Ende Oktober 1923 forderten immer mehr Vertreter der Arbeitnehmerschaft in Industriebetrieben die Einführung wertbeständigen Notgelds bei der Lohnzahlung.
Ab 23. Oktober 1923 gestattete die Reichsregierung Unternehmen bei Erfüllung bestimmter Bedingungen die Ausgabe von wertbeständigem Notgeld in Goldmark mit Dollar-Valutaklausel (Deckung durch Teile der Reichsgoldanleihe, 1 Dollar = 4.20 Goldmark, formale Erfordernisse).
In der Provinz Sachsen waren die Actien-Gesellschaft für Anilin-Fabrikation (AGFA) in Wolfen, das Ammoniakwerk Merseburg G.m.b.H., die Leuna-Werke und die Stadt Merseburg die ersten, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machten.
Wertbeständiges Notgeld ist in der Provinz Sachsen zuerst in den Industriegebieten von Bitterfeld und Merseburg emittiert worden. Am 24. Oktober 1923 gab die Actien-Gesellschaft für Anilin-Fabrikation in Wolfen, Kreis Bitterfeld, zwei Gutscheine über 42 und 105 Goldpfennig aus; sie tragen dasselbe Datum wie die Berliner Emission der Gesellschaft.
Die Ausgabe wurde genehmigt vom Reichsminister der Finanzen.
Die Scheine dienten nach Pressemitteilungen zur teilweisen Bestreitung der Lohn- und Gehaltszahlungen. Alle Bankinstitute, Geschäftsleute und Behörden wurden gebeten, sie in Zahlung zu nehmen. Als Einlösungstag war der 31. Dezember 1923 angegeben: Nach Pressebekanntmachung vom 15. Dezember 1923 sollte die Einlösung aber erst am 3. Januar 1924, also auch noch lange vor dem später für die Provinz Sachsen festgesetzten allgemeinen Einlösungstermin für wertbeständiges Notgeld (10. Juni 1924) erfolgen.
Ammoniakwerk Merseburg Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Notgeldschein über 0,42 Goldmark = 1/10 Dollar, ausgestellt Leuna-Werke am 27. Oktober 1923. Wasserzeichen: Giesecke & Devrient-Kreuzsternmuster.
Die Einführung der Scheine über 0,42 Goldmark = 1/10 Dollar des Ammoniakwerks Merseburg Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Leuna-Werke, vom 27. Oktober 1923 wurde ebenfalls in der Presse bekanntgegeben. Das wertbeständige Notgeld der Gesellschaft wurde auch in Merseburg, Halle, Leipzig, Weißenfels, Naumburg und anderen Orten, in denen Werksangehörige wohnten, in Zahlung genommen.
Ammoniakwerk Merseburg Gesellschaft mit beschränkter Haftung, vom 27. Oktober 1923 (Rückseite mit Angabe der Einlösungsstellen).
Von dem Notgeldschein existieren zwei verschiedene Ausgaben:
Text der Rückseite beginnt mit "Der Umtausch …"
Text der Rückseite beginnt mit "Die Einlösung …"
Zur Verstärkung des Umlaufs an solchen Zahlungsmitteln gab gleichzeitig die Stadt Merseburg am 26. Oktober 1923 drei Werte wertbeständiges Notgeld über 42 Goldpfennig, 1,05 und 2,10 Mark Gold heraus.
Die endgültige Einlösung des Goldmark-Notgelds erfolgte durch Aufruf des Reichsfinanzministers Anfang 1924 für die Provinz Sachsen vom 10. Mai bis 10. Juni 1924.
Hans-Georg Glasemann
Bildquelle: Privat (6/2023)
Literaturhinweis (Daten und Texte teilweise entnommen): Wilhelmy, Rudolf; Geschichte des deutschen wertbeständigen Notgeldes von 1923/1924, Dissertation, Berlin, 1962.
Literaturempfehlung:
Manfred Müller:
Deutsches Notgeld, Band 12: Das wertbeständige Notgeld der deutschen Inflation 1923/1924
Titel: Gietl Verlag
ISBN: 978-3-86646-519-0
Auflage: 1. Auflage 2011
Format: 14,8 x 21 cm
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