Die Stückelung deutscher Banknoten war seit Reichsbankzeiten eigentlich immer gleich: 5, 10, 20, 50, 100 und 1000 Mark, wobei die kleineren Scheine ursprünglich Reichskassenscheine waren. „Krumme“ Zahlen erlaubt man sich hingegen eher auf Juxnoten oder in Karikaturen über Geldfälscher. In Zeiten des Notgelds nach dem Ersten Weltkrieg tauchte jedoch auch eine Dreihunderter-Note im von Frankreich besetzen Brückenkopf Kehl am Rhein auf.
Dr. Gustav Weis: Porträt als Direktor a. D. der ÖVA.
Der Kehler Bürgermeister Dr. Gustav Weis (1882–1969) nahm 1914 kurz vor dem Tag des Attentats von Sarajevo und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs seine Amtsgeschäfte auf und musste nach dem Waffenstillstand am 29. Januar 1919[1]
den Einmarsch der Franzosen erleben.
Der Divisionsgeneral Auguste Eduard Hirschauer (1857–1943), ein gebürtiger Lothringer, verlas ihm und dem versammelten Gemeinderat auf dem Kehler Marktplatz vor der Friedenskirche die Proklamation der Besetzung persönlich hoch zu Ross[2].
Die Franzosen hatten einen Lieblingsplan des Kardinals Armand Jean du Plessis,
Duc de Richelieu (1585–1647) verwirklicht[3], nämlich einen Brückenkopf nach Deutschland zu schaffen; fünf Monate später ließen sie sich diesen in Versailles vertraglich absichern.
Als ehemaliger Finanzrat verfügte Weis über die notwendigen Fachkenntnisse, das besetzte Kehl bis zu seinem Wechsel 1925 in die Direktion der neugegründeten Öffentlichen Versicherungsanstalt der Badischen Sparkassen Mannheim durch die schwierigen Nachkriegsjahre zu bringen. Dazu zählten für ihn auch körperliche Fähigkeiten, da er die öffentlichen Gelder für Kehl persönlich im unbesetzten Baden abholen und im Rucksack durch die französische Postenkette schmuggeln musste, um dadurch die Stadtkasse aufzufüllen und die bis zu 80% arbeitslose Kehler Bevölkerung zu unterstützen. Dazu kamen die vielen Flüchtlinge, die sich auf der Durchreise von Frankreich aus befanden.
Die sogenannten „Altdeutschen“ mussten nach einer vierstufigen Klassifikation durch Commissions du Triage 1919 die wieder an Frankreich gefallenen Gebiete Elsass und Lothringen mit maximal 30 kg Gepäck sowie höchstens 2000 Mark verlassen. Von den über 100.000 Betroffenen kam eine große Anzahl auch über die Kehler Rheinbrücke. Bis zu 2000 Personen trafen täglich ein und mussten die besetzte Stadt nach drei bis vier Tagen wieder verlassen.
Die hohen Reparationslasten und die bestehenden eigenen Kriegskosten der Deutschen aus der Finanzierung des verlorenen Krieges über Kriegsanleihen führte deutschlandweit zu einer Haushaltsführung über die Druckerpresse und zum Beginn einer allgemeinen Inflation.
Ernest Hemingway (1899–1961) berichtete am 19. September 1922 aus Straßburg an den kanadischen Toronto Daily Star, für den er in Europa unterwegs war, in einer seiner 49 Depeschen über die Inflation in Deutschland:
„Es war kein deutsches Geld in Straßburg zu bekommen. Der anwachsende Bedarf hatte Tage zuvor die Kassen der Bank erschöpft und wir wechselten ein paar Francs im Bahnhof in Kehl. Für 10 Francs bekamen wir 670 Mark. 10 Francs sind ungefähr 90 Cents in kanadischem Geld. Diese 90 Cents reichten für meine Frau und mich den ganzen Tag und wir leisteten uns eine ganze Menge. Am Ende hatten wir noch 120 Mark übrig.“[4]
In Kehl stellte die Gemeindeverwaltung inzwischen eigenes Geld her – auf nicht besonderem Papier gedruckte Geldscheine ohne Wasserzeichen über 300 und 500 Mark mit simpel angefertigten, typischen regionalen Motiven, aber noch mit bedruckter Vorder- und Rückseite und der Unterschrift des Bürgermeisters.
Abb. 1
Abb. 2
Bald schon waren auch diese Scheine nur noch Makulatur, als Anfang 1923 französisches und belgisches Militär zusätzlich das Ruhrgebiet besetzte aufgrund u.a. nicht getätigter Holzlieferungen[5] durch das Deutsche Reich. Der sogenannte Ruhrkampf begann. Kumpel und Arbeiter im Revier bekamen ihre Löhne weiterhin vom Staat, aber sie förderten kaum noch Kohle oder produzierten noch Stahl. Es entstand eine Hyperinflation, die erst mit Beendigung des Ruhrkampfes und der Einführung der Rentenmark im November 1923 endete. Danach waren die Scheine nur noch z. B. als Brennstoff oder billige Tapete zu gebrauchen.
Für Kehl endeten die französische Besetzung und die Einquartierungen im Jahr 1930 und begannen 1945 wieder, bis 1953 sämtliche Zonen geräumt waren. Beim Wiederaufbau Kehls flossen Gelder auch aus dem Notopferfond Berlin, gespeist durch die kleinen blauen 2-Pfennig-Marken auf jeder Postsendung in der jungen Bonner Republik.
Abb. 3
Die Erfahrungen mit den Franzosen 1919–1924 kamen Dr. Gustav Weis bis über das Ende seiner Berufstätigkeit in der Versicherungswirtschaft 1951 hinaus immer wieder zugute: Im Zweiten Weltkrieg war er von 1940 bis 1944 im von den Deutschen besetzten Frankreich Vermögensverwalter von 70 französischen Versicherungsunternehmen. 1952 wurde er als deutsches Mitglied der Commission mixte berufen, die in Paris das Abrechnungsverfahren von Geschäftsvorfällen aus der deutschen Besatzungszeit festlegen sollte, und 1953 bis 1955 war er Mitglied eines deutsch-französischen Schlichtungsgerichts in Paris zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten zwischen deutschen und französischen Versicherungsunternehmen.
Christian Merker
Anmerkungen
[1] SWR 2, Stefan Fuchs, Zeitwort 428, Dienstag, 29. Januar 2019, 6.20 Uhr.
[2] „[ …] der Gemeinde Kehl erkläre ich folgendes: Sie haben die strengste Ordnung aufrecht zu halten. Es werden keinerlei Straßendemonstrationen sowie keine politische Versammlung irgendwelcher Art von mir geduldet. Bei geringster Ruhestörung werden die öffentlichen Lokale, Wirtshäuser, Kinos usw. gesperrt. Jeder Unruhestifter wird verhaftet, eingesperrt und nach den Kriegsgesetzen behandelt […].“ Text nach der plakatierten Bekanntmachung Hirschauers vom 30.1.1919 im Stadtarchiv Kehl.
[3] Memoires du Cardinal Richelieu sur le regne de Louis XIII., 1610–1638, veröffentlicht 1837: „[…] pour acquérir une entrée dans l´ Allemagne“ (1629).
[4] Ernest Hemingway, 49 Depeschen. Hamburg 1962, S. 29f.
[5] Außer im Krieg um Troja soll Holz weder vorher noch nachher eine solch entscheidende Rolle gespielt haben.
Abbildungen
Abb. 1: Vorderseite, Format 160 x 93 mm. Links eine Dampflokomotive auf der zweigleisigen Bahnstrecke Appenweier–Kehl–Straßburg. Kehl war wieder Grenzbahnhof geworden.
Rechts der Kran im Kehler Hafen mit dem Kamin und dem Säureturm der Firma Trick.
Ein lethargischer Mann in Werktagskleidung, schmalkrempigem Hut, mit der Hand in der Hosentasche und eine sorgenvolle Frau in traditioneller Hanauer Tracht mit großem Kappenschlupf und einem leeren Einkaufskorb stützen sich auf ein Gestell, in dem sich der Textteil mit einer aufgestempelten vierstelligen Zahl und der Unterschrift von Bürgermeister Weis befindet.
Abb. 2: Rückseite, oben das Kehler Wappen mit Rad und Anker, rechts die Kirche St. Nepomuk, die am 28. Juni 1914 – dem Tag der Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Erzherzogs Franz Ferdinand (1863–1914) in Sarajevo, der den Ersten Weltkrieg auslösen sollte – feierlich auf der neu bebauten Kommissionsinsel durch Weis eröffnet worden war. Links Spitzpappeln, die früher an der Rheinpromenade standen. Links unten im Eck eine apathische Frau und gegenüber sitzend ein ebensolcher Mann, beide kaum bekleidet.
Abb. 3: Format 21,48 x 12,75 mm. Steuermarke Notopfer Berlin über 2 Pfennige (1948–1956), Zusatzmarke zur Inlandspost. Die Einnahmen wurden für Berlin und Kehl verwendet gemäß Landesgesetz zur Erhebung einer Abgabe „Notopfer Berlin und Kehl“ vom 21. Juni 1949 § 2 Satz 3, Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 28/1949 (Dokumente deutscher Kriegsschäden Band IV/3, Helgoland – Westliche Grenzprobleme – Kehl. Bonn 1971, S. 679 ff).
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