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AutorenbildUwe Bronnert

Revolution im Musterzimmer

Das im Süden Thüringens gelegene Sonneberg, ist bekannt für seine Spielwaren. Aus der alteingesessenen Holzwarenherstellung entwickelte sich ab dem 16. Jahrhundert die Herstellung des als „Nürnberger Tand“ bekannten Sonneberger Spielzeugs. Um 1913 kam der Begriff „Weltspielwarenstadt“ auf. In und um Sonneberg wurden rund 20 % der auf dem Weltmarkt gehandelten Spielwaren hergestellt. Schon früher sprach man bei Sonneberg von der „Werkstatt des Weihnachtsmannes“ und heute findet man hier das Deutsche Spielzeugmuseum.


Wie auch andere thüringische Gemeinden emittierte Sonneberg Notgeld. Als zweite Notgeld-Serie gab sie sechs undatierte 50-Pfennig-Scheine aus, die eine einheitlich gestaltete Vorderseite haben. Die Scheine sind groß mit „Sonneberg: Thür.“ überschrieben, darunter zwei Kreise, im linken das Sonneberger Wappentier – ein aufrecht schreitender geschwänzter Löwe mit roter Zunge – und im rechten Kreis die Wertzahl 50 mit der roten Umschrift „Not-Geld * Pfennig *“. Es folgen darunter die faksimilierten Unterschriften des Bürgermeisters Karl Knauer als Vertreter des Magistrats und „Ad. W. Müller“ für den Gemeinderat. Am unteren Rand der Hinweis auf die Umlaufzeit: „Gültig . bis . 1 . Juli . 1922“ und auf dem Rand selbst der Name der Druckerei „Thür. Verlagsanstalt G.m.b.H. Jena“. Die vorherrschende Farbe der Serienscheine ist olivgrün.


Abb. 1: Sonneberg, Stadt, o. D. – 1. Juli 1922, 50 Pfennig, gemeinsame Vorderseite.



Was eine Revolution ist, erzählen die Rückseiten der Scheine in Bildern und in einem nicht ganz echten südthüringischen Dialekt. Louis Hess ließ sich bei den Sonneberger Scheinen von den Ereignissen des Novembers 1918 leiten, als in Berlin die Revolution tobte und den deutschen Kaiser und die Fürsten hinweggefegte. In düsteren Bildchen verlegte Hess die Handlung in die Welt der Kinder und ließ wohlbekannte Figuren auftreten: Nussknacker, Wachtmeister, Kasperl, Teufel …


Abb. 2: Sonneberg, Stadt, o. D. – 1. Juli 1922, 50 Pfennig, Rückseite A.


„D‘ Nußknacke als Hauptma spricht:

Bei mir herrscht Ordnung, veschtesta mich!“


Das erste Bild vermittelt den Eindruck von der Ruhe vor dem Sturm. Der Nussknacker, der den Wachtmeister und damit die staatliche Ordnung verkörpert, sorgt mit eiserner Hand für Ruhe, bis der böse Kasperl die Puppen aufwiegelt und ein Puppenkrieg ausbricht.


Abb. 3: Sonneberg, Stadt, o. D. – 1. Juli 1922, 50 Pfennig, Rückseite B.


„Es Kaspela da büse Striek

Wiegelt nu auf in Pupp‘nkrieg.“


Die Aufwiegler sind die Kieler Matrosen, die sich im November 1918 gegen den sinnlosen Befehl zur weiteren Kriegsführung auflehnten. Schon bald solidarisierten sich andere Soldaten und die Arbeiter in den Städten des Reichs. Aus dem Widerstand einiger Matrosen entwickelte sich eine revolutionäre Bewegung.


Abb. 4: Sonnenberg, Stadt, o. D. – 1. Juli 1922, 50 Pfennig, Rückseite C.


„Die Sau, die quiekst, die Ochs’n brüll’n,

Die Töckla bläun sich, deß die Hörner schwilln.“


Der Text ist fehlerhaft, statt Töckla müsste es Böckla (Böckchen) heißen!


Am 9. November 1918 verkündete gegen 14.00 Uhr Philipp Scheidemann (SPD) von einem Balkon des Reichstagsgebäudes in Berlin den Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreichs und proklamiert die Deutsche Republik. Etwa zur gleichen Zeit rief Karl Liebknecht vom Stadtschloss die „freie sozialistische Republik Deutschland“ aus. Beiden Proklamationen wohnten Menschenmassen bei und begleiteten das Geschehen lautstark.


Abb. 5: Sonneberg, Stadt, o. D. – 1. Juli 1922, 50 Pfennig, Rückseite D.


A Springkastla kracht a noch auf;

Jetzt rasselts mit’n Sabel drauf.


Am 11. November gründete Karl Liebknecht gemeinsam mit Rosa Luxemburg, Leo Jogiches, Ernst Meyer, Wilhelm Pieck, Hugo Eberlein und anderen den Spartakusbund. Die Mitglieder des Spartakusbundes wollten die Idee eine Räterepublik auch gewaltsam durchsetzen.

Auf den Straßen Berlins herrschten bald bürgerkriegsähnliche Zustände mit Toten und Verwundeten. Die Regierung musste sich in das thüringische Weimar zurückziehen.


Abb. 6: Sonneberg, Stadt, o. D. – 1. Juli 1922, 50 Pfennig, Rückseite E.


Dös Elends wird’s noch go zu viel,

Weil noch da Teufel is im Spiel.


Um die Ruhe im Land wieder herzustellen, rief der sozialdemokratische Reichswehrminister Gustav Noske republikfeindlich gesinnte Freikorps zur Hilfe. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die Führer der gerade gegründeten Kommunistischen Partei, wurden von ihnen ermordet.


Abb. 7: Sonneberg, Stadt, o. D. – 1. Juli 1922, 50 Pfennig, Rückseite F.


Bis endlich kümmt de Gulliver zu G’sicht,

Da macht gleich Ruh und a End dare G’schicht!“


Es herrscht wieder Ruhe. Gulliver, der sicherlich Reichswehrminister Gustav Noske verkörpern soll, hat der Geschichte ein Ende bereitet. Aber um welchen Preis?


Meines Wissens sind die Sonneberger Serienscheine die einzigen, die die deutsche Novemberrevolution von 1918 thematisieren.


Uwe Bronnert

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