Folgendes Szenario hatte sich im Hochsommer 1964 so oder so ähnlich im Süden der DDR abgespielt:
Auf einer Dienstreise fuhr ein Abteilungsleiter eines Reifenwerkes am Freitag, dem 31. Juli, auf der damaligen DDR-Autobahn A 6 von Dresden aus in Richtung Eisenach.
Kurz vor dem „Hermsdorfer Kreuz“ überraschte ihn eine Rundfunkmeldung aus dem Autoradio. Es erschreckte ihn, als er vernahm, dass „auf Beschluß des Ministerrates der DDR die Ausgabe von neuen Banknoten ab 1. August 1964 erfolgt.“
Die Erinnerungen an den Banknotenaustausch vom 13. Oktober 1957 wurden wach: seit den Morgenstunden informierte der DDR-Rundfunk über den Tausch an jenem Sonntag. Damals vor knapp sieben Jahren konnten je Person 300 D-Mark im Verhältnis 1 : 1 umgetauscht werden. Alles nur an diesem Tag und nur von 12.00 bis 22.00 Uhr durch Vorlage des Personalausweises (schon ab 20.00 Uhr war das 1948er Papiergeld ungültig – mit Ausnahme der 50-Pfennig- und 1-DM-Banknoten). Weiteres Geld wurde auf Konten gutgeschrieben, wenn die Herkunft plausibel erklärt werden konnte.
Abb. 1: 50 DM 1948, Vorderseite, Lochentwertung, Stempel: „22.10.1957“ und „Zur Gutschrift § 9 / Spezialumtauschkasse / Berliner Stadtkontor“ (vergl. „Einführung der MDN / Umtausch alter Scheine“ www.banknotesworld.com 28. September 2008, Sammlung: Kai Lindman).
Unter der Bezeichnung „Aktion Blitz“ wurde im Herbst 1957 überraschend ein Geldscheinaustausch der Serie 1948 mit der neuen 1955 gedruckten Serie durchgeführt. Die DDR-Staatsführung hatte aus ihrer Sicht gute Gründe für einen blitzartigen Austausch: Spekulanten, Schiebern und Schmugglern sowie Wechselstubenbesitzern im Westen sollte der Garaus gemacht und der Schwindelkurs verhindert werden. Originaltext aus der Verordnung über die Ausgabe neuer Banknoten vom 13. Oktober 1957 (GBl. I, Nr. 73/1957, Seite 603) im Ton damaliger amtlicher Sprache: „Diese Maßnahmen werden getroffen, weil die Monopolisten und Militaristen in Westdeutschland gewisse Mengen von Banknoten in ihren Besitz gebracht haben mit dem Ziel zu spekulieren, Störungen in unserer Volkswirtschaft zu organisieren und Agenten- und Spionageorganisationen zu finanzieren. Es liegt daher im Interesse der Bürger der Deutschen Demokratischen Republik und des demokratischen Sektors von Groß-Berlin, diejenigen Banknoten, die im Besitz westdeutscher und westberliner kapitalistischer Kreise und Agentenorganisationen sind, wertlos zu machen...“
Wie wird das nun diesmal?“ war die Frage – passiert das alles am kommenden Sonnabend wieder? Eventuell am darauf folgenden Sonntag, wie meist bei solchen Aktionen? Der Dienstreisende im Auto musste das klären. Er stoppte am „Hermsdorfer Kreuz“ vor der HO-Raststätte „Teufelstalschänke“, rief das Sekretariat seines Betriebs südlich von Dresden an und erfuhr, dass in der Zeitung schon alles stünde, auch Abbildungen von den neuen Banknoten wären zu sehen. So setzte er seine Fahrt fort und konnte am Ziel seiner Reise, im VEB Automobilwerk Eisenach, im „Neuen Deutschland“ alles nachlesen, alles anschauen:
Abb. 2: Titelseite „Neues Deutschland“ vom 31. Juli 1964 (ND-Archiv).
„Berlin (ND). Das Presseamt beim Vorsitzenden des Ministerrates teilt mit: Der Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik beschloß in seiner Sitzung vom 30. Juli 1964, die Deutsche Notenbank zu ermächtigen und zu beauftragen, neben den bereits im Umlauf befindlichen Banknoten neue Banknoten mit dem Ausgabedatum 1964 auszugeben. Die neuen Banknoten tragen das Emblem der Deutschen Demokratischen Republik, das Bildnis hervorragender Persönlichkeiten der deutschen Geschichte wie Alexander von Humboldt, Friedrich von Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Engels und Karl Marx. Die neuen Banknoten tragen auf der Rückseite Abbildungen, die das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben der Deutschen Demokratischen Republik charakterisieren, wie die Humboldt-Universität, den VEB Carl Zeiss in Jena, das National-Theater in Weimar, die Darstellung einer Getreideernte und das Brandenburger Tor. Die neuen Banknoten sind im Format handlicher als die zur Zeit im Umlauf befindlichen. Vom 1. August 1964 an wird als Währungsbezeichnung der Deutschen Demokratischen Republik eingeführt: »Mark der Deutschen Notenbank«, wodurch aber der Goldgehalt, die Kurse und die Preise, d. h. die Kaufkraft der Währung, nicht geändert werden. Die Ausgabe der neuen Banknoten erfolgt, vom 1. August dieses Jahres an. Die Bürger der Deutschen Demokratischen Republik werden ab 1. August ihre fälligen Löhne, Gehälter, Renten, Stipendien usw. in neuen Banknoten erhalten. ... Der Ministerrat hat in diesem Zusammenhang beschlossen, daß die alten Banknoten neben den neuen Banknoten vom 1. August d. J. bis zum 30. April des kommenden Jahres, also neun Monate lang, noch gesetzliches Zahlungsmittel sind. Das bedeutet, daß jedermann, d. h. Bürger, Betriebe, Einrichtungen und Verwaltungen ihre Zahlungen sowohl in alten als auch in neuen Banknoten vornehmen können, aber auch jedermann verpflichtet ist, sowohl alte als auch neue Banknoten als gesetzliches Zahlungsmittel anzunehmen. Nach Ablauf dieser neun Monate können weitere sieben Monate lang alte Banknoten von jedermann bei allen Banken, Sparkassen und Postämtern gegen neue Banknoten eingewechselt werden. Während dieser Zeit, d. h. vom 1. Mai 1965 bis zum 30. November 1965, sind Bürger, Betriebe, Einrichtungen und Verwaltungen nicht mehr verpflichtet, aber auch nicht mehr berechtigt, alte Banknoten entgegenzunehmen. Im Unterschied zum Geldumtausch am 13. Oktober 1957 handelt es sich bei der jetzigen Ausgabe der neuen Banknoten um eine infolge der natürlichen Abnutzung erforderliche Erneuerung durch moderne, dem Wesen unseres Staates entsprechend gestaltete Banknoten. ... Der Ministerrat spricht allen, die an der Herstellung und Herausgabe der neuen Banknoten beteiligt sind, den Dank aus.“
Grundlage dieser ND-Mitteilung war die Verordnung über die Erneuerung der Banknoten der Deutschen Notenbank vom 30. Juli 1964, unterschrieben von Bruno Leuschner, Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrats der DDR, und Willy Rumpf, Minister der Finanzen der DDR. Diese Verordnung trat am 1. August 1964 in Kraft.
Auf der 4. Sitzung des Ministerrates am Donnerstag, dem 30. Juli 1964, war die Erneuerung der Banknoten der Deutschen Notenbank beschlossen worden. Es folgten dort die Erklärung des Ministers der Finanzen der DDR und eine anschließende Pressekonferenz des Presseamts am selben Tag. Auf der Konferenz waren auch der Präsident der Deutschen Notenbank, Helmut Dietrich, und der Direktor der Deutschen Notenbank, Johannes Weissflog, anwesend. Die Deutsche Notenbank wurde auf Grund des § 2 Abs. 2 des Gesetzes vom 31. Oktober 1951 über die Deutsche Notenbank ermächtigt und beauftragt, neben den bereits umlaufenden Banknoten ab 1. August 1964 die neuen Banknoten auszugeben.
Interessant ist die wiederholte Aussage aus der Pressekonferenz.
„Daß die neuen Banknoten auf »Mark der Deutschen Notenbank« lauten und die Währungsbezeichnung der DDR ab 1. August 1964 dahingehend geändert wird, hat nichts mit einer Änderung der Preise, des Goldgehaltes oder anderen finanzpolitischen Änderungen zu tun. Die neue Währungsbezeichnung knüpft an die deutsche Tradition an.“
Damit wurde de facto die Deutsche Mark in der DDR und Ostberlin abgeschafft – MDN hieß fortan die neue Währungsbezeichnung. Gesetzliche Grundlage war also DAS DDR-Gesetzblatt II Nr. 75/1964, Seite 653.
Unter der Zwischenüberschrift „So sehen die neuen Geldscheine aus“ wurde die aus fünf Wertstufen bestehende neue Serie in allen DDR-Zeitungen abgebildet.
Abb. 3: „Neues Deutschland“, S. 3,
vom 31. Juli 1964 (ND-Archiv)
Alle hier zitierten Texte (in Kursiv) wurden der SED-Zeitung „Neues Deutschland“ entnommen; die Bilddaten wurden freundlicherweise von Frau Angela Wichmann (Abt. Information/ Dokumentation, Neues Deutschland Druckerei und Verlag GmbH, Berlin)
zur Verfügung gestellt. Dafür vielen Dank.
Angaben zu den 1964er Banknoten findet man auch im Sachbuch „Die Münzen und Banknoten der Deutschen Demokratischen Republik“, herausgegeben 1989 von der Staatsbank der DDR, bzw. „Die Geldzeichen der DDR“ von Günter Graichen, 1982.
In der Verordnung vom 30. Juli 1964 sind alle bildliche Darstellungen sowie technische Daten zu den Banknoten aufgeführt, wie Maße, Farben und Wasserzeichen usw.
Tatsächlich war die neue Serie VON 1964 die grafisch gelungenste Ausgabe aller DDR-Banknoten. Außer Kurs gesetzt wurde sie zum 31. Dezember 1982, knapp zehn Jahre vor Einführung der letzten DDR-Geldschein-Serie (Verordnung über die Außerkraftsetzung von Banknoten der Ausgabe 1964 vom 29. Juni 1982, GBl. I, Nr. 27/1982, Seite 499). Die 1971/1975er Banknoten kamen erst 1973 (50 M), 1975 (10 DM), 1976 (20 M), 1978 (100 M) und 1979 (5 M) in Umlauf.
Dabei wurden leider die Porträts von Alexander von Humboldt (5 MDN) und Friedrich von Schiller (10 MDN) durch Bildnisse von Thomas Müntzer (5 M) und Clara Zetkin (10 M) ersetzt.
Wichtig war auch folgende Textpassage
„... Die Münzen der Deutschen Notenbank zu 1 und 2 Deutsche Mark werden nicht erneuert, sie bleiben auch nach dem 30. April bzw. nach dem 30. November 1965 gesetzliches Zahlungsmittel.“
So galt neben den 1955er Banknoten die Deutsche Mark weiterhin auch in Münzform. Die 1-DM-Münzen mit den Prägejahren 1956, 1962 und 1963 sowie die 2-DM-Münzen mit dem Prägejahr 1957 wurden erst zum 1. Januar 1981 ungültig und durch „Mark“-Münzen ab den Prägejahren 1972 bzw. 1974 ersetzt. (GBl. I/1978, Nr. 38, Seite 419).
Abb. 4: 2 und 1 DM, Vorderseite, Aluminium.
Abb. 5: Banknotenset 5–100 MDN 1964, Vorderseiten: roter Aufdruck und Perforation MUSTER mit 5-stelliger Ausführungs-Nr., Rückseiten: roter Aufdruck MUSTER (aus C.G. Christoph Gärtner Auctions, dort am 5./6. Juni 2019 in der 44. Auktion für 800,00 Euro ausgerufen und ersteigert).
Leider sind die Gestalter der 1964er Banknoten-Serie namentlich nicht bekannt; Auskünfte erteilte seinerzeit die Staatsbank der DDR auf Nachfrage nicht. Am 23. Mai 1973 antwortete Herr Remus lediglich: „... Die Nennung der Gestalter ist nicht üblich. ...“ Und es muss erwähnt werden, dass die neuen Banknoten in der Sowjetunion, bei der damaligen Staatsdruckerei Goznak Moskau, gedruckt wurden. Dem wurde von amtlicher Stelle stets widersprochen.
Michael H. Schöne
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