Die nicht nur als Zahlungsmittel, sondern auch durch ihren historischen Bezug als Dokumente interessanten Belagerungsscheine sind älter als die frühesten europäischen Banknoten. Viele Scheine dieser Art werden in der Literatur erwähnt, blieben aber unauffindbar, so wie die wohl älteste Ausgabe von 1483 in der spanischen Festung Alhama. Die Aufstellung der nachfolgenden Scheine beschränkt sich auf die bekanntesten, in Sammlungen vorkommenden Stücke:
Leyden 1574
Belagerung durch die Spanier. Münzen aus Pappe, die von den Deckeln katholischer Kirchenbücher genommen wurde. Die 5-Stuiver-Münze hat auf der Vorderseite die Umschrift "Pugno pro Patria" (lat. = ich kämpfe für das Vaterland). Rückseite "Lugdunum Batavorum" (Beizeichnung für das römische Leyden).
Da die Niederlande damals noch zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehörten, gelten die Pappmünzen aus Leyden auch als das älteste deutsche Papiergeld.
Mainz 1793
Die durch die Preußen belagerten Franzosen gaben in der von ihnen besetzten Stadt Mainz Scheine aus. Zunächst handelte es sich um aufgewertete Assignate der französischen Revolution und dann um neu gedruckte Scheine.
Lyon 1793
Die mit den Royalisten sympathisierende Stadt wurde zwei Monate von Truppen unter Befehl des aus Straßburg stammenden französischen Marschalls François-Christophe Kellermann (1735–1820) belagert und gab in dieser Zeit eigene Scheine aus, bevor sie erobert wurde.
GK-705: Kolberg, 2 Groschen der ersten Ausgabe von 1807 mit sechs Hand-Unterschriften, Vorder- und Rückseite.
Kolberg 1807
Belagerung durch die Franzosen. Die Preußen unter Major August Neidhardt von Gneisenau (1760–1831) gaben in zwei verschiedenen Emissionen je 2, 4 und 8 Groschen (1. Ausgabe mit je sechs und 2. Ausgabe mit je drei Hand-Unterschriften) primitiv hergestelltes Notgeld aus.
Erfurt 1813
Sogenannte Blockadescheine des Kaiserlich-Französischen Militair-Gouvernements während der Belagerung der Festungsstadt nach der Leipziger Völkerschlacht durch die Preußen vom November 1813. Am 6. Januar 1814 mussten die Franzosen Erfurt räumen. Die meisten Scheine kommen ohne Druckvermerk vor. Solche mit Angabe der Druckerei sind sehr selten.
Palmanova (Italien) 1848
Auch 1813/14 gab es in Palmanova Belagerungsgeld. 1848 während des italienischen Aufstandes gegen Österreich wurde die Stadt von österreichischen Truppen unter Fürst Schwarzenberg belagert. Die von den Italienern ausgegebenen Scheine gab es in den Wertstufen zu 10, 25, 50 Centesimi sowie 1, 2, 3, 6, 10, 50 und 100 Lire. Zur gleichen Zeit gab auch das Fort Osoppo handschriftlich hergestelltes Belagerungsgeld aus.
Komárom (Komorn, Ungarn) 1849
Während der Ungarischen Revolution wurde die Stadt von den Österreichern belagert. Es wurden Scheine zu 1, 2, 5, 8 und 10 Kreuzer ausgegeben, von denen es auch Fälschungen gibt.
Temesvár (Temeschburg, damals Ungarn) 1849
Eine der zahlreichen ungarischen Revolutionsausgaben; während der Belagerung durch die Österreicher ausgegeben zu 1, 3 und 6 Kreuzer sowie 5 und 10 Gulden.
Arad (damals Ungarn) 1848/49
Von der österreichischen Besatzung unter General Berger von der Pleiße während der Belagerung durch die Ungarn ausgegeben. Werte zu 1, 3, 6, 10, 18 und 20 Kreuzer sowie 1, 5 und 10 Gulden.
Esseg (Slawonien) 1849
Die eingeschlossene ungarische Besatzung gab durch das Bankhaus Lekitsch Scheine über 10 und 20 Kreuzer aus, die nur einen Monat bis zur Kapitulation der Ungarn zirkulierten.
Belfort (Frankreich) 1870
Während des Deutsch-Französischen Kriegs gab die Stadt unter deutscher Belagerung Ende Dezember 1870 Scheine zu 5, 20 und 50 Francs aus.
Langres (Frankreich) 1870
Im Deutsch-Französischen Krieg von deutschen Truppen belagert, ließ der französische General Méyère Scheine über 10, 20 und 50 Francs und bedruckte Kartons über 1, 2 und 5 Francs herstellen.
Khartum (Sudan) 1885
Während des Mahdi-Aufstands wurden die Engländer unter Gordon Pascha belagert und gaben Belagerungsgeld aus.
Mafeking (Südafrika) 1900
Belagerung der Stadt durch die Buren und Ausgabe von Scheinen zu 1, 2, 3 und 10 Shilling sowie 1 Pfund durch Oberst Robert Baden-Powell.
Auch in der von den Buren belagerten Stadt Koffyfontein (bei Kimberley) gab es 1901 Belagerungsgeld.
Albert Pick/Hans-Ludwig Grabowski
Abb. Sammlung Hans-Ludwig Grabowski
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