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AutorenbildUwe Bronnert

Über die Geldversorgung des besetzten Gebietes durch die Reichsbank im Sommer 1923

Aktualisiert: 8. Feb.

Bericht des Reichsbankpräsident von Havenstein an Reichskanzler Stresemann:


Seit der Niederlage von 1870/71 und der Gründung des Deutschen Reichs fühlten sich die Franzosen von Deutschland bedroht. Aus Sicht der französischen Eliten stellte der östliche Nachbar aufgrund seiner numerischen, wirtschaftlichen und militärischen Stärke eine Gefahr dar. Zudem strebte Frankreich seit den Tagen Ludwig XIV. die Vorherrschaft auf dem europäischen Kontinent an.


Nach dem Ersten Weltkrieg setzte Frankreich zunächst auf die weitere Unterstützung Großbritanniens und strebte einen französisch-britischen Sicherheits- und Garantiepakt an. Da Großbritannien hierzu nicht bereit war und die USA sich nach den Friedensverhandlungen aus Europa zurückzog – den Versailler Vertag sogar nicht ratifizierte – sah sich Frankreich gezwungen, selbst für seine Interessen zu sorgen.


Dabei setzte man auf die eigene militärische Stärke bei gleichzeitiger Schwächung Deutschlands. Da Russland infolge von Revolution und Bürgerkrieg als Bündnispartner entfiel, schloss die französische Regierung mit ostmitteleuropäischen Staaten Bündnisse. Sie sollten eine deutsche Ostexpansion verhindern und einen „cordon sanitaire“ gegen die kommunistische Sowjetunion bilden.


Die zentrale Rolle in dem Sicherheitskonzept spielte die Reparationspolitik. Deutsche Reparationen sollten die strukturelle Schwäche der französischen Wirtschaft – insbesondere die unzureichende Energiebasis der Schwerindustrie (Koks, Kohle) – ausgleichen, zum Aufbau der zerstörten Gebiete beitragen, die Rückzahlung der interalliierten Kriegsschulden an Großbritannien und die USA erleichtern, die Steuerlast der französischen Bevölkerung mindern und die wirtschaftliche Erholung des besiegten Gegners verlangsamen. Gleichzeit strebte man den Anschluss oder zumindest die politische und wirtschaftliche Kontrolle des Saargebiets und des besetzten Rheinlands an.


Abb. 1: Übersichtskarte zu den besetzten Gebieten.

Quelle: Die Verträge über Besetzung und Räumung des Rheinlandes und die Ordonnanzen der interalliierten Rheinlandoberkommission in Coblenz, Berlin 1925, S. 4.


Geringfügige Lieferrückstände bei den deutschen Reparationen boten dem französischen Ministerpräsidenten Raymond Poincaré den willkommenen Vorwand, am 11. Januar 1923 60.000 französische und belgische Soldaten in das Herz der deutschen Schwerindustrie einmarschieren zu lassen.

Den Deutschen sollte ihr wichtigster und wertvollster Rohstoff genommen werden:

die Steinkohle. Gleichzeitig zielte die Aktion auf eine Revision des Versailler Vertrags und die Verschiebung der deutschen Westgrenze nach Osten.


Als Antwort auf die Besetzung des Ruhrgebiets rief die Reichsregierung den passiven Widerstand aus. Die streikenden Arbeiter mussten nun durch Zahlungen aus dem unbesetzten Reich unterstützt werden. Um dies zu unterbinden oder zumindest zu erschweren, be- und verhinderten die Besatzer Geldtransporte der Reichsbank ins besetzte Gebiet. Überhaupt reglementierten oder verboten die Besatzungsbehörden jegliche Ein- und Ausreise von Personen sowie die Ein- und Ausfuhr von Waren.


Abb. 2.1: Personal-Ausweis (nur gültig für die Einreise in das besetzte rheinische Gebiet).


Abb. 2.2: Personal-Ausweis (nur gültig für die Einreise in das besetzte rheinische Gebiet), Innenteil.


Die Wirtschaft in den besetzten Gebieten war durch den passiven Widerstand noch stärker betroffen als im übrigen Reich, da den Unternehmen der Weg der Kreditaufnahme verwehrt war; hinzu kamen die fehlenden Zahlungsmittel. Schließlich wurde die Geldversorgung zur essenziellen Frage, sollte eine Abspaltung des Rheinlands vom Reich verhindert werden.

Die Probleme, vor denen die Reichsbank im Sommer im besetzten Gebiet stand, waren also zweifacher Art. Die außerordentliche Entwertung der Mark durch die hohe Inflation, die den gewaltigen Kriegsreparationen geschuldet war und durch die französisch-belgische Besetzung des Ruhrgebiets dramatisch angefacht wurde, hatte naturgemäß einen enorm steigenden Zahlungsmittel-Mehrbedarf hervorgerufen, den die Reichsbank zeitweise nicht in vollem Umfange befriedigen konnte.


Das Protokoll der Sitzung des Zentralausschusses der Reichsbank vom 25. August 1923 führt zu diesem Punkt folgendes aus:

„Am 31. Mai hatten wir einen Gesamtnotenumlauf von 8,6 Billionen und dabei eine Reserve an fertiggestellten, aber noch nicht ausgegebenen Noten von nicht weniger als 16,8 Billionen. Die Reserve stellte sich also auf das Doppelte des gesamten Umlaufs. Infolge dieser starken Reserve waren die Tresore der Reichsbank überfüllt. Wir mußten die Herstellung kleinerer Abschnitte (20 000 und 5000 M) einstellen, was eine vorübergehende Beschränkung der Notenanfertigung zur Folge hatte. Dagegen stellten wir angesichts der zu befürchtenden weiteren Markentwertung den Betrieb auf die Anfertigung großer Notenabschnitte um, und zwar zunächst auf die Anfertigung von Abschnitten zu 100 000 und 500 000 M, demnächst auf die Anfertigung von 1, 5, 10, 20 und 50 Millionen Mark-Noten. Während dieser selbst bei größter Beschleunigung einen gewissen Zeitraum erfordernden Umstellungsarbeiten setzte sich die Entwertung der Mark im Zusammenhange mit dem Steigen des Dollars unaufhaltsam und in einem nicht vorherzusehenden und von niemand vorausgesehenen Umfange weiter fort. Trotz angespanntester Notenanfertigung schwanden deshalb die angesammelten Reserven bald dahin. Ende Juni hatten wir bei einem Gesamtumlauf von 17,3 Billionen noch eine Reserve von 11,8 Billionen. Ende Juli waren diese bei einem Gesamtumlauf von 43,6 Billionen auf etwa 2 bis 3 Billionen zurückgegangen. Am 7. August betrug der Notenumlauf 62,3 Billionen; die Reserven waren erschöpft, obwohl es bei äußerster Anstrengung gelungen war, die tägliche Notenanfertigung auf 4,5 Billionen zu steigern. Die nunmehr einsetzende Herstellung der großen Abschnitte ermöglichte die Anfertigung fortgesetzt wachsender Wertbeträge. Am 9. August konnten wir mit einer Tagesproduktion von ca. 5 Billionen rechnen, die den Tagesbedarf wenigstens zu einem großen Teil zu befriedigen vermochte. Da stellten die Buchdrucker der Reichsdruckerei und eines Teils der für uns arbeitenden Privatdruckereien, insbesondere die Buchdrucker der Privatdruckereien in Berlin, die Arbeit ein. Die durch diesen plötzlichen Ausstand bei mangelnden Reserven hervorgerufenen Folgen sind noch in aller Erinnerung. Glücklicherweise erreichte der Streik wenigstens bei der Reichsdruckerei schon am Nachmittag des 10. August sein Ende, während er bei den Privatdruckereien noch einige Tage fortdauerte. Die durch diesen Ausfall bedingte Minderproduktion konnten wir nur allmählich ausgleichen, zumal die Druckereien den Vollbetrieb auch nach Beendigung des Ausstandes nicht sofort wieder aufzunehmen vermochten und der Tagesbedarf unausgesetzt stieg. Eine vereinfachte Herstellung der großen Notenabschnitte setzte uns in den Stand, immer größere Beträge in den Verkehr zu bringen. Diese gewaltigen Summen reichen indes knapp hin, den ungeheuer gestiegenen Zahlungsmittelbedarf zu decken, der ganz neuerdings, insbesondere infolge der außerordentlichen Gehalts- und Lohnerhöhungen eine geradezu phantastische Höhe erreicht hat.“[1]

Abb. 3.1/2: Reichsbank, 1. Mai 1923, 500.000 Mark, Vorder- und Rückseite. Im Umlauf ab Juli 1923.


Abb. 4: Reichsbank, 25. Juli 1923, 500.000 Mark, Vorderseite.

Rückseite unbedruckt. Firmenzeichen „P“, gedruckt bei J. S. Preuss, Berlin.

Im Umlauf ab Mitte August 1923.


Abb. 5: Reichsbank, 25. Juli 1923, 5.000.000 Mark, Vorderseite.

Rückseite unbedruckt. Im Umlauf ab Ende Juli 1923.


Ein vielleicht noch größeres Problem als die Behinderung der Geldzufuhr in das besetzte Gebiet, waren für die Reichsbank die wiederholten Beschlagnahmen von Banknoten durch Franzosen und Belgier. Alle irgendwie erreichbaren Geldbeträge, sei es während des Transports, bei den Reichsbankfilialen, Banken oder in den Druckereien wurden konfisziert. Auf eine nähergehende Ausführung kann hier verzichtet werden, ich verweise auf meinen Beitrag in „Münzen & Sammeln“.[2]


In einem Schreiben an Reichskanzler Gustav Stresemann berichtet Reichsbankpräsident Rudolf von Havenstein anschaulich über die Anstrengungen, die die Reichsbank unternahm, um die Verhältnisse im Rheinland zu verbessern.[3]

„Trotz Fehlens jeglichen regulären Verkehrsmittel und trotz der an Schärfe von Tag zu Tag zunehmenden Grenzkontrolle der Besatzungsbehörden hat die Reichsbank seit Beginn der Aktion bis zum 31. August d. Js. 222,3 Billionen Mark in die genannten Gebiete geschafft. Die gewaltige Summe ist lediglich durch Beamte der Reichsbank auf mehr oder minder gefährlichen Schleichwegen übergeführt worden. Wir haben einen ständigen Autotransport mit gefälschten Passierscheinen eingerichtet, der von Reichsbankbeamten geleitet wird. Teilweise sind unsere Beamten als Bergleute verkleidet durch die im unbesetzten Gebiet zu Tale gehenden und im besetzten Gebiet zu Tage kommenden Schächte mit Geldsummen gewandert, teilweise sind die Transporte von weiblichem Personal ausgeführt und in allerletzter Zeit sogar in Fußwanderungen durch die überaus gefährdeten Zonen vorgenommen worden. Wir haben Verkehrsmittel laufen, die mit falschen Böden versehen und eigens für den Schleichhandel konstruiert sind. Mit diesen Fahrzeugen befördern wir auf Grund eines Abkommens mit dortigen Firmen Lebensmittel in das Ruhrgebiet; in den falschen Böden transportieren wir das Geld.“

Die Reichsbank ließ unter erheblichen Kosten Banknoten in die Niederlande bringen. Holländische Agenten schmuggelten von dort das Geld ins Rheinland. So wurde Aachen und Umgebung, sowie die Städte München-Gladbach, Krefeld und Neuß mit mehreren Billionen Mark versorgt. Seit Mitte Juli erhielt die Reichsbankstelle Köln fast täglich größere Beträge,

im September mehrere Billionen Mark, per Flugzeug via London. Mitte September 1923 musste ein Flugzeug des Aerolloyds mit 5,5 Billionen Mark in Brüssel notlanden. Da die Besatzung die Aussage über Herkunft und Bestimmung des Geldes verweigerte, wurde es von den Behörden beschlagnahmt und die Besatzung festgesetzt. Erst im Oktober gelang es dem deutschen Gesandten, die Banknoten und die Besatzung freizubekommen.


Die Lage im Ruhrgebiet wurde von Tag zu Tag bedrohlicher. „Die Zeit“ meldete am 3. August 1923: „Infolge der französischen Grenzvorrichtungen und -bestimmungen wird der Grenzverkehr immer mehr beschränkt. Neue Stempel auf Pässe werden nur in seltenen Fällen bewilligt und sollen in Kürze überhaupt nicht mehr ausgegeben werden, so daß nur noch die Personen über die Grenze können, die bereits im Besitz des französischen Stempels sind.“ Schließlich wurde am 15. August wegen eines Attentats auf eine französische Einheit in Düsseldorf der gesamte Verkehr im Düsseldorfer Brückenkopf auf unbestimmte Zeit gesperrt. Am 3. September verhängte die Besatzungsmacht eine achttägige Postsperre über das gesamte Ruhrgebiet.


Im Bericht des Reichsbankpräsidenten ist weiterzulesen:

„Trotz den dem Transport entgegenstehenden außerordentlichen Schwierigkeiten, die sich infolge der verschärften Sperrmaßnahmen neuerdings aufs äußerste steigerten, ist es uns doch gelungen, in den letzten Tagen Beträge von 1 bis 5 Billionen Mark täglich in das besetzte und Einbruchsgebiet überzuführen.[4] Aber diese Beträge genügen zur Versorgung des Verkehrs nicht entfernt. Wir haben uns deshalb entschließen müssen, Privatdruckereien mit dem Notendruck zu beauftragen. Zurzeit sind in den besetzten Gebieten nicht weniger als 11 große Druckereien mit Tag- und Nachtschicht trotz den damit verbundenen erheblichen Gefahren für uns tätig. Sie stellen gegenwärtig sogar die hochwertigsten zurzeit im Verkehr befindlichen Abschnitte her. Die Gesamtsumme der von ihnen gedruckten Noten belief sich bis zum 31. August auf ungefähr 100 Billionen Mark.“

Abb. 6.1/2: Reichsbank, 25. Juli 1923, 1.000.000 Mark, Vorder- und Rückseite.

Firmenzeichen „BK“, gedruckte bei J. P. Bachem, Köln. Sog. "Kölner Provisorium".

Im Umlauf ab Mitte August 1923.


Um das Schlimmste zu verhindern, schritten Gemeinden, Städte und industrielle Werke zur Ausgabe von Notgeld. Der Bericht des Reichsbankpräsidenten betont, dass die Reichsbank auch für dieses Notgeld zahlreiche Leistungen erbracht habe, indem sie für den Umlauf und die Wiedereinlösung sorgte, obwohl die damit verbundene Arbeitsbelastung enorm war.

Jede Reichsbankanstalt des besetzten Gebiets löste die Notgeldscheine sämtlicher Emissionsstellen ein. Sie erklärte sich weiter bereit, an den Reichsbankanstalten der Randgebiete den Umtausch vorzunehmen.


„Daß die gesamte Kassentätigkeit der Reichsbank in den besetzten Gebieten sich unter schwerster Gefährdung unserer Beamten vollzieht, bedarf kaum der Erwähnung. Unsere Beamtenschaft ist fort und fort den qualvollsten Drangsalierungen ausgesetzt, sie hat Verhaftungen in großer Zahl und Geldstrafen in hohen Beträgen erleiden müssen; sie steht unter schärfster Kontrolle und hat ihre Bewegungsfreiheit vollkommen eingebüßt.“

Der Reichsbankpräsident kommt zu dem Schluss:

„Alles in allem können wir zu unserer Genugtuung feststellen, daß gegenwärtig der Zahlungsmittelbedarf im besetzten Gebiet befriedigt werden kann und tatsächlich voll befriedigt wird. Daß vorübergehend Stockungen eingetreten sind, versteht sich angesichts der durch die französische und belgische Besatzung bereiteten enormen Schwierigkeiten von selbst. Die Klagen über die Reichsbank, die dann sofort laut werden, sind erklärlich, aber nicht begründet. Sie sind um so weniger begründet, als die Reichsbank zwar verpflichtet ist, für die Bereitstellung der erforderlichen Noten zu sorgen, aber nicht verpflichtet ist, die Zahlungsmittel in die besetzten Gebiete selbst überzuführen, wenn ihr keine Verkehrsmittel und Verkehrswege zur Verfügung stehen. Der reguläre Eisenbahnverkehr ist zur Zeit infolge der französischen Kontrolle nicht verwendbar; die Reichspost, deren wir uns zeitweise mit Nutzen bedienen konnten, nimmt seit Wochen Pakete für die besetzten Gebiete nicht mehr zur Beförderung an. Die örtlichen Behörden der besetzten Gebiete sind zwar oft genug mit großen Anforderungen an uns herangetreten und haben sich, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden konnten, mehr oder weniger heftig beschwert, kaum jemals aber sind uns von dieser Seite die Wege geebnet worden.“

Uwe Bronnert


Anmerkungen [1] BA Berlin, R 43 I /640, Bl. 244–292 Durchschrift.

[2] Uwe Bronnert, Her mit der Kohle! Bankraub und Raub von Banknoten durch das französische und belgische Militär in der Zeit des Ruhreinbruchs 1923, in: Münzen & Sammeln, Januar 1921. S. 130 – 135.

[3] BA Berlin, R 43 I /666, Bl. 83–85. Das Reichsbank-Direktorium an den Reichskanzler.

5. September 1923 [Betrifft: Versorgung des besetzten Gebiets mit Zahlungsmitteln.].

[4] Anm. d. Verf.: Gängige Banknote im August 1923 war die Note zu 500.000 Mark. Somit waren 2 Millionen Noten nötig, um den Betrag von einer Billion Mark zusammen zu bekommen, bei Scheinen zu 5 Millionen Mark waren es immerhin noch 200.000 Stück.

Aber im Juli 1923 waren auch noch die Banknoten zu 1000 Mark im Umlauf.

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