Die Sonnabendausgabe der deutsch-baltischen Zeitung „Revaler Bote“ vom 8. März 1924 gibt eine Sicht auf die Inflation im Jahr 1923 in der damaligen Freien Stadt Danzig wieder.
Abb. 1: Zeitungstitel der Zeitung „Revaler Bote“ vom 8. März 1924, Einzelpreis: 7 Estn. Mark bzw. 15 Goldpfennig.
In der Rubrik „Wirtschaft“ liest man unter der Überschrift „Die neue Danziger Guldenwährung“ eine sachliche Darstellung der Währungssituation in der Freien Stadt – und enthält jedoch im Mittelteil des namentlich nicht gekennzeichneten Beitrags eine Glosse auf die Verhältnisse (in kursiver Schrift hervorgehoben).
„Die Schaffung eines eigenen Geldsystems in Danzig wurde durch den Zusammenbruch der deutschen Währung beschleunigt. Die Inflation zeitigte im vergangenen Herbst, besonders im Oktober, Auswüchse, die das durchaus gesunde Wirtschaftsleben ernstlich bedrohten, denn durch die überkommene Währungsgemeinschaft mit Deutschland wurde die Papierflut ins Land gepumpt, womit sich anfangs nur jene auch für Deutschland typischen Erscheinungen einstellten, aber der gleichzeitige Umlauf von Reichsmark, Notgeld der Gemeinden, amerikanischen, englischen, skandinavischen und polnischen Noten sowie der auf Goldmark lautenden Industrieschecks, die sämtliche in der Handelsstadt als tägliche Zahlungsmittel verwendet wurden, riefen im Freistaat ein in Europa kaum jemals erlebtes Währungschaos hervor. Das Ausland kann sich von den Psychosen der Inflation, die den einfachsten Verkehrsakt in einen umständlichen und langwierigen Vorgang zerlegt, unmöglich eine lebendige Vorstellung machen.
Abb. 2: Bahnhof-Anlage in Zoppot.
»Scheint es denn denkbar, daß eine kurze Eisenbahnfahrt von 20 Minuten durch die Inflation zu einem aufreibenden Erlebnis wird?
Die Eisenbahn, die sich in polnischer Regie befindet, nahm an ihren Schaltern bis zur Einführung des Zwischenguldens nur Reichsgeld an, das infolge der Teuerung sehr knapp war. Man wechselte daher den Industriescheck in der Bahnhofsbuchhandlung in Zoppot in Zoppoter Notgeld, stürzte zur Post, wechselte das Stadtgeld in Reichsgeld und kaufte, nachdem man einen Zug schon versäumt hatte, die Fahrkarte, womit nun die Reise beginnen konnte.
Da infolge des gleichzeitigen Umlaufs der vielen Währungen die Kurse nicht täglich, wie in Deutschland, sondern stündlich wechselten, entwertete sich das Papiergeld während der kurzen Bahnfahrt um die Hälfte, so daß man sich, in Danzig angekommen, statt eines Mittagessens nur einen schlechten Kaffee gestatten konnte; dieser kostete als man ihn bestellte 50 und als man ihn bezahlte 100 Millionen. Zum Schluß mußte man sich dann zur Heimfahrt Geld leihen, denn mittlerweile war der wertbeständige Bahntarif aus den Millionen in die Milliarden gestiegen.« ...“
Abb. 3: Bahnhofsgebäude in Danzig.
Wenn der Zeitzeuge und Verfasser des Kommentars bspw. am 2. Oktober 1923 die zwölf Kilometer lange Fahrt von Zoppot nach Danzig fuhr, hätte er an diesem Tag 35.640.000 Mark für eine Fahrkarte der 2. Klasse bezahlen müssen. Eine Woche zuvor hätte die Fahrkarte noch 23.760.000 Mark, aber eine Woche nach dem 2. Oktober schon 71.280.000 Mark gekostet.
Abb. 4: 105 Goldpfennige, Vs., wertbeständiges Notgeld der Sparkasse der Stadt Zoppot, ausgestellt von der Zoppoter Bank G. m. b. H. am 1. Oktober 1923; der Schein entsprach 25 Cents US-amerikanischer Währung – Industrieschecks wurden am 1. Dezember 1923 ungültig.
Abb. 5: 50 Millionen Mark deutscher Reichswährung, 20. September 1923. Die vom Magistrat der Stadtgemeinde Zoppot Ende September 1923 ausgegebenen Schecks waren bis 31. Dezember 1923 gültig.
Abb. 6: 50 Millionen Mark, Vs., Reichsbanknote vom 1. September 1923, gedruckt von Constantin G. Naumann in Leipzig.
Abb. 7: 100 Millionen Mark deutscher Reichswährung, Vs., Notgeldschein der Stadtgemeinde Danzig vom 22. September 1923; diese Scheine mussten bis spätestens 10. Oktober 1923 eingelöst werden.
Seinen als Lohn erhaltenen Scheck zu 105 Goldpfennige wechselte der Zoppoter in der Buchhandlung und erhielt etwa 74.776.000 Mark an städtischem Notgeld. Davon nahm er einen 50-Mio.-Schein, ging zur gegenüber liegenden Post und tauschte ihn in 50 Millionen Mark Reichsgeld um. Er kaufte den Fahrschein, schloss seine Erledigungen in Danzig ab und kehrte zum Danziger Bahnhof zurück. Dort bestellte er seinen Angaben zufolge einen Kaffee für angeblich 50 Mio. Mark und musste dann das Doppelte beim Bezahlen hinlegen – vielleicht in Danziger Notgeld. Ende November waren beide Scheine faktisch wertlos.
Noch im September 1923 hatte der Danziger Senat Notgeld-Scheine zu 10 Mio. Mark ausgegeben.
Abb. 8: amtliche Bekanntmachung der Senatsverwaltung vom 1. September 1923 über die Ausgabe von Notgeld zu 10 Millionen Mark deutscher Reichswährung.
In der zitierten Glosse wird auch von den Zwischengulden berichtet; das waren die Kassenscheine der am 19. Oktober 1923 gegründeten Danziger Zentralkasse AG.
Sie wurden mit Datum 11. Oktober 1923 gedruckt und dann ab 24. Oktober 1923 ausgegeben. Diese Kassenscheine erhielt die Bevölkerung nur durch Einreichung von wertbeständigem Notgeld oder mit Geldscheinen frei konvertierbarer Währung.
Abb. 9: 10 Danziger Gulden (2/5 £stlg.) 22. Oktober 1923, Vs., Kassenschein der Danziger Zentralkasse AG; gedruckt bei Julius Sauer Danzig – diese Scheine wurden am 30. April 1924 ungültig.
Mit dem Gesetz 79/1923 vom 20. Oktober 1923 hatten Volkstag und Senat der Freien Stadt Danzig den Danziger Gulden als neue wertbeständige Rechnungseinheit eingeführt.
Der Danziger Gulden war an die englische Währung gekoppelt und war 1/25 Pfund Sterling wert. Die deutsche Mark blieb vorerst weiterhin umlauffähig – man rechnete: 1 Gulden = 750.000.000.000 Papiermark.
Nach einer europaweiten Ausschreibung zum Druck der geplanten neuen Gulden-Banknoten erhielt die in Malden/England ansässige Wertpapierdruckerei Bradbury-Wilkinson & Co. Ltd. den Zuschlag. Am 5. Februar 1924 wurde die Bank von Danzig mit dem Recht zur Ausgabe von Banknoten gegründet. Der Danziger Finanz-Senator Dr. Ernst Volkmann hatte schon am
1. Dezember 1923 einen ersten Druckauftrag ausgelöst und gefordert, die ersten Banknoten bis Ende Januar zu liefern. Am 19. Februar 1924 sollten dann die Danziger Gulden-Scheine endlich eintreffen.
Abb. 10: 25 Gulden 10. Februar 1924; Vs., diese Variante B wurde in einer Menge von 1 Million von Bradbury, Wilkinson & Co. Ltd. gedruckt.
Die für den Transport gecharterte englische „Baltannic“ konnte jedoch wegen der Vereisung des Hafens von Danzig nicht einlaufen. Ein Umweg über den lettischen Hafen von Libau oder den polnischen Landweg wurde wegen der wertvollen Fracht verworfen. Ein Beamter der Bank von Danzig kommentierte später „So straft uns der Himmel für den nach England vergebenen Druckauftrag.“
Die werthöchste Banknote aller Danziger Geldscheine war die 1000-Gulden-Banknote, von der nur ein gelaufenes Exemplar bekannt wurde und sich in einer polnischen Sammlung befindet. Alle bekannten Scheine, die fast nur in bankfrischer Erhaltung vorkommen, liegen im Zahlenkreis von F 007601 bis F 008600 und wurde nach dem Einmarsch der Wehrmacht von der Reichsbank konfisziert. Der Schein mit der KN F 000807 ist ein Muster-Vorlage-Schein.
Abb. 11: 1000 Gulden 10. Februar 1924; Vs.
Der Umlauf an 1000-Gulden-Banknoten war mit lediglich 93 Stück im August 1924 am niedrigsten; im April 1934 liefen dagegen die meisten um: 2.696 Stück. Kurz vor Kriegsbeginn waren es reichlich 100 Banknoten.
Am 1. September 1939 war dann alles vorbei. Deutsche Truppen rückten in den Freistaat ein, Danziger Staatsangehörige wurden wieder Deutsche: der Zweite Weltkrieg hatte begonnen und seit dem 16. Oktober 1939 war die Danziger Währung ungültig. Danziger Gulden konnten bis zum 15. Oktober 1939 im Verhältnis 10 : 7 in Reichsmark umgetauscht werden.
Abb. 12 und 13: Danziger Reisepässe (links Typ 1 von 1920–1936, rechts Typ 2 von 1936
bis 1939 ausgegeben), beide Typen waren nach jeweils 5-jähriger Verlängerung gültig – gedruckt bei Julius Sauer Danzig.
Der weitere Text des oben zitierten Beitrags lautete „... – Nach diesem Hexensabbat der Inflation ist der Danziger heute zur überzeugten Steuerfreudigkeit erzogen und willens, jeden noch so schweren Verzicht hinzunehmen, um eine Wiederholung dieser Papierseuche zu vermeiden, welche die geringfügigste Wertübertragung zur Quelle unerschöpflicher Überraschungen macht und den Sinn des Lebens in Addieren und Multiplizieren erschöpft. Wer sah, wie lange noch in Danzig, das von einem Tag zum anderen den Milliardenrausch mit der Pfennigrechnung vertauschte, die Kaufleute und das ganze Publikum brauchten, um sich das »Hinaufnumerieren« abzugewöhnen, der wagt jenem Psychologen nicht zu widersprechen, der einen Teil des mitteleuropäischen Nihilismus auf den Währungsverfall führt. Die neue Währung hatte hingegen die Zauberwirkung, binnen einer Woche alle Spekulanten zu vertreiben, der polnische Zwischenhändler floh, die schwarze Börse löste sich auf, die schwächeren Valutahändler gingen nach Warschau, die kapitalkräftigeren Devisenhändler reisten nach Paris, an die Stelle der unzähligen Wechselgeschäfte, die sich zuletzt in jedem Keller einnisteten, trat der Brotladen, die schlecht versorgte Stadt füllte sich binnen weniger Tage mit einer märchenhaften Menge von Lebensmitteln, der Kampf auf dem Wochenmarkt wurde zum gefälligen Handel und die Bevölkerung, die nach dem Traum von Millionen arm erwachte, beginnt mit Pfennigen zu sparen, um sich langsam eine geringe, aber solide Kaufkraft zu erwerben. Kein Diktator und kein Parlament vermochten eine solche soziale Revolution hervorzubringen, wie der kleine Papierschein mit der bescheidenen Aufschrift: »Ein Danziger Gulden«.
Der von Ende Oktober bis Mitte Januar dauernde Übergangszustand des Zwischenguldens, ein in gesetzlich festgelegter Relation zum englischen Pfund stehendes wertbeständiges Papiergeld mit der ausschließlichen Funktion eines Zahlungsmittels, ermöglichte die völlige Ausschaltung der deutschen Mark, die Beratung und Annahme der Währungsgesetze im Volkstag, den Abschluß der auswärtigen Kreditverhandlungen und gestattete der Wirtschaft und den Staatsfinanzen die Umstellung auf die neue Geldeinheit. Nach den Ausweisen der Danziger Zentralkasse A.-G., die vorübergehend die Funktionen einer Notenbank erfüllte, waren am 31. Oktober die im Umlauf befindlichen Kassenscheine von 5,97 Millionen Gulden durch 12.000 Liversterling in Pfundnoten und Scheck auf London sowie 227.000 Liversterling in Guthaben bei Banken und am 15. Januar ein umlaufender Betrag von 15,57 Millionen Zwischengulden durch 18.000 Liversterling in Pfundnoten, sowie der Rest in Guthaben bei Banken gedeckt, so daß in dieser Übergangszeit von 10 Wochen die Effektivdeckung nur ungefähr 4 Prozent betrug, aber das Bewußtsein, jederzeit 25 Gulden in ein englisches Pfund umtauschen zu können, genügte jedermann, um auf die Erwerbung der englischen Pfunde zu verzichten, womit der währungspolitische Zweck der gesetzlichen Relation erfüllt war.
Mit Annahme der Währungsgesetze, der Ankunft der Kurant- und Scheidemünzen, der Gründung der Bank von Danzig, der Zusicherung des englischen Währungskredites und den Beginn der Aktienzeichnung für die Notenbank rückt die gesetzlich festgelegte Wertrelation psychologisch in den Hintergrund und seit dem 19. Januar, da der Zwischengulden zum Umtausch gegen das endgültige Währungsgeld aufgerufen wurde, besteht praktisch die Goldwährung des Danziger Guldens. Die am 14. November in dritter Lesung angenommenen, am 1. Januar in Kraft getretenen Währungsgesetze bestehen aus einem Mantelgesetz, das den Gulden zum gesetzlichen Zahlungsmittel erhebt, die Umwandlungen der Markforderungen regelt und gleichzeitig das am 22. September in Genf mit Polen geschlossene Währungsabkommen ratifiziert, sowie einem Münz- und einem Notenbankgesetz. Die in der Berliner Münze geprägten Goldmünzen im Werte von je 25 Gulden entsprachen mit einem Rohgewicht von 7,988 und einem Reingewicht von 7,322 Gramm Feingold, einschließlich der zugelassenen Fehlergrenze, genau dem englischen Pfund. Sie tragen als Münzbild das Danziger Wappen mit den zwei Löwen als Schildhaltern sowie auf der Kehrseite eine Wiedergabe des Neptuns am Langen Markt. Damit die Goldmünzen nicht aus dem Verkehr verschwinden, bleiben sie als Golddeckung in den Tresors der Notenbank. Hingegen wurden Ende Januar die in Holland im Gesamtbetrag von 2,2 Millionen geprägten Silbermünzen und die in der Höhe von 710.000 Gulden hergestellten Nickel- und Kupfermünzen in den Verkehr gebracht. Als Scheidemünzen ist der Umlauf des Silbergeldes mit 30, des Nickel- und Kupfergeldes mit je 3 Gulden auf den Kopf der Bevölkerung begrenzt und demgemäß die gesetzliche Zahlungskraft auf 60 und 3 Gulden beschränkt. Die für die beschränkte Zeit von 30 Jahren gegründete Bank von Danzig, zu deren Präsident Dr. Konrad Meißner ernannt wurde, erhält durch das Notenprivileg das Recht, bis zur Höhe von 40 Millionen, dem steuerfreien Notenkontingent, Papiergeld auszugeben, das zu einem Drittel durch Goldmünzen, Noten der Bank von England oder durch täglich fällige, auf Liversterling lautende Forderungen auf diese Bank gedeckt sein muß; nach Überschreitung des Notenkontingents ist volle Deckung und die Entrichtung einer Nebensteuer von 5 % erforderlich. Das Grundkapital von 7,5 Millionen wurde durch Zeichnung von 75.000, in das Stammbuch der Bank eingetragen, auf je 100 Gulden lautenden Namensaktien fast ausschließlich von der Danziger Wirtschaft aufgebracht, während sich aus politischen Gründen auch Polen einen kleinen Anteil vorbehielt. Nach Einzahlung des Kapitals eröffnete die Bank von England einen Währungskredit von 200.000 Liversterling.
Das Notenbankgesetz hat bei der notwendigen Wahrung der staatlichen Kontrolle den Kreis der Kreditgeschäfte der Bank begrenzt und insbesondere alle Kreditgeschäfte zwischen der Notenbank und der Regierung unterbunden. Das Gleichgewicht des Staatshaushalts, der 170 Millionen Goldmark betragende Ausfuhrüberschuß der Handelsbilanz des Jahres 1923 und die englische Unterstützung verheißen der neuen Währung, deren Schaffung ein persönliches Verdienst des bekannten Finanzsenators Volkmann ist, eine gesicherte Zukunft.“
Michael H. Schöne
Erklärungen:
Liversterling = alte Bezeichnung des Pfund Sterlings
Quellen:
„Revaler Bote“ Nr. 58, 8. März 1924, Beilage 2, Seite 6
„Danziger Volksstimme“ Nr. 203, 31. August 1923, Seite 7
„Das Papiergeld in der Freien Stadt Danzig 1920 bis 1939“, Pirna 2003
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