Im Sommer 1923 versank das Deutsche Reich in einem währungspolitischen Chaos.
War im Frühsommer das höchste Nominal noch die Reichsbanknote zu 500.000 Mark, so führte die galoppierende Inflation dazu, dass die Zahlen auf den Banknoten immer größer wurden. Im August rechnete man bereits mit Millionen, Ende September mit Milliarden und ab Anfang November gar mit Billionen Mark. Obwohl die Reichsdruckerei und ihre Hilfsdruckereien Tag und Nacht neue Geldscheine druckten, blieben die Zahlungsmittel knapp, sodass Kreise und Gemeinden wie auch Unternehmen gezwungen waren, eigenes Notgeld auszugeben.
Besonders prekär wurde die Lage im besetzten Rheinland, da die französischen und belgischen Besatzungstruppen die Situation noch dadurch verschärften, dass sie Reichsbanknoten in den Reichsbankfilialen und Hilfsdruckereien beschlagnahmten. Andererseits war den Besatzungsmächten die unkontrollierte Notgeldflut ein Dorn im Auge. Die Ausgabe von Notgeld durch Städte, Gemeinden, Banken, Industrieunternehmen und Privatleuten führte zu Unsicherheit und Hindernissen im Wirtschaftsverkehr. Allzu oft weigerten sich Händler, das Notgeld von auswärtigen Emittenten anzunehmen, bzw. nahmen es nur mit einem Disagio in Zahlung.
Die Hohe Interalliierte Rheinlandkommission plante, diesen Missstand durch die Verordnung No. 212 „betreffend Regelung der Notgeldausgabe in den besetzten Gebieten“ vom 20. September 1923 zu beseitigen [1]. Das altbesetzte Rheinland wurde gemäß Artikel 1 in neun Notgeld-Ausgabebezirke eingeteilt: die Pfalz, den besetzten Teil Hessens sowie die Regierungsbezirke Wiesbaden, Coblenz, Trier, Cöln, Aachen und Düsseldorf (linkes Rheinufer Crefeld) und schließlich den Bezirk Bonn.
Ein aus deutschen Vertretern von Behörden, Banken, Handel und Industrie gebildeter Sonderausschuss für Notgeld erhielt den Auftrag, die Anstalten und Körperschaften zu ermitteln, denen in Zukunft die Notgeldausgabe gestattet werden sollte.
Voraussetzung für die endgültige Zulassung war ferner, dass sich diese dazu verpflichteten, das Notgeld jedes anderen zugelassenen Emittenten ihres Bezirks zum vollen Wert an den eigenen Kassen anzunehmen.
Alle vor dem 1. Oktober 1923 ausgegebenen Scheine waren innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Inkrafttreten der Verordnung einzuziehen. Da dies der 25. September war, blieb den alten Scheinen eine Schonfrist bis zum 25. Dezember. Neuausgaben durften nur noch durch die zugelassenen Emittenten mit einer entsprechenden Kennzeichnung (s. u.) erfolgen.
Bei der Sitzung des Sonderausschusses am 1. Oktober 1923 genehmigte der „Comité financier“ der Rheinlandkommission die vorgelegte Liste. Die dort genannten Kreise, Städte und Unternehmen sollten nun beim Oberbürgermeister der Stadt Coblenz, dem ständigen Büro des Sonderausschusses für Notgeldfragen, ihre Erklärung abgeben [2].
Notgeld, das die ausgewählten Emittenten vor dem 8. Oktober gedruckt oder ausgegeben hatten und das nach dem 25. Dezember 1923 umlauffähig bleiben sollte, musste mit einem besonderen Stempel gekennzeichnet werden. Der Stempelabdruck war auf der linken Scheinseite von oben nach unten laufend aufzustempeln oder aufzudrucken. Dieser Aufdruck in roten, lateinischen Lettern beinhaltete folgende Angaben innerhalb eines einfachen Rahmens: "Umlauffähig im ganzen / Regierungsbezirk ... / Gültig bis zum 1. April 1924."
Das Notgeld, das nach dem 8. Oktober gedruckt oder ausgegeben wurde, erhielt diesen Zusatz in gleicher Form. Er durfte allerdings auch eine andere Farbe aufweisen sowie an anderer Stelle des Scheins aufgedruckt sein.
Stempelaufdrucke mittels Hand-Gummistempel sind nicht so häufig wie die mitgedruckten Zonenstempel. Dies kam sicher daher, dass die Inflationswerte bis zum Oktober relativ niedrig und inflationsbedingt nicht mehr verwendbar waren.
Das Notgeld lief häufig selbst auch in entfernten Regionen um. Es wundert daher nicht, dass bei den Stempelaktionen auch Scheine anderer Emittenten einen Abdruck erhielten. In Coblenz wurde beispielsweise ein 100-Millionen-Mark-Schein des Unterwesterwaldkreises (Montabaur) mit diesem Stempel versehen, der damit „Umlauffähig im ganzen Regierungsbezirk Coblenz“ wurde. Korrekt wäre „Umlauffähig im ganzen Regierungsbezirk Wiesbaden“ gewesen.
Die Liste des Sonderausschusses teilt die Ausgabeberechtigten in zwei Gruppen:
I. Kommunale Körperschaften und andere Anstalten und Körperschaften
1. BEZIRK PFALZ
a) Kreisgemeinde Pfalz
b) Stadtkreis Ludwigshafen Stadtkreis Frankenthal Stadtkreis Speyer Stadtkreis Neustadt a/d Haardt Stadtkreis Landau Stadtkreis Kaiserslautern Stadtkreis Pirmasens Stadtkreis Zweibrücken.
2. HESSEN
a) Stadt Mainz Stadt Worms
b) Kreis Alzey Kreis Bingen Kreis Oppenheim Kreis Worms.
Anmerkung: Nur bis zum Jahresende, zu welcher Zeit allein das Notgeld der Hessischen Landesbank Umlauf haben wird.
3. BEZIRK WIESBADEN
a) Stadt Wiesbaden
Stadt Höchst
Stadt Bad-Ems
b) Landkreis Wiesbaden
Landkreis Königstein
Unterwesterwaldkreis
Untertaunuskreis
Rheingaukreis
Unterlahnkreis
Landkreis St. Goarshausen
c) die Nassauische Landesbank
4. BEZIRK COBLENZ
a) Stadt- und Landkreis Coblenz Kreis und Stadt Kreuznach
b) Landkreis Neuwied Landkreis Mayen Landkreis Simmern mit Zell und Cochem LandkreisSt. Goar Landkreis Meisenheim
5. BEZIRK TRIER
a) der Stadtkreis Trier b) alle Landkreise c) Provinz Birkenfeld (die zu Oldenburg gehörte)
6. BEZIRK BONN
a) Stadtkreis Bonn (gemeinsam mit der Handelskammer Bonn)
Stadt Düren
Stadt Euskirchen
b) Landkreis Bonn Siegkreis Landkreis Rheinbach Landkreise Euskirchen und Düren gemeinsam mit den Kreisen Jülich und Schleiden aus dem Bezirk Aachen sowie mit der Handelskammer Stolberg und der Vereinigung der Industriellen von Düren und Umgebung.
Anmerkung: Da das Gebiet um Bonn zum Regierungsbezirk Köln gehörte, bekamen die Notgeldausgaben den Aufdruck „Umlauffähig im ganzen Regierungsbezirk Köln“.
7. BEZIRK CÖLN
a) Stadt Cöln
8. BEZIRK AACHEN
a) Stadt- und Landkreis Aachen Städte Eschweiler und Stolberg (gemeinsam)
b) Landkreise Heinsberg und Geilenkirchen Landkreis Erkelenz Landkreis Montjoie Landkreise Schleiden und Jülich (gemeinsame mit den Kreisen Euskirchen und Düren aus dem Bezirk Bonn, sowie mit der Handelskammer Stolberg und der Vereinigung der Industriellen von Düren und Umgebung).
9. BEZIRK DÜSSELDORF
a) Stadt Düsseldorf (linkes Rheinufer) Stadt Crefeld Stadt Neuss
Stadt München-Gladbach Stadt Rheydt (die Städte München-Gladbach und Rheydt sowohl jede für sich wie gemeinsam miteinander und der Handelskammer München-Gladbach)
b) Landkreis Crefeld Landkreis Kempen Landkreis Geldern
Landkreis Cleve Landkreis Mörs (sic! Es müsste Moers heißen) Landkreis Neuss Landkreis München-Gladbach Landkreis Grevenbroich
c) englischer Brückenkopf:
Stadtkreis Solingen Landkreis Solingen Landkreis Düsseldorf.
10. DIE LANDESBANK DER RHEINPROVINZ FÜR DIE RHEINPROVINZ (für die Bezirke 4 – 9)
II. Andere Anstalten und Körperschaften
1. PFALZ
a) Badische Anilin- und Sodafabrik (BASF), Ludwigshafen.
2. HESSEN
a) Adam Opel, Rüsselsheim
Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg, A. G., Werk Gustavsburg.
Anmerkung: Nur bis zum Jahresende, zu welcher Zeit allein das Notgeld der Hessischen Landesbank Umlauf haben wird.
3. BEZIRK AACHEN
a) Handelskammer Aachen
4. BEZIRK DÜSSELDORF
Verein der Bergwerke des linken Niederrheins
Friedrich Krupp, Rheinhausen
Handelskammer München-Gladbach
Wenn man bedenkt, dass so manche Kommune und manches Unternehmen nicht nur aus Mangel an Zahlungsmitteln Notgeld ausgab, so wird verständlich, dass diese bemüht waren, dies auch weiter tun zu dürfen. Die Emission von Notgeld bedeutete, dass man einen kostenlosen Kredit in Anspruch nehmen konnte, zumal wenn man es „versäumte“, den Gegenwert des Ausgabebetrags bei der Kredit-Gesellschaft m. b. H. in Berlin zu hinterlegen. In diesem Fall kam noch ein stattlicher Inflationsgewinn hinzu, da sich die eigene Notgeldausgabe weiter entwertete.
Die Verordnung No. 212 bedeutete daher für die nicht berücksichtigten Kommunen und Unternehmen eine erhebliche Einschränkung ihres finanziellen Spielraums. Die Stadt Montabaur beantragte mit Schreiben vom 3. Oktober 1923 bei der Hohen Interalliierten Rheinlandkommission, weiterhin Notgeld ausgeben zu dürfen mit der Begründung:
„Das Notgeld wird gebraucht zur Deckung von Verwaltungsausgaben, Anschaffung von Gefrierfleisch, zum Kartoffelankauf, Bezahlung der Folgearbeit etc. Zu diesen Ausgaben müssen Barmittel vorhanden sein, die der Stadt fehlen. Ausreichende Kredite bei den Banken zu beschaffen ist der Stadt nicht möglich, da die Kosten und Zinsen eine solche Größe erreichen, die es der Stadt schlechterdings unmöglich machen diese aufzubringen. [...] Die Herausgabe von Notgeld ist eine Lebensnotwendigkeit und bitten wir die Hohe Rheinlandkommission ergebenst der Stadt Montabaur die Herausgabe von Notgeld auch fernerhin gestatten zu wollen.“ [3]
Das Gesuch des Magistrats wurde wohl abgelehnt, da kein entsprechendes Notgeld bekannt ist.
Andere Antragsteller scheinen erfolgreicher gewesen zu sein. So hat z.B. die Stadt Diez, der Kreis Groß-Gerau, die Landwirtschaftskammer für die Rheinprovinz, die Handels-kammer Ludwigshafen entsprechendes Geld ausgegeben. Es ist nicht anzunehmen, dass sich die Verantwortlichen dieser Emittenten über die Bestimmungen der Besatzungsmächte hinweggesetzt haben, denn alle Notgeldausgaben, die gegen Bestimmungen der Verordnung verstießen, waren ungültig und sollten ohne Entschädigung beschlagnahmt werden. Überdies wurde jeder, der entweder unmittelbar oder mittelbar an solchen Ausgaben beteiligt war, mit einer Geldbuße von 1.000 bis 100.000 Goldmark und/oder Gefängnis von 1 Monat bis zu 2 Jahren bedroht.
Nachdem mit der Einführung der Rentenmark die Währungsstabilisierung im November 1923 gelang, wurde auch im besetzten Rheinland in der Zeit vom 1. bis 31. August 1924 das Notgeld eingezogen. Viele rheinische Ausgaben wurden bereits im April und Anfang Mai eingezogen [4].
Uwe Bronnert
[1] Landeshauptarchiv Koblenz, Best. 441, Akte 21109, Bl. 355 ff.
[2] Ebenda, Bl. 369 – 371.
[3] Stadtarchiv Montabaur, Abt. 4, Nr. 761.
[4] Vgl. Dr. Arnold Keller, Das Notgeld der deutschen Inflation 1923, Reprint der Originalausgabe von 1958, München, S. 8.
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