Ende Oktober 1923 forderten immer mehr Vertreter der Arbeitnehmerschaft in Industriebetrieben die Einführung wertbeständigen Notgelds bei der Lohnzahlung.
Ab 23. Oktober 1923 gestattete die Reichsregierung Unternehmen die Ausgabe von wertbeständigem Notgeld, wenn es auf Teile der Reichsgoldanleihe vom 14. August 1923 lautete, durch diese Anleihe gedeckt war und bestimmte formale Erfordernisse erfüllte.
Die Vorstände der Radolfzeller Aktiengesellschaften Gotthard Allweiler, Pumpenfabrik und der Trikotfabriken J. Schiesser schlossen sich dieser Möglichkeit der Schaffung von wertbeständigem Geld nicht an. Ihre kreative Lösung: Geld als „Schuldscheine“, also zinslose Schuldverschreibungen. Schuldscheine waren im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt und stellten im Deutschen Reich kein Geld dar.
Schuldscheine der Radolfzeller Aktien-Gesellschaften Trikotfabriken J. Schiesser und der Gotthard Allweiler Pumpenfabrik, 1923 genutzt als wertbeständiges Notgeld.
Gotthard Allweiler Pumpenfabrik Aktien-Gesellschaft
Die in der badischen Stadt Radolfzell ansässige Firma Gotthard Allweiler Pumpenfabrik Aktien-Gesellschaft teilte der Stadt Radolfzell am 24. Oktober 1923 mit, dass sie im badischen Ministerium des Innern um Genehmigung zur Ausgabe von wertbeständigem Notgeld für 3000 Goldmark nachgesucht hat, um den Kartoffelbedarf ihrer Arbeiterschaft einkaufen zu können. Der Gegenwert (2.000 holländische Gulden = 3.300 Goldmark) sei derzeit in Wertpapieren beim Bürgermeisteramt Radolfzell hinterlegt. Das badische Ministerium des Innern teilte in dieser Sache der Stadtverwaltung jedoch am 16. November 1923 mit, dass eine Genehmigung von wertbeständigem Notgeld der Firma Allweiler nicht in Frage kommen kann. Sofern bereits wertbeständiges Notgeld ausgegeben worden wäre, hätte die Stadt für den sofortigen Einzug des Notgelds sorgen müssen.
Die Ausgabe des Allweiler-Notgelds als „Schuldscheine“ erfolgte allerdings bereits am
3. November 1923, also vor dem Eintreffen des ministeriellen Schreibens. Als Zeichen, dass der Gegenwert der Schuldscheine beim Bürgermeisteramt hinterlegt war, erhielten die Scheine links unten einen Abdruck des Stadtsiegels. Die einseitig auf weißem Papier bedruckten Schuldscheine ohne Wasserzeichen waren in zwei Nennwerten ausgestellt auf 0,21 Goldmark (= 21 Goldpfennig) und 0,42 Goldmark (= 42 Goldpfennig).
Gotthard Allweiler Pumpenfabrik Aktiengesellschaft, Schuldschein über 0,42 Goldmark, ausgegeben in Radolfzell am 3. November 1923.
Der Aufdruck beim 0,42 Goldmark-Schuldschein lautet: "Schuldschein - Die Firma Gotthard Allweiler, Pumpenfabrik, A.-G, Radolfzell, schuldet dem Inhaber dieses Schuldscheines den Betrag von Goldmark 0,42 (in Worten: Zweiundvierzig Goldpfennig). Der Inhaber erhält bei unserer Kasse und bei noch bekannt zu machenden Stellen den entsprechenden Gegenwert in Stücken der Badischen oder Reichsgoldanleihe oder den entsprechenden Barbetrag gegen Rückgabe dieses Scheines ausbezahlt. Die Rückgabe dieses Scheines hat spätestens 3 Wochen nach seiner Ausgabe zu erfolgen. Der Gegenwert dieses Scheines ist bei der Stadtgemeinde Radolfzell in Goldwerten hinterlegt, was durch Stempel der Stadtgemeinde bestätigt wird. Radolfzell, 3. November 1923."
Der tatsächlich ausgegebene Gesamtbetrag lässt sich heute nur schwer ermitteln.
Nach Untersuchung der vorliegenden Nummern gelangten wohl höchstens 2.000 0,21-Goldmarkscheine und 3.000 0,42-Goldmarkscheine zur Ausgabe, insgesamt also Schuldscheine für 1.680 Goldmark.
Alle Ausgaben der Firma Allweiler wurden ohne behördliche Genehmigung als Schuldscheine in Umlauf gesetzt. Auf Anordnung des badischen Ministeriums des Innern forderte die Stadt Radolfzell die Firma Allweiler am 3. Dezember 1923 auf, sämtliches Notgeld bis zum
15. Dezember 1923 einzuziehen. Die Firma Allweiler berichtete am 11. Dezember 1923, dass alle Gutscheine aufgerufen seien und keine Neuausgabe mehr erfolgte.
Trikotfabriken J. Schiesser Aktien-Gesellschaft
Am 6. und 13. November 1923 wurden durch die bekannte Trikotfabriken J. Schiesser Aktien-Gesellschaft – nach dem gleichen Modell, wie bei der Allweiler Pumpenfabrik – als „Schuldscheine“ wertbeständige Notgeldscheine in zwei Nennwerten ausgestellt, auf 0,21 Goldmark (= 21 Goldpfennig) und 0,42 Goldmark (= 42 Goldpfennig). Ihr Umlauf war auf drei Wochen begrenzt. Später wurden sie erneut ausgegeben und ihre Gültigkeitsdauer durch einen Stempelaufdruck bis zum 31. Dezember 1923 verlängert. Die Schuldscheine tragen wie bei der Firma Allweiler einen Abdruck des Stadtsiegels als Nachweis der Hinterlegung des Gegenwerts bei der Stadtkasse.
Trikotfabriken J. Schiesser Aktiengesellschaft, Schuldschein über 0,21 Goldmark,
ausgegeben in Radolfzell am 13. November 1923. Gültigkeit verlängert bis 31. Dezember 1923.
Der Aufdruck beim 0-42-Goldmark-Schein lautete: "Die Firma Trikotfabriken J. Schiesser A-G. Radolfzell schuldet dem Inhaber dieses Schuldscheines den Betrag von Goldmark 0,21 (in Worten: Einundzwanzig Goldpfennig). Die Süddeutsche Diskontogesellschaft A-G. Depositenkasse Radolfzell, die Radolfzeller Bank e.G.m.u.H, die Bezirkssparkasse Radolfzell, die Badische Bauern-Bank Radolfzell, die Bezirkssparkasse und Volksbank Stockach, die Spar- und Waisenkasse und Volksbank Engen, schreiben dem Einlieferer dieses Schuldscheines den Gegenwert wertbeständig gut, oder zahlen den entsprechenden Betrag gegen Rückgabe des Scheines in bar aus. Der Gegenwert dieses Scheines ist bei der Stadtgemeinde Radolfzell in Goldwerten hinterlegt, was durch Stempelaufdruck der Stadtgemeinde bestätigt ist. Die Rückgabe dieses Schuldscheines hat spätestens 3 Wochen nach der Ausgabe zu erfolgen. Jeder Schein trägt eine Nummer, die Faksimile-Unterschrift der Direktion und einen Prägestempel der Firma. Radolfzell, den 6. (bz. 13.) November 1923."
Die Schuldscheine wurden in der Laufzeit teilweise durch roten bzw. violetten Stempelaufdruck auf den 31.12.1923 verlängert. Die Ausgabeakten für diese Emission sind heute nicht mehr vorhanden. Nach den beobachteten Kontrollnummern kann der Wert der gesamten Ausgabe auf 9.450 Goldmark geschätzt werden.
Hans-Georg Glasemann
Bildquelle: Privat (6/2023)
Literaturhinweise (Daten und Texte teilweise entnommen): Wilhelmy, Rudolf; Geschichte des deutschen wertbeständigen Notgeldes von 1923/1924, Dissertation, Berlin, 1962 und Dr. Jens-Uwe Rixen: Notgeldausgaben im badischen Bodenseegebiet 1914–1948. In: HEGAU – Zeitschrift für Geschichte, Volkskunde und Naturgeschichte des Gebiets zwischen Rhein, Donau und Bodensee; Jahrbuch 1984/85. Selbstverlag des Hegau-Geschichtsvereins Singen e. V., Singen (Hohentwiel) September 1986.
Literaturempfehlung:
Manfred Müller:
Deutsches Notgeld, Band 12: Das wertbeständige Notgeld der deutschen Inflation 1923/1924
Titel: Gietl Verlag
ISBN: 978-3-86646-519-0
Auflage: 1. Auflage 2011
Format: 14,8 x 21 cm
Abbildungen: zahlreiche Schwarz-Weiß-Abbildungen
Cover-Typ: Broschur
Seitenanzahl: 608
Preis: 39,90 Euro
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