Anmerkungen zu einer Papiergeldausgabe der Separatisten
Am 21. Oktober 1923 stürmten Bewaffnete das Rathaus in Aachen. Ihr Anführer, der Industrielle Leo Decker, rief mit Rückendeckung der belgischen Besatzer die Rheinische Republik aus. Dies löste in Aachen Tumulte aus und es kam zu Straßenkämpfen. Auch in Duisburg, Jülich, Mönchengladbach, Bonn, Wiesbaden, Mainz und anderen Städten ergriffen die Sonderbündler (Separatisten) die Initiative.
Separatisten der sog. "Rheinischen Republik" am 22. November 1923 vor dem Koblenzer Schloss, mittig mit französischem Barett "Ministerpräsident" Matthes.
Abb. Library of Congress (ID ggbain.15993).
Dorten, der führende Vertreter der Bewegung, besetzte mit Gleichgesinnten am 23. Oktober das Koblenzer Schloss. Eine Regierung wurde gebildet und Joseph Friedrich Matthes [* 10. Februar 1886 in Würzburg; † 9. Oktober 1943 im Konzentrationslager Dachau] zum „Ministerpräsident“ bestimmt. Der französische Hochkommissar und Präsident der Rheinlandkommission, Paul Tirard [* 2. Juni 1879 in Nogent-le-Rotrou; † 23. Dezember 1945], erkannte die Herrschaft der Separatisten am 26. Oktober als legitime Regierung des Rheinlands an, obwohl sich ihre Macht im Wesentlichen auf die französischen Bajonette stützte.
Flagge der separatistischen "Rheinischen Republik".
In der Nacht vom 27. auf den 28. Oktober erreichte ein mit Sonderbündlern besetztes Auto Montabaur. „Ein Trupp Montabaurer, der wegen zu erwartender Ereignisse auf der Straße weilte, nahm sich ihrer warm an. Mit der Drohung: ‚Ihr werdet bald von uns hören,‘ fuhren sie nach der kleinen Auseinandersetzung nach Koblenz ab.“[1] Am gleichen Tag, einem Sonntag, verhängte die französische Besatzungsbehörde eine Verkehrssperre von 20 Uhr bis zum nächsten Morgen 6 Uhr für den Bereich der Stadt [Montabaur]. Kurz nach 5 Uhr fuhr ein Lastwagen aus Koblenz am „Großen Markt“ vor. Unter dem Schutz französischer Soldaten besetzten die Ankömmlinge das Rathaus und hissten als Zeichen ihrer Machtergreifung sofort die grün-weiß-rote Flagge. Gegen 6 Uhr stürmten etwa 30 Separatisten auch das Schloss, den Sitz des Landratsamtes. Bürger, die diese Aktion verhindern wollten, wurden durch Warnschüsse einer französischen Patrouille vertrieben.
Folglich wies Landrat Mock seine Beamten und Angestellte sowie den Kreisausschuss an,
in Eschelbach ein provisorisches Landratsamt einzurichten. In der Zwischenzeit machte der Stadtkommandant der Separatisten bekannt, dass er den Landrat und seine Mitarbeiter verhaften und ausweisen lassen würde, wenn sie nicht bis 4 Uhr nachmittags ihren Dienstbetrieb wieder in Montabaur aufnehmen. Dieses Ansinnen wurde von den Betroffenen einmütig zurückgewiesen.
Abb. Wikipedia (gemeinfrei).
„Inzwischen war bei der Kreisbevölkerung die erfolgte Besetzung Montabaurs durch die Separatisten bekannt geworden. Tausende von Einwohnern des Kreises hatten sich rings um die Stadt herum angesammelt, mit der Absicht, die Separatisten gewaltsam wieder zu vertreiben.“ [2] Im Auftrag der Kreisverwaltung, der Gewerkschaften und der Behörden wurde daher eine Abordnung beim französischen Kreisdelegierten vorstellig. Dieser erklärte jedoch, dass die „rheinische Regierung“ von der Rheinlandkommission anerkannt sei; „er habe Weisung, die Herrschaft der Separatisten mit Waffengewalt zu schützen und werde gegen jeden Angriff unsererseits auf die Separatisten rücksichtslos seine Truppen mit der Waffe vorgehen lassen.“ Daraufhin sprach sich der Landrat dagegen aus, „Tausende gegen die französischen Maschinengewehre anrennen zu lassen,“ sodass sich die versammelten Kreisbewohner wieder in ihre Heimatort begaben.
Obwohl die Franzosen Wachen zum Schutz der Sonderbündler abstellten, kam es am Mittwoch, den 31. Oktober um 17 Uhr zu einem „meuchelmörderischen Anschlag“ auf den separatistischen Stadtkommandanten Josef Bauslig. Der separatistische Landrat Lurz, machte daraufhin bekannt, dass er in Zukunft derartige Vorkommnisse in rücksichtsloser Strenge ahnden werde. Für jeden seiner Leute, welche Opfer eines derartigen Anschlags würden, ließe er drei der angesehensten Bürger auslosen und standrechtlich erschießen, im Übrigen befänden sich noch fünf Gefangene in seiner Hand, die mit ihrem Leben für die Sicherheit bürgen würden. Ferner verhängte er gegenüber der Stadt Montabaur eine Geldstrafe in Höhe von 1.000 Francs.[3]
Die Separatisten übten „eine Willkürherrschaft schlimmster Art in der Stadt Montabaur“ aus, so der Landrat in seinem Bericht. „Requisitionen und Beschlagnahmungen von Privateigentum waren an der Tagesordnung, massenweise erfolgten Verhaftungen von Bürgern, die jedoch der Kreisdelegierte wieder rückgängig machte. Fast in jeder Nacht wurden Einbrüche in Geschäftshäusern verübt, und beträchtliche Mengen Waren aller Art von den Separatisten gestohlen.“
Da dem Landrat Eschelbach nicht mehr sicher genug erschien, und mittlerweile auf seinen Kopf eine Belohnung von einigen Hundert Billionen Mark ausgesetzt war, verlegte er am Mittwoch den Sitz des Landratsamtes nach Dernbach. Am Samstag, den 3. November, trafen Mock und der französische Kreisdelegierte zu einem Gedankenaustausch zusammen, bei dem es um die Frage ging, „wie er sich verhalten würde, wenn die Separatisten außerhalb Montabaurs im Betreffungsfalle von uns unschädlich gemacht würden.“ Der Kreisdelegierte erklärte, dass es ihn nichts angehe, was außerhalb Montabaur geschehe, solange keine französischen Truppen beteiligt seien.
Am Abend des gleichen Tages versammelte sich eine große Anzahl teils bewaffneter junger Männer aus Montabaur und den näher gelegenen Orten vor dem Stadtwald auf der Straße nach Koblenz. Hier wollte man den Separatisten auflauern, denn nach Gerüchten wollten die Sonderbündler wieder abrücken. Tatsächlich erschien gegen 22 Uhr ein Lastwagen, der mit
acht bis zehn Personen besetzt war. Es kam zu einem Schusswechsel zwischen der Bürgerwehr und den Separatisten, bei dem ein Arbeiter aus Niederelbert durch Schrotkugeln schwer verletzt wurde. Den Separatisten gelang es, mit dem Fahrzeug Richtung Bad Ems zu entkommen. Am nächsten Tag hieß es, dass die Separatisten zwei Tote sowie einen Verletzten zu beklagen hätten.
Einige Stunden später stoppten die jungen Burschen an gleicher Stelle mittels eines über die Straße gespannten Drahtseils einen Personenwagen, in dem der separatistische „Landrat“ Lurz in Richtung Koblenz unterwegs war. „Nachdem er windelweich geprügelt war, wurde er dem Landjäger Grunewald in Untershausen in Schutzhaft übergeben. Die anderen Insassen des Wagens waren im Schutz der Dunkelheit entkommen.“
Als Antwort auf diese Tat verhängte der französische Kreisdelegierte am nächsten Tag den verschärften Belagerungszustand über den Bereich der Stadt Montabaur von abends 19 bis morgens 7 Uhr, der so bis zum 16. November andauerte. Ferner verlangte er die sofortige Auslieferung von Lurz, andernfalls würde er zehn angesehene Bürger der Stadt als Geiseln verhaften. Notgedrungen lieferte der Landjäger am Sonntagabend gegen 19 Uhr den arretierten „Landrat“ aus.
Am Dienstag, den 6. November, wurde Lurz von den Franzosen aus der Stadt gebracht.
An seine Stelle trat ein sog. Kreiskommissar, der angebliche Rektor a. D. Kosiol.
Nach Angaben des Kreisdelegierten war dieser am Vortag vom separatistischen Stadtkommandanten in Bad Ems eingesetzt worden. Bereits am Samstagvormittag machte jedoch sein Nachfolger, ein vom Separatistenführer Matthes ernannter Bezirkskommissar, dem französischen Kreisdelegierten seine Aufwartung. Diese im Bericht nicht namentlich genannte Person wurde nach seinem Antrittsbesuch jedoch in der Stadt nicht mehr gesehen.
Obwohl Kosiol nur wenige Tage in Montabaur residierte, hinterließ er Spuren: ein Notgeld, vor dessen Annahme Landrat Mock die Kreisbevölkerung durch Plakate warnte.
Aufgrund des vorliegenden handschriftlich nummerierten Exemplars mit der Nummer 130 ist anzunehmen, dass die Auflagenhöhe sehr gering war. Der vorangestellte, gedruckte Buchstabe A lässt vermuten, dass weitere Nominale geplant waren. Pikanterweise emittierte der Kreisausschuss während der Separatistenzeit ebenfalls Kassenscheine. Sie datieren vom 10. Oktober 1923 und lauten über 100, 200, 300 und 500 Milliarden Mark sowie 1, 5 und 10 Billionen Mark. Für insgesamt 561.204,4 Billionen Mark wurde Notgeld ausgegeben, das sicherlich ebenso wenig gedeckt war, wie das Geld der Separatisten. Am 28. November 1923 stellte der Kreis die Ausgabe von Notgeld ein.[4] Die Scheine des Kreisausschusses sind wie die Separatistenausgabe nur einseitig bedruckt und das Papier ist ohne Wasserzeichen. Während die Notgeldscheine des Kreisausschusses wahrscheinlich in der Buchdruckerei
W. Flöck in Montabaur gedruckt wurden, ist die Druckerei des Separatistenscheins unbekannt.
Kassenschein des Unterwesterwaldkreises (Separatistenausgabe), 6. November 1923,
500 Milliarden Mark, Vorderseite. Rückseite unbedruckt.
Kassenschein des Unterwesterwaldkreises, 10. Oktober 1923, 1 Billion Mark, Vorderseite, ausgegeben ab 10. November 1923. Rückseite unbedruckt.
Bereits am Montag, den 5. November 1923, zog der Landrat weiter und das Landratsamt nahm Sitz in Grenzhausen, wo der „Geschäftsbetrieb der staatlichen Abteilungen und des Kreisausschusses ordnungsgemäss und unbehelligt weiter[geführt wurden], während das Kreiswohlfahrtsamt und die Verteilungsstelle in Montabaur geblieben waren, da die von den Separatisten verschont geblieben waren.“
Am Nachmittag des 12. Novembers bat der französische Kreisdelegierte den Landrat zu einer Unterredung. Er verlangte von Mock sowie sämtlichen Beamten und Angestellten die sofortige Dienstaufnahme in Montabaur, „andernfalls er uns für vogelfrei erklären und die Wohnungen der Beamten beschlagnahmen lassen werde.“ Der Landrat wies darauf hin,
„dass es für einen preußischen Staats- und Kommunalbeamten ausgeschlossen sei, die Separatisten anzuerkennen und unter ihrer Herrschaft zu arbeiten.“ Der Kreisdelegierte erklärte daraufhin, dass er nicht verlange, dass die Arbeit in dem bisherigen Dienstgebäude aufgenommen werde, er verlange lediglich, dass der Sitz der Verwaltung in Montabaur und damit wieder eine geregelte Verwaltung gewährleistet sei. Im Bericht des Landrates heißt es: „Nachdem er mir das Zugeständnis gemacht hatte, dass Verhaftungen, Requisitionen, Haussuchungen durch die Separatisten in Zukunft nur noch mit seiner Genehmigung erfolgen dürften, und für mich und meine Beamten und Angestellten die persönliche Sicherheit zugesichert hatte, erklärte ich mich bereit, den Dienstbetrieb des Landratsamtes in einem anderen Gebäude in Montabaur wieder aufzunehmen unter der Bedingung, dass die separatistischen Führer mir in keiner Weise etwas zu sagen hätten und dass auf keinen Fall eine Anerkennung der Separatisten nach irgend einer Richtung von uns verlangt würde.“ Bereits am folgenden Nachmittag nahm nach Zustimmung des Kreisausschusses das Landratsamt seine Arbeit in einem Gebäude am Rande der Stadt wieder auf. Damit schien wieder Ruhe in Montabaur eingekehrt zu sein, wenngleich die Sonderbündler noch in der Stadt waren.
Wegen der Bestimmungen des Versailler "Vertrags" hatte die Reichsregierung keine Truppen ins entmilitarisierte Rheinland entsenden können. Den Putschisten schlug jedoch nicht nur in Montabaur der entschlossene Widerstand der Bevölkerungsmehrheit entgegen, sodass die belgische und französische Besatzungsmacht schon bald das Interesse an der Rheinischen Republik verlor. Aachen war bereits Anfang November wieder in reichsdeutscher Hand.
Eine nationale Bürgerwehr schlug am 16. November in der Schlacht in Aegidienberg im Siebengebirge die Separatisten vernichtend.[5] Daraufhin brach der Separatistenstaat zusammen. Die Ereignisse spalteten die separatistische Koblenzer Führung und Matthes trat am 27. November von seinen „Ämtern“ zurück und begab sich nach Frankreich. In der Nacht vom 26. zum 27. November verließen die Sonderbündler im Schutz der Dunkelheit Montabaur.[6] „Die grün-weiß-rote Fahne wurde unter dem endlosen Jubel der Bevölkerung vom Rathaus und Schloss heruntergeholt und verbrannt. Die Separatistenherrschaft in Montabaur hatte ihr Ende gefunden.“[7]
Uwe Bronnert
Anmerkungen [1] Zitiert nach Walter Kalb, Montabaur im Weltkrieg 1914 bis 1918 und in der Besatzungszeit, Montabaur 1930, S. 46 f. Die Zitate werden in der heute gültigen Rechtschreibung wiedergegeben.
[2] Die Ereignisse der nächsten Tage und Wochen schilderte der Landrat in einem Bericht an den Regierungspräsidenten in Frankfurt anschaulich. Betr.: Besetzung Montabaurs durch die Separatisten, ihre Bekämpfung und die augenblickliche Lage im Unterwesterwaldkreis vom 13. November 1923. H. HStA Wiesbaden, Abt. 405 Nr. 5289, Bl. 156 f. Alle nicht besonders gekennzeichneten Zitate stammen aus diesem Dokument.
[3] Vgl. Walter Kalb, S. 48.
[4] Vgl. H. HStA Wiesbaden, Abt. 405 Nr. 6101, Bl. 125 – 127.
[5] Hierbei kamen 2 Einwohner und 14 Separatisten ums Leben.
[6] In der Pfalz hielten sich die Separatisten noch bis Februar 1924.
[7] Walter Kalb, S. 49.
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