In einer bayerischen Stadt gab es 1923 wertbeständiges Notgeld in Goldmark verbunden mit einer eigenartigen Sondersteuer: Der Hocker-Steuer.
Die bayerische Stadt Nördlingen gab am 26. November 1923 gemeinsam mit der Fürstlich Öttingen-Wallerstein'schen Standesherrschaft in Wallerstein eine Serie von wertbeständigen Notgeldscheinen über 0,42 Goldpfennige sowie 1,05, 2,10 und 4,20 Goldmark (= 1/10, ¼, ½, 1 Dollar) aus. Die Scheine waren nicht nummeriert.
Stadtrat Nördlingen und Fürstlich Öttingen-Wallerstein'sche Standesherrschaft, Wertbeständiger Notgeldschein über 2,10 Goldmark = ½ Dollar, ausgegeben in Wallerstein und Nördlingen am 26. November 1923, Abbildung: Wappen der Stadt Nördlingen und das Wappen der Fürsten von Öttingen-Wallerstein (Vorderseite).
Diese Notgeldscheine waren voll gedeckt nach Maßgabe der Bestimmungen der Reichsregierung (Verordnung vom 26. Oktober 1923) durch wertbeständige 6-prozentige Schatzanweisungen des Deutschen Reiches von 1923. Sie sollten binnen Monatsfrist nach Aufruf der städtischen Sparkasse Nördlingen an deren Schaltern nach Wahl entweder gegen Goldanleihe gleichen Nennwerts oder gegen einen entsprechenden Betrag in Rentenmark oder auch gegen einen dem Kurse der hinterlegten Wertpapiere am Tag der Zahlung entsprechenden Betrag in Papiermark umgetauscht werden. Der Aufruf sollte aufgrund Gesetzes oder Verordnung des Reichsfinanzministers erfolgen.
Auf einigen der Nördlinger Notgeldscheine war auf der leeren Rückseite eine Quittung über die sogenannte Hocker-Steuer (auch Nacht-Steuer genannt) aufgedruckt:
Stadtrat Nördlingen und Fürstlich Öttingen- Wallerstein'sche Standesherrschaft, Wertbeständiger Notgeldschein über 2,10 Goldmark, ausgegeben in Wallerstein und Nördlingen am 26. November 1923 (Rückseite mit Quittung Nummer 1872 über Hocker-Steuer für die 2. Stunde über 40 Pfennig vom 12. Dezember 1923).
Rückseite des Notgeldscheins: Aufschrift „So, G'sell so! Mein lieber Zecher, wenn du weiter aus dem Becher schlürfen willst, dann zahle bitte - dieses ist bei uns so Sitte - für dein Hocken eine Steuer! Loben wird dich Wirt und Bräuer, auch der Stadtrat - glaube mir - bleibt alsdann gewogen Dir. Für die Steuer sei zum Trost Dir ein wertbeständig Prost dargebracht: Ersatz p. p. für den Notgeldschein a. D.“, Oben Abbildung Nachtwächter vor Pfarrkirche St. Georg in Nördlingen, unten Quittung für gezahlte Hocker-Steuer.
Zum Hintergrund:
Nach dem Umsturz des Jahres 1918 standen die Kommunen im Deutschen Reich steuerrechtlich gesehen deutlich schlechter da. Allerdings wurden daraufhin die Möglichkeiten für die Städte und Gemeinden, eigene Abgaben zu erheben, stark verbessert. Denn die Gemeinden hatten die Freiheit erhalten, auf viele Vorgänge des kommunalen Lebens Abgaben zu erheben, so lange die Reichssteuer dadurch nicht tangiert wurde.
Die eigenartige Nacht- oder Hockersteuer ist erstmals aus Stuttgart bekannt, um in der Nachkriegszeit des Ersten Weltkriegs der Stadt zusätzliche Einnahmen zu ermöglichen.
In Gastwirtschaften mussten Gäste, die nach 23:00 Uhr noch im Lokal blieben, eine Steuer zahlen, für die sie eine Nachtsteuer-Marke als Quittung erhielten. Nachdem die Städte Nürnberg, Augsburg und Würzburg die Nachtsteuer eingeführt hatten, beschloss auch der Schweinfurter Stadtrat im August 1922 diese „Steuer“ einzuführen. Im Zusammenhang mit der Einführung der Steuer wurden örtlich polizeiliche Verordnungen erlassen, z. B. die „Ortspolizeiliche Vorschrift zur Sicherung der Nachtsteuer in der Stadt Schweinfurt.“
Die Steuerpflicht bestand in der Regel ab 23 Uhr bzw. Mitternacht. Jeder Gastronomiebesucher, der mit Genehmigung über diesen Zeitpunkt hinaus in der Gaststätte blieb, hatte für jede Stunde die „Steuer“ zu bezahlen. Die Höhe richtete sich oft nach der Kategorie des besuchten Lokals, z. B. a) Einfache bürgerliche Gast-, Speise- und Schankwirtschaften, b) Hotels, Cafés, Weinlokale, Gesellschaftsräume usw. und c) Bars, Dielen und ähnliche Luxuslokalitäten.
Die so erzielten Steuereinnahmen waren für soziale Zwecke bestimmt. Es kamen teilweise erhebliche Summen durch diese „Hocker-Steuer“ zusammen, in Schweinfurt waren es beispielsweise (inflationsbedingt) 1923: 4.221 Billionen Mark, 1924: 22.388,00 Reichsmark.
Im Laufe der Jahre nahm jedoch die Akzeptanz dieser Steuer immer mehr ab, sodass sie zum 1. April 1929 abgeschafft wurde.
Auch die Städte Dinkelsbühl oder Nördlingen griffen um 1923 diese Art der Besteuerung auf, schafften sie jedoch 1924 schon wieder ab.
Hans-Georg Glasemann
Bildquelle: KENOM - Virtuelles Münzkabinett (7/2023)
Anmerkung der Redaktion:
Alle Nominale der wertbeständigen Notgeldscheine von Nördlingen kommen ein- oder zweiseitig bedruckt vor. Ganz offensichtlich hat man die nur einseitig bedruckten Notgeldscheine nach deren Einzug weiter benutzt, indem man die Rückseiten mit einem Aufdruck zur Nutzung als Quittung für die Hocker-Steuer versah. Darauf bezieht sich auch die Text-Passage "Für die Steuer sei zum Trost Dir ein wertbeständig Prost dargebracht: Ersatz p. p. für den Notgeldschein a. D." Bei der Verwendung als Hockersteuerquittung hatten die Scheine also bereits ihre Eigenschaft als Notgeld verloren.
Die so bedruckten Steuer-Quittungen kommen heute sogar häufiger vor als die ursprünglich einseitig bedruckten wertbeständigen Notgeldscheine.
Hans-Ludwig Grabowski
Literaturempfehlung:
Manfred Müller:
Deutsches Notgeld, Band 12: Das wertbeständige Notgeld der deutschen Inflation 1923/1924
Titel: Gietl Verlag
ISBN: 978-3-86646-519-0
Auflage: 1. Auflage 2011
Format: 14,8 x 21 cm
Abbildungen: zahlreiche Schwarz-Weiß-Abbildungen
Cover-Typ: Broschur
Seitenanzahl: 608
Preis: 39,90 Euro
Comments