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Von Gold und Silber zum Papier – Der Banknotenumlauf in der Schweiz 1907 bis 1939

Wenn wir heute unsere täglichen Einkäufe mit Bargeld bezahlen, ist es nicht ungewöhnlich, dass wir mehrere Geldscheine im Portemonnaie haben, oft auch desselben Nominals.

In der Schweiz war das nicht immer so – bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs blieben Banknoten seltene Gäste in Schweizer Geldbörsen.

 

Durch das Schweizer Bankgesetz vom 6. Oktober 1905 war das Notenausgaberecht des Bundes gemäß Art. 39 der Bundesverfassung[1] auf die neu gegründete Schweizerische Nationalbank (SNB) übertragen worden. Die Schweiz war damit eines der letzten Länder Europas, das eine zentrale Notenbank schuf. Bis zum Schluss herrschte gerade in den Kantonen der Innenschweiz Widerstand gegen eine solche Zentralbank. Man befürchtete, der Bund könnte in Finanzfragen gegenüber den Kantonen zu mächtig werden und deren Selbständigkeit untergraben. Sitz der Bank wurde Bern und Zürich, wobei das für den Geldverkehr zuständige II. Departement seinen Sitz in Bern nahm. Das Notenausgaberecht der verbliebenen Banken, die seit 1881 unter dem sogenannten Notenkonkordat[2] Noten auf einheitlichen Formularen in den Wertstufen 50, 100, 500 und 1000 Franken ausgegeben hatten, erlosch 1910.

 

Die SNB begann ab Juni 1907 mit der Ausgabe eigener Banknoten, den sogenannten Interimsnoten. Da der Entwurf und die Herstellung der neuen Serie sich erheblich verzögerten, griff die SNB zu einer Übergangslösung: Man ließ Neudrucke der seit 1881 für die Emissionsbanken erstellten Notenformulare durch Bradbury, Wilkinson & Co. in London anfertigen und in der Schweiz mit dem Notentext in drei Sprachen bedrucken. Scheine der 1. Serie der SNB gelten heute als große Seltenheiten, die Anzahl der nicht wieder eingelösten Scheine (der Aufruf der Noten erfolgte zum 31. Dezember 1925, sie wurden zum 1. Juli 1945 wertlos) ist für alle Wertstufen gering. 


Abb. 1a/b: Goldmünze zu 20 Franken Typ "Vreneli" der Erstausgabe 1897. Quelle: SINCONA AG.


Der kleinste Nennwert einer Banknote in der Schweiz betrug bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs mithin 50 Franken. Für den täglichen Zahlungsverkehr war ein solcher Nennwert viel zu hoch. Anders als etwa Deutschland, wo Reichsbanknoten zu 20 Mark sowie Reichskassenscheine zu 5 und 10 Mark gebräuchlich waren[3], wurde bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs der gesamte Zahlungsverkehr des täglichen Bedarfs sowie die Entlohnung von Arbeitern, einfachen Angestellten sowie in der Landwirtschaft in der Schweiz ausschließlich mit Münzgeld abgewickelt: In Goldmünzen zu 10 und 20 Franken Schweizer Gepräges sowie der Lateinischen Münzunion[4], in Silbermünzen zu 5 Franken Schweizer Gepräges sowie der Lateinischen Münzunion, ferner mit Silbermünzen zu 2, 1, und 1/2 Franken sowie mit Scheidemünzen. Eine Banknote zu 50 Franken konnte angesichts der seinerzeitigen Löhne und Preise hierbei keine Verwendung finden: Im Jahr 1914 etwa betrug der Stundenlohn eines Maurermeisters in Zürich 0,63 Franken, der eines gelernten Arbeiters in der Metallindustrie 0,77 Franken. Eine Arbeiterin in der Textilindustrie verdiente zwischen 0,27 und 0,35 Franken die Stunde. Wöchentliche Lohnzahlung war üblich. In der Landwirtschaft lagen die Löhne deutlich niedriger. Für einen Liter Milch waren in Zürich 1914 0,24 Franken zu bezahlen, ein Kilo Zucker kostete 0,52 Franken, ein Brot 0,36 Franken und ein Kilo Bohnenkaffee – ein Luxusgut – 2,20 Franken[5].

 

Die Banknote blieb also weitgehend ein Zahlungsmittel für größere Transaktionen. Entsprechend gering waren die Umlaufzahlen. So kursierten 1913 im Schnitt 1,97 Millionen Banknoten zu 50 Franken. Bei einer Bevölkerung von gut 3,8 Millionen Einwohnern (Stand 1914) entfiel statistisch demnach auf zwei Einwohner ein Schein zu 50 Franken. Von der 100-Franken-Nnote liefen 1913 im Durchschnitt 1,43 Millionen Stück um. Die höheren Nennwerte machten sich rar: Von der höchsten Wertstufe zu 1000 Franken – sie zeigt auf der Rückseite Arbeiter in einer Eisengießerei – waren im Jahresdurchschnitt 1913 ganze 14.000 Scheine im Umlauf, von der Note zu 500 Franken mit der rückseitigen Abbildung von Stickerinnen rund 34.000 Stück. Weder ein Arbeiter noch eine Stickerin dürften damals je einen solchen Geldschein zu Gesicht bekommen haben.

 

Abb. 2: Banknote zu 1000 Franken der 2. Serie (Rückseite), im Umlauf vom 16. September 1911 bis zum 30. September 1958. Quelle: Schweizerische Nationalbank.

 

Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs änderte sich die Zusammensetzung des Geldumlaufs innerhalb von Wochen. Goldmünzen, als auch die silbernen 5-Frankenstücke, wurden in großen Mengen von den Banken abgehoben und durch die Bevölkerung gehortet. Es setzte eine Zahlungsmittelknappheit ein. Die SNB reagierte, indem sie am 3. August 1914 bereits vorbereite Banknoten zu 5 Franken (Tell) des Ausgabedatums 1. August 1913 und sowie wenige Tage zuvor, am 31. Juli, Banknoten zu 20 Franken (Vreneli) mit Ausgabedatum 1. Dezember 1911 in den Umlauf setzte. Zwei Wochen später emittierte zudem der Bund bereits vorbereite Staatskassenscheine in den Wertstufen 5, 10 und 20 Franken, später im Jahr kamen noch Noten der Darlehenskasse der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu 25 Franken hinzu.

 

Mit den durch die SNB ausgegebenen 5- und 20-Franken-Noten sowie den Staatskassenscheinen kamen erstmals überhaupt breitere Bevölkerungsschichten in der Schweiz in Kontakt mit Papiergeld. Die Akzeptanz war gerade in den ländlichen Gebieten zunächst sehr verhalten. Erst im Verlauf des Weltkriegs wurde Papiergeld ohne größere Probleme als Zahlungsmittel akzeptiert.

 

Am 31. Juli 1914 gab die SNB 646.600 Scheine zu 20 Franken in Umlauf. Bis Ende 1914 liefen zusammen mit den Staatskassenscheinen bereits rund 2,2 Millionen Stück dieses Nennwerts um. Bis Ende 1918 verdoppelte sich die Anzahl der umlaufenden 20-Franken-Scheine auf rund 4 Millionen Stück, von der 5-Franken-Note waren Ende 1918 6,2 Millionen Stück in Umlauf. Damit entfielen 1918 pro Kopf der Bevölkerung durchschnittlich eine Note zu 20 und 1,6 Noten zu 5 Franken. Zwar verdoppelten sich bis 1918 die Löhne, die Preise stiegen gegenüber 1914 aber auf das 2- bis 3-fache[6]. Dennoch blieb jedenfalls eine Banknote zu 20 Franken eine große Summe Bargelds, die schwer verdient und nicht leichtfertig ausgegeben wurde.

 

Abb. 3: Banknote zu 20 Franken Typ Vreneli, erstmals ausgegeben am 31. Juli 1914. Quelle: Schweizerische Nationalbank.

 

Bemerkbar machte sich der hohe Preisanstieg in der Kriegs- und Nachkriegszeit auch im Anstieg des Umlaufs der Banknoten höherer Nennwerte. Von der 50-Franken-Note waren 1918 4,2 Millionen Stück im Umlauf, von der 100-Franken-Note rund 3 Millionen Stück.

Selbst die Anzahl der im Umlauf befindlichen 1000-Franken-Noten erhöhte sich bis 1923 auf immerhin 111.390 Scheine.

 

Ab 1924 beruhigten sich in der Schweiz die Wirtschaftsverhältnisse, die Preise sanken, ebenso die Löhne. Gleichzeitig wurden wieder Goldmünzen in den Zahlungsverkehr gegeben. Die Anzahl der umlaufenden Banknoten ging zurück, insbesondere der Scheine zu 500 und 1000 Franken, während sich der Umlauf an Banknoten zu 50- und 100 Franken bis Ende der 1920er Jahre weitgehend stabilisierte. Allein der Umlauf der 20-Franken-Note stieg moderat weiter an und betrug im Durchschnitt des Jahres 1930 – zu Beginn der weltweiten Wirtschaftskrise – gut 6,5 Millionen Stück. Trotz der wieder eingeführten Goldmünzen gleichen Nennwerts bleib der 20-Franken-Schein ein akzeptiertes Zahlungsmittel.

Die Bedenken gegen das Papiergeld waren verflogen.

 

Eine Sonderkonjunktur erlebte die Banknote zu 5 Franken. Im Jahr 1921 waren die Silbermünzen zu 5 Franken/Francs der Lateinischen Münzunion außer Kurs gesetzt worden. Neue Schweizer Silbermünzen gleichen Nennwerts standen noch nicht zur Verfügung, so dass der Zahlungsverkehr kurzzeitig auf Banknoten dieser Wertstufe angewiesen war.

1922 kursierten im Jahresdurchschnitt 9,7 Millionen Scheine dieser Wertstufe. Mit der Ausgabe der silbernen 5-Franken-Stücke „Alpenhirte“ ab Ende 1922 wurde die Note von der SNB aktiv aus dem Umlauf zurückgerufen, auch um weitere Herstellungskosten zu sparen, die für die Münzen beim Bund lagen. Von der 5-Franken-Note waren im Jahresdurchschnitt 1924 nur noch knapp 4 Millionen Stück im Umlauf, bis 1930 ging die Zahl der umlaufenden Scheine auf 465.000 Stück zurück.

 

Während der Banknotenumlauf Anfang 1930 noch einmal anstieg, ging er infolge der schweren Wirtschaftskrise in der Schweiz ab 1932, in deren Folge Löhne und Preise deutlich fielen, wieder zurück. Allein der Umlauf an 20-Franken-Noten blieb stabil. Eine Ursache hierfür war, dass mit der Abwertung des Schweizerfrankens im September 1936 die Goldmünzen zu 10 und 20 Franken endgültig aus dem Geldumlauf verschwanden und daher allein die Banknote dieser Wertstufe als Zahlungsmittel verblieb.


Abb. 4: Banknote zu 20 Franken der 3. Serie mit dem Bildnis der Schweizer Pädagogen Heinrich Pestalozzi (* 12. Januar 1746 in Zürich; † 17. Februar 1827 in Brugg, Kanton Aargau). Quelle: Schweizerische Nationalbank.

 

Die 20-Franken-Note Vrenelli wurde seit 15. Juli 1930 durch dden Zwanziger mit der Abbildung von Heinrich Pestalozzi abgelöst und zum 1. Januar 1936 außer Kurs gesetzt.

Ende August 1939 kursierten rund 8,8 Millionen dieser Noten, je Kopf der Bevölkerung 2,2 Stück. Bei der 50 Franken-Note waren es 4,3 Millionen Stück, gut 1 Stück pro Kopf der Bevölkerung.

 

Zum Vergleich: Im Jahr 2023 liefen durchschnittlich 101 Millionen Banknoten zu 20 Franken und 73 Millionen Banknoten zu 50 Franken um[7], was bei der aktuellen Bevölkerung der Schweiz von 8,8 Millionen Einwohnern einem Verhältnis von 11,5 Scheinen zu 20 Franken und 8,3 Scheinen zu 50 Franken pro Kopf entspricht – und das trotz der heute weit verbreiteten Möglichkeiten elektronischer Zahlungen. Und auch die 1000-Franken-Note ist nicht mehr so selten wie noch 1914: 2023 liefen 39,3 Millionen Stück um, von denen vermutlich viele in Tresoren und Schließfächern in der Schweiz und in aller Welt liegen dürften.

 

Man kann an der Entwicklung des Notenumlaufs in der Schweiz der Vor- und Zwischenkriegszeit und dem Vergleich mit heute vieles ablesen. Der starke Anstieg von Löhnen und Preisen, das Wirtschaftswachstum, der gestiegene Wohlstand verbunden mit einem deutlichen Kaufkraftanstieg der Bevölkerung – all das setzte erst nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz der Zwischenkriegszeit, die im Banknotenumlauf zum Ausdruck kommt, war demgegenüber moderat. Immerhin ist der Schweizer Franken niemals durch eine Währungsreform abgewertet worden, so dass die Umlaufzahlen der Banknoten gleicher Wertstufen sich direkt vergleichen lassen. Daraus ergibt sich: Banknoten blieben in der Schweiz, anders als in vielen anderen Ländern Europas, bis zum Zweiten Weltkrieg angesichts der im Verhältnis zu den Löhnen und Preisen hohen Nennwerte ein knappes Gut, und sollten in den Geldbörsen der Bürger erst in den 1950er Jahren ihren festen Platz finden.

 

Dr. Sven Gerhard


Anmerkungen

[1] Vom 29. Mai 1874 in der Fassung der Volksabstimmung vom 23. Dezember 1891

[2] Bundesgesetz über die Ausgabe und die Einlösung von Banknoten vom 8. März 1881, BBl 1881 II 179.

[3] Der Umrechnungskurs nach der Goldparität betrug Anfang 1914 1 Franken = 0,81 Mark. Der Reichskassenschein zu 5 Mark entsprach demnach 6,17 Franken.

[4] Die 1865 gegründete Lateinische Münzunion umfasste die Länder Belgien, Frankreich, Italien und die Schweiz, 1868 trat Griechenland bei. Andere Staaten übernahmen die Standards der Lateinischen Münzunion, ohne ihr offiziell beizutreten, so etwa Rumänien und Bulgarien. Ausgegeben nach einheitlichen Standards wurden Goldmünzen zu 20 und 10 Franken/Francs, sowie Silbermünzen zu 5 Franken/Francs. Die Lateinische Münzunion löste sich Ende 1926 auf.

[5] Zu den Preisen der Zeit s. HSSO (Historische Statistik der Schweiz), Tabelle H.26 - Kleinhandelspreise nach Produkten, zu den Löhnen https://statistik.stadt-zuerich.ch/modules/StatNat/1945/1945_ZSN_Arbeitsloehne-in-Zuerich.pdf

[6] Ein Liter Milch kostete in Zürich 1918 0,34 Franken, ein Kilo Zucker 1,34 Franken, ein Brot 0,70 Franken.

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