Im Herbst 2015 wurde bekannt, dass bei bestimmten VW-Dieselmotoren eine Software eingebaut war, die den Ausstoß von Stickoxid nur auf dem Prüfstand senkt, nicht aber im Straßenverkehr. Rund um den Globus gab es mehrere Gerichtsverfahren. VW musste in der Folge Entschädigungszahlungen sowie Gerichtskosten von rund 32 Milliarden Euro leisten. Für den Weltkonzern aus der niedersächsischen Provinz ist das kein Novum. Schon in seinen frühen Jahren musste Volkswagen sich mit Forderungen Hunderttausender Kunden auseinandersetzen, die allerdings nie einen VW besessen hatten.
Begonnen hatte alles in den 1930er Jahren. Schon 1930 beschäftigte sich der Reichsverbandes der Deutschen Automobilindustrie (RDA) mit dem Projekt, ein kostengünstiges Auto zu fertigen. Im März 1934 propagierte Adolf Hitler dann anlässlich der Eröffnung der Automobilausstellung das Auto für Jedermann und beauftragte den Konstrukteur Ferdinand Porsche mit der Planung eines Fahrzeugs, das nicht mehr kosten sollte als ein mittleres Motorrad. Schon 1935 fuhren die ersten luftgekühlten Prototypen des Volkswagen zu Testzwecken auf Deutschlands Straßen.
Im Mai 1937 wurde die „Gesellschaft zur Vorbereitung des Deutschen Volkswagens“ (Gezuvor) gegründet und ein Jahr später, am 26. Mai 1938, legte Hitler im Rahmen einer aufwendigen Einweihungsfeier den Grundstein für das Volkswagenwerk in Wolfsburg.
Träger des gesamten Projekts war die NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KdF), eine Unterorganisation der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF), die 50 Millionen Reichsmark zur Verfügung stellte. Dieses Geld stammte fast ausschließlich aus dem beschlagnahmten Vermögen des ehemaligen „Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes“ (ADGB).
Abb. 1: Titelseite der Werbeschrift „Dein KdF-Wagen.
Ab 1. August 1938 wurde der KdF-Wagen, wie er nun hieß, mit dem Slogan „5 Mark die Woche mußt du sparen, willst du im eigenen Wagen fahren!“ beworben. Das Serienmodell sollte 990 RM, die Cabrio-Limousine 1050 RM kosten, hinzu kamen 200 RM für eine zweijährige Kasko- und Haftpflichtversicherung sowie 60 RM für den Transport zur jeweiligen Gau-Hauptstadt des Käufers.
Der Prototyp des Volkswagens war 4,20 Meter lang, 1,55 Meter breit und hoch und bot Platz für vier Erwachsene und ein Kind. Das Auto hatten einen Vierzylinder-Boxermotor, der im Heck des Wagens untergebracht war. Die Zylinder arbeiteten im Viertakt und hatten einen Hubraum von 986 ccm. Bei einer normalen Drehzahl von 3000 p. M. leistete der Motor 23,5 PS, das entsprach einer Reisegeschwindigkeit von 100 km/h; der Verbrauch lag bei sechs bis sieben Liter auf 100 Kilometer (Angaben nach der Werbebroschüre „Dein KdF-Wagen).
Bezahlt werden sollte das Auto durch Sparraten von wöchentlich mindestens 5 RM.
Zum Nachweis der Sparraten mussten Marken, die von den örtlichen Dienststellen der KdF ausgegeben wurden, auf besondere KdF-Wagen-Sparkarten geklebt werden. War eine Karte voll, d.h. 250 RM angespart, gab es eine neue, bei der dritten die Gaubestell- und bei der vierten die Reichsbestellnummern, die vom VW-Werk ausgegeben wurden. In der Reihenfolge der Reichsbestellnummern sollten die Wagen dann ausgeliefert werden.
Das von den Sparern eingezahlte Geld wurde treuhänderisch von der Deutschen Arbeitsfront verwaltet. Entgegen der offiziellen Propaganda kam der KdF-Wagen nicht als ein „Volkswagen“ für die Arbeiterschaft in Betracht. Bei den KdF-Sparern handelte es sich überwiegend um vergleichsweise gut situierte Mittelständler. Facharbeiter, deren Tariflöhne damals bei weniger als 80 Pfennig/Stunde lagen, konnten es sich nicht leisten, jede Woche für 5 RM Sparmarken zu erwerben. Ende 1939 sparten bereits 273.000 Kaufinteressenten für einen KdF-Wagen. Ende Dezember 1944 betrug die gesamte Sparsumme 268 Millionen RM bei 336.638 Sparern (Oktober 1944).
Abb. 2: KdF-Wagen-Sparkarte. Abbildung aus: „Dein KdF-Wagen", S. 26.
Abb. 3: Sparmarke über 5 RM für KdF-Wagen, Deutsche Arbeitsfront.
Nach dem Willen des Führers sollten innerhalb weniger Jahre mindestens 6.000.000 KdF-Wagen auf den Straßen des Deutschen Reichs unterwegs sein und innerhalb von zehn Jahren sollte jeder arbeitende Deutsche einen Volkswagen besitzen.
Doch es sollte alles anders kommen. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde die Fertigung des KdF-Wagens als ziviler Pkw zugunsten militärischer Fahrzeuge eingestellt. Kübelwagen Typ 82, Kommandeurswagen Typ 87 und Schwimmwagen Typ 166 basierten allesamt auf dem KdF-Wagen. Keiner der KdF-Sparer konnte für sein Guthaben ein Fahrzeug in Empfang nehmen. Die 630 bis dahin produzierten zivilen Autos wurden an das Deutsche Afrikakorps, die Luftwaffe und zivile Dienststellen ausgeliefert.
Nach dem Krieg forderten die ehemaligen Sparer Vertragserfüllung vom VW-Werk. Deren Geschäftsleitung lehnte dies jedoch mit dem Hinweis ab, dass nicht sie, sondern die KdF-Organisation der Vertragspartner gewesen sei. Auch habe das VW-Werk keine Zahlung erhalten.
Abb. 4: Certificat der Arbeits- und Interessengemeinschaft, o. D., 5 DM / Dollarmark, Vorderseite, Größe: 122 x 76 mm
Abb. 5: Certificat der Arbeits- und Interessengemeinschaft, o. D., 5 DM / Dollarmark, Rückseite.
Auf der Rückseite des hier vorgestellten Dollarmark-Zertifikats ist folgender Text aufgedruckt:
Mahnung Das Volkswagenwerk Wolfsburg-Fallersleben wurde mit Hilfe der Kreditstütze der Volkswagensparer, welche 1945 zu einem Kapitalbetrag von 302 Millionen Reichsmark angewachsen war, errichtet zu dem Zweck, einen Volkswagen zum Preise von ca 1000 Mark auf den deutschen Markt zu bringen und die mit den Volkswagensparern abgeschlossenen Verträgen zu erfüllen. Technische Gutachten ergeben, daß auch heute dieser Preis in DM nicht überschritten zu werden brauchte. Die Sparer sind ihren Pflichten aus den auf Treu und Glauben mit dem Werk abgeschlossenen Verträgen nachgekommen. Durch Nichteinhaltung der gegebenen Lieferversprechen, Preissteigerung und Mißbrauch der Spargelder wurde der Sparer um die Lieferung seines angesparten Volkswagens betrogen. Dieser Betrug ist wieder gutzumachen. Jeder, der für diese Wiedergutmachung eintritt, ist berechtigt, dieses Certificat zu erwerben. Unterschrift und Anschrift des Geschädigten Das Certificat ist ohne diese Unterschrift ungültig.
Leider findet sich auf dem Schein keine Ortsangabe und auch die Unterschrift ist nicht zweifelsfrei zu entziffern, sodass eine Zuordnung zu einem der vielen Hilfsverein nicht möglich ist. Auch das verwendete Wappen hilft nicht weiter.
Erst im Oktober 1961 endete der zwölfjährige Rechtsstreit, der durch neun Instanzen ging und den Bundesgerichtshof in Karlsruhe viermal beschäftigte. Der 66jährige Rentner Karl Stolz aus dem sauerländischen Dorf Erlinghausen und sein Mitstreiter Rudolf Meichsner erklärten sich schließlich bereit, den Vergleichsvorschlag des Karlsruher Senatspräsidenten Dr. Kurt Padendarm anzunehmen; und auch der VW-Chef Heinz Nordhoff war des Prozessierens müde.
Unter dem Titel „Nordhoff zahlt“ berichtete die Wochenzeitschrift „Der Spiegel“ in Heft 44/1961 über einen gerichtlichen Vergleich zwischen der Volkswagen AG und einem Verein aus dem Hochsauerland. Danach erhielten Sparer, die mehr als 750 RM angespart hatten, die Möglichkeit, einen Volkswagen mit 1,2-Liter-Motor 600 DM unter dem Listenpreis zu erwerben. Bei Kaufverzicht sollten 100 DM bar ausgezahlt werden. Wer mehr als 500 RM angespart hatte, erhielt einen Rabatt beim Kauf von 450 DM bzw. 75 DM bar usf. Im Gegenzug konnte VW-Chef Nordhoff nun über das Arbeitsfront-Konto 21 706 bei der ehemaligen Bank der Deutschen Arbeit verfügen. Auf ihm waren knapp 300 Millionen RM eingefroren, die nun gemäß Umstellungs-Ergänzungsgesetz auf fünf Prozent abgewertet wurden.
Uwe Bronnert
Literatur:
Werbebroschüre „Dein KdF-Wagen“.
Johannes Bähr, „Dein Sparen hilft dem Führer.“ Sparen in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Sparen. Geschichte einer deutschen Tugend, hrsg. von Robert Muschalla für das Deutsche Historische Museum, Berlin 2018.
Es läßt sich nachrechnen, in: Der Spiegel 8/1952.
Nordhoff zahlt, in: Der Spiegel 44/1961.
Immer wenn ich Sütterlin-Schrift sehe, fühle ich mich herausgefordert. Ich glaube zu lesen: Erhard Dornheim aus heute PLZ 95119 Naila Lkrs. Hof in der Kronacher Str. 1. Danke für den prima Artikel und wie immer mit Zeitbezug.