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AutorenbildHans-Georg Glasemann

Vohwinkel 1923: "Goethe-Notgeld"

In der Inflationszeit der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ließ die Stadt Vohwinkel* eigene Notgeld-Scheine in Mark-Wärung drucken. Insbesondere bei den größeren Nennbeträgen zeigten die damaligen Stadtväter schwarzen Humor. Überregional bekannt wurden die Vohwinkler Goethe-Notgeldscheine. Sie verweisen auf eine generelle Eigenschaft des deutschen Notgelds der frühen 1920er-Jahre. Es war nicht nur als Zahlungsmittel und Sammelobjekt von Bedeutung, sondern auch und nicht zuletzt als Massenmedium des zeitkritischen Kommentars.


Die bunten, grafisch oft aufwändig gestalteten Motive erinnerten mit ihren schönen Landschaften, den Baudenkmälern, den historischen Ereignissen und den bedeutenden Größen der Vergangenheit an bessere Zeiten, die sich kontrastreich von den wenig erbaulichen Umständen der Jahre zwischen 1918 und 1923 abhoben. Kamen dann noch – wie im Fall des Goethe-Notgelds – gezielt ausgewählte und gut platzierte Zitate aus Klassikern der deutschen Literatur- und Kulturgeschichte hinzu, war das zeitkritisch-satirische Gesamtpaket komplett.


Neben dem 5-Billionen-Schein gab Vohwinkel zwischen September und November 1923 Inflationsnotgeldscheine heraus, die sich trotz unterschiedlicher Nennwerte, Bildmotive und Texte in wichtigen Strukturelementen ähnelten. Alle verwendeten Zitate aus Goethes Werken - einmal aus den „Xenien“, sonst aus „Faust I“ oder „Faust II“ - in Verbindung mit einprägsamen Illustrationen, um satirische Zeitkritik zu üben.


Vohwinkel, Notgeld 50 Millionen Mark vom 20. September 1923

So trat auf dem auf deb 20. September 1923 datierten Schein zu 50 Millionen Mark eine Hexe aus „Faust I“ auf und zitiert das mit Zahlen spielende "Hexen-Einmaleins.


Stadt Vohwinkel, Notgeldschein über 50 Millionen Mark, ausgegeben in Vohwinkel am 20. September 1923, Vorderseite sowie Rückseite mit dem Hexen-Einmaleins.



Vohwinkel, Notgeld 50 Milliarden Mark vom 30. Oktober 1923

Auf dem Ende Oktober 1923 ausgegebenen Schein im Nennwert von 50 Milliarden Mark war hingegen die Figur des Schatzmeisters abgebildet, der im ersten Akt von „Faust II“ auftritt. Seine Klage über die verlorenen Rechte, die Parteien, auf die kein Verlass ist, und die Unmöglichkeit an Gold oder Geld zu gelangen, waren für die Zeitgenossen unschwer als Anspielungen auf die Zustände im Deutschland der frühen 1920er-Jahre zu verstehen. Der Notgeldschein zeigt den folgenden Text aus Goethes Faust II. Teil, „Der Schatzmeister des Reiches spricht:“

Wir haben soviel Rechte hingegeben, dass uns auf nichts ein Recht mehr übrig bleibt. Auch auf Parteien, wie sie heißen, ist heut zu Tage kein Verlass. Wer jetzt will seinem Nachbarn helfen? Ein jeder hat für sich zu tun. Die Goldespforten sind verrammelt; ein jeder kratzt und scharrt und sammelt, und unsere Kassen bleiben leer.

Stadt Vohwinkel, Notgeldschein über 50 Milliarden Mark vom 30. Oktober 1923, Vorder- und Rückseite mit dem Schatzmeister des Reiches.


Die Umrandung auf der Rückseite des Scheins zeigt die Preise am 30. Oktober 1923 in Mark: ein Liter Wasser 2,2 Millionen, ein Pfund Salz 800 Millionen, ein Ei 2 Milliarden, ein Liter Milch 4 Milliarden, ein Pfund Kartoffeln 850 Millionen, ein Hering 900 Millionen, ein Pfund Brot 4 Milliarden, ein Pfund Schweineschmalz 15 Milliarden, ein Paar Schuhsohlen 35 Milliarden und ein Sarg 450 Milliarden.


Vohwinkel, Notgeld 5 Billionen Mark vom 20. September 1923

Die 5-Billionen-Scheine aus Vohwinkel fallen durch ihre ungewöhnliche Gestaltung auf. Zu sehen ist eine Karte der USA zusammen mit Abbildungen von Dollar-Goldmünzen und einem Zitat aus Goethes „Xenien“. Die Kombination dieser drei Elemente ergibt einen satirischen Kommentar zum Zustand der deutschen Währung auf dem Höhepunkt der Inflation. Goethes Ausspruch, „Amerika, du hast es besser“, wird hier auf den wertstabilen und goldgedeckten US-Dollar bezogen, während die umlaufend auf dem Rand des Geldscheins abgedruckten Mark-Preise für Alltagsgüter vom deutschen Währungschaos im Jahre 1923 künden. So kostete auf dem Höhepunkt der Inflation am 30. November 1923:


  • ein Liter Wasser: 250 Millionen Mark (Preis Juli 1914: 2 Pfennige),

  • ein Pfund Salz: 100 Milliarden Mark (Preis Juli 1914: 10 Pfennige),

  • ein Pfund Zucker sogar 650 Milliarden Mark (Preis Juli 1914: 22 Pfennige),

  • ein Liter Milch: 560 Milliarden Mark (Preis Juli 1914: 20 Pfennige),

  • ein Pfund Kartoffeln: 85 Milliarden Mark (Preis Juli 1914: 3 Pfennige), 

  • ein einziger Hering 130 Milliarden Mark (Preis Juli 1914: 10 Pfennige),

  • ein Pfund Brot 400 Milliarden Mark (Preis Juli 1914: 15 Pfennige),

  • ein Pfund Schweineschmalz: 2,6 Billionen Mark (Preis Juli 1914: 60 Pfennige),

  • ein Ei: 700 Milliarden Mark (Preis Juli 1914: 8 Pfennige),

  • ein Herrenanzug: 200 Billionen Mark (Preis Juli 1914: 75 Mark),

  • ein Paar Schuhsohlen: 10 Billionen Mark (Preis Juli 1914: 3,50 Mark) und

  • ein Sarg: 90 Billionen Mark (Preis Juli 1914: 80 Mark).

Stadt Vohwinkel, Notgeldschein über 5 Billionen Mark vom 30. November 1923, Vorder- und Rückseite.


Der Vergleich mit den ebenfalls abgedruckten Preisen aus dem Jahr 1914 kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs vermittelt dabei einen Eindruck vom Ausmaß des Geldwertverfalls.

Die Inflation hatte aber nicht nur die Preise für Güter des alltäglichen Bedarfs in schier aberwitzige Höhen getrieben, sondern darüber hinaus auch Sparguthaben entwertet.

Dies hatte – neben den inneren Wirren der frühen 1920er-Jahre – wesentlich dazu beigetragen, das Vertrauen weiter Kreise der Bevölkerung in die junge deutsche Demokratie der "Weimarer Republik" zu erschüttern.


Hans-Georg Glasemann


Anmerkungen

Dank an Norbert Sdunzik und Das Historische Vohwinkel (7/2023)

* Der Stadtbezirk Vohwinkel ist heute nach Elberfeld und Barmen der drittgrößte Stadtteil Wuppertals in Nordrhein-Westfalen und war bis 1929 eine selbständige Stadt.

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