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AutorenbildUwe Bronnert

Lebensbitter – Die „größte Erfindung der Neuzeit“

Aktualisiert: 11. Mai 2021

Ein Werbeschein der Firma Anton Hellmich aus den Anfangstagen des Deutschen Reichs in Form eines Reichskassen-Scheins


In der Zeit des Deutschen Kaiserreichs nutzten Unternehmen recht häufig Werbung, die in Form von Geldscheinen daherkam. Papiergeld war auch Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland noch nicht weit verbreitet und man konnte sicher sein, dass dieses „exotische“ Geld die Aufmerksamkeit des Publikums weckte.


DEU-46: Reichskassenschein über 20 Mark vom 11. Juli 1874, Vorderseite.


Anton Hellmich aus Dortmund nutzte dieses Medium und warb mit dem Reichs-Kassen-Schein zu 20 Mark vom 11. Juli 1874 (ungültig ab 30. Juni 1885) für sein Produkt „Lebensbitter“.

Dieser Werbeschein weist mit 140 mm x 86 mm fast die genaue Größe des Originals (140 mm x 90 mm) auf. Während die Rückseite im Hochformat das Brustbild des Unternehmers abbildet, gibt die rechte Hälfte der Vorderseite den vereinfachten Druck des Kassenscheins wider und die linke Seite enthält die Werbebotschaft:


LEBENSBITTER. Die größte Erfindung der Neuzeit. Derselbe beseitigt die Brechruhr sofort, die rothe Ruhr innerhalb drei Tagen (die Gefahr ist schon in 10 – 12 Stunden vorüber), den augenblicklichen Magenkrampf bei Frauen und Mädchen in 5 Minuten, wofür ich garantire. Auch ist derselbe das unfehlbarste und unschädlichste Abführungsmittel, besonders bei schwangeren Frauen, Kindern und Wöchnerinnen, wofür garantirt wird. Auch gegen allerhand Magenleiden, besonders Magenkrampf hat sich derselbe auf’s glänzendste bewährt, was ich durch 27 amtliche, sowie auch mit über 210 Attesten von Privatpersonen und 7 Attesten aus Amerika beweisen kann. Wenn mir alle Genesende ein Attest eingesandt hätten, so würde ich deren Tausende aufweisen können. 10.000 Mark zahle ich Demjenigen, welcher mir die Unrichtigkeit meiner Atteste beweist, die gratis eingesandt werden. – Mit Verp. ½ Ltr. 3,90, ¼ Ltr. 2,40, 1/8 Ltr. M. 1,65. Man achte genau auf meine blauen Flaschen mit 4maligem Namen incl. Siegel und Bleikapsel. A. Hellmich. Dortmund (Königr. Preussen)

Typisch für die Zeit ist die marktschreierische Art der Werbung für das Produkt, weshalb man hier auch von Reklame spricht. Der Werbeschein dürfte aus einer Zeit vor 1885 stammen, da einige Angaben fehlen, auf die Hellmich sicherlich nicht verzichtet hätte, die auf einer Rechnung vom 30. Juni 1892 hervorgehoben werden: Auf dem Rechnungsbogen weist der Unternehmer auf die bei der Pariser Gewerbeausstellung 1885 erhaltene Goldmedaille hin. Vielleicht noch wichtiger scheint die Erwähnung, dass er von Fürst Otto von Bismarck im gleichen Jahr ein Dankschreiben erhielt.


Abb. 1.1: Werbenote des Anton Hellmich, Dortmund, Vorderseite


Abb. 1.2: Werbenote des Anton Hellmich, Dortmund, Rückseite


In einem Fachbuch über Arzneimittel werden die Inhaltsstoffe folgendermaßen angegeben: „Hellmichs Lebensbitter von Anton Hellmich in Dortmund ist ein alkoholischer Auszug aus aromatischen und bitteren Drogen, der mit Zucker versüßt ist. Nach Angaben des Fabrikanten wird der Lebensbitter hergestellt aus: Weinsprit 61 %, Wein 2,6 %, Fenchel, Faulbaumrinde, Alikanteanis, Schlangenwurzel je 1,5 %, Angelikawurzel, Kalmuswurzel, Tausendgüldenkraut, Galgantwurzel, Dreiblatt je 2 %, Enzian 4 %, Baldrianwurzel, Zitwerwurzel, Zimt, Eisenvitrol je 0,7 %, Kardamonen 0,3 %, Aleo 1 %, Honig 2,3 %, Zucker 9,0 %.“[1]


Sucht man im Internet unter dem Stichwort „Gesundheit und Bitterstoffe“, so stößt man auf eine Fülle entsprechender Einträge. In ihnen wird die positive Wirkung genießbarer Bitterstoffe auf die Verdauung hervorgehoben, auch würden die Gallen- und Leberfunktionen unterstützt, der Cholesterinspiegel gesenkt sowie die Darmflora reguliert.[2]

Unsere Vorfahren wussten schon seit Jahrhunderten, wie wichtig Bitterstoffe für unseren Organismus sind. Hippokrates (um 460 – 370 v.u.Z.) empfahl bittere Kräuter bei Beschwerden, ebenso wie Hildegard von Bingen.

„Wir kennen heute hauptsächlich […] die Geschmacksrichtungen süß, salzig, sauer und umami [würzig]. Dies liegt auch an dem Einsatz der vielen Geschmacksverstärker, welche heutzutage in sehr vielen Lebensmitteln zu finden sind. […] Bitterstoffe sind durch die industrielle Herstellung von Nahrungsmitteln weitgehend aus unserer Ernährung verschwunden. Aus Geschmacksgründen wurden viele bitter-schmeckende Nahrungsmittel [weg]gezüchtet, wie z.B. Ruccola, Chicorée, Radicchio, und viele weitere. All diese Bitterstoff-reichhaltigen Nahrungsmittel schmecken heute längst nicht mehr so bitter wie früher.“[3]

Da heute kaum noch Bitterstoffe durch die Nahrung aufgenommen werden, empfehlen viele Naturheilkundler die Verwendung entsprechender Lebensmittelergänzungs-Produkte.

Ein Blick auf die Beipackzettel der in den Apotheken angebotenen Präparate bestätigt, dass diese die meisten Inhaltsstoffe des Lebensbitters enthalten.


Uwe Bronnert

[1] G. Arends, Spezialitäten und Geheimmittel aus den Gebieten der Medizin, Technik, Kosmetik und Nahrungsmittelindustrie, Ihre Herkunft und Zusammensetzung, Eine Sammlung von Analysen und Gutachten. Achte, vermehrte und verbesserte Auflage des von E. Hahn und Dr. J. Holpert begründeten gleichnamigen Buches. Berlin 1924, S. 233.

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