Kaffee, Zuckerrohr, Tabak, Baumwolle, edle Gewürze und Indigo gediehen prächtig. In den Wäldern wüchsen Mahagoni, Orangen, Vanille und Pfeffer. Durch die Ebenen spazierten Antilopen, Truthähne und Wildschweine. Die Flüsse und die Küstengewässer böten Fisch in Überfluss sowie Austern von höchst delikater Qualität. Zudem fände man in den Flüssen tonnenweise Goldstaub. Auch Arbeitskräfte gebe es genügend. Die eingeborenen Indianer würden bereitwillig für monatlich 25 Schilling arbeiten, jedoch zögen sie es vor, in Kleidung und Tand entlohnt zu werden. In der aufstrebenden Hauptstadt „St. Joseph“ gebe es ein Schloss, Parlamentsgebäude, Opernhaus, Kathedrale, Krankenhaus, Schulen und von Palmen gesäumte Boulevards mit Villen sowie moderne Hafenanlagen.
Abb. 1: Thomas Strangeways: Sketch of the Mosquito Shore, Including the Territory of Poyais
Quelle: <https://www.crouchrarebooks.com/discover/featured-items/sir-gregor-macgregor-the-cazique-of-poyais>
Fast alles in diesem Buch war Fiktion, aber es zerstreute jeden Zweifel beim Publikum.
Es gelang dem selbst ernannten Prinzen von Poyais, Gregor MacGregor, poyaisische Landzertifikate zu zwei Schilling und drei Pence pro Acre[2], ungefähr dem Tageslohn eines Arbeiters, abzusetzen. Die Nachfrage nach den Papieren war so groß, dass er im Juli 1822 den Preis auf zwei Schilling und sechs Pence und schließlich auf vier Schilling anheben konnte. Von der renommierten Londoner Bank „Sir John Perring, Shaw, Barber & Co.“ erhielt er ein Darlehen über 200.000 Pfund. Als Sicherheit sollten alle Einnahmen der Regierung von Poyais dienen, einschließlich der Erlöse aus dem Verkauf von Land und den Einnahmen aus der 6%igen poyaisischen Anleihe vom 23. Oktober 1822. Diese wurde Interessenten zu 80 Prozent des Nominalwertes in Stücken zu £ 100, £ 200 und £ 500 zur Zeichnung angeboten. 15 Prozent des Kaufpreises waren sofort fällig, der Rest in zwei Raten am 17. Januar und 14. Februar 1823. Den Anlegern wurde ferner die Möglichkeit eingeräumt, ihre Obligationen jederzeit gegen gleichwertigen Grundbesitz in Poyais umzutauschen. Der Verkaufserfolg war überwältigend.
Zusätzliche Einnahmen generierte der „Fürst“ durch den Verkauf von Titeln und Posten in seinem Militär oder für das Recht, Schuhmacher oder Juwelier der Prinzessin zu sein. Er gab sogar eigene Banknoten aus, in die die Auswanderer ihre Ersparnisse und Erlöse aus dem Verkauf von Hab und Gut bereits in Schottland in die in Poyais gültige Währung wechseln konnten.
Die Banknoten sind im Stil der damaligen englischen und US-amerikanischen Noten ausgeführt: Einseitiger Druck mit schwarzer Schrift und einer kleinen Vignette (die das Staatswappen von Poyais zeigt) sowie Verwendung von Wasserzeichenpapier. Der Notentext verspricht dem Besitzer die Auszahlung von „One Hard Dollar“ – d. h. in Silber-Dollar-Münzen – bei Vorlage bzw. drei Monate nach Sicht in den Geschäftsräumen der Bank of Poyais in St. Joseph. Emittent war jedoch nicht die Bank, sondern seine „Highness (Hoheit) Gregor, Cazique of Poyais“. Die Gravur der Druckplatte wie auch den Druck selbst besorgte William Home Lizars [* 1788 in Edinburgh; † 30. März 1859 in Jedburgh]. Dies ist unterhalb der Vignette vermerkt: W.H. Lizars Sculpt EdinI. Lizars. Er arbeitete auch für die Bank of Scotland. Es haben sich wohl nur Blanketten erhalten. Bei den bekannten Exemplaren fehlen am unteren rechten Rand die Unterschriften des Managers und einer weiteren Person, Accontant genannt, ferner die Kennnummer. Am 16. Dezember 2008 wurde eine Note bei „Staples Numismatic, Inc.“ für 3.950 US-Dollar angeboten.
Abb. 2: Bank of Poyais, o. D., 1 Hard Dollar von 182…, Vorderseite.
Abb. 3: Staatswappen von Poyais (Ausschnitt aus der Banknote)
Unter dem Staatswappen der Wahlspruch „IN LIBERTA TE SOCICORUM DEFENDENDA“.
Er enthält gleich zwei Rechtschreibfehler und müsste richtig „IN LIBERTATE SOCIORUM DEFENDENDA“ heißen, also „Die Freiheit der Verbündeten verteidigen“.
Im November 1822 erreichte das unter poyaisischer Flagge (grünes Kreuz auf weißem Tuch) segelnden Schiff den Black River an der Moskito-Küste, im heutigen Honduras. Was die Ankömmlinge jedoch vorfanden, war ernüchternd. Vom Deck des Schiffes konnten sie die markante Silhouette der Sugarloaf Mountains (Zuckerhutgebirge) sehen. Die üppige Vegetation, die palmengesäumte Landzunge, die die Lagune vom Meer abschirmte.
Für Verwunderung sorgte an Bord jedoch die Tatsache, dass jegliches geschäftige Treiben fehlte, keine einzige Schaluppe, kein Boot war zu entdecken. Wo waren die modernen Hafenanlagen? Auch von der Hauptstadt St. Joseph war nichts zu sehen, weder die Kuppel der Kathedrale noch der Königspalast, das Parlament, das Theater oder die Nationalbank. Und – wieso waren keine Rauchfahnen am Himmel zu entdecken, schließlich sollten in der Stadt 15.000 Menschen leben? Stattdessen nur sumpfiger, unwirtlicher Urwald weit und breit.
Abb. 4: Die angebliche Darstellung des Landes Poyais zeigt regen Schiffsverkehr vor der Küste des Landes. Doch der Stich war frei zusammenfantasiert, wie das ganze Buch von Thomas Strangeways über den Staat, den es nie gab.
Noch bevor alle Vorräte ausgeladen waren, kam ein Sturm auf und die "Honduras Packet" musste die Lagune verlassen. Sie segelte los, um nicht zurückzukehren. Ein zweites Auswandererschiff, die „Kennesley Castle“, traf am 22. Januar 1823 mit 180 hoffnungsfrohen Siedlern ein. Auch sie wurden enttäuscht. Poyais und St. Joseph existierten nicht. Die vor einigen Wochen zuvor Gelandeten hausten in Zelten, Holzverschlägen und Hütten aus Palmblättern.
Schnell wurde das versprochene Paradies zur Hölle: Mit der Regenzeit befielen Insektenscharen das Lager, viele wurden krank vom schmutzigen Trinkwasser. Malaria und Gelbfieber verbreiteten sich und geschwächte und ältere Menschen starben. Unterernährung war ein Problem, die grassierende Verzweiflung ein anderes. Manche trieb sie in den Suizid. Anfang Mai entdeckte die Besatzung des vorbeifahrenden Schoners „Mexican Eagle“ die armseligen Unterkünfte und brachte die Überlebenden nach Britisch-Honduras (Belize).
Von hier kehrten weniger als 50 von ihnen nach Großbritannien zurück, mindestens 180 Siedler kamen ums Leben.
Abb. 5: „El General Mac Gregor“: Gregor MacGregor, gemalt von JS. Rochard, graviert von SW. Reyolds Bayswater, 1820 – 1835.
Sie hatten dem „Fürsten“ Gregor MacGregor blind vertraut, obwohl er ihnen eigentlich vollkommen unbekannt war. Wer war nun dieser etwa 1,75 m große und stämmige Hochstapler und Betrüger? Zeitgenossen beschrieben ihn als „Genussmenschen“, der gerne aß, trank und rauchte und mit zunehmendem Alter immer beleibter wurde. Geboren wurde er am 24. Dezember 1786 in Glendale, im Herzen des heutigen schottischen Loch Lomond Nationalparks, etwa 48 km nördlich von Glasgow. Sein Vater Daniel MacGregor, ein ehemaliger Hauptmann der East India Company, starb 1794. Gregor und seine beiden Schwestern wurden unter Vormundschaft gestellt und von der Mutter Ann, geborene Austin, mit Hilfe von Verwandten erzogen. Im März 1803 beschloss er, in die Fußstapfen seines Großvaters zu treten und wurde Soldat im 57. (Middlesex) Regiment zu Fuß und bereits im Februar 1804 zum Leutnant befördert. Durch seine Heirat (1805) mit der wohlhabenden Maria Bowater, der Tochter eines verstorbenen Admirals, machte er schnell Karriere und stieg zum Hauptmann und Kompaniechef auf, musste jedoch im Mai 1810 wegen Unstimmigkeiten mit seinem Vorgesetzten seinen Abschied nehmen. Daraufhin trat er in portugiesische Dienste und wurde Major. Auch dieses Mal musste er nach kurzer Zeit unfreiwillig die Armee verlassen. Er kehrte in seine Heimatstadt Edinburgh zurück. Hier trat er als Oberst a. D. und mit angeblichen portugiesischen Adelstitel auf. Durch den überraschenden Tod verlor er ein Jahr später nicht nur seine Frau, sondern auch die gesellschaftliche und finanzielle Unterstützung ihrer Familie.
Da kam ihm Simón Bolívars Besuch in London gerade recht. Der venezolanische Revolutionsführer suchte Offiziere für seine Befreiungsarmee. MacGregor verkaufte sein schottisches Anwesen und siedelte nach Caracas über, wo er am 10. Juni 1812 Doña Josefa Antonia Andrea Aristeguieta y Lovera, die Nichte Simón Bolívars heiratete und eine führende Rolle im Befreiungskrieg spielte. 1817 nahm er im Rang eines Generals seinen Abschied und ging in die USA. Dort leitete er ein von amerikanischen Geschäftsleuten finanziertes Filibuster-Unternehmen[3] zur Eroberung Floridas, das damals noch spanisch war. Am 29. Juni 1817 gelang ihm und seinen 55 Männern die Eroberung von Amelia Island, die er unter der Flagge des „Green Cross of Florida“ für unabhängig erklärte. Als weitere Unterstützungszahlungen ausblieben, verließ MacGregor die Insel im September 1817.
An diese Episode erinnert ein Geldschein über 6 ¼ Cents vom 19. August 1817, der von MacGregor mitunterzeichnet ist. Die abgebildete Note ist das einzige bekannte Exemplar dieses Scheins, dessen Wert 1980 mit 20.000 US-Dollars angegeben wurde.
Abb. 6: Amelia Island, 19. August 1817, 6 ¼ Cents, Vorderseite.
Quelle: <http://www.numismondo.net/pm/aml/>
Nach dem Florida-Abenteuer kehrte er zunächst nach Caracas zurück, um erneut in Bolívars Armee einzutreten. Später brach er dann nach Mittelamerika auf. An der Moskitoküste gelangte er an den Hof „King Georg Friedrich August“. Bei den Bewohnern dieses Landstriches handelte es sich um Nachfahren von schiffbrüchigen afrikanischen Sklaven und Indigenen. Im Tausch gegen Rum und Schmuck erwarb MacGregor am 29. April 1820 von König Georg für sich und seine Erben ein 8.000.000 Acres (12.500 Quadratmeilen; 32.375 Quadratkilometer) großes Territorium, das ungefähr ein Dreieck mit Ecken bei Cape Gracias a Dios, Cape Camarón und dem Quellgebiet des Black River bildete und damit größer als Belgien war. Es stellte sich jedoch heraus, dass das Land schlecht und für die Landwirtschaft vollkommen unbrauchbar war. Daher änderte er seine Pläne. Es sollte doch möglich sein, seine Erwerbung, die er nach den Ureinwohnern des Hochlandes „Poyais“ nannte, zu Geld zu machen. Mitte 1821 war MacGregor wieder in London. Der Ankömmling nannte sich „Cazique of Poyais“. Als Staatsoberhaupt trat er als Prinz auf.[4] Der Fremde übte auf die Londoner Gesellschaft eine exotische Anziehungskraft aus, die durch die Ankunft der auffallend schönen „Prinzessin von Poyais“, Josefa, verstärkt wurde. Schon bald war das Ehepaar MacGregor der Fixstern am Himmel der High-Society der Stadt.
Abb. 7: Josefa MacGregor – Frau des Hochstaplers Gregor MacGregor, Cousine des südamerikanischen Revolutionärs Simón Bolívar.
Seine Tage in England waren jedoch gezählt. Kurz bevor die kleine Gruppe der Poyais-Überlebenden am 12. Oktober 1823 in England eintraf, setzte sich das Ehepaar nach Frankreich ab, um hier die Betrügereien fortzusetzen. MacGregor gründete in Frankreich Unternehmen, um die Reichtümer von Poyais auszubeuten. 1827 zurück in London, wurde er wegen Betrugs verhaftet, aber schon kurze Zeit darauf entlassen. Hochgestellte Persönlichkeiten hatten es wohl geschafft, dass die Anklage fallen gelassen wurde. Wahrscheinlich fürchteten diese Kreise den Skandal, wenn ihre Verstrickungen bei den Betrügereien des „Prinzen“ bekannt würden. Danach zog es MacGregor wieder nach Frankreich, wo er seinen Reichtum genoss und das Geld in vollen Zügen ausgab.
1839 scheinen seine Mittel aufgebraucht gewesen zu sein, denn er wandte sich an die venezolanische Regierung um Hilfe. Diese akzeptierte seine Bitte und setzte ihn als Divisionsgeneral in der Armee ein. Am 4. Dezember 1845 starb er in Caracas, Venezuela.
Gregor MacGregor kann wahrlich als König der Betrüger bezeichnet werden. Im Laufe seines Lebens beliefen sich seine Gaunereien auf 1,3 Millionen Pfund, was nach heutigem Wert rund 3,6 Milliarden Pfund ausgemacht haben soll. Drei Faktoren dürften zu MacGregors „Erfolg“ beigetragen haben.
Erstens war er sehr charmant und hatte unglaubliches Charisma. Dies war wahrscheinlich auch seine größte Eigenschaft als militärischer Führer während der lateinamerikanischen Unabhängigkeitskriege. Wenn er sprach, hörten die Leute zu. Er vermittelte ihnen Autorität und Authentizität. – Sein Name und seine Titel sorgten darüber hinaus für den notwendigen Respekt und öffneten ihm den Zugang zu den höchsten Kreisen der Londoner Gesellschaft.
Zweitens untermauerte er seine Mär von Poyais, indem er in London eine gefälschte Botschaft eröffnete, eine Nationalflagge entwarf, eine Nationalhymne schuf und sogar eigene Banknoten ausgab. Das bereits erwähnte Buch von Strangeways schilderte das märchenhafte Land überschwänglich, Karten und Illustrationen unterstrichen das Gesagte, sodass nur wenige Menschen an der Existenz des Landes zweifelten. Verstärkt wurde das Ganze durch Berichte und Interviews, die er in den entsprechenden Zeitungen lancierte. Heute würde man sagen, er beherrschte die Klaviatur des Marketings perfekt.
Drittens war der wichtigste Faktor für seinen Erfolg das Timing. In den 1820er Jahren erlebte London eine Investitionsblase bei lateinamerikanischen Wertpapieren, die durch die erst kurz zuvor eingetretenen politischen Veränderungen ausgelöst wurde. Renditehungrige Anleger vermuteten enorme Bodenschätze in Südamerika und ein riesiges Wirtschaftspotenzial.
Die Geografie Lateinamerikas war ständigen Veränderungen ausgesetzt und es war manchmal schwierig zu bestimmen, wer was und wo zu einem bestimmten Zeitpunkt regierte. Niemand war sonderlich überrascht, dass zwischen Honduras und Nicaragua ein neues Land namens „Poyais“ entstanden sein sollte.
Uwe Bronnert
Anmerkungen [1] Ob es je einen Thomas Strangeways gegeben hat, ist ungeklärt. Wahrscheinlich
hat MacGregor einen "Ghostwriter" beauftragt – oder das Buch selbst geschrieben.
Die Namenswahl deutet auf Humor: „Strangeways“ lässt sich mit „merkwürdige Sitten“ übersetzen. Man darf sich vorstellen, wie MacGregor bei dieser Narretei vergnügt in sich hineinkichert.
[2] 1 Acre = 4.046,8564224 m².
[3] Als Filibuster wurden im 19. Jahrhundert Freibeuter, also gesetzlose Plünderer, die in Südamerika tätig waren, bezeichnet.
[4] „Cazique“ – deutsch Kazike – steht im Spanischen für einen einheimischen Häuptling, der bei MacGregors die Bedeutung von „Prinz“ annahm.
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