Als der alliierte Bombenterror über Deutschland fast alle größeren Städte und Industrieanlagen traf, wurde kriegswichtige Produktion dezentralisiert und darüber hinaus auch vorsorglich Untertage verlagert. Dabei kamen immer mehr Häftlinge aus Konzentrationslagern zum Einsatz, die sowohl beim Bau von Anlagen und Lagern, als auch in der Produktion selbst eingesetzt wurden. Eines der bekanntesten Beispiele hierfür ist der Kohnstein bei Nordhausen, in den ein gewaltiges Tunnelsystem gebaut wurde, in dem Zivilbeschäftigte und Häftlinge aus dem Lager „Dora“ Raketenwaffen (sog. V1 und V2) produzierten.
Ende 1943 wurde die Teilverlagerung der Junkers Flugzeug- und Motorenwerke AG, die ihren Hauptsitz im anhaltischen Dessau hatte, in das thüringische Langensalza beschlossen. Tarnbezeichnung des neuen Betriebs war Langenwerke AG. In Langensalza und im angeschlossenen Betriebsteil Niederorschel wurden Tragflächen für ein Jagdflugzeug von Focke-Wulf gefertigt.
Unter dem Decknamen „Julius“ war bereits im Frühjahr 1943 ein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald bei den Junkers Flugzeug- und Motorenwerken in Schönebeck an der Elbe entstanden. Wegen des akuten Arbeitskräftemangels durch den massenhaften Kriegseinsatz der deutschen Männer, hatte die Firma einen Vertrag mit dem Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS (WVHA) zum Einsatz von Häftlingen in der Produktion von Bauteilen für Flugzeuge abgeschlossen. Zirka 1.800 Häftlinge arbeiteten hier neben 1.200 deutschen Zivilarbeitern und 1.500 Fremdarbeitern.
Die Bedingungen im Lager „Julius“ waren viel besser als anderenorts. Im März 1944 wurden hier Gutscheine eingeführt, mit denen Waren in der Lagerkantine gekauft werden konnten und die sicher auch als Prämien auf der Basis der Prämien-Vorschrift der SS vom 15. Mai 1943 und deren Nachtrag vom 14. Februar 1944 genutzt wurden.
In meinem Buch „Das Geld des Terrors“ konnten 2008 nur die Werte zu 1 und 5 Reichsmark belegt werden, obwohl ich damals schon davon ausging, dass es auch die Wertstufen zu 0,50 und 2 Reichsmark gegeben haben muss.
Im April 2018 hatten zwei Angebotslose für die 89. Auktion der Leipziger Münzhandlung Höhn für Aufmerksamkeit gesorgt.
Die vier Scheine der Junkers Flugzeug- und Motorenwerke Schönebeck/Elbe (Lager „Julius“) belegen nicht nur alle vier Nennwerte der Serie, sondern sie sind auch äußerst seltene Zeitdokumente für die geplante Ausgabe von Gutscheinen in der Bereichsleitung III Niederorschel der Langenwerke AG, wo über 700 Häftlinge Tragflächen produzierten und Fahrwerke einbauten.
Die Schönebecker Scheine wurden quasi als Vorlage für eine eigene Ausgabe in Niederorschel genutzt. Bei allen vier Werten wurden jeweils das Logo gestrichen sowie „Muster“, eine geplante Stückzahl sowie eine Druckgenehmigungsnummer für die Langenwerke handschriftlich ergänzt. Die Druckvermerke der Original-Umlaufstücke belegen darüber hinaus, daß von jedem Nennwert der Schönebecker Scheine im März 1944 eine Auflage von 36000 Stück genehmigt worden war. Interessant sind natürlich die auf diesen Scheinen vermerkten Stückzahlen für eine eigenständige Ausgabe für die Langenwerke und die erwarteten Druckgenehmigungs-Nummern. Handschriftlich begannen diese mit „LW 751“ für 0,50 RM und endeten mit „LW 754“ für 5 RM. Das „LW“ steht für Langenwerke statt dem „FZS“ für Flugzeug- und Morenwerke Schönebeck/Elbe.
Tatsächlich wurde der Druck eigener Scheine für die Bereichsleitung Niederorschel dann im Oktober 1944 unter einer einzigen Druckgenehmigungsnummer „Lw 751“ für alle vier Werte bestätigt. Für den Gutschein über 0,50 RM war auf der Schönebecker Vorlage eine Auflage in Höhe von 20.000 Stück für Niederorschel vorgesehen, die auch laut Druckvermerk genehmigt wurde. Für die beiden Gutscheine zu 1 und 2 RM hatte man ursprünglich je 10.000 Stück vorgesehen gehabt. Laut Druckvermerk vom Oktober 1944 wurden auch hier je 20.000 Scheine genehmigt. Für den höchsten Wert zu 5 RM hatte man handschriftlich auf der Vorlage 5.000 Stück notiert, die dann auch in dieser Höhe laut Druckvermerk auf den Langenwerke-Scheinen so genehmigt worden waren.
Es ist übrigens erst die zweite vollständige Serie von Gutscheinen der Langenwerke, die jemals angeboten wurde, beide durch die Leipziger Münzhandlung Höhn.
Die Prüfung beider Serien lässt keinen Zweifel zu. Erstens besteht kein Zweifel an der Echtheit, womit die vollständige Gutscheinausgabe vom März 1944 für das Lager „Julius“ in Schönebeck/Elbe mit allen vier Nominalen bestätigt ist. Zweitens liegen mit den zu „Mustern“ umfunktionierten Scheinen von Schönebeck die Vorlagen für die Gutscheinausgabe der Bereichsleitung III der Langenwerke AG vom Oktober 1944 vor.
Bleibt nachzutragen, dass die in der Belei III der Langenwerke in Niederorschel beschäftigten rund 700 Häftlinge meist Juden und die Sterblichkeitsrate trotz mangelhafter Ernährung hier sehr niedrig waren. Die Häftlinge bekamen die Gutscheine als Prämien für gute Arbeit und konnten dafür in der Lagerkantine zusätzliche Waren einkaufen – ganz so, wie dies die erwähnte Dienstvorschrift für die Gewährung von Vergünstigungen an Häftlinge (Prämien-Vorschrift) des Chefs des SS-Wirtschafts-verwaltungshauptamts, Oswald Pohl, vorgesehen hatte.
Die Gewährung von Prämien sollte vor allem der Motivierung zu höheren Arbeitsleistungen im „Totalen Krieg“ dienen. In diesem Zusammenhang wurden nicht nur Prämienscheine in den Konzentrationslagern eingeführt, sondern sogar Häftlingsbordelle betrieben. Über die Angebote in den Lagerkantinen gab es unterschiedliche Erinnerungsberichte: von Toilettenartikeln über Schreibwaren bis hin zu Konserven, Fisch, Salz und Bier.
Anfang 1945 war mit über 700.000 Häftlingen in deutschen Konzentrationslagern der Höhepunkt des Arbeitseinsatzes in der Kriegswirtschaft erreicht und das Kriegsende absehbar. Die von Historikern unermüdlich gedroschene Phrase von der „Vernichtung durch Arbeit“ machte in diesem historischen Kontext kaum noch Sinn, da jede Arbeitskraft zählte. So scheint es befremdlich, entspricht aber den Tatsachen, dass ausgerechnet der Lagerkommandant von Auschwitz in seinem Kommandanturbefehl 4/44 schrieb: „In einem Außenlager ist es vorgekommen, dass Häftlinge von Zivilisten, mit denen sie auf einer gleichen Arbeitsstelle beschäftigt waren, geschlagen und z.T. misshandelt wurden... In den Fällen, in denen ein Zusammenarbeiten mit Zivilisten unvermeidlich ist, sind mir die Lagerführer für Ordnung verantwortlich und haben die Zivilisten nochmals durch das Werk über den Umgang mit Häftlingen belehren zu lassen. Andererseits ist mir jede Misshandlung eines Häftlings durch einen Zivilisten umgehend zu melden. Bei dieser Gelegenheit mache ich nochmals ausdrücklich auf den bestehenden Befehl aufmerksam, dass kein SS-Mann Hand an einen Häftling legen darf. Im 5. Kriegsjahr ist alles daran zu setzen die Arbeitskraft der Häftlinge zu erhalten.“
Mit „Häftlingen“ meinte der Lagerkommandant hier natürlich nur die zum Arbeitseinsatz eingeteilten Häftlinge, die als solche im Lager aufgenommen worden waren, und nicht die unglücklichen Menschen aus ganz Europa, die nach ihrer Ankunft und der Selektion auf der sog. Rampe der „Sonderbehandlung“ zugeführt und so im Rahmen der bereits im Januar 1942 beschlossenen „Endlösung der Judenfrage“ ermordet wurden.
Durch den für Deutschland zunehmend ungünstigen Kriegsverlauf und den wachsenden Arbeitskräftemangel wurden nicht nur immer mehr Fremdarbeiter angeworben oder zwangsweise eingesetzt, sondern es wurden trotz „Endlösung“ auch wieder mehr und mehr Juden im Arbeitseinsatz für die Rüstungsindustrie beschäftigt, wie dies auch in Niederorschel der Fall war.
Die unmenschlichen Arbeitsbedingen in Stollen und Untertage waren nicht zuletzt den alliierten Bombenangriffen geschuldet, die auch vor der Bombardierung von Konzentrationslagern kein Halt machten. So kam etwa der ehemalige Vorsitzende der SPD-Fraktion im Reichstag, Rudolf Breitscheid, der als prominenter Häftling mit eigenen Bediensteten im „Sonderlager Fichtenhain“ in Buchenwald untergebracht war, an den Folgen eines US-amerikanischen Bombenangriffs vom 24. August 1944 ums Leben.
Anfang April 1945 traten die letzten Häftlinge von Niederorschel ihren Marsch in das Stammlager Buchenwald an. Sie erreichten das Lager nur einen Tag vor dessen Befreiung.
Die beiden abgebildeten Serien bilden zusammen einmalige Zeitdokumente zur Geldgeschichte in einem Außenlager in der Zeit des massenhaften Einsatzes von Häftlingen für die deutsche Kriegswirtschaft im Zweiten Weltkrieg.
Die Münzhandlung Höhn hat reagiert und die beiden seltenen Serien aus der 89. Auktion Ende Mai zurückgezogen. Sie sollen dann ausführlich beschrieben in der
90. Auktion im Oktober 2018 angeboten werden.
Hans-Ludwig Grabowski
Abb. Leipziger Münzhandlung Höhn, https://www.leipziger-muenzhandlung.de
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