Die Verwendung der Prämienmarken des Generalgouvernements ist bis heute vielen, die sich mit historischen Belegen beschäftigen – seien es nun Forscher oder Sammler – nicht völlig klar. So reichen denn Erklärungsversuche von Ersatzgeld für Kriegsgefangene bis hin zu Prämien für Zwangsarbeiter. Nichts davon trifft jedoch zu! Die bereits 1955 beim Institut für Besatzungsfragen erschienene Arbeit „Die Landwirtschaft im Generalgouvernement“ von Heinz von Streng gab schon damals umfassend Auskunft und erklärt das Prämiensystem im Zusammenhang mit der staatlich festgelegten Zwangsablieferung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen im Generalgouvernement:
"Vor Beginn der Erfassung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse wurde von der Regierung des Generalgouvernements für jeden Distrikt ein Ablieferungssoll festgelegt, das diese wieder auf ihre Kreise aufteilten. Die Kreishauptmannschaft legte das auf sie entfallende Kontingent auf die Gemeinden und diese wieder auf die einzelnen Dörfer um. Der einzelne Landwirt lieferte die festgesetzte Quote an Produkten an die Genossenschaften, die ihrerseits die gesammelten Produkte an die landwirtschaftliche Zentralstelle weiterleiteten. Verständlicherweise versuchten die Bauern ihre Erzeugnisse nach Möglichkeit der Erfassung zu entziehen, um sie stattdessen zu weit höheren Preisen auf dem schwarzen Markt abzusetzen. In der Erkenntnis, daß das System der Ablieferungspflicht, auch wenn hinter ihm die schärfsten Strafbedingungen standen, unter den gegebenen Umständen niemals zum vollen Erfolg führen konnte, entschloß man sich, auch mit Prämien zu arbeiten, die einen Anreiz zur Ablieferung auf der Basis der Freiwilligkeit geben sollten. Schon im Jahr 1940 wurden im Rahmen der Eiererfassungsaktion Prämien in Gestalt von Zucker ausgegeben. Die bei der Eiererfassung gesammelten Erfahrungen bildeten die Grundlage für die Einführung eines Prämienscheinsystems bei der Erfassung der Getreideernte 1940, wobei jedoch nicht nur Zucker, sondern auch andere begehrte Artikel des täglichen Bedarfs als Prämienware ausgegeben wurden. Bald wurde das System auf die Ablieferung auch anderer landwirtschaftlicher Erzeugnisse ausgedehnt. Anfangs erhielt der Erzeuger bei Ablieferung einer bestimmten Menge eines bestimmten Produktes bestimmte Prämienwaren in entsprechender Relation. Je nach den Anbauverhältnissen führte diese Methode bei bevorzugtem Anbau bestimmter Produkte dementsprechend zu einer einseitigen Versorgung mit bestimmten Bedarfsartikeln. So gab es Bezirke, in denen eine bestimmte Prämienware im Überfluß war, während andere wiederum völlig fehlten. Die Folge war ein unkontrollierter Tauschhandel mit Prämienwaren zwischen den einzelnen Anbaugebieten. Um diesen Mangel des Systems zu beheben, wurde 1943 ein Prämienpunktsystem eingeführt (‚Die Prämienaktion 1943/44 im Generalgouvernement‘, Erlaß der Regierung des Generalgouvernements, Hauptabteilung Ernährung und Landwirtschaft vom 20.6.1943). Jedem ablieferungswilligen Erzeuger wurde nunmehr der Marktleistung seines Betriebes entsprechend ein Anteil an allen zur Verfügung stehenden gewerblichen Waren zugestanden. Bei der Ablieferung der pflanzlichen und tierischen Erzeugnisse bildete die Anzahl der Prämieneinheiten die Grundlage für die Berechnung der Höhe der Prämie, die auf die Gewichtseinheit entfiel, außer bei Kartoffeln und Saaterzeugnissen, bei denen der Marktpreis ausschlaggebend war. Bei Milch waren die Literzahl und der Fettgehalt der Wertmaßstab.
Als Basis für die Bewertung diente die am meisten angebaute Frucht, der Roggen.
Ein Kilogramm Roggen war die Prämieneinheit. Auf diese Einheit wurden die anderen pflanzlichen und tierischen Erzeugnisse nach bestimmten Gesichtspunkten umgerechnet und zwar 1. nach dem Arbeitsaufwand, der zur Erzeugung des betreffenden Produktes notwendig war, und 2. nach der Wichtigkeit des Produktes für die Ernährungswirtschaft. Mit Hilfe dieses Bewertungssystems ließ sich nicht nur die Erfassung verstärken, sondern ließ sich auch gleichzeitig die Produktion in der gewünschten Richtung lenken. Für je 100 Prämieneinheiten erhielt der Erzeuger 10 Prämienpunkte, die zum Bezug von Prämienwaren berechtigten. Die zugeteilten Prämienpunkte wiederum entsprachen entweder einem bestimmten Werte eines gewerblichen Erzeugnisses, so z.B. bei Lederwaren, Haushaltsartikeln, Waschmitteln oder einer bestimmten Menge, so z.B. bei Eisenwaren, Spinnstoffen, Trinkbranntwein und Zigaretten. Die Prämienpunkte konnten nicht wahlweise für beliebige Artikel verwandt werden, sondern es war eine bestimmte Relation der einzelnen Artikel untereinander zwingend gegeben.
Je 10 Prämienpunkte wurden in zusammenhängenden Markengruppen ausgegeben. Diese Markenkupons enthielten: 2 Prämienpunkte zum Bezug von Spinnstoffen (2 Textilpunkte),
2 Prämienpunkte zum Bezug von Trinkbranntwein je 0,5 Liter, 2 Prämienpunkte zum Bezug von Zigaretten je 30 Stück, 1 Prämienpunkt zum Bezug von Eisen und Eisenwaren je 0,25 kg, 1 Prämienpunkt zum Bezug von Leder und Lederwaren für 1 Zloty, 1 Prämienpunkt zum Bezug von Waschmittel für 1 Zloty und 1 Prämienpunkt zum Bezug von Haushaltswaren für 0,50 Zloty. Die Prämienpunkte hatten nur im Ausgabekreis Gültigkeit."1)
Prämienmarken des Generalgouvernements der ersten Serie 1943/44 über je 50 Punkte für Eisen, Haushaltwaren, Leder, Textilien, Trinkbranntwein, Waschmittel und Zigaretten
(Distrikt Warschau / Kreis Siedlce). Sammlung Wolfgang Haney, Berlin.
Für jede Prämienware – also für Eisen, Haushaltwaren, Leder, Textilwaren, Trinkbranntwein, Waschmittel und Zigaretten – gab es Prämienmarken zu 1, 2, 5, 10, 20 und 50 Punkten.
Mit Nachtrag zum Erlass über die Prämienaktion wurde eine Sonderregelung für die Prämierung der Ablieferung von Flachs und Hanf getroffen, wofür Marken über Textilwaren mit einem zusätzlichen Aufdruck „FLACHS - HANF - WOLLE 1943“ verwendet wurden.
Eine dritte Serie von Prämienmarken der Aktion 1943/44 lautete auf Trinkbranntwein sowie auf Zucker über je ½, 1, 2, 4, 8 oder 20 Punkte.
Prämienmarken des Generalgouvernements der vierten Serie 1944/45 über je einen Punkt
für den Bezug von Waschmittel (Distrikt Radom / Kreis Tomaszow Mazowiecki).
(Sammlung Wolfgang Haney, Berlin)
Für die Prämienaktion 1944/45 stellte man neue Prämienmarken her, die einheitlich groß waren und auf je 1, 2, 5, 10 und 20 Punkte für Eisen, Haushaltwaren, Leder, Textilwaren, Trinkbranntwein, Waschmittel und Zigaretten lauteten. Sie kommen vom Distrikt Galizien überhaupt nicht mehr vor, da dieses Gebiet im zweiten Halbjahr 1944 bereits von sowjetischen Truppen besetzt war.
Neben den Prämienmarken gab es im Generalgouvernement auch noch sog. Punktscheine für Spinnstoffwaren über 1, 2, 5, 10 und 20 Punkte.
Private Verbraucher hatten bis Ende Januar 1943 Bedarfsscheine für den Bezug von Spinnstoffwaren erhalten. Ab dem 1. Februar regelte die Anordnung Nr. 12 des Leiters der Bewirtschaftungsstelle im Generalgouvernement über die Verbrauchsregelung und den Warenverkehr von Spinnstoffwaren dies neu.2) Danach war der private Bezug von Spinnstoffwaren nur noch nach einer im Amtlichen Anzeiger Nr. 8 vom 28. Januar 1943 veröffentlichten Punktliste möglich.
Im Dezember 1943 wurden im Rahmen einer Weihnachts-Sonderaktion Punktscheine für Spinnstoffwaren bzw. Wolle (ähnlich den bereits vorgestellten gezähnten Prämienmarken) an die nichtdeutschen Teile der Bevölkerung und deren Angehörige ausgegeben, die in deutschem Interesse tätig waren. Ähnliche Marken gab es auch für Berufsbekleidung.
Eisen war im Deutschen Reich im Zusammenhang mit der Wiederaufrüstung bereits seit 1937 bewirtschaftet und während des Kriegs gab es Eisenmarken für die Industrie und das Handwerk. Ende 1942 wurde die Verwendung von Eisenmarken auch im General-gouvernement eingeführt. Wechselkassen für die Eisenmarken wurden in allen fünf Distriktskammern eingerichtet. Sie gab es in Abschnitten von 1 Kilogramm bis 10 Tonnen.
Die ersten Eisenmarken waren ab 1. Oktober 1942 gültig, die letzte Serie wurde im zweiten Halbjahr 1944 ausgegeben und war noch im Dezember 1944 in Gebrauch.3)
Hans-Ludwig Grabowski
Literaturempfehlung
Kennzeichen Jude
Antisemitismus, Entrechtung, Verfolgung, Vernichtung und die Rationierung von Nahrungsmitteln und Verbrauchsgütern für Juden in Großdeutschland und den besetzten Gebieten 1939 bis 1945
Verlag: Battenberg Verlag
ISBN: 978-3-86646-558-9
Auflage: 1. Auflage 2014
Abbildungen: durchgehend farbige Abbildungen
Hardcover: 351 Seiten
Format: 17 x 24 cm
Preis: 19,90 Euro
Anmerkungen
Bochniak/Olenski/Schweizer: Handbuch der Prämien-, Eisen- und Kleidermarken im Generalgouvernement 1939 – 1945, S. 3ff.
Vgl. Verordnungsblatt für das Generalgouvernement Nr. 4 vom 27.1.1943.
Bochniak/Olenski/Schweizer: Handbuch der Prämien-, Eisen- und Kleidermarken im Generalgouvernement 1939 – 1945, S. 24ff.
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