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„Schamlose“ deutsche Geldscheine

Autorenbild: Uwe BronnertUwe Bronnert

Anmerkungen zum Reichskassenschein zu 20 Mark vom 10. Januar 1882 und zur 5-DM-Banknote der Bank deutscher Länder vom 9. Dezember 1948


Nicht immer werden neue Geldscheine vom Publikum freundlich aufgenommen. Mit Datum vom 10. Januar 1882 gab die Reichsschulden-Verwaltung eine zweite Serie von Kassenscheinen aus.

„Wie bei den Reichs-Kassenscheinen zu 50 Mark wurden die Hauptfigur und die Randverzierung auf der Schauseite der Reichs-Kassenscheine zu 5 Mark und der figürliche Schmuck auf der Schauseite der 20er von dem Professor Forberg und die übrigen Theile der Zeichnung, mit Einschluß der Schrift auf den Vorder- und Rückseiten, von Kupferstechern der Reichsdruckerei gestochen.“[1]

Kaum waren die Kassenscheine im Umlauf, wurden Stimmen lauten, die die künstlerische Gestaltung als verfehlt bezeichneten. In der 53. Sitzung des Reichstages am 14. Februar 1883 trat der Zentrumsabgeordnete Dr. August Reichensperger (1808–1895) an das Rednerpult.

Im Zentrum seiner Ausführungen stand die Ästhetik der neuen Reichskassenscheine

zu 50 und 20 Mark. Dabei führte er aus, dass nach seiner Ansicht „der hier waltende Kunstgeschmack unserem deutschen Vaterlande nicht zur sonderlichen Ehre gereicht.“


Abb. 1.1: Reichsschuldenverwaltung, 10. Januar 1882, 20 Mark, Vorderseite


Abb. 1.2: Reichsschuldenverwaltung, 10. Januar 1882, 20 Mark, Rückseite

 

Im besonderen Fokus stand bei seiner Rede die Schauseite des Reichskassenscheins

zu 20 Mark, dessen mittleren Teil ihn an einen antiken Sarkophag erinnern würde.

„Ich habe solche Sarkophage gesehen, mit Blumengewinden auf der Vorderseite und zu beiden Seiten als Träger derselben Geschöpfe, die man als ‚Genien‘ zu benennen pflegt – in Italien nennt man sie auch wohl bambini. Hier finden sich nun auch solche Genien zu beiden Seiten und, wie gesagt, ich glaube, es wäre denselben zu wünschen, daß sie etwas von der überflüssigen Garderobe der Dame auf dem 50 Mark-Schein mitbekommen hätten. Natürlich, meine Herren, wir alle, die wir hier versammelt sind, stoßen uns nicht sonderlich daran, daß diese Knaben in voller Nacktheit erscheinen, höchstens daran, daß sie gewissermaßen damit kokettieren; sie posen geradezu als Nuditäten. Es gibt aber draußen Personen, die nicht so im Leben schon herumgekommen und abgestumpft sind, wie wir unsererseits.  – Ich denke, sie mißverstehen nicht, was ich damit meine. Ich trüge z. B. wirklich Bedenken, einem jungen Mädchen, ja selbst einem Dienstmädchen, welche einen Einkauf machen soll, einen solchen 20-Markschein in die Hand zu geben. Meines Erachtens sollte man bei derartigen Dingen, die aller Welt vor Augen kommen, auch der zartesten Jugend, auf dieselbe besondere Rücksicht nehmen, und zwar unsomehr, als leider der Kunstgeschmack in gewissen Schichten sich bereits allzusehr den Nuditäten zuneigt. Meine Herren, die Sache ist wirklich nicht scherzhaft. Ist es doch schon dahin gekommen, daß sogar hochbegabte Kunstgenies mit Nuditäten hausieren gehen, auf den Reiz, welchen das Nackte als solches übt, spekuliren. Ich will mich hier nicht weiter über den Gegenstand verbreiten, die Hindeutung wird wohl schon genügen, um darzuthun, daß auf diesem Schein die zwei ganz nackten Knaben nicht am rechten Ort angebracht sind. Es ist auffallend, wenn ich den Zwanzigmarkschein mit dem vor mir liegenden Fünfmarkschein [von 1874, Anm. d. Verf.] vergleiche, da sieht man auch auf letzterem zwei solche bambini: dieselben zeigen sich aber in sitzender Stellung, es ist ihnen noch ein Stückchen Zeug beigegeben, und sie schlagen ein Bein über das andere. Man hat, wie es wenigstens scheint, beim Entwerken des Zwanzigmarkscheins – derselbe ist neuesten Datums – einen Fortschritt nach dem Nuditätenkultus hin machen zu sollen geglaubt. Ich möchte nun vor einem Fortschritte der Art ernstlichen waren.“

Im Deutsche Kaiserreich saß das Korsett eng am Körper – und ebenso eng in den Köpfen der Gesellschaft. In keiner anderen Epoche gab sich das Bürgertum so zugeknöpft wie in den moralisch rigiden, prüden Jahrzehnten des wilhelminischen Kaisers. „Kaiser Wilhelm II. und seine Sittenpolizisten spürten allen möglichen Verfehlungen nach und setzten sogar ein Gesetz durch, das, streng angewandt, sogar den herrlichsten Antiken der Berliner Museen ein "Schürzchen" verpasst hätte.“[2]


Nun sollte man meinen, zu Beginn der 1950er Jahre hätte sich dies geändert. Dem ist aber nicht so. Die höchste politische Instanz der Bundesrepublik Deutschland, Bundespräsident Theodor Heuss, übte scharfe Kritik an der damals neuen 5-DM-Banknote der Bank deutscher Länder.


Abb. 2.1: Bank deutscher Länder, 9. Dezember 1948, 5 DM, Vorderseite


Abb. 2.2: Bank deutscher Länder, 9. Dezember 1948, 5 DM, Rückseite

 

Nach dem Zweiten Gesetz zur Neuordnung des Geldwesens war die Bank verpflichtet, die Banknoten, die nicht ihren Namen trugen, gegen neue auszutauschen. Im Juli 1949 wurden daher die Entwürfe des Grafikers Max Bittrof für die neue Banknotenserie angenommen.

Besonders dringend war der Neudruck der 5-DM-Note, da von den Scheinen der Währungsreform viele Fälschungen im Umlauf waren und die Prägung von Fünfmarkmünzen vorerst noch nicht in Frage kam. Da in der Bundesrepublik damals weder die Herstellung von Notenpapier noch der Notendruck möglich war, wandte sich die Bank deutscher Länder im November 1948 an die Druckerei Thomas De La Rue & Co Ltd in London. Sie druckte den Wert nach dem Entwurf von Bittrof. In das Papier ist, wie bei den damaligen englischen Noten, ein Metallfaden eingelagert, das Wasserzeichen stellt den Kopf der Europa dar.

Der Untergrund der Note wurde im Buchdruckverfahren hergestellt, der Hauptdruck in einfarbigem Tiefdruck. Datiert ist die Banknote auf den 9. Dezember 1948 und unterschrieben von dem Präsidenten des Direktoriums der Bank deutscher Länder Geheimrat Wilhelm Vocke und dem Vizepräsidenten Wilhelm Könneker. Mit dem Druck der neuen Note wurde im Oktober 1949 begonnen; am 22. März 1950 wurde sie in Umlauf gesetzt.


Bei der Darstellung der Vorderseite griff man auf die griechische Mythologie zurück.

Europa, die Tochter des phönizischen Königs Agenor und der Telephassa, spielt am Strand von Sidon. Als Zeus die junge Frau sieht, verliebt er sich unsterblich. Um ihr nahe zu kommen, verwandelt er sich wegen seiner argwöhnischen Gattin Hera in einen Stier und lässt seinen Boten Hermes eine Stierherde an den  Strand treiben. Der „Zeus-Stier“ entführt Europa, indem er sie auf seinen Rücken nimmt und nach Matala auf der Insel Kreta schwimmt, wo er sich zurückverwandelt. Der Verbindung mit dem Gott entsprangen drei Kinder: Minos, Rhadamanthys und Sarpedon. Auf Grund einer Verheißung der Aphrodite wurde der Erdteil nach Europa benannt.

Auf der rechten Vorderseite wird die barbusige Europa auf dem Stier reitend abgebildet. Diese Abbildung verletzte das sittliche Empfinden des Bundespräsidenten. In einem Brief vom 6. April 1950 wandte er sich an Bundeskanzler Konrad Adenauer:

„Ich habe in den letzten Tagen eine wenig erfreuliche Begegnung gehabt, und zwar mit dem Fünfmarkschein, der als erste graphische Leistung für die Bundesrepublik Deutschland Zeugnis ablegen soll. Man kann wahrscheinlich tiefe Symbolik treiben – oder nennt man dies Verfahren Allegorik, daß der Stier wohl von den Weiden Texas die Europa als leichte Lact (oder Beute) auf seine Hörner genommen hat. Aber das ganze ist für mein Gefühl schauderhaft; ich sehe schon, wie die Klagen der Künstler und anderer Leute bei mir eindringen. Wir haben zwar, glaube ich, noch kein Bundeskriminalamt, aber sie könnten doch wohl feststellen, wer an diesem Verbrechen wider die Menschlichkeit die Schuld trägt.“[3]

Der Bundespräsident und einige Zeitgenossen waren von der Modernität und Freizügigkeit des Scheins entsetzt. Heute entlockt dies nur noch ein Schmunzeln.

Da im Mai 1952 mit der Ausgabe von Münzen zu 5 DM begonnen werden konnte, trat in der Herstellung der Fünfer-Noten eine mehrjährige Unterbrechung ein. Inzwischen war der Aufbau der Bundesdruckerei als Nachfolgerin der ehemaligen Reichsdruckerei in Berlin so weit vorangeschritten, daß der Notendruck dort wieder aufgenommen werden konnte.

Im August 1955 erhielt die Bundesdruckerei den ersten Auftrag zur Herstellung von Noten zu 5 DM, und zwar unter Benutzung der Platten von De La Rue auf Grund eines mit dieser Firma abgeschlossenen Vertrags. Die in Berlin gedruckten Noten beginnen mit der Serienbezeichnung 7 A.[4]

 

Uwe Bronnert


Anmerkungen:

Auch abgedruckt in: Das deutsche Staatspapiergeld als Handschrift gedruckt, Reprint der Originalausgabe von 1901 der Reichsdruckerei Berlin, Regenstauf 1993, S. 193.

[3] Zitiert nach Frank Berger, Theodor Heuss: Prüder Protestant, in: Geldgeschichtliche Nachrichten, Heft 299 vom September 2018, S. 302.

[4] Deutsche Bundesbank (Hrsg.), Die Noten der Deutschen Bundesbank,

Frankfurt am Main 1964.

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