Wenn man von der deutschen Bevölkerung spricht, die 1945 von der polnischen Verwaltung aus den ehemals deutschen Gebieten östlich von Oder und Neiße anfangs vertrieben und später ausgesiedelt wurde, denkt man an die Menschen aus Ost- und Westpreußen, Pommern, Danzig, Oberschlesien und dem größten Teil Niederschlesiens.
Manche wissen auch vom östlichen Teil Brandenburgs, der zu Polen kam. Aber von der Allgemeinheit kaum beachtet: zu den ehemaligen deutschen Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie, die vom besetzten Deutschland durch die Beschlüsse der Berliner Konferenz (Potsdamer Abkommen, 2. August 1945) abgetrennt wurden, gehört auch das kleine Gebiet von Ostsachsen – der sog. "Zittauer Zipfel". Selbst auf vielen historischen Karten und in zeitgenössischen Dokumenten schlug man den „Zipfel“ einfach Niederschlesien zu.
In dem etwa 145 qkm großen Gebiet gab es neben dem Hauptort Reichenau (poln. Bogatynia) noch 28 Dörfer mit üblichen deutschen Ortsnamen:
Bad Oppelsdorf (Opolno Zdrój),
Blumberg (Bratków),
Dornhennersdorf (Strzegomice),
Friedersdorf (Biedrzychowice Górne),
Friedreich (Wolanów),
Gießmannsdorf (Gościszów),
Großporitsch (Porajów),
Grunau (Krzewina),
Kleinschönau (Sieniawka),
Königshain (Działoszyn),
Lehde (Trzciniec Dolny),
Lichtenberg (Jasna Góra),
Markersdorf (Markocice),
Maxdorf (Wyszków),
Oberullersdorf (Kopaczów),
Radmeritz (Radomierzyce),
Reibersdorf (Rybarzowice),
Reutnitz (Ręczyn),
Rohnau (Trzcieniec),
Rusdorf (Posada),
Schönfeld (Lutogniewice),
Seitendorf (Zatonie),
Sommerau (Białopole),
Türchau (Turoszów),
Wanscha (Spytków),
Weigsdorf (Wigancice Żytawskie),
Wolfsberg (Niedów),
Zittel (Pasternik).
Einige Dörfer wurden eingemeindet, aufgegeben oder fielen dem Braunkohleabbau des Tagebaus Turów (vormals ASW/AG Sächsische Werke) zum Opfer. Das ganze Territorium gehört heute zum Powiat Zgorzelec (ehem. östlicher Stadtteil von Görlitz) in der Woiwodschaft Dolny Śląsk (Niederschlesien). Anfang 1945 lebten dort noch 24.000 Einwohner in einer intakten Infrastruktur.
Es galt wie überall im damaligen Deutschen Reich die Reichsmark und die Rentenmark.
Abb. 1: Ostsachsen Anfang 1945 (gelb), der östlichste Teil des damaligen Landkreises Zittau ist rot liniert (östlich der Lausitzer Neiße).
Wie erging es den Menschen des damaligen sächsischen Landkreises Zittau östlich der Neiße? Wie waren dort die Währungsverhältnisse 1945 und danach? Wer musste gehen – wer konnte bleiben? Sowjetische Einheiten der 73. Garde-Schützendivision der 52. Armee kamen erst in den Morgenstunden des 9. Mai 1945; erreichten als erste die Stadt Zittau und gelangten, die Kipper überquerend, nach Reichenau und richteten eine Kommandantur ein. Am Abend des 9. Mai war der gesamte Landkreis Zittau besetzt.
Abb. 2: Ansicht der Stadt Reichenau in Sachsen mit ca. 7.000 Einwohnern im Jahr 1939.
Die alliierte Militärmark, die schon seit September 1944 im Ural gedruckt wurde, gaben die Militärzahlmeister der Roten Armee, wie in anderen Gebieten östlich der Oder und Neiße, auch im Raum Reichenau für kurze Zeit aus. Die Auszahlungen waren anfangs kein Sold für Soldaten und Offiziere (in Kriegszeiten bekamen sie ihre Besoldung auf Sparbücher in ihrer Heimat überwiesen), sondern wurden z.B. für Einkäufe und mitunter für Löhne verwendet.
Abb. 3: 100 Militärmark mit Datum 1944, Vs. der sowjetischen Ausgabe,
die in Höhe von 12,1 Mrd. Mark in Krasnokamsk gedruckt wurde.
In den folgenden Wochen übergaben die sowjetischen Militärs die Verwaltung des Gebiets um Reichenau an die Polen.
Nach dem Dekret vom 5. Februar 1945 über den Geldumtausch war eine Währungsreform nur für die polnischen Gebiete bestimmt, die das Territorium Polens in den Grenzen von 1937 umfasste. So blieb die Mark vorerst das übliche
Zahlungsmittel in den „Wiedergewonnenen Gebieten“.
„Die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung wurde in Punkt 13 des Potsdamer Abkommens im August 1945 sanktioniert. Allerdings hatte man bereits im Juni des gleichen Jahres begonnen, Deutsche aus den Grenzstreifen auszusiedeln, was im Prinzip vollendete Tatsachen schuf und die Übernahme dieser Gebiete durch Polen bekräftigen sollte.
Dies war insofern berechtigt, als eine Delegation des Nationalrates (Krajowa Rada Narodowa), des selbsternannten, von den kommunistischen Machthabern geschaffenen Parlaments, in Moskau Stalins Zustimmung zum Verlauf der Westgrenze einholte.“1)
Am Donnerstag, dem 21. Juni 1945, veröffentlichte die polnische Verwaltung einen Sonderbefehl: „Umsiedlung der deutschen Bevölkerung in das Gebiet westlich der Neiße“, das bedeutete die sofortige Ausweisung aller Deutschen ab dem 22. Juni 1945. Angeblich hatten die Menschen einen Tag Zeit, alles Nötige zusammenzupacken – es gibt aber auch Schilderungen wie: „Früh kurz nach acht sind sie gekommen und haben gesagt: Um zehn müsst ihr raus sein. Mitnehmen dürft ihr nur, was ihr tragen könnt.“ oder: „Johanna Scheibler aus Dornhennersdorf war gerade mit ihrer Mutter beim Melken, als ein Nachbar die Nachricht überbrachte. Der Reichenauer Lehrer Emil Engicht las sie morgens auf dem Weg zur Schule. Bergleute aus der Braunkohlegrube Türchau erfuhren auf dem Weg zur Arbeit von Soldaten, was noch an diesem Tag passieren würde. Und bei Familie Zschuppe in Kleinschönau tauchte nachts um 2 Uhr ein Kommandant auf und sagte nur: »Es stimmt doch«.“
Alles Vieh und alle Landmaschinen mussten dableiben – auch manch deutscher Facharbeiter oder Ingenieur, die meist im Braunkohlentagebau beschäftigt waren.
Das war nicht nur im polnisch verwalteten „Zittauer Zipfel“ so, sondern überall in den ehemals deutschen Gebieten.
Zu diesem Zeitpunkt traf eine neue Bevölkerung ein: freiwillig oder zwangsweise kamen polnische Flüchtlinge aus dem Ostteil Polens, den die Sowjetunion annektiert hatte (Galizien und Wolhynien), polnische Zwangsarbeiter aus Deutschland, deportierte Polen aus Sibirien und Rückkehrer aus aller Herren Länder.2) Eine geordnete Ausweisung
endete 1949, die spätere (Spät-)Aussiedlung Deutschstämmiger dauerte bis 1990. Viele Deutsche, die in ihrer Heimat bleiben wollten oder mussten, änderten auf Drängen der polnischen Verwaltung ihre Namen; so wurde bspw. aus „Herrn Georg Hiller“ ein „pan Jerzy Hyla“. In Polen, vorwiegend in den „Wiedergewonnenen Gebieten“ lebten im Jahr 1946 nach polnischen Angaben noch 2.075.957 Deutsche (lt. der Volkszählung vom 14. Februar 1946).
Und: womit bezahlten die Menschen im „Zittauer Zipfel“ nach dem 9. Mai 1945? Im „Lubliner Polen" (den „ehemaligen Ostgebieten“ und dem ehemaligen Generalgouvernement) wurden die „Krakauer Złoty“ in neue polnische Złoty entsprechend dem Dekret vom 5. Januar 1945 im Verhältnis 1 : 1 umgetauscht – die Reichsmark im Verhälnis 2 : 1. Ab dem 10. Januar 1945 verloren die „Krakauer Złoty“ ihre Gültigkeit – die Reichsmark ab dem 28. Januar 1945. Das deutsche Münzgeld
von 1 bis 50 Reichspfennig wurde weiter verwendet (50 Rpfg. = 25 Groszy).
Nicht aber so im „Zipfel“. Dort wurde überhaupt keine Währungsreform durchgeführt. Eine Denkschrift im September 1945 an die obersten polnischen Instanzen zur Verbesserung der Lebensbedingungen in Niederschlesien und der Forderung eines Umtauschs der Mark wurde nie berücksichtigt. Im „Zipfel“ wurde die Reichsmark polnischerseits nicht akzeptiert und neue polnische Złoty wurden als Lohn an Deutsche nicht ausgezahlt. Meistens erhielten sie nur Naturalien oder gar kein Geld. Es herrschte Arbeitspflicht. So kehrte man zur Tauschwirtschaft zurück und die Deutschen verkauften
einen Teil ihres Hab und Gutes gegen Złoty. Eine Selbstversorgung der Menschen fand zwar statt, eine allgemeine Hungersnot machte sich dennoch breit.
„... Zum einen sind die vertriebenen Sachsen oftmals in unmittelbarer Nähe ihrer alten Heimat geblieben. Teilweise konnten sie ihr Vieh am anderen Ufer blöken hören. Es gibt Berichte, dass noch einige Zeit ein regelrechter Schmuggel betrieben wurde, um Sachen vom eigenen Hof oder sogar Tiere über die neue Grenze zu holen. ... Außerdem bestanden teilweise enge Familienbande zu beiden Seiten des Flusses, denn die Neiße war bis dahin keine Staatsgrenze und auch keine Sprachbarriere, ...“3)
Abb. 4: 50 Złotych 1. August 1941, Bank Emisyjny w Polsce, Rs. die Sukiennice am Rynek Główny (Tuchhallen am Hauptmarkt ) in Krakau; in Polen bezeichnet man diese Ausgaben für das Generalgouvernement wegen des Emissionsorts auch „Krakauer Zloty“ („złoty krakowski“).
Die Entlohnungsbedingungen waren sehr unterschiedlich und wurden erst 1946 rechtlich festgeschrieben. Im April wurden gleiche Löhne wie im übrigen Polen festgelegt, mit einer 25-%igen Sozialversicherungsabgabe! Die Menschen tauschten
ihre Reichsmark auf dem Schwarzmarkt. Es gab aber auch Hilfsleistungen durch kommunale polnische Verwaltungen durch die Ausgabe von Essen, Lebensmittelkarten oder die Bezahlung ärztlicher Behandlung durch die Steuereinnahmen, die die Deutschen leisten mussten.
Eingenommene oder konfiszierte Reichsmark wurden von den Behörden teilweise und illegaler Weise für Einkäufe in der sowjetischen Besatzungszone jenseits der Neiße verwendet. Obwohl es weiterhin keine Geldreform gab, sickerte der neue
Złoty auf vielerlei Wege auch in den „Zipfel“. Niederschlesien litt stark unter dem Mangel an Umlauf- und Kleingeld. Eine Entlohnung von 40 bis 50 % durch Naturalien, Schuhwerk und Kleidung war Mitte 1946 noch üblich.
Das deutsche Münzgeld wurde per Dekret vom 5. August 1947 außer Kraft gesetzt. Durch die Aussiedlung des größten Teils der deutschen Bevölkerung bis dahin, die ihre noch vorhandenen Reichsmark-Bestände mitnahmen, war das Währungsproblem
fast abgestellt. Durch die Währungsreform am 30. Oktober 1950 war dann das Währungsdurcheinander der Nachkriegszeit im weitesten Sinne gelöst. Neue Geldscheine und Kleinmünzen wurden eingeführt.
Abb. 5: 500 Zlotych 15. Januar 1946, Rs. mit einer Ansicht auf Danzig mit Krantor von der Mottlau aus; man setzte bewusst ein Danziger Motiv ein, um sie zur "polnischen Stadt" zu erklären.
Michael H. Schöne
Anmerkungen:
1) zitiert aus: Dziewanowski-Stefańczyk, Bartosz „Das Geld in den »Wiedergewonnenen Gebieten«“ aus „Die Währungsreform in Polen in den Jahren 1944–1945“ in: „Aufbrüche“, Folge 8–9, Berlin 2015/2016.
2) vergl.: Dannenberg, Dr. Lars-Arne „Do hoan uns die Polen nausgetriebm. (Vertreibung, Ankunft und Neuanfang im Kreis Zittau 1945-1950)“, Königsbrück 2020.
3) zitiert aus dem Interview von Anja Beutler mit Dr. Dannenberg „Die Vertreibung aus dem Zittauer Zipfel war lange tabu“, SZ PLUS (Sächsische Zeitung online, 19.6.2015, 21:00 Uhr).
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